Schlagwort: Tagesspiegel

Tatortreiniger SPD

Es gibt ein formales Parteiordnungsverfahren gegen Herrn Edathy“, verkündete die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Montag nach einer Besprechung des Parteipräsidiums. So der Tagesspiegel in Berlin. Begründet wurde das Vorhaben mit “moralisch unkorrektem Verhalten Edathys“.  Gegen Sebastian Edathy wird wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie ermittelt. Werden jetzt auch die Mitglieder aus der SPD ausgeschlossen, wegen moralisch unkorrekten Verhaltens, die ihre Kinder grün und blau schlagen? Oder die, die den letzten Heller versaufen? Oder jene, die häufig in den Puff gehen? Dürfen die Sozialdemokraten in der SPD bleiben, die nur im Latexanzug ficken können? Und was ist mit den Genossen, die die Steuern hinterziehen? Simples Fremdgehen wird wohl nicht für einen Parteiausschluss reichen, oder? Und Bondage? Ziegen? Wahlweise auch kleine Hunde mit langen Zungen? Dildos? Müssen die SPD-Genossen sich eine neue Parteiheimat suchen, die ihre Frauen vermöbeln? Bleibt Masturbation gestattet? Zu zweit auch? Kann man in der SPD bleiben, wenn man im Suff ein Kind totgefahren hat? Was ist mit denen, die es am liebsten in öffentlichen Aufzügen treiben? Die SPD als Saubermannpartei, in der  Blockwarte und deren kümmerliche moralische Maßstäbe regieren? Unvorstellbar. Sebastian Edathy ist bislang nicht einmal eines Gesetzesvergehens angeklagt. Von einer Überführung, einer gerichtlichen Entscheidung ganz zu schweigen. Mit der Aktion MSS, Moralisch Saubere SPD, geht das Rechtsstaatsprinzip der Unschuldsvermutung baden. Politisch klug ist das ganze Verfahren ohnehin nicht, wie wir spätestens seit dem Versuch wissen, Thilo Sarrazin aus der SPD ausschließen zu wollen. Man kann unangenehmen Personen oder Strömungen in einer Partei kaum mit administrativen Maßnahmen beikommen. Und beliebt bei den “Volksmassen” macht die Anbiederung an den Moralmainstream gewiß auch nicht. Man kann den Muff der Fünfziger schon riechen …

 

Staatswirtschaft

Was mag den Wirtschaftsminister und noch amtierenden FDP-Vorsitzenden nur geritten haben? “Ein Liberaler verhandelt im Amt eines Bundesministers hinter verschlossenen Türen mit den Teilnehmern eines Marktes, in dem es keinen transparenten Wettbewerb gibt, auf dem Rücken der Kunden die Preise für Produkte und die Margen für Händler.” So beschrieb der Berliner Tagesspiegel den neusten Coup des Philipp Rösler. Das Ziel: Die doch ach so notleidenden deutschen Apotheker, von Hartz IV bedroht und sozialem Abstieg, sollen demnächst circa einhundertneunzig Millionen Euro mehr kassieren. Von Patienten, von Kranken und ihren Kassen. Damit sie nicht das Los der Opelarbeiter oder Schleckerfrauen teilen müssen. Die Preise für Arzneimittel sollen angehoben werden, was, wie der Tagesspiegel schreibt, “maximal für die Apotheker eine gute Botschaft ist.” Nirgendwo auf der Welt aber sind Medikamente teurer als in Deutschland. Was schert es unseren Wirtschaftsminister. Wenn man alle Apotheker im Land zusammenzählt, kommt man dann auf fünf Prozent? Anders ist ja wohl kaum zu erklären, daß ein liberaler Wirtschaftsminister einer ohnehin privilegierten Gruppe Millionen zuschustert, in einem intransparenten Verfahren, am Markt vorbei. “Staatswirtschaft” nennt der Tagesspiegel Röslers Vorgehen. Und fährt fort: “Und gäbe es so etwas wie ein Schiedsgericht des Liberalismus: Philipp Rösler müsste jetzt mit einem Parteiverfahren rechnen.” Wohl wahr. Diese Herren in blau-gelb kommen immer mit vermeintlich liberalen Prinzipien, mit Ordnungspolitik, wenn Gruppen Forderungen aufstellen, die nicht zur FDP-Klientel gehören. Soll hingegen der FDP-Sprengel bedient werden, kennen die Liberalen keine Regeln mehr, keine Ordnungspolitik, keine Prinzipien, keine Marktwirtschaft. Dann sind sie, was sie sind: Die Diener weniger Herren. Das einzige, was neben schierer Fassungslosigkeit bleibt, als Hoffnung, ist, daß Rösler und Döring und Brüderle und Konsorten den lecken Kahn FDP alsbald versenken und nach der nächsten Bundestagswahl in eine kreative Auszeit gehen müssen.

Nachtrag: Habe ich wirklich “Kahn” geschrieben? Unsinn. Es handelt sich um ein Beiboot. Ein Beibötchen.

Empathie, die Zweite

“Nun sollte man nicht glauben, dass staatliche Auffanggesellschaften à la Schlecker zwangsläufig zum Pflichtprogramm des Modells „Soziale Marktwirtschaft“ gehören müssen. Zumal heute, wo die Bundesagentur für Arbeit längst keine verbeamtete Verwahranstalt, sondern flexibler Dienstleister für die Suche nach neuer Arbeit ist. Doch Politik ist eben mehr als sture Ökonomie. Sie muss mit Empathie auf gesellschaftliche Entwicklungen eingehen können, will sie Vertrauen in ihre Legitimität schaffen. Und das Kommando Schlecker, auch das steht fest, markiert in dieser Beziehung einen Tiefpunkt – für die unionsgeführten Landesregierungen, die den schwarzen Peter bei ihren liberalen Koalitionspartnern abladen; für die Kanzlerin, die aus Angst um dessen Überleben ihren Stellvertreter nicht in die Schranken weisen will; auf jeden Fall aber für Philipp Rösler, dessen „mitfühlender Liberalismus“ und dessen Mahnung an seine Partei, mehr „soziale Sensibilität“ zu zeigen, mit einem Schlag an ihr Ende gekommen ist. Mit Ordnungspolitik oder gar Gerechtigkeit gegen kleine Handwerksbetriebe, denen niemand hilft, hat der Fall Schlecker überhaupt nichts zu tun. Alles, worum es dabei geht, sind fünf Prozent für die FDP.” Antje Sirleschtov in einem Meinungsbeitrag des Berliner Tagesspiegel.

Agathe, Agathe

“Wenn ein Amt bewählt wird durch ‘Prominente’ wie Otto Rehagel, Friede Springer, Ingo Appelt, Senta Berger und Co. dann wird auch nicht durch einen würdevollen Kandidaten ein würdevolles Amt bekleidet. Diese Wahl ist unwürdig! Wer entscheidet bitte darüber, wer aus welchen Gründen prominent ist und was haben (diese) ‘Prominente’ in der Bundesversammlug verloren?
Was für eine Lächerlichkeit!” So die Leserin Agathe heute in ihrem Kommentar in der Online-Ausgabe des Berliner Tagesspiegel.

Anmaßung

“In außenpolitischen Fragen habe ich als Parteivorsitzender die Linie klar vorgegeben. Und der Bundesaußenminister ist dieser Linie genau so klar gefolgt.” Der Urheber dieses anmaßenden Satzes ist nicht die Inhaberin der Richtlinienkompetenz in der Bundesregierung, die Bundeskanzlerin. Nein. Der neue Vorsitzende der FDP, Phillip Rösler, versuchte, mit diesem Satz deutlich zu machen, daß er der Herr im blau-gelben Haus, Häuschen ist. Der Herr Rösler wollte “liefern”, wie er nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der ehemals bedeutsamen liberalen Partei öffentlich bekundet hat. Man nehme ihn beim Wort. Die Septemberwahlen hat die “neue” Führung der Partei zu vertreten, nicht mehr nur Guido Westerwelle. Tissy Bruns, die kluge Journalistin und Beobachterin der Vorgänge in Berlin, schrieb gestern im Berliner Tagesspiegel: “Westerwelle hat den Status des großen Schuldigen, der das innere Zittern und Beben der neuen FDP-Spitze übertönen kann. Dem Sensationserfolg der Bundestagswahl, unstrittig Guidos Werk, folgte ein beispielloser Abstieg. Analysiert, erklärt, begriffen ist dieser Abstieg in die Nähe der 5-Prozent-Hürde nicht. Aber gefühlsmäßig verdichtet ist die Schmach desto mehr, sie wird projeziert auf den Schreihals, den mit der spätrömischen Dekadenz. Unvermeidlich, dass die FDP sich davon frei machen muss. Aber unvermeidlich werden dann auch Antworten auf die Frage fällig, was anderes als Westerwelles Politik die neue FDP eigentlich liefern will.” Auf diese Antworten bin ich sehr gespannt.

Fragen stellen, Zweifel äußern, Widerspruch wagen

Klaus Bresser war zwischen1988 bis 2000 Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens in Mainz. Im Tagesspiegel setzt sich der bald Fünfundsiebzigjährige mit der Glaubwürdigkeit von Politik und Medien auseinander, angestoßen durch den Medienskandal in Großbritannien um den Verleger Rupert Murdoch. Hier ein Ausschnitt.

Nach Umfragen glauben 80 Prozent der Deutschen der Bundesregierung nicht, dass sie die jetzt diskutierten Steuersenkungen auch durchsetzen wird. Als die schwarz-gelbe Koalition den Atomausstieg beschloss, saß das Misstrauen noch tiefer. Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten führte den Kurswechsel nicht auf höhere Einsicht, sondern auf die Sorge vor weiteren Wahlniederlagen zurück. Wenn es sich ums Geld dreht, traut eine große Mehrheit den Regierungen in Europa nicht mehr zu, die Euro-Krise bewältigen zu können. Die Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem wie kaum je zuvor. Die sinkende Wahlbeteiligung ist dafür das eindeutige Indiz. Eine zunehmende Anzahl von Bürgern vertraut den Parteien nicht mehr, will deshalb auch nichts mehr von ihnen wissen.

Welche Rolle spielen die Medien in einer solchen Situation? Können sie etwas tun gegen die wachsende Skepsis in der Bevölkerung? Wir brauchen gewiss keinen Journalismus, der den Politikern mit Zuspruch oder gar Propaganda zu Hilfe eilt. Das würde die eigene Glaubwürdigkeit zunichtemachen.

Wir brauchen ganz im Gegenteil einen Journalismus, der Abstand hält zu den Mächtigen, jene professionelle Distanz wahrt, die Kritik erst möglich macht. Auf kritischen Journalismus kommt es an, auf einen Journalismus, der Fragen stellt, Zweifel äußert und Widerspruch wagt. Damit sich nicht weiter ausbreitet, was die Folge von mangelnder Information und Diskussion, fehlender Kritik und Kontroverse ist: Desinteresse, Vertrauensverlust, Abkehr von der Politik.

Schafft der Journalismus das? Journalisten haben das Richtige vom Falschen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie sind nicht verpflichtet, den Leuten das zu geben, was ihnen schmeckt. Sie haben zu berichten, was wesentlich, nützlich, im Wortsinn lebenswichtig ist. Sie haben Auskunft darüber zu geben, was passiert in Politik, Kultur, Sport und gerade auch in der Wirtschaft, was also mit den Preisen, den Steuern, den Renten geschieht. Journalismus muss nicht jeder Sensation hinterherhecheln, nicht den Schwachsinn, Schwall und Schrott verbreiten, an den wir uns im Fernsehen und in der Boulevard-Presse zu gewöhnen scheinen.

Die Jagd nach Auflagen und Quoten hat zu einer großen Anzahl von flachen, ja geradezu dämlichen Medienangeboten geführt. Die Gefahr wächst, dass die zunehmende Banalisierung der Massenmedien Wirkungen zeitigt und große Teile des Publikums heruntermanipuliert zu einer stumpfen und dumpfen, an den öffentlichen Dingen uninteressierten Menge.

Können die Medien diese Entwicklung bremsen, womöglich aufhalten? Die rasante Ausbreitung des Internets hat die Zeitungsauflagen und Anzeigenerlöse vieler lokaler und regionaler Blätter und auch die Werbeeinnahmen mancher Sender schrumpfen lassen. Verleger und Senderchefs sparen. Weniger Geld bedeutet aber weniger Zeit für die Recherche, weniger Sorgfalt und Gründlichkeit. Dabei sollte im immer hektischeren Medienbetrieb Entschleunigung das Ziel sein. Genauigkeit muss vor Schnelligkeit gehen. Qualität braucht Zeit. Es muss Medien geben, die sich auf die existenziellen Fragen dieser Welt konzentrieren: Wie leben wir in einer globalen Gesellschaft? Wie reagieren wir auf Hunger und Elend, Unfreiheit und Unterdrückung in Teilen der Erde? Wie sichern wir die überall bedrohten natürlichen Lebensgrundlagen? Wer garantiert uns Wachstum und Wohlstand, wenn die Alten immer mehr werden und die Jungen, die für sie aufkommen müssen, immer weniger?

Für solche Themen wird es ein Publikum geben. Ein Publikum, das interessiert bleibt an der Wahrheit. Ein Publikum, dem wichtig ist, was für alle wichtig ist. Das umfassend und zuverlässig informiert werden möchte. Das die einfachsten Regeln des Anstands, der Achtung von Privatheit und Menschenwürde gewahrt wissen will.