Monat: Januar 2020

Der Faschismus trägt heute moderne Kleider

Ludwig Wittgenstein zeigt uns, Wörter sind keine Fenster zur Welt, Wörter machen die Welt, sie strukturieren unsere Gefühle, unsere Sinne, unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung. Mit der Sprache können wir unser und das Leben der Anderen gestalten. Wörter können ermutigen und Angst machen. Die humane Sprache droht nicht, grenzt nicht aus und diskriminiert nicht, sondern verbindet, ist großherzig; auch gegenüber denjenigen, die in Not sind. Die Sprache der Neuen Rechten ist eine Sprache der Verängstigung, Aufhetzung und Ausgrenzung gegen einen vermeidlichen Feind. Ihre Sprache vergiftet das Sehen und Denken. Sie pflanzt Neid, Hass und Missgunst, Intoleranz und Gewalt in die Herzen der Menschen. Sie macht aus Unmoral Moral und aus Unrecht Recht. In Wirklichkeit geht es bei dieser Debatte um Recht und Rechte. (…) Konkret das Asylrecht und die Grund- und Menschenrechte. Diese „funktionieren in der Rechtsordnung nur als positives Recht, das nicht von moralischen Prinzipien, sondern ausschließlich von anderen Rechtsnormen begrenzt wird“, bemerkt Hauke Brunkhorst. Das heißt nicht, dass es keine Beziehung zwischen Recht und Moral gibt. Die „gängigen Menschenrechte drücken in der Regel tiefsitzende moralische Intuitionen aus“. Auf den „Moralismus“ oder auf die „Hypermoral“ der Linksliberalen zu schimpfen, gehört seit eh und je zur Metapolitik der rechtskonservativen Kulturkritik. Das ist nicht neu – wie auch die neue Rechte eigentlich die alte Rechte geblieben ist. Der Faschismus trägt heute moderne Kleider. Das Neue an der Neuen Rechten ist nicht ihre Ideologie, sondern ihr Design, ihr öffentliches Erscheinen. Dazu gehört ihre metapolitische Begriffsarbeit. Die führenden Köpfe der Neuen Rechten zeigen sich inzwischen derart professionalisiert, dass ihr Rassismus und ihre völkische Weltanschauung als solche in der breiten Öffentlichkeit kaum mehr als solche kenntlich wird und immer mehr den Diskurs bestimmt. Dabei zielt ihr Verwirrspiel mit Begriffen wie Hypermoral auf den Rückbau der liberalen Demokratie.

Dr. phil. Bruno Heidlberger, Ist Robert Habeck ein „Traumtänzer“ und ein „Hypermoralist“?, in: starke-meinungen.de

Es lebe der Influencer

Die Traurigkeit und Angst, die mit dem Verlust einhergeht, hat auch damit zu tun, das ein einstmals utopischer Gegenentwurf am Boden liegt: Die Schwarmintelligenz. Diese galt mit dem Aufkommen des Internets und seiner Netzwerke als neue Form der Wissensproduktion- und verwaltung. Eine, die ohne Anführer auskommt, in der anders gesprochen, entschieden und gedacht werden kann und das Unbedachte passiert. Heute redet darüber kein Mensch mehr. Das Internet liegt in der Hand weniger Monopolisten, die, so der Stammtisch, die Menschen gegeneinander aufhetzen. Dahinter kommt allerdings ein gesellschaftliches System zum Vorschein, das sich völlig anders strukturiert hat – in dem der kulturelle Diskurs nicht mehr auf dem Prinzip der Opposition, sondern der Kollaboration gründet.

In den Nachrufen zum einst gefährlichen Dinosaurier Gremliza werden zuhauf Wörter aus der Kiste geholt, die so staubig klingen, als wären sie eigentlich mit der BRD untergegangen und allesamt noch dem alten Prinzip der Opposition verpflichtet: Unerbittlichkeit, Uneinsichtigkeit, journalistische Unerschütterlichkeit, Ideologiekritik, rigorose Haltung oder moralische Klarheit. Sie wirken wie aus einer alten Kirche herausgebrüllt, die Fußgänger schauen kurz vom Handy auf, verstehen kein Wort und denken: Irre Typen. Die Fußgänger wissen genau, in Karlsruhe sitzt das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland und letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren. Dort wird entschieden. In Kommunikation und Kultur misst sich Instanz heute allerdings nach Friends und Followern. Das Verrückteste und womöglich Genialste am Publizisten Gremliza war, dass er genau davon so wenig wie möglich wollte. Sein Erfolg errechnete sich nach Leuten, die er vergrätzt hatte. Je marginaler, desto wichtiger, je weniger er gelesen wurde, desto besser. Weil dies seiner Logik zufolge davon zeugte, dass er recht hatte. Ausweis seiner absoluten Unabhängigkeit und Souveränität, weder von der Gunst anderer noch von Likes bestimmt. Heute ist so etwas für viele nicht mehr nachvollziehbar, leicht verdreht wird es aber wieder ein Thema.

Timo Feldhaus, Der König kann gehen, in: Der Freitag, Ausgabe Drei, Zweitausendundzwanzig