Alle Artikel vonWolfgang Horn

Anders sein

Die besten Filter aber sind wir Menschen selbst, der Anstand, den wir leben. Wenn Dummheit und Niedertracht drohen Land zu gewinnen, dann ist das erste und vielleicht auch das letzte Mittel, das man gemeinsam dagegen hat: anders sein.

Johan Schloemann, Mit Anstand, in: Süddeutsche Zeitung vom zweiundzwanzigsten Januar Zweitausendfünfundzwanzig

“Sie verstellen sich nicht”

Man „höre die Rede der Spitzen-, jetzt Kanzlerkandidatin dieser rechtsradikalen Partei, die auf der Klaviatur der Unsagbarkeiten ebenso spielen kann wie auf der, sich als Opfer eines Mainstreams darzustellen, der ihr ihre demokratischen Rechte verweigert. In dieser Rede hat Alice Weidel – „Al(les)ice für Deutschland“ – einen Ton angeschlagen, der nicht einmal in die Nähe des Verdachts kommen könnte, für mitte-rechts-orientierte Wählerinnen und Wähler auch nur ansatzweise akzeptabel zu sein. Es war eine ekelhafte Rede, das Gesicht der Rednerin zur Fratze erstarrt, von Hass zerfressen und in den Inhalten dümmer, als man es sich auch mit viel Fantasie vorstellen konnte. (…) Das ist vielleicht das Frappierende an der ganzen Sache – sie verstellen sich nicht. So unsagbar und unerwartbar, so wenig satisfaktionsfähig und ernst zu nehmen die Dinge inhaltlich sind, so wenig scheint das für die Sprecher ein Problem zu sein. Das bedeutet dann aber, dass die kommunizierten Inhalte für Gegenargumente, für Widerlegung oder auch nur Verunsicherung erreichbar wären. Man wird diese Leute nicht dadurch erreichen, dass man sie widerlegt – im Gegenteil, die Widerlegung stabilisiert die Distinktion. (…) Die Mechanismen der Verarbeitung politischer Inhalte und Informationen können solche Formen der politischen Selbstimmunisierung gar nicht erreichen.

Armin Nassehi, MONTAGSBLOCK /308

Rasierschaum ist keine Kritik

Da wirft eine Kreispolitikerin der Partei Die Linke dem FDP-Chef Lindner eine Rasierschaumtorte ins Gesicht. Nein, das ist keine Politik. Es ist eine körperliche Attacke auf einen Politiker, einen Mandatsträger. Das ist das Gegenteil von persönlichem Anstand und politischer Kunst. Nichts rechtfertigt derartige Angriffe, im Privaten nicht, noch auf Politiker. Man darf jedermann kritisieren. Christian Lindner zuvörderst. Wegen seines Ampel Aus- und Nachtritts. Wegen seiner spalterischen Rhetorik. Wegen der würdelosen Anbiederung an Elon Musk und Javier Milei. Wer aber nicht aushält zu hören, was andere sagen, wer den anderen nicht (aus)reden lassen will, schlimmer noch: persönlich attackiert, darf sich nicht als Demokrat bezeichnen. Punktum.

“Rolex-Liberalismus”

Gut klappt die Ansprache der treuesten Wählerschaft, die die FDP derzeit hat: Auf die Fans von Christian Lindner kann sie bauen. Der Parteichef verkörpert einen Rolex-Liberalismus. Dessen Anhänger übernehmen gerne einen gut bezahlten Job, um sich dann stolz Genuss leisten zu können. Diese hedonistische Zielgruppe ist größer, als man auf dem Lastenradparkplatz meinen könnte.

Bastian Brinkmann, Christian Lindner bewirbt sich als Schwiegersohn von Friedrich Merz – das ist zu wenig, in: Süddeutsche Zeitung vom siebten Januar Zweitausendfünfundzwanzig

Verfassungsschutz in Thüringen ordnet Anschlag von Taleb A. rechtsextremem Spektrum zu

Anzeichen für psychische Erkrankung nicht zu übersehen

“Selbst wenn sich eine psychische Störung herausstellen sollte, lässt sich an den Beiträgen des mutmaßlichen Täters im Internet eine gewachsene Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts in den letzten Jahren feststellen”, so der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

„Im Kern hat er Ideologeme dieser globalen digitalen Vergemeinschaftung im Bereich des Rechtsextremismus geteilt: der angebliche sogenannte große Austausch, die angebliche Islamisierung, andere Elemente der klassischen Verschwörungsideologie, und dass man annimmt, alles sei gesteuert. Presse sei gesteuert, politisches Handeln. Das sind so Chiffren in diesem Milieu. Und wir sehen bei ihm stark und über Jahre hinweg, wie er an diesem Diskurs, an dieser digitalen Vergemeinschaftung teilgenommen hat, wie er diese Inhalte übernommen hat, bei X, ehemals Twitter, retweetet, aber auch eigene Inhalte beigesteuert hat – insbesondere im Kontext antiislamischer Agitation.“ So der Radikalisierungsforscher Hans Goldenbaum. Magdeburg stehe in einer Reihe mit den Taten von Halle und Hanau. Dass gerade die Akteure, denen der Tatverdächtige anhing, von einem migrantisch islamistischen Anschlag sprechen, sollte aus Sicht des Forschers nicht verwundern. Es zeige, wie abgedichtet der rechtsextreme Diskurs gegen die Realität sei. 

„Wir sehen sehr starke paranoide Züge, eine wahnhafte Wahrnehmung verfolgt zu werden: in Deutschland nicht unbedingt nur vom saudi-arabischen Geheimdienst, sondern auch vom deutschen Staat, vom deutschen Geheimdienst, der deutschen Polizei. Das sind sehr klare paranoische, verschwörungsideologische Elemente, wie wir sie zum Beispiel auch beim Täter von Hanau hatten.“

„Das sind Taten, bei denen wir merken, dass der Täter in welcher Form auch immer ein geschlossenes Weltbild hat, ein extremistisches Weltbild hatte. Und die Möglichkeit eines psychischen Ausnahmezustands, von psychischer Labilität, psychischer Störung. Meistens müssen mehrere Faktoren der Ideologie, der psychischen Konstitution und auch emotionaler, psychischer Momente zusammenkommen.“

„Also er war offenbar Unterstützer, Sympathisant der AfD, aber dass er sich mit den Leuten getroffen hat, das denke ich nicht. Das wäre auch unwahrscheinlich von der Täterstruktur her. Was man aber sagen kann ist, dass er im digitalen Raum sehr wohl stark vernetzt war. Und das ist ein Phänomen, das wir in den letzten Jahren zunehmend beobachten, weshalb wir in allen extremistischen terroristischen Gewaltformen eine stärkere Einzeltäterproblematik haben. Dass Menschen online eine Gemeinschaft finden, die sie bestätigt, an deren Diskursen sie partizipieren können, wo sie teilweise auf Menschen stoßen, die sie unmittelbar zur Tat motivieren und wo sie dann aufgrund von individuellen Faktoren irgendwann zur Tat schreiten.In diesen digitalen Räumen dichten sie sich, genau wie beim Tatverdächtigen jetzt in Magdeburg, mehr und mehr gegen Einflüsse von außen ab, gegen andere Informationen. Dort kommen auch andere Akteure ins Spiel, auch rechtsextreme Akteure, auch Akteure aus der AfD.“

Geklauter Kniefall

Auf den ersten Blick machte mir das Foto den Eindruck, eine allenfalls leidlich gelungene Persiflage aus dem Hause der Postillonsmacher zu sein, die das überbordende und kaum einhegbare Ego des bayerischen Ministerpräsidenten aufs Korn nehmen, wozu der sich an der historisch einmaligen Geste des Kniefalls von Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau vergeht und einen dürren Abguss liefert, allenfalls eine physische Kopie. Sozusagen die traurig-bedeutungslose Geste jenseits aller Wahrhaftigkeit. Wie gesagt, der erste Blick.

Nur: auf den zweiten Blick verflüchtigen sich die vermuteten Satireproduzenten aus dem Internet. Der Ministerpräsident höchstselbst und seine Entourage sind verantwortlich für die mißratene Geste und ihre Verbreitung in den Netzen.

„Selbstverliebtheit gepaart mit Größenfantasien war immer schon seine ärgste Schwäche. Inzwischen aber hat sie Ausmaße angenommen, die ins Groteske reichen“, schreibt Sebastian Beck heute in seinem Beitrag „Markus Söder. Der grotesk Selbstverliebte“ in der morgigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung über den geklauten Kniefall.