Wer die Wahl hat …

Freunde rufen mich an, mails erreichen mich: Ich solle doch mal was zu den Wahlen von vergangenem Sonntag schreiben. Ist nicht in allen Medien, Hörfunk und Fernsehen, Zeitungen, Internet, schon alles zu den Bundestagswahlen gesagt? Werden nicht jeden Tag aufs neue eine kluge Analysen geliefert? Doch. Also ist entbehrlich, was ich mir noch so ausdenken, woran ich noch Anstoß nehmen könnte. Also wirklich nur einige (Rand-) Bemerkungen.

Das Hauptergebnis ließ sich vorher bereits absehen, nämlich die Wahl einer FDP-geführten Bundesregierung mit CSU/CDU unter Kanzlerin Merkel. Damit ist zum ersten mal in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik ein Regierungswechsel aus dem Kanzleramt heraus gelungen. Aber es gab auch so viele Nebenergebnisse wie sonst selten. Keineswegs nur den dramatischen Bedeutungsverlust der SPD oder die Konsolidierung der kleineren Oppositionsparteien. Mit knapp 71% hatten wir die niedrigste Wahlbeteiligung aller Bundestagswahlen. 18 Millionen Wahlberechtigte haben ihre Stimme behalten. Das bedeutet: Die Mehrheit hat keine Mehrheit. Bei der vorgestrigen Bundestagswahl wählten 29,2 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht, 23,6 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU/CSU, 16,1 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD, 10,2 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP, 8,3 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE und 7,5 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.

Die einst große SPD kann nach einem Verlust von mehr als 11% nicht einmal mehr bei einem Viertel der Wahlbevölkerung punkten und ist auf dem Weg zur größten der kleineren Parteien. Noch nie bei einer Bundestagswahl ist eine Partei derart dramatisch eingebrochen. Vorgestern ist sie bundesweit von nur noch knapp 10 Millionen Menschen gewählt worden und hat demnach ihre absoluten Stimmen seit 1998 halbiert. Noch schlimmer: Bei den jungen Menschen bis 30 Jahre hat sie sogar die Hälfte ihrer Stimmen verloren und liegt mit 17% in dieser Altersgruppe gleichauf mit der FDP. Allein in der gestrigen Wahl blieben 1,8 Millionen SPD-Wähler zu Hause, 1,22 Millionen haben die Linkspartei gewählt, jeweils knapp 890.000 Wähler CDU und Grüne, und zur FDP sind immerhin 540.000 SPD-Wähler abgewandert. Seit der Regierungsübernahme von Rot-Grün im Jahr 1998 gab es 40 Wahlen. 25 davon hat die SPD verloren, teils deutlich. Kurzum: In den vergangenen elf Jahren Regierungsbeteiligung hat die SPD einen desaströsen Vertrauensverlust in der bundesdeutschen Bevölkerung erfahren. Was die Partei einst stark gemacht hat, Garant der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität im Land zu sein, die Armen und Schwachen zu stützen, die bürgerlich-parlamentarische Demokratie gegen jeden Versuch zu schützen, Freiheits- und Bürgerrechte einzuschränken, und nach den verheerenden Folgen des Faschismus in Deutschland für friedliche Nachbarschaft in Europa und  gegen Militarisierung zu kämpfen, all dies wird heutzutage immer weniger mit der SPD, stattdessen mehr und mehr mit anderen Parteien, Grünen, Linkspartei, in Einklang gebracht.

Das Ergebnis für die CDU ist nur marginal besser. Nach 1949 hat sie gestern das zweitschlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. 33,9%. Auch die CDU ist auf dem Weg zur einer Partei mittlerer Größe. Selbst in ihren Hochburgen, Bayern und Baden-Württemberg, ist sie massiv eingebrochen.

Die beiden Parteien der großen Koalition repräsentierten am vergangenen Samstag noch fast 70% der Wähler. Seit Montag sind es nur noch knapp 57%.

Volksparteien? Was ist das eigentlich, eine Volkspartei? Eine Volkspartei, so sagt man, sei eine Partei, die für Wähler aller gesellschaftlicher Schichten im Prinzip offen sei. Sie unterscheide sich insofern von anderen Parteitypen, der Klientelpartei vor allem, die zunächst einmal Politik vor allem zur Interessenvertretung bestimmter Wählergruppen betreibt. Nicht die schiere Größe oder der Zuspruch der Wähler also kennzeichnet eine sogenannte Volkspartei. Es handelt sich eher um eine Art Selbstzuschreibung der ehemals großen Parteien in Deutschland, SPD, CDU und CSU, um den Anspruch, schicht- und klassenübergreifend und ideologisch verbindend breite Wählerschichten in sich aufzunehmen und diese in ihrer Interessenvielfalt ausgleichend zu vertreten.

In dem Sinne sind nicht nur die ehemals großen Parteien Volksparteien, Grüne und Linke wären es nach dieser Beschreibung ebenfalls. Nicht sicher bin ich mir bei der Partei der Besserverdienenden. Es spricht doch immer noch relativ viel dafür, daß die FDP eher den Charakter einer Klientelpartei hat. Nur: Das nutzt alles gar nichts. Es erklärt auch den großen Wahlerfolg der FDP nicht, sofern der sich überhaupt erklären läßt. Wie sagte gestern Abend Hans-Ulrich Jörges in der ARD? Bei der FDP handele es sich um eine mehrfach eindimensionale Partei. Ein einziger Mann, Westerwelle, ein einziges Mantra, Steuersenkungen, ein einziges Ziel, schwarz-gelb.

An sich ist der Begriff der Volkspartei fragwürdig, identifiziert er doch das ganze mit einem Teil, das Volk mit einer Partei. Volksparteien haben einen Prozess der Öffnung hinter sich. So hat die CDU den Versuch unternommen, nicht mehr nur die katholische Wählerbasis anzusprechen, wie weiland das Zentrum. Die Sozialisten finden in CDU oder CSU aber keineswegs eine politische Heimat. Die SPD hat sich mit ihrem Godesberger Programm bürgerlichen Schichten geöffnet und ist  seit Jahrzehnten keine reine Arbeiterpartei mehr. Die Volksparteien repräsentieren keineswegs das Volk, sondern jeweils nur Teile desselben.  Was dann eine “linke” Volkspartei sein soll, was eine eher “rechte”, wird bei genauerem Hinsehen nicht wirklich klarer. Michael Jäger hat unter dem Titel “Eine verworrene Debatte” im letzten Freitag das Konzept Volkspartei analysiert.

Der Schrumpfungsprozess der Groß-Koalitionäre alleine jedenfalls rechtfertigt nicht, von einem Verschwinden der Volksparteien zu sprechen. Vielleicht ist der Erfolg der kleineren Parteien, allesamt zweistellig seit Sonntag, eher ein Hinweis darauf, daß sich die Zahl der Volksparteien vermehrt hat.

Jedenfalls war nach der langen Wahlberichterstattung am Sonntag, schon nächtens, mein Impuls: Eigentlich müßte man jetzt in die SPD eintreten. Es haut sich so gut drauf auf die Wahlverlierer, daß man das so jedenfalls nicht stehen lassen kann.

So, Schluß jetzt.

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