Monat: Juni 2015

Silbengeld

Norbert Galeske quasselt in einer Tour. Als ob es Silbengeld gäbe. Unaushaltbar. Wer hat das den ZDF-Sportreportern eigentlich beigebracht, ohne Unterlaß zu quatschen?  So wird das Viertelfinalspiel der deutschen Frauen gegen die Französinnen ungenießbar. Schweigen Sie endlich, Herr Galeske.

Defizite

Im Schatten der Schuldenkrise haben sich die öffentlichen Diskurse so re-nationalisiert, dass die Idee der europäischen Solidarität zunehmend verkümmert zu bloßem Lobbyismus für nationale Gläubiger. Nur so erklärt sich der wachsende Gleichmut gegenüber den Marginalisierten anderswo, denen, die ihre Arbeit verloren haben, deren Wohnungen zwangsgeräumt wurden, die über keine Krankenversicherung mehr verfügen – als seien dies lediglich ökonomische Verwerfungen an der europäischen Peripherie und nicht soziale Risse im Zentrum des demokratischen Selbstverständnisses Europas. Vielleicht liegt hierin eine der Chancen der Griechenland-Krise: Dass sie sichtbar macht, wie die europäischen Versprechen auf Partizipation, auf Inklusion und auf demokratische Verfahren der Selbstbestimmung ausgehöhlt werden. Gebraucht werden womöglich nicht nur Mechanismen, die Griechenland aus seinem ökonomischen Dilemma lösen, sondern auch ein politischer New Deal, der die demokratischen Defizite Europas korrigiert.

Carolin Emcke, Defizit, in: Süddeutsche Zeitung vom zwanzigsten Juni Zweitausendundfünfzehn

Fundsätze

Das A – Z, allwöchentlich im Freitag zu finden, ist mir meist Quell großen Vergnügens. In der aktuellen Ausgabe geht’s um Talkshows. Unter Kurztiteln wie Aus, Daily Talk, Giovanni di Lorenzo, Italien, Kritik, Markus Lanz, Peinlich, Roger Köppel oder Zoo. Von A bis Z halt. Hier ein paar Fundsätze:

Er (Jauch, W.H) dachte, er könne in der Talkshow ähnlich wie einst bei Stern TV als ein Mann des gesunden Menschenverstands agieren. Doch diese latent unpolitische Haltung hatte einen Nachteil. Sie hatte sich längst auch in der Politik breitgemacht. Schlimmer noch: Angela Merkel bediente sich bei Jauch, indem sie dem Kabinett so vorsitzt wie dieser seiner Sendung. (Dietrich Leder: Aus)

Aber wenn einer wie Jürgen Fliege die seriös-öffentlich-rechtliche Variante einer Veranstaltung ist, dann möchte man die anderen lieber gar nicht erst kennen. Menschen wie du und ich (ähem) breiteten unter der begütigenden, aufstachelnden, rügenden Moderation von Arabella, Ilona und Bärbel ihren Seelen- und Beziehungsschrott aus: ein polymorph-perverses Therapieformat. (Ekkehard Knörer: Daily Talk)

Nun sitzt da immer wieder freitags der Chefredakteur der Zeit und bezaubert beziehungsweise enerviert mit immer noch demselben allzu versteherischen Schlafzimmerblick. Überhaupt wird von di Lorenzo jede und jeder und alles immer so gründlich durchverstanden, dass, wo er hinfragt, kein Gedanke mehr wächst. Er ist der große schelmische Meister der pseudokritischen Frage, in Wahrheit das Kuschelmonster vom Dienst, und moderiert besonders die Damenwelt hin und weg. Begründet wurde 3 nach 9 übrigens im Jahr 1974 von Wolfgang Menge. Es gähnt der Abgrund noch, der einen wie di Lorenzo von diesem Großmeister der Boshaftigkeit trennt. (Ekkehard Knörer: Giovanni di Lorenzo)

Mit politischer Kritik hat es meines Erachtens nur bedingt zu tun, wenn sich viele Menschen stärker über eine Jauch-Sendung zur Flüchtlingspolitik aufregen als über die unselige Flüchtlingspolitik selbst. (Michael Angele: Kritik)

Machen wir uns nichts vor, Anne Will als „Nachfolge“ für Günther Jauch ist eine Notlösung. Überhaupt, jemanden irgendwohin zurückzuholen, das ist nie Ausweis einer großen Vision. Man will schnell und sicher Schaden und Risiko minimieren – im Fußball holt man so einen wie Huub Stevens zurück, der aber nach der Saison selbstverständlich wieder gehen wollen muss. Die viel wichtigere Frage lautet also: Wer folgt auf Anne Will? (Timon Karl Kaleyta: Markus Lanz)

Der Weltwoche-Chef und Anwärter auf einen Posten in der rechtspopulistischen SVP ist (…) Dauergast in deutschen Talkshows. Wer ihm in die Quere kommt, so schrieb der Spiegel, den pulverisiere er mit seinem argumentativen Superlaser. Inhaltlich sind seine Positionen an der Grenze des Erträglichen. Aber gerade deshalb ist Köppel in den Talkshow-Redaktionen beliebt. Unterhaltsam ist er leider auch. Bleibt zu hoffen, dass in einer Sendung andere Gäste sitzen, die ihm das Wasser reichen können. (Benjamin Knödler: Roger Köppel)

Warum Leute, die gut im Liedersingen sind, automatisch etwas Unterhaltsames, gar Kompetentes zu Themen wie Finanzkrise und IS sagen können sollen, weiß man nicht. Groß wird es, wenn diese Leute (zum Beispiel nach Terroranschlägen) nicht einmal den Anstand haben, die aktuellen Fakten zu referieren, sondern live den Kenntnisstand von vorgestern ausbreiten, darauf basierend ihre Sicht erklären plus die Hauptsache anbringen, nämlich dass sie ja kürzlich beruflich in L.A. (Paris, London) waren und dort von einem Taxifahrer irgendwas erfuhren, das leidlich zum Thema passt oder zufällig den berühmten Dingens trafen, der bla, bla, bla, kurz: Es ist ein Elend. (Elke Wittich: Zoo)

Gesichtslos

Heute wirkt jeder Versuch, ein konservatives Profil der Partei zu schärfen, seltsam aus der Zeit gefallen. (…) Nein, diese CDU gibt es nicht mehr. Und das deutsche Bürgertum, das sie einst getragen hat, auch nicht. Die Furchtsamen und Zornigen unter den deutschen Bürgern finden sich bei der AfD wieder oder sie gehen gar nicht mehr wählen. Fröhliche Bürger aber wählen die Grünen. Es gibt eine neue bürgerliche Normalverteilung im Land, und darin spielt die CDU eine andere Rolle als früher. Angela Merkel hat vermutlich noch das Beste daraus gemacht, als sie sich an Heiner Geißler hielt, den einflussreichsten Denker der Union. Er warnte vor Jahren: „Wer nach rechts rückt, wird links regiert.“ Der Preis: Unter Merkel wurde die Union zur gesichtslosen Partei der Mitte.

Jakob Augstein, Mission Merkel erfüllt! CDU: Was die SPD bereits hinter sich hat, steht der Union noch bevor: der Abstieg aus der Liga der Volksparteien, in: Der Freitag, Vierundzwanzig aus Zweitausendfünfzehn