Kobes Underground und die Kölner Stunksitzung
Monat: Januar 2021
Sir Nicolas Winton
Verloren
Unchained Melody
Unchained Melody. Entfesselte Musik. In der Tat. Mir bekannt aus Jugendzeiten von den Righteous Brothers. Aber weit mehr als einhundert Coverversionen gibt es von diesem Neunzehnhundertfünfundfünzig komponierten zeitlosen Song, für den Hy Zaret den Text und Alex North die Musik beisteuerten. Gecovered haben Bruce Low, Harry Belafonte, Gene Vincent, Cliff Richard, Gene Pitney bis hin zu Roy Orbison, Elvis Presley, Willie Nelson oder Cindy Lauper. Und nun also Austin Brown. Ohren auf.
Siebzig
Ich kann und will mich nicht beklagen. Im Gegenteil. Auch technisch vermittelt erfahre ich viel Zuspruch zu meinem siebzigsten Geburtstag, Telefon, WhatsApp, Facebook, Jitsi Meet, Mail, Zoom, Signal – wie auch immer. In Zeiten, in denen Umarmungen und Küsse mit Freunden und Freundinnen der Pandemie wegen nicht mehr stattfinden, darf ich viele virtuelle Umarmungen genießen und Versprechen, daß die Küsse nachgeholt werden, wenn dereinst das Virus besiegt ist oder die meisten Menschen geimpft sein werden. Ich freue mich drauf. Dann ist auch wieder Party angesagt, laute Musik, Tanz, Enge, Nähe, Essen und vor allem Trinken. Der Zapfhahn wird schon noch eine Rolle spielen in unser aller Leben, das derzeit von gehöriger Reizunterflutung gekennzeichnet ist. Es bleibt nicht, wie es ist. Und das ist tröstlich. Ich danke allen, die mir zum Geburtstag gratuliert und an mich gedacht haben. Vermutlich werde ich kaum einzeln auf die Flut von guten Wünschen antworten können, das sind einfach zu viele. Danke, Ihr Lieben. Danke, Ralph, fürs Bild vom roten Rebensaft.
Das Auge betet mit
„Das Auge betet mit.“ Eine Teilnehmerin an einem Begräbnis zu einer anderen Teilnehmerin im Kriminalfilm Nord bei Nordwest heute Abend im Ersten mit Blick auf den neuen jungen Pfarrer in der fiktiven Ostseegemeinde Schwanitz. Wo der Kölner von einem Leckerchen spräche, läßt der Norddeutschen das Auge mitbeten. Für mich der Drehbuchhöhepunkt des heutigen Abends.
Undercut
Ehrlich gesagt, wußte ich ewig nicht, was Undercut bedeuten könnte. Unterschnitt? Konnte ich nichts mit anfangen. Obwohl ich doch als Kind, wie die meisten Nachbarskinder auch, undercutgeschädigt war. Wir bekamen seinerzeit beim Friseur die Haare obenrum gestutzt und hinten sowie an den Seiten wurde der Kopf nachgerade rasiert. Klitzekurz. Das war kalt und unangenehm. Und sah scheiße aus. Als Jugendlicher habe ich mich vom Undercut befreit. Und vom Friseur auch. Nie mehr wieder habe ich mich in die Hände dieser Profession begeben. Nie wieder wurden die Kopfseiten fast kahl geschoren. Im Gegenteil. Das Haar durfte wachsen, so lange es wachsen konnte. Nun bin ich in einem Alter, da das Haupthaar zusehends lichter wird und es also ohnehin keinen mehr Sinn macht, einen Hairdresser aufzusuchen. Vor allem aber deswegen, weil der Undercut fröhlich Urständ feiert. Zunächst haben sich reiche Fußballer diesen Haarschnitt geleistet, der bei mir seit den Erfahrungen in Kinderzeiten verpönt und seit den Zeiten jugendlicher Rebellion und erwachenden politischen Interesses als SS-Haarschnitt galt. SS-Leute und Wehrmachtssoldaten hatten diese klitzekurz rasierten Seiten bei längerem Haar oben auf dem Schopf. Mit dieser Bewertung, dachte ich, sei ich alleine und war demnach mit entsprechen öffentlichen Äußerungen vorsichtig. Nun aber hat in Köln die Friseur-Legende Heinz Merges Gleiches von sich gegeben. Im Kölner Boulevardblatt Express nennt Merges den Starfußballerschnitt „Hitler Youth Cut”. So werde der Undercut im englischsprachigen Raum genannt. Chapeau. „Ich habe den Krieg in Brauweiler überlebt. Da haben die Deutschen 1945 einen desertierten Soldaten an einem Laternenmast aufgehängt Wir wurden gezwungen, das anzusehen”, erzählt der einstige Friseurweltmeister laut Express. „Ich kann und werde das niemals vergessen: Die Leute, die den armen Mann da hingerichtet haben, hatten alle diese Frisuren, wie sie heute so viele Fußball-Profis tragen.” Natürlich: Nazi ist man im Kopf, nicht auf dem Kopf. Da ist Merges zuzustimmen. Aber löblich, daß sich Merges bis heute weigert, Männern die Undercutfrisur zu verpassen. Was sich Ronaldo, Reus & Co. heute trimmen lassen, war seinerzeit schon bei Horst Wessel zu bestaunen.
The Hill We Climb
Lady Gaga war, Jennifer Lopez, manch anderer weltbekannter Künstler auch bei der Inauguration von Joe Biden zum sechsundvierzigsten Präsidenten der USA. Kultur ist nun wieder angesagt in Capitol und Weißem Haus. Die zweiundzwanzigjährige Amanda Gorman, Zweitausendundsiebzehn von der US-Kongressbibliothek mit dem Titel „National Youth Poet Laureate“ geehrt, hat gestern mit ihren Worten die ganze Welt bewegt. “The Hill We Climb”
Mr. President, Dr. Biden, Madam Vice President, Mr. Emhoff, Bürger Amerikas und der ganzen Welt,
Wenn es Tag wird, fragen wir uns,
wo wir Licht zu finden vermögen, in diesem niemals endenden Schatten?
Den Verlust, den wir tragen,
ein Meer, das wir durchwaten müssen.
Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt.
Und wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet.
Und dass die Normen und Vorstellungen von dem, was gerecht ist,
nicht immer Gerechtigkeit ist.
Und doch gehört die Morgendämmerung uns,
noch ehe wir es wussten.
Irgendwie schaffen wir es.
Irgendwie haben wir es überstanden und bezeugten
eine Nation, die nicht kaputt ist,
sondern einfach unvollendet.
Wir, die Nachfahren eines Landes und einer Zeit,
in der ein dünnes, schwarzes Mädchen,
das von Sklaven abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde,
davon träumen kann, Präsidentin zu werden,
nur um sich selbst in einer Situation zu finden, in der sie für einen vorträgt.
Und ja, wir sind alles andere als lupenrein,
alles andere als makellos,
aber das bedeutet nicht, dass wir uns bemühen,
eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist.
Wir bemühen uns, eine Einheit zu erreichen, die ein Ziel hat.
Ein Land zu erschaffen, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt.
Und so richten wir unsere Blicke nicht auf das, was zwischen uns steht,
sondern auf das, was vor uns steht.
Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen,
zuerst unsere Differenzen beiseitelegen müssen.
Wir legen unsere Waffen nieder,
damit wir unsere Arme
nacheinander ausstrecken können.
Wir wollen niemandem schaden und Harmonie für alle.
Lasst die Welt, wenn sonst auch sonst nichts, sagen, dass dies wahr ist:
Dass wir, selbst als wir trauerten, wuchsen
Dass wir, selbst als wir Schmerzen hatten, hofften
Dass wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versucht haben
Dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich
Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden,
sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.
Die Heilige Schrift sagt uns, dass wir uns vorstellen sollen,
dass jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum sitzen soll
und keiner ihnen Angst machen soll.
Falls wir unserer eigenen Zeit gerecht werden,
dann wird der Sieg nicht in der Klinge liegen,
sondern in all den Brücken, die wir gebaut haben.
Das ist das Versprechen:
Der Hügel, den wir erklimmen,
wenn wir uns nur wagen,
denn Amerikaner zu sein, ist mehr als ein Stolz, den wir erben,
es ist die Vergangenheit, in die wir treten,
und wie wir sie reparieren.
Wir haben eine Macht gesehen, die unsere Nation eher zerstören würde,
als sie zu heilen,
unser Land zu zerstören, wenn es dazu führe, Demokratie zu verzögern.
Und dieser Versuch war fast erfolgreich.
Doch auch wenn Demokratie von Zeit zu Zeit verzögert werden kann,
kann sie niemals dauerhaft besiegt werden.
In diese Wahrheit,
in diesem Glauben, vertrauen wir.
Denn obwohl wir unsere Augen auf die Zukunft richten,
hat die Geschichte ihre Augen auf uns gerichtet.
Dies ist die Ära gerechter Wiedergutmachung.
Wir fürchteten zu Beginn,
wir fühlten uns nicht bereit, Erben
einer solch schrecklichen Stunde zu sein,
doch in ihr fanden wir die Kraft,
ein neues Kapitel zu schreiben,
uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken.
Also während wir uns einst fragten,
wie wir jemals diese Katastrophe überstehen könnten,
fragen wir jetzt:
Wie könnte eine Katastrophe jemals uns überstehen?
Wir werden nicht zurück zu dem marschieren, was war,
sondern auf das zugehen, was sein wird.
Ein Land, das zwar verletzt, aber dennoch intakt ist,
gütig, aber kühn
wild und frei.
Wir werden uns nicht umdrehen
oder durch Einschüchterung unterbrechen lassen,
weil wir wissen, dass unsere Untätigkeit und Trägheit
das Erbe der nächsten Generation sein wird.
Unsere Fehler werden zu ihren Lasten.
Aber eines ist sicher:
Wenn wir Barmherzigkeit mit Macht verbinden
und Macht mit Recht,
dann wird Liebe unser Vermächtnis
und Veränderung das Geburtsrecht unserer Kinder.
Also lasst uns ein Land hinterlassen,
das besser ist als das, welches uns hinterlassen wurde.
Mit jedem Atemzug aus meiner bronzegegossenen Brust,
werden wir diese verwundete Welt in eine wundersame verwandeln.
Wir werden uns von den goldbeschienenen Hügeln des Westens erheben,
wir werden uns aus dem windgepeitschten Nordosten erheben,
in dem unsere Vorfahren zum ersten Mal die Revolution verwirklichten,
wir werden uns aus den von Seen gesäumten Städten des Mittleren Westens erheben,
wir werden uns aus dem sonnengebrannten Süden erheben,
wir werden wieder aufbauen, uns versöhnen und erholen,
und jeden bekannten Winkel unserer Nation und
jede Ecke, die unser Landes genannt wird.
Unser Volk, vielfältig und schön, wird aufstreben,
zerschunden und schön.
Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,
entflammt und ohne Angst.
Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.
„The hill we climb“ (Originalversion)
When day comes we ask ourselves,
where can we find light in this never-ending shade?
The loss we carry,
a sea we must wade
We’ve braved the belly of the beast
We’ve learned that quiet isn’t always peace
And the norms and notions
of what just is
Isn’t always just-ice
And yet the dawn is ours
before we knew it
Somehow we do it
Somehow we’ve weathered and witnessed
a nation that isn’t broken
but simply unfinished
We the successors of a country and a time
Where a skinny Black girl
descended from slaves and raised by a single mother
can dream of becoming president
only to find herself reciting for one
And yes we are far from polished
far from pristine
but that doesn’t mean we are
striving to form a union that is perfect
We are striving to forge a union with purpose
To compose a country committed to all cultures, colors, characters and
conditions of man
And so we lift our gazes not to what stands between us
but what stands before us
We close the divide because we know, to put our future first,
we must first put our differences aside
We lay down our arms
so we can reach out our arms
to one another
We seek harm to none and harmony for all
Let the globe, if nothing else, say this is true:
That even as we grieved, we grew
That even as we hurt, we hoped
That even as we tired, we tried
That we’ll forever be tied together, victorious
Not because we will never again know defeat
but because we will never again sow division
Scripture tells us to envision
that everyone shall sit under their own vine and fig tree
And no one shall make them afraid
If we’re to live up to our own time
Then victory won’t lie in the blade
But in all the bridges we’ve made
That is the promise to glade
The hill we climb
If only we dare it
because being American is more than a pride we inherit,
it’s the past we step into
and how we repair it
We’ve seen a force that would shatter our nation
rather than share it
Would destroy our country if it meant delaying democracy
And this effort very nearly succeeded
But while democracy can be periodically delayed
it can never be permanently defeated
In this truth
in this faith we trust
For while we have our eyes on the future
history has its eyes on us
This is the era of just redemption
We feared at its inception
We did not feel prepared to be the heirs
of such a terrifying hour
but within it we found the power
to author a new chapter
To offer hope and laughter to ourselves
So while once we asked,
how could we possibly prevail over catastrophe?
Now we assert
How could catastrophe possibly prevail over us?
We will not march back to what was
but move to what shall be
A country that is bruised but whole,
benevolent but bold,
fierce and free
We will not be turned around
or interrupted by intimidation
because we know our inaction and inertia
will be the inheritance of the next generation
Our blunders become their burdens
But one thing is certain:
If we merge mercy with might,
and might with right,
then love becomes our legacy
and change our children’s birthright
So let us leave behind a country
better than the one we were left with
Every breath from my bronze-pounded chest,
we will raise this wounded world into a wondrous one
We will rise from the gold-limbed hills of the west,
we will rise from the windswept northeast
where our forefathers first realized revolution
We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states,
we will rise from the sunbaked south
We will rebuild, reconcile and recover
and every known nook of our nation and
every corner called our country,
our people diverse and beautiful will emerge,
battered and beautiful
When day comes we step out of the shade,
aflame and unafraid
The new dawn blooms as we free it
For there is always light,
if only we’re brave enough to see it
If only we’re brave enough to be it.
An der frischen Luft
Nach langer Zeit, nach Wochen, mal wieder draußen gewesen, heute Nachmittag. Die Kontaktsperre des Covid-Lockdowns aus dem vergleichsweise großen Haus ins sehr kleine Auto verlagert, den Smart. Mit dem gings an die frische Luft, wie meine Oma weiland zu sagen pflegte: Geht doch mal raus an die frische Luft. Wermelskirchen hat sich nicht verändert in den letzten Wochen. Nicht wirklich. Aber die Kombination von Corona-Lockdown und Mittwochnachmittag im Verein mit der frühen Düsternis und feuchtem Wetter macht das Städtchen doch irgendwie unwirklich. Mittwochs schließen am Nachmittag sogar einige der Läden, die in pandemischen Zeiten noch geöffnet sein dürfen. Die wenigen Passanten sind durchweg mit der Maske bewehrt. Masken, Mützen und Schals machen die Menschen ununterscheidbar, tilgen die Individualität, das Einzigartige. Und dennoch war es gut, mal wieder an der frischen Luft gewesen zu sein, wenn auch nur kurz. Es frischt die Ahnung auf, wie es dereinst mal wieder sein wird, in der Stadt, an der frischen Luft, ohne Maske, ohne Lockdown.