Monat: Mai 2011

Putzmuntere sterbende Stadt

Kann man eine Stadt als “Dying City”, als sterbende Stadt bezeichnen, wie es das amerikanische Mgazin Newsweek” getan hat, wenn sie so etwas auf die Beine stellt? Von Grand Rapids ist die Rede, einer 188.000 Einwohnerstadt in Michigan. Am 22. Mai haben mehr als fünftausend Einwohner von Grand Rapids einen neuen Weltrekord aufgestellt: im Lip-Dub-Wettbewerb, also einer Art Playback-Weltmeisterschaft. Die Feuerwehr war dabei, Sportvereine, der Bürgermeister, Polizei, alte Menschen, Junge, Tänzer, Kanuten, Freundeskreise, Dicke, Chöre, Schulen, Feuerwerker, Hubschrauberpiloten, Geschäftsleute, Jugendgruppen, Dünne, Hochzeitspaare, Cheerleaders – alle waren dabei. Finanziert worden ist das 40.000-Dollar-Unternehmen ausschließlich durch lokale Sponsoren. We “wanted to create a video that encompasses the passion and energy we all feel is growing exponentially, in this great city. We felt Don McLean’s “American Pie,” a song about death, was in the end, triumphant and filled to the brim with life and hope.” So Rob Bliss, Regisseur und ausführender Produzent dieses Imagevideos einer “sterbenden Stadt”, das in der Tat von der Leidenschaft und Energie, von Leben und Hoffnung der Totgesagten kündet. Viel Spaß!

Grand Rapids auf You Tube

 

Schnäppchen

Dreiundachtzigtausend Euro für ein Fest für die einhundert besten Verkäufer der Hamburg-Mannheimer samt Hotel und Verpflegung in Budapest sowie sexuelle Dienstleistungen durch mehrsprachige ungarische Prostituierte – eigentlich doch ein Schnäppchen. So lange die Versicherten nicht empört ihre Policen kündigen, könnte dies getrost als versicherungsinterner Vorgang gewertet werden. Nur: Der komplette Rechnungsbetrag ist von den cleveren Finanzchefs der Versicherung beim Finanzamt abgesetzt worden. Mit anderen Worten: Der Steuerzahler, wir, die Bürger dieses Landes zahlen alle mit für die Orgie an der Donau. Wir haben schon eine feine bürgerliche Gesellschaft. Wirtschaftlicher Erfolg wird mit schmuddeligen Orgien gefeiert und die Kosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Zugleich wird die Supermarktkassiererin fristlos entlassen, weil sie einen Pfandbon von weniger als einem Euro nicht eingebucht hat. Wie war das noch? Das Sinnbild der bürgerlichen Gesellschaft ist der ehrbare Kaufmann. Nur ist der in der Finanzwirtschaft nicht mehr zu finden.

Gast-Wahl

Die gute, alte SPD ist doch immer mal wieder für eine Überraschung gut. Jetzt hat der SPD-Vorstand die Öffentlichkeit und die Partei mit dem Vorschlag erschüttert, daß an Vorwahlen für Mandate oder Posten auch Nichtmitglieder teilnehmen können sollen. Mit anderen Worten: Die Partei soll sich öffnen auch für das Votum von Menschen ohne Parteibuch. Natürlich finde ich als Gast-Mitglied eine solche Überlegung bedenkenswert. Die Partei, Parteien für interessierte Menschen zu öffnen, ihr Interesse einzuwerben, ihre Stimme, ihre Meinung zur Kenntnis zu nehmen, ihnen ein Forum zu bieten, die bisherige Hermetik von Parteien abzubauen, das kann ein Weg sein, aus dem schleichenden Prozess des Bedeutungsverlustes herauszukommen und die Bindungskraft von Parteien durch Mitarbeit und Verantwortung von Nichtorganisierten zu stärken. Natürlich bewirkt ein solcher Vorschlag bei Kritikern oder skeptischen Genossen zugleich auch eine Debatte über den Wert und die Bedeutung der Mitgliedschaft. Ich habe eine solche Skepsis im Zusammenhang mit meinem Antrag auf Gastmitgliedschaft in meinem Ortsvereinsvorstand erfahren können. Meine Hoffnung ist, daß die Mitglieder und Funktionäre der Partei erkennen werden, daß mit der Parteistruktur von einst, mit den Organisationsformen der Vergangenheit, mit der Debatte der Geweihten in  Kneipenhinterzimmern, mit der edlen, aber hermetischen Runde der Bekehrten die dramatischen Bedeutungsverluste nicht wettzumachen sein werden, daß also auch Parteien sich neu erfinden, sich öffnen, neue Wege der Mitarbeit von Bürgern erproben müssen.

Seitensprung

Ich bin fremdgegangen. Denn ich habe gestern das erste “Freigespräch” der Wermelskirchener FDP besucht. Ein offene, öffentliche Diskussion, der Versuch, mit dem Bürger, also mir, ins Gespräch zu kommen. Quo Vadis, FDP? Das wollten einige wissen, Honoratioren der örtlichen Liberalen, Funktionäre, Bürgermeister, Mitglieder und eine Handvoll junger Leute, Schüler. Wohin es die FDP treibt, das sollte eine veritabler Landtagsabgeordneter der Blau-Gelben aus Düsseldorf beschreiben, Dr. Robert Orth. Der trug dann eine ordentliche Menge rhetorischer weißer Salbe auf die geschundenen liberalen Seelen auf. Nein, die Roten und die Grünen machen immer noch alles falsch ; ja, wir sind und bleiben die Partei der Vernunft; nein, die Bürger sind oftmals nicht genügend imstande, die Perlen unserer Programmatik zu erkennen; nein, die FDP kommt in den mehrheitlich linken oder rechten Medien nicht gut weg oder wird komplett ignoriert; nein, die Katastrophe von Fukushima kam für die FDP zur Unzeit; ja, die FDP hat sich nach dem Stühlerücken personell wie auch politisch neu aufgestellt; ja, jetzt noch ein wenig Geduld üben, dann werden sich die Erfolge auch wieder einstellen. Nur ganz selten das Eingeständnis, die FDP habe fundamentale Fehler begangen. Angriff ist wohl immer noch die beste Verteidigung. Warum darf Guido Westerwelle die Partei nicht mehr führen, das Land aber im Ausland diplomatisch und polititisch vertreten? Ist das ein Zeichen für den Neustart? Robert Orth: Damit komme auch die Dankbarkeit der FDP für die Leistungen und Erfolge der FDP unter Westerwelle zum Ausdruck. Tja, jeder blamiert sich, so gut er nur kann. Ganz so einfach aber wollten örtliche Liberale es sich dann doch nicht machen. Es gab Kritik und Vorschläge, Anregungen. Man müsse eine Umweltpolitik mit liberalem Profil betreiben. Familie und Familienförderung sollten stärker in die politischen Überlegungen der FDP einziehen. Das soziale Profil der Liberalen sei zu schärfen. Die Energiepolitik müsse glaubwürdiger werden. Immerhin. Eine erstaunlich offene Debatte, freimütig, teils kontrovers. Der Versuch jedenfalls, über den Tellerrand der Parteigrenzen hinweg ein Gespräch zu führen, die Hermetik politischer Parteien zu überwinden. Ach so: die FDP bietet nun ebenfalls den Status eines Gastmitglieds an. Ich könnte sogar liberales Gastmitglied werden, obwohl ich doch Gast bei der SPD bin. Nett, nicht wahr?

Aufgeschoben

Wie sagt der Volksmund? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Genau. Dies ist auch das Motto von Harold Camping. Nachdem es am einundzwanzigsten Mai nicht geklappt hat mit dem Weltuntergang, terminiert der amerikanische Bibelforscher das Ende der Menschheit jetzt auf den einundzwanzigsten Oktober. Ob indes noch einmal so viele Menschen in Furcht und Angst verfallen werden oder sogar ihre bürgerliche Existenz aufgeben angesichts der “Berechnungen” des evangelikalen Fundamentalisten, dürfte doch fraglich sein. So erfahrungsrestistent sollten doch selbst die scheuklapprigsten Kleingeister nicht sein.

“Bürger”schaftswahl

Nun also große Koalition in Bremen. Die beiden großen Parteien werden wohl weiter regieren, SPD und Grüne. Die CDU verliert, mal wieder, und liegt damit im Jahrestrend. Neu ist nur, daß die Christdemokraten nunmehr weniger Wähler mobilisieren konnten als die grüne Konkurrenz und guter Dritter wurden. Der FDP hat das Stühlerücken bei Beibehaltung des kompletten Personals nichts genutzt. Die Bremer Liberalen sind jetzt außerparlamentarische Opposition. Auf dieses Wahlergebnis hätte man, cum grano salis, schon beim Sonntagsfrühstück jede Wette eingehen können. Nichts wirklich Neues also an der Weser. Nicht einmal die Wahlbeteiligung läßt den matten Beobachter von Prognosen und Hochrechnungen munter werden. Sie ist weiter gesunken, auf jetzt gerade einmal vierundfünfzig Prozent. Und das, obwohl doch im hanseatischen Stadtstaat erstmalig sogar die Sechzehnjährigen wählen durften. All der zur Schau gestellten Freude in den Wahlkampfzentralen zum Trotz: Die Entfernung der Parteien von den Menschen, den Wahlbürgern setzt sich fort. Die Grünen durchleben zwar derzeit ihr Allzeithoch, gleichwohl sind auch sie am Prozess der Entfremdung, der Auflösung der Bindungskraft der Parteien beteiligt. Die politische Klasse der Republik steckt in der Krise, in der großen Gefahr, den Kontakt zu den Bürgern zu verlieren, ihre Interessen nicht mehr zu vertreten, lediglich noch als abgehobene Kaste bewertet zu werden. Und das in einer politischen Lage, in der schwierige soziale Probleme gelöst werden müssen: die Trennung in ein reiches Oben der Gesellschaft und ein armes Unten, ein Wirtschaftsaufschwung, der bei der Masse der Bevölkerung nicht ankommt, während Bänker und Finanzdienstleister das Casino längst schon wieder geöffnet haben. Die Parteien verstehen es nicht, die Menschen für das geeinte Europa und den Euro zu begeistern. Die Stammtischparolen der Kanzlerin treiben sie eher in die Fänge von Populisten. In der Zukunftsfrage der Energieversorgung der Gesellschaft taumelt der Kurs der Regierenden zwischen populistischem Aktionismus und zögernder Entscheidungsarmut zugunsten der großen Energiekonzerne. Parteien werden den Menschen fremder. Sie sprechen andere Sprachen. Oft geben sie als Gemeinwohl aus, was lediglich Partikularinteressen dient. Die Bürger merken dies und wenden sich zusehends ab. Desillusioniert. Desinteressiert. Passiviert. „Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes mit”, vermutet das Grundgesetz in Artikel 21, Absatz 1. Immer weniger, fürchte ich.

Ei, Ei, Ei

Andrea Verpoorten? Stimmt, muß man nicht kennen. Bis jetzt. Andrea Verpoorten ist medienpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Und in dieser Rolle hat sie nun den WDR aufgefordert, dafür zu sorgen, daß die WDR-Jugendhörfunkwelle EINS LIVE auf jeden Fall auch die Siegertitel der RTL-Serie “Deutschland sucht den Superstar (DSDS)” sendet. Mit dem Programm- und Informationsauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders sei ein ‘Boykott’ bestimmter Musikformen jedenfalls nicht zu vereinbaren. Ei, Ei, Ei Verpoorten, kann man da nur sagen, es ist ganz gewiß nicht die Aufgabe der durch Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, auch wirklich jeden Scheiß zu senden. Dafür hält sich die Gesellschaft eigentlich den privaten Rundfunk. Das kommt davon, wenn man Eierlikör im Überfluß hat.