Schlagwort: Heribert Prantl
Verantwortungsdiffusion
Der Bundesnachrichtendienst hat illegal und im Auftrag des US-Geheimdienstes NSA spioniert – und keiner will dafür verantwortlich sein. Wenn es um Fehler, Affären und Skandale von Geheimdiensten geht, ist seit jeher ein Phänomen zu beobachten, das Verantwortungsdiffusion heißt: Niemand weiß angeblich so richtig, wie und warum es zum Skandal kam und wer wann von ihm wusste. Und wer etwas davon wusste, der leugnet – wie Innenminister de Maizière soeben – dass er davon wusste. Das ist ein unerträglicher Zustand: Die Übernahme von Verantwortung gehört zum Wesen der Demokratie. Wenn niemand verantwortlich ist, ist zumindest das ein Indiz für eine miserable Organisation. Dann greift das, was man politische Verantwortung nennt: eine Haftung des zuständigen Ministers, selbst wenn er in einen Skandal nicht persönlich verstrickt war.
Heribert Prantl, Außer Kontrolle, in: Süddeutsche Zeitung von heute
Das goldene Kalb
Unter dieser Überschrift hat Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung von heute seine Meinung zum neusten Vorschlag der CDU im Umgang mit Freihandelsabkommensverhandlungen kundgetan:
Der Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Bundestag hat die SPD allen Ernstes aufgefordert, ihre ohnehin nur sehr verhaltene Kritik an den geplanten Abkommen zwischen der EU und den USA (genannt TTIP) und der EU und Kanada (genannt Ceta) aufzugeben. Die Abkommen sollen, so stellt es sich die Union vor, kritikfrei gestellt werden. Massive Eingriffe in die Rechtsstaatlichkeit durch private Schiedsgerichte sollen, so wünscht sich das die Union, dankbar und mit “Euphorie” begrüßt werden. (…) Man kann nicht erst, wie geschehen, geheim verhandeln und die Öffentlichkeit damit vertrösten, dass man später noch über alles reden könne – und dann später sagen, dass jetzt alles wunderbar geregelt und Kritik nun wirklich nicht mehr am Platze, ja massiv schädlich sei. So kann man mit dem Souverän, dem Volk, und so kann man mit den Parlamenten nicht umgehen. Freihandelsabkommen dürfen nicht zu Entdemokratisierungs-Abkommen und nicht zu Entrechtstaatlichungs-Abkommen werden. Der Tanz ums goldene Kalb gehört ins Alte Testament, nicht in eine demokratische Gesellschaft.
FDP?
Es gibt in Deutschland eine Sehnsucht nach liberalen Positionen in der Politik, wohl auch nach einer wirklich liberalen Partei; aber es gibt keine Partei mehr, die diese Sehnsucht befriedigt. (…) Wenn Datensammelwahnsinn grassiert, wenn also das Abhören von Handys, das Anzapfen von Computern, das Horten und Verwerten von privatesten Daten durch Geheimdienste und Internetkonzerne zum Alltag wird; wenn die Grundrechte auf dem Weg der Gesellschaft in die Internetwelt nur noch bettelnd am Wegesrand stehen; wenn vom Stolz auf die Bürgerrechte im politischen Alltag nichts mehr zu spüren ist; wenn das Asylrecht, das einst ein Leuchtturm war, zum Teelicht verkümmert; wenn auf die zugewanderten Neubürger in Deutschland wieder mit dem Finger gezeigt wird und von ihnen als „den anderen“ geredet wird; und wenn das Wort „Verantwortung“ jetzt dazu dienen soll, deutsche Waffen und deutsche Soldaten am Grundgesetz vorbei in alle Welt zu schicken – dann, ja dann wünscht man sich die Renaissance einer liberal-rechtsstaatlichen Politik. (Heribert Prantl, Der Romulus der FDP. Süddeutsche Zeitung von heute)