Monat: Mai 2017

Fußball?

Irgendwie der Anfang vom Ende des bezahlten Fußballs, was wir eben sehen konnten beim Relegationsspiel zwischen München und Regensburg. Eisenstangen und Sitzschalen werden von Idioten auf das Spielfeld geworfen. Ungehindert von Fans oder Polizei oder Ordnungskräfen. Verrohung, vollkommene Verblödung, Gewalt, Idiotie. Fußball.

Absurde Fußballlogik

Thomas Tuchel ist, trotz gültigen Vertrages, ab sofort nicht mehr Trainer von Borussia DortmundTuchel, vor zwei Jahren Wunschtrainer der BVB-Verantwortlichen, verlässt Dortmund als Pokalsieger. Ihm gelang die direkte Qualifikation für die Champions League und sein Punkteschnitt (2,12 inklusive DFB-Pokal/Europapokal) ist der beste der Vereinsgeschichte von Borussia Dortmund. Die Mannschaft hat in den zwei Jahren unter Trainer Tuchel kein Liga-Heimspiel verloren. Sportliche Gründe für eine Trennung sowie die Zahlung einer Abfindung von mehr als zweieinhalb Millionen Euro existieren also nicht.

Widerstand

Die Kirchen müssten Widerstand leisten gegen die Mächtigen dieser Erde. In der Welt des Kapitalismus, der Investmentbanker, einer gigantischen Finanzindustrie mit ihren gesellschaftlichen Leitbildern Egoismus, Gier, Geiz, Erfolg, Dividende, Konsum, Rang und Titel ist Jesus eine totale Provokation und die Verkörperung von Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Den Menschen zu helfen geht nur mit Streit, Auseinandersetzung, Kampf. Stattdessen preisen die Kirchen Gott und blasen die Posaune von den Türmen ihrer leeren Kirchen.

Heiner Geißler, “Mich packt der Zorn”. Interview mit Merle Schmalenbach, in: Zeit Online, Nummer Vierzehn aus Zweitausendsiebzehn, einunddreißigster März Zweitausendundsiebzehn

“Wir sind viel zu zurückhaltend.” Tag des Grundgesetzes

 

(…) Dabei gibt es in unserer Gegenwart eine ganz einfache Möglichkeit, die deutsche Leitkultur in einer für alle gültigen Weise zu bestimmen. So wie es vielfach und gewichtig formuliert wurde. Sie kann in nichts anderem bestehen als in der umfassenden, großartigen Kultur des demokratisch-liberalen Wertekanons, der sich in unserem Grundgesetz kristallisiert. Dem kulturellen – gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen, sprich universellen – Fundamentaltext von 1949. Ein Text, in den die gesamte demokratische Kultur der gesamten deutschen Geschichte eingegangen ist, die demokratische Kraft von 1848 (und den Jahren davor) wie die der Weimarer Republik. Ein elaborierter demokratisch-liberaler Wertekanon, der sich darüber hinaus in vielen weiteren Texten äußert: im Bundesverfassungsgerichtsgesetz, im Parteiengesetz, im Untersuchungsausschussgesetz, aber auch in unseren diversen Bürgerlichen Gesetzbüchern, im Sozialgesetzbuch, in der von Deutschland bestätigten Menschenrechtskonvention, im Völkerrecht etc. Der demokratisch-freiheitliche Geist formulierte einen großen, stolzen Katalog an diesen Grundtexten seiner Leitkultur. Es geht ganz streng um eine verbindliche Kultur unveräußerlicher Ideen und Werte, verstanden als eine emphatische Kultur sämtlicher historisch erstrittener elementarer Rechte im Sinne der Menschenrechte, Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte. Im Sinne auch einer der Rechte komplementären Kultur der Pflichten und Schranken – wie es im Grundgesetz heißt – mit denselben Inhalten. Um eine ganze Kultur der Freiheit, des Individuums und eine ganze Kultur der gesellschaftlich-politischen Ordnung, die sie am weitgehendsten ermöglicht: der liberalen Demokratie. Unser Grundgesetz ist – das ist das Entscheidende, sonst funktioniert es nicht – radikal mehr als ein Text, ein Gesetz. Es ist tatsächlich eine umfassende Kultur, und zwar im exakten und weitesten Sinne des Wortes. Es ist Bekenntnis: ein ganzes, spezifisches Menschen-, Gesellschafts- und Weltbild, beruhend auf humanen, humanistischen Werten. Auch auf zentralen christlichen Werten wie jenen der Liebe und Nächstenliebe. (…) Das Grundgesetz ist die definitive Konkretion einer deutschen Leitkultur in ihrer denkbar präzisesten und denkbar schönsten Form. Für alle, die hier leben, für alle, die kommen. Ein solch leidenschaftliches Bekenntnis zur Verfassung hat nichts, gar nichts mit Schwärmerei, Idealismus, Utopismus zu tun – im Gegenteil: Es ist knallharter Realismus und Pragmatismus. Alles, unsere gesamte Ökonomie, Wohlstand und Frieden beruhen auf diesen Werten, nur so bewahren wir eine Wirklichkeit, die lebenswert ist. Die zerstörerischen, neuen wie alten Dämonen eines neuen wie alten Nationalismus und Totalitarismus, der Diskriminierung, Verachtung und des Hasses – der anti-humanen, anti-demokratischen Fraktionen – gewinnen erneut an Kraft in unserer Welt. Es gibt nur eines: Wir müssen sie niederringen. Unser Wertekanon ist in diesem Kampf unsere mächtigste Waffe. Fürchterlich nur, wozu wir ihn haben verkommen lassen: zu mechanischen, harmlosen Formeln, rituellen Reden. Noch viel schlimmer: zu Selbstverständlichkeiten. Real liegt die größte Bedrohung der liberalen Demokratie ohne Zweifel in ihrer eigenen selbstzerstörerischen Lethargie – der von uns allen. Gerade eben, weil Demokratie kein natürlicher Zustand ist, sondern eine fragile kulturell-historische Errungenschaft, die auch wieder vergehen kann, muss sie von uns tagtäglich lebendig gehalten werden. (…) So lebensnotwendig der Diskurs und der ernste Streit der Demokraten untereinander ist, so bereit müssen alle zur rabiaten Einigkeit der genuinen Demokraten sein. Die anti-demokratischen Kräfte, außen wie innen, – welcher Provenienz auch immer – lachen sich ins Fäustchen, wenn wir es nicht sind. Die freie, starke Demokratie ist, es wird erstaunlich gerne vergessen, de facto ebenso die Prämisse einer freien, starken Wirtschaft und eines freien wie sozial verantwortlichen Marktes. Freiheit und Demokratie sind unsere konkreten Geschäftsgrundlagen. Dass das unbedingte Bekenntnis zum Grundgesetz und aller implizierten Ideen und Werte – ein deutscher “Verfassungspatriotismus”, wie es modern heißt – “abstrakt”, “akademisch” sei, eine Sache der Intellektuellen und Eliten, dabei aber nicht die Seelen und Herzen der Menschen ausfülle, stellt eine gefährliche Diffamierung dar. (…) Dabei verhält es sich doch genau umgekehrt: Das Grundgesetz ist das heftigste Gegenteil von abstrakt und akademisch. Es ist nicht bloß der Verstand, sondern vor allem das Herz und die Seele unserer Werte: In Hinblick auf jeden einzelnen Satz, auf jedes einzelne Wort dieses großartigen Textes wären abertausende Schicksale zu erzählen, die diese Worte und Sätze erst in diesen Text brachten. Geschichten von geflossenem Blut, verlorenen Leben, Unterdrückung, Folter, Morden, Massakern, Massenmorden, Völkermorden. Ungeheure deutsche und europäische Geschichten auch von Mut, Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Aufbegehren, Freiheitsdrang, bewusstem Opfer… Abstrakt? Ist das abstrakt? Akademisch? Ja, wirklich? Das Grundgesetz ist geronnene Geschichte, die Essenz in humanistischer, aufklärerischer – und auch in utopischer – Hinsicht. Die Denunziation als “abstrakt” löscht sogar im Nachhinein noch einmal alle systematisch aus, die für diese Werte und Vorstellungen unter Einsatz ihres Lebens gestritten haben, ermordet wurden. So herum ist es wahr: Wofür ließe sich so viel Begeisterung, so viel lebendigstes Leben, so viel Energie, Hingabe und Kreativität entwickeln wie für die Werte der Freiheit, des Individuums, die Freiheit des Denkens, Redens, Tuns… So – und nur so sieht ein adäquates Verständnis des Grundgesetzes aus. Das ist sein Wortsinn, Emotion pur. Und: deutsche Leitkultur in nuce! Und genau in diesem Sinne müssen wir das Grundgesetz gesellschaftlich vermitteln. Sofort kommt man zu einem verheerenden Versäumnis: Wir vermitteln diese Leitkultur viel zu schwach. Nicht einmal annähernd angemessen – beispielsweise – in unseren gegenwärtigen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. (…) Es ist ein entscheidender Aspekt einer nach innen wehrhaften Demokratie gewissermaßen. Wir sind viel zu zurückhaltend. Und natürlich wird eine Integration von vielen neuen Menschen aus vielen anderen kulturellen Kontexten nur funktionieren, wenn wir die Prinzipien unserer Leitkultur für uns selbst und sie uneingeschränkt zur Geltung bringen. Mit allen Grundfesten verhält es sich so: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt”, es gilt das “Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit”, auf “körperliche Unversehrtheit” usw. Paradigma ist die Religionsfreiheit, eine Leitkulturfrage par excellence, da sie grundlegend für alles “Private” und die tiefsten Überzeugungen jedes einzelnen steht. “Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (das also strukturell mit “Glauben”  gleichgesetzt wird) sind unverletzlich”, heißt es wunderbar apodiktisch – der demokratische Staat ist der Gewährleister. Eine epochale Errungenschaft, die Deutschen haben auch diese Freiheit durch allerschwerste, brutalste Erfahrungen errungen. Wir dürfen keine einzige kleine Konzession machen, egal, bei welcher Religion. Das Gute: Auf diese Weise lassen sich diese Prinzipien strikt formulieren, ohne Angst haben zu müssen, wider Willen in dieses oder jenes populistische Lager zu geraten, welche in diesen Punkten scheinbar dieselben Forderungen erheben. Wir müssen unsere liberal-demokratische Kultur mit aller Macht stärken. Die liberale Demokratie mit ihrer Kultur in der Offensive halten. Attraktiv für alle. (…)

Jörg Bong, Deutsche Leitkultur. Wir sind viel zu zurückhaltend, in: Spiegel Online vom siebten Mai Zweitausendundsiebzehn. Geringfügig eingekürzt, die Hymne an unser Grundgesetz, heute, auf den Tag genau achtundsechzig Jahre nach seiner Verkündung Neinzehnhundertneunundvierzig. Der ebenfalls heute gefeierte Welt-Schildkröten-Tag scheint mir nicht an die Bedeutung unserer Verfassung heranzureichen. Deshalb belassen wir es beim Grundgesetz.

Vom Gedöns der Parteien

Was wir haben, ist ein recht ordentlicher Rechts- und Sozialstaat, aber für Demokratie bräuchte es eine ausreichend große Zahl wirklich mündiger Bürger, die sich regelmäßig gründlich informieren und sich dann ihr Urteil bilden und sich nicht beeinflussen lassen vom Gedöns der Parteien, den durch Umfragen erzeugten Stimmungen, dem albernen Wahlkrampf mit Flyern, Kugelschreibern und nichtssagenden Slogans auf lächerlichen Plakaten. Wahlkampf wäre dann keine Verkaufe politischer Klientel-Bedienungs-Botschaften, sondern eine echte Diskussion über echte Alternativen zur Gestaltung der Zukunft. Wird kommen, früher oder später. Fürchte aber: eher später, vielleicht zu spät.

Christian Nürnberger am siebzehnten Mai Zweitausendundsiebzehn auf Facebook

Zumutung Stadtradeln

Ich weiß gar nicht, für wen die Zumutung größer ist: für die hiesige CDU oder für mich. Lassen Sie mich ein wenig ausholen. Morgen beginnt hier das Stadtradeln. Sie wissen vielleicht, einundzwanzig Tage gemeinsam radeln für Radförderung, Klimaschutz und Lebensqualität. Geradelt wird alleine. Gewertet aber werden die Kilometer nur, wenn man Mitglied eines lokalen Teams ist. Vor der Landtagswahl hat mich, in Radfahrklamotten an einen CDU-Wahlstand vor dem Rathaus herantretend, der unerschrockene Alt-Christdemokrat Werner Allendorf, halb scherzend, halb ernsthaft gefragt, ob ich nicht meine Radkilometer der kommenden drei Wochen dem Wermelskirchener CDU-Team zurechnen wolle. Und: Soeben habe ich mich angemeldet. Bei der CDU. Christian Klicki, der junge Chef der Christdemokraten und mir innig in Gegnerschaft zugetan, wird aus allen Wolken fallen. Wolfgang Horn strampelt für die CDU. Nun, nicht wirklich; aber er erstrampelt ein paar Kilometer auf dem Rad und die werden der CDU zugerechnet. Das wird er vielleicht so grade noch aushalten können, oder? Ich find’s witzig. Auch, daß die CDU für die Radförderung radelt, wie es im Titel von Stadtradeln heißt. Die Partei, die wie keine zweite alles, aber auch alles für den Autofahrer in Wermelskirchen unternimmt. Und Klimaschutz. Die Union hat ja schon so manche Volte hingelegt. Jetzt wird sie zur Vorreiterin, nein: Vorradlerin des Klimaschutzes. Toll. Die CDU auf dem Drahtesel, dem sie die Fahrt durch die Telegrafenstraße gegen die Autofahrerrichtung verboten hat. Mit mir gemeinsam, dem Linken, dem Sozi, dem Ex-Kommunisten. Werner Allendorf, haben Sie das wirklich gewollt?