“Gestaltungsmacht aus der Opposition heraus.” Kraftvoll klingt das in meinen Ohren nicht, was Hannelore Kraft nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen nunmehr als Strategie für die SPD im Land ausgibt. Warum eigentlich bilden SPD und Grüne keine Minderheitsregierung? Frau Kraft könnte sich im vierten Wahlgang mit einfacher Stimmenmehrheit im Landtag zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Das sieht die Landesverfassung im Artikel 52 (2) vor. ” Kommt eine Wahl gemäß Absatz 1 nicht zustande, so findet innerhalb von 14 Tagen ein zweiter, gegebenenfalls ein dritter Wahlgang statt, in dem der gewählt ist, der mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, so findet eine Stichwahl zwischen den beiden Vorgeschlagenen statt, die die höchste Stimmenzahl erhalten haben.” SPD und Grüne stellen im neuen Landtag zusammen neunzig Mandate, FDP und CDU dagegen nur achtzig. Daß die Linke mit ihren elf Abgeordneten in einer solchen Abstimmung Jürgen Rüttgers ins Amt hievt, ist doch eher unwahrscheinlich. Es bestünde mithin eine veritable Chance, die nunmehr geschäftsführende schwarz-gelbe Regierung abzuwählen. Minderheitsregierungen und damit wechselnde Mehrheiten sind an sich nichts Ungewöhnliches im Politikbetrieb. In den skandinavischen Ländern, selbst in Holland oder Belgien oder anderen Nachbarländern hat es das schon häufiger gegeben. Offenkundig sind die politischen Parteien hierzulande, alle, noch nicht imstande, mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen umzugehen, wie sie in den Wahlergebnissen zum Ausdruck kommen. Sie klammern sich verzweifelt an die hergebrachten politischen Muster. Nicht jeder kann mit jedem, Koalitionsverträge müssen für die Dauer einer Legislaturperiode halten. Warum eigentlich? Warum eigentlich können SPD und Grüne nicht mit der FDP in der Rechtspolitik Gesetze beschließen? Warum eigentlich können SPD und Grüne mit der CDU nicht steuerpolitisch das Richtige tun? Warum eigentlich können Grüne und SPD mit der Linken nicht schulpolitisch neue Weichen stellen? Warum eigentlich nicht? Gerade jetzt ginge es darum, mit gehörigem politischen Mut gesellschaftliche Reformen voranzubringen, zur Not eben mit wechselnden Mehrheiten. Stattdessen erheben die Parteien die wechselseitige Blockade in den Stand der politischen Weisheit. Und nachgerade dumm ist es, die Regierung den Kräften zu überlassen, denen an Veränderung nicht gelegen ist. Jetzt muß es doch vor allem darum gehen, daß die Spaltung der Gesellschaft nicht weiter vertieft wird. Also muß von Nordrhein-Westfalen aus der Versuch gemacht werden, die unsoziale Politik der Bundesregierung über den Bundesrat zu bremsen, also muß von Nordrhein-Westfalen ein Signal ausgehen, sich im parlamentarischen Fünf-Parteien-System der vorhandenen Fesseln der Parteipolitik zu entledigen.
Schlagwort: Landtagswahl NRW
Der Teufel und das Weihwasser
Jürgen Manderla hat schlechte Laune nach einer schlaflosen Nacht. So zu lesen in der heutigen Ausgabe der Bergischen Morgenpost. Der Vorsitzende der FDP-Ratsfraktion in Wermelskirchen fürchtet die “Ampel-Koalition”. Wie sagt man? Wie der Teufel das Weihwasser. Interessant. Im Wermelskirchener Rat bildet Manderlas FDP gemeinsam mit den Grünen die “Bürgermeister-Koalition”. Im Landtag aber kann und darf nicht sein, was im bergischen Kleinstädtchen offenbar problemlos geht. “Für Manderla ist klar: Die Wähler hätten nicht die Liberalen gewählt, um jetzt mit SPD und Grünen zusammenzugehen. Wobei er sich die Frage noch nicht beantwortet hat, ob nicht eine ‘Ampel’ besser sei als Rot-Rot-Grün. ‘Sicher wäre das dem Wähler besser zu transportieren. Aber wir sind inhaltlich zu weit auseinander – zum Beispiel bei der Atom- und der Schulpolitik.’ Er wisse nicht, wie das gehen solle.” So die Morgenpost. Der Wähler, Herr Manderla, hat die FDP gewählt, die Linken, die Grünen, damit im Landtag Politik für das Land und für die Menschen des Landes gemacht wird. Alle Abgeordneten sind Vertreter des Volkes, alle gleich viel wert, ob man einzelne von ihnen nun mag oder nicht. Das Votum des Wählers ist in der Tat eine harte Nuß für Politiker. Wer die Ausschließeritis bevorzugt, nur das Trennende in den Vordergrund stellt, der ist letztlich nicht politikfähig. Offenbar müssen Parteipolitiker noch lernen, die Belange des Landes vor die der Partei zu stellen. Wer verhindern will, daß die Linken eine Koalition mit Grünen und SPD eingehen, der darf sich einer rot-grün-gelb-blauen Koalition eben nicht verschließen. Denkverbote, Gesprächsverbote sind das Gegenteil von Politik. Es ist Zeit für Gespräche aller mit allen. Und für eine Entpinkwartisierung der Landespolitik.
Die wahren Zahlen
Zeitungen, Radio und Fernsehen sind voller Zahlen übers Wahlergebnis von gestern. Nur, damit es nicht in Vergessenheit gerät, hier die wahren – und erschreckenden – Ergebnisse der gestrigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: 40,7 Prozent aller Wahlberechtigten haben nicht gewählt. 20,2 Prozent aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimme der CDU, 20,16 Prozent der SPD. 7,1 Prozent aller Stimmen machten die Grünen zum Wahlsieger. 3,9 Prozent aller Wahlberechtigten wählten die FDP und 3,3 Prozent die LINKE. CDU und SPD zusammen haben weniger Stimmen als die Partei der Nichtwähler. Eine Koalition aus SPD, Grünen und LINKE repräsentierte nur 30,6 Prozent aller Wahlbürger in Nordrhein-Westfalen.
Der Wähler, das unbekannte Wesen
Was weiß man eigentlich schon vom „Wähler“? Selbst in Zeiten hochausgeklügelter demoskopischer Verfahren bleibt „der Wähler” ein eher unbekanntes Wesen, ausgestattet vielleicht mit einer gewissen Portion List oder Tücke, womöglich sogar Häme. Vielleicht weiß man von seinem Gegenstück, dem “Nicht-Wähler“, doch mehr. Der Nicht-Wähler verweigert sich einfach, ignoriert den politischen Betrieb, verweigert sich Gesellschaft, Krise oder Gemeinwohl, entledigt sich gesellschaftlicher Verantwortung, indigniert bis angeekelt. Der Wähler hingegen gibt Rätsel auf. Den Politikern, den Parteien, den Medien, auch den Bürgern, dem Gemeinwesen. Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte hat er, der “Wähler”, in der Bundesrepublik und den Bundesländern ein Fünf-Parteien-System etabliert. Und damit dem Politikbetrieb eine komplizierte Aufgabe vorgelegt. Rot-Grün, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, die ehedem so einfachen Antworten auf ein Votum des Wählers, funktionieren heutzutage nicht mehr. Das politische System in der Bundesrepublik muß sich auf kompliziertere politische Mehrheitsfindungsmechanismen einlassen, auf risikoreichere Konstellationen, auf bislang Undenkbares und Ungedachtes. Die simplen Antworten sind von gestern. Rote-Socken-Kampagnen oder der Verweis auf die extremistische Natur der Linken sogar von vorgestern. Nach der NRW-Wahl von gestern ist eine linke Partei jenseits der SPD heute und morgen Realität in den deutschen Parlamenten. Weil der Wähler das so will. Der Wähler ist der Souverän, der, der über allen steht, der Inhaber der Staatsgewalt. Koalitionen von drei Parteien werden zur Normalität werden (müssen), ob die Parteien das nun so haben wollten oder nicht. Rot-Rot-Grün wäre also eine mögliche Lösung der vom Wähler gestellten Aufgabe. Warum auch nicht? Die Linke ist nicht regierungsfähig. Na klar. Die Linke wird so lange nicht regierungsfähig sein und bleiben, so lange sie nicht in entsprechende vertragliche Vereinbarungen eingebunden werden wird. Koalition bedeutet doch, daß keine Partei ihre politischen Wünsche und Zielsetzungen ungekürzt in Regierungshandeln umsetzen kann. Das Wesen der Koalition ist Kompromiß und Absprache. Das aber setzt rationales politisches Handeln voraus. Was will ich, was willst du, was können wir gemeinsam bewerkstelligen? Aushandeln von Interessen. Was gebe ich auf keinen Fall preis, was ist für dich auf keinen Fall verhandelbar, worauf können wir uns einigen? Die Frage ist also: Gibt es zwischen SPD, Grünen und Linken einen gemeinsamen Kernbestand politischer Ziele in der Landespolitik? Könnte man sich für eine Legislaturperiode auf eine gemeinsame Bildungspolitik, eine gemeinsame Forschungs- und Hochschulpolitik, eine gemeinsame Industrie- und Arbeitsplatzpolitik, auf eine sinnvolle Finanzierung der Kommunen einigen, um nur einige Beispiele zu nennen? Ich frage mich, warum das bei Rot-Grün möglich sein sollte oder im Zweifel gar bei Rot-Schwarz, bei Rot-Rot-Grün indes auf keinen Fall. Die Zeiten, in denen Rot-Grün ein “Projekt” war, diese Zeiten sind erledigt. Überhöhungen jedweder Art haben sich überlebt. Rot-Grün ist so wenig ein Projekt, wie Rot-Rot-Grün je eines hätte sein können. Es geht um weniger und um mehr. Es geht um rationale Politik, um die Definition der eigenen Interessen, um den Abgleich mit den Interessen anderer, um die rationale Einschätzung dessen, was in einer mehrheitsfähigen Parteienkonstellation durchsetzbar ist und was nicht. Und es geht darum, das Votum des Wählers ernster zu nehmen, als dies bislang die Parteien vermochten. Rot-Gelb-Grün, die “Ampelkoalition”, ist eine andere denkbare Drei-Parteien-Konstellation. Ampel geht gar nicht, sagt die FDP. Warum sollte eine solche Koalition nicht zum Wohle des Landes arbeiten können? Ist ein gemeinsamer Zielkatalog in der Bildungspolitik, in der Hochschulpolitik, in anderen Politikfeldern zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen wirklich undenkbar? In Rheinland-Pfalz koaliert die FDP mit der SPD. Im Saarland die Grünen mit FDP und CDU. Warum soll in Düsseldorf undenkbar sein, was in Mainz oder Saarbrücken funktioniert. Die Parteien müssen sich nur in Bewegung setzen. Die FDP muß sich bewegen. Der Wähler will das so. Er hat das Steuersenkungsmantra abgestraft. Er hat die babylonische Verkettung mit der CDU abgestraft. Eine moderne liberale Partei wird nach dieser Wahl neu zu überlegen haben, wie eng oder wie breit man liberale Politik anlegen muß, wie sehr man sich nur einem kleinen Klientel hingibt oder wie die sozialen Wurzeln des Liberalismus wieder belebt und in politisches Programm übersetzt werden können. Eine moderne liberale Partei wird auch daran gemessen werden, vom Wähler, daß sie nicht alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen wird, dem Markt, daß sie die unkontrollierte Macht des Finanzkapitals zu bändigen bereit sein wird. Das Soziale, das Gemeinwohl wird eine größere Rolle im liberalen Gedankengut spielen müssen als in den vergangenen Jahren, die Einsicht, daß der Markt nicht alles zu regeln imstande ist, daß die Menschen ein starkes Gemeinwesen, einen handlungsfähigen Staat dringend benötigen. Der “Wähler” hat Antworten gegeben auf das Angebot der Parteien. Listig und irgendwie hintersinnig. Nun liegt der Ball im Spielfeld der Parteien.
Post von Jürgen Rüttgers
Zwei Tage in Berlin. Zwei Tage ohne Landtagswahlkampf. Wieder zurück finde ich einen Brief in der Post. Mein Ministerpräsident hat mir geschrieben, Jürgen Rüttgers. “An die Bewohner des Hauses Hagenstraße” undsoweiter. Seine, Jürgen Rüttgers’ Führung habe das Land gut durch die Krise geführt, jetzt drohe politisches Chaos, drohten rot-rot-grüne Experimente, SPD und Grüne wollten die Macht um jeden Preis. Kein Wort zu den Finanzaffairen der CDU, zum Ministerpräsidentenkauf, zum Verstoß gegen das Parteiengesetz, kein Wort, natürlich, über die West-LB, kein Wort über die Spende an die Hoteliers, die Jürgen Rüttgers ja mitbeschlossen hat. Kein Wort zu den drängenden Fragen der Bildungspolitik, kein Wort zum erbärmlichen Zustand der Kommunalfinanzen. Nichts von alldem. Tja. Jürgen Rüttgers, ich werde Sie enttäuschen müssen. Auch, wenn Sie nun, in der letzten Minute, den Versuch starten, mir und den anderen Wählern Angst machen zu wollen. Meine beiden Stimmen werden Sie nicht bekommen können. Denn vor allem Sie wollen die Macht um jeden Preis. Anders sind die vielen Skandale und Skandälchen in der CDU und um die CDU nicht zu erklären. Die SPD ist nach neununddreißig Regierungsjahren in NRW mit Recht abgewählt worden. Sie werden es vermutlich nach nur fünf Jahren schaffen, abgewirtschaftet in die Opposition gehen zu müssen. Ich werde für ein besseres Bildungssystem im Land stimmen. Ich werde für eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen stimmen. Ich werde für die Abschaffung der Studiengebühren stimmen. Ich werde gegen Unterstützung des Hotelgewerbes stimmen. Ich werde, kurzum, meine Stimmen an Oliver Deiters und Hannelore Kraft geben. Ihrem nächsten Brief sehe ich mit gespannten Erwartungen entgegen.
Ab-Fall nach 27 Jahren
van Dinther, das Geld, die Moral und der Mitarbeiter
Regina van Dinther. Wie? Sagt Ihnen jetzt nichts? Macht nichts. Regina van Dinther steht für einige der vielen Skandale in der und um die CDU in Nordrhein-Westfalen und den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Regina van Dinther ist CDU-Abgeordnete im Landtag und dessen Präsidentin. Zudem ist sie Vorsitzende der Frauenunion und weibliche Spitzenkandidatin der CDU in Nordrhein-Westfalen (Reserveliste Platz 3) für die Landtagswahl am 9. Mai. Schlagzeilen hat Frau van Dinther gemacht, weil sie sich seit Jahren weigert, Mitgliedsbeiträge an die CDU abzuführen. “In den letzten 15 Jahren sei sie zwölf Jahresbeiträge schuldig geblieben, rechnet der Funktionär Manfred Lorenz in seinem finalen Brief an das prominente Mitglied vor. Trotz mehrfacher Erinnerungen weigere sich die Topverdienerin ihren Mitgliedsbeitrag für die Jahre 2003 bis 2009 zu bezahlen, heißt es in dem Schreiben.” So zu lesen im Blog “Wir in NRW“. Weiter heißt es dort: “Die säumige Parteifreundin bringt mit ihrer sturen Verweigerungshaltung auch die Bundes-CDU in größte Schwierigkeiten. Im Dezember 2008 wurde die Hattingerin auf dem Parteitag in Stuttgart in den Bundesvorstand gewählt. Eine Wahl, die nun möglicherweise ungültig und anfechtbar ist. Denn nach der Parteisatzung dürfen CDU-Mitglieder nur in Funktionen gewählt werden, die in den sechs Monaten zuvor auch ihren Beitrag bezahlt haben. Heißt: van Dinther hätte gar nicht gewählt werden dürfen, die Wahl könnte nachträglich als ungültig erklärt werden. Weitere Ämter, die sie als CDU-Mitglied erlangt hat, wie Landtagsmandat und Präsidentschaft, stehen nun ebenfalls zur Disposition. Nach den Statuten der CDU hätte die Partei van Dinther für die Landtagswahl 2005 gar nicht nominieren dürfen, ebenso wie sie für alle anderen Ämter nicht hätte kandidieren dürfen. In den Parteistatuten sind die Regeln klar festgelegt. Unter Paragraph 7, Absatz 1, heißt es: ‘Jedes Mitglied hat Beiträge zu entrichten.’ Pikanter wird es im Fall van Dinther bei korrekter Anwendung von Absatz 2: ‘Die Rechte eines Mitglieds ruhen, wenn es länger als sechs Monate mit seinen Beitragszahlungen schuldhaft in Verzug ist.’“ Weiterlesen
Mehr Netto vom Brutto
Wer wäre damit nicht einverstanden? Mehr Netto vom Brutto. Die plakative FDP-Losung. Nun meldet die Süddeutsche Zeitung von heute, daß die Bundesregierung erwäge, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bald von 2,8% auf 4,5% zu erhöhen. Mehr Netto vom Brutto. Drastische Maßnahmen seien nötig, um den Bundeshaushalt zu sanieren. So solle auch der Steuerzuschuß zur gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen werden. Mehr Netto vom Brutto. Überdies müßten zahlreiche Subventionen abgebaut werden. Die Pendlerpauschale, die steuerliche Absetzbarkeit von Arbeitszimmern, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz. Mehr Netto vom Brutto. Tja. Nur wird uns die Bundesregierung erst nach der Landtagswahl in NRW reinen Wein einschenken – nein: eher Bitteres kredenzen. Mehr Netto vom Brutto. Wir sollten alle genau hinschauen.