Schlagwort: Wermelskirchener General-Anzeiger

Vom Kühlschrank und vom frischen Wind im Blätterwald

Lokalzeitungen leiden Not. Immer weniger festangestellte Redakteure müssen die lokale Berichterstattung mit Hilfe von freien Mitarbeitern sicherstellen. Mein Heimatblatt, der Wermelskirchener General-Anzeiger, liefert mir, so wie vor vierunddreißig Jahren schon, Tag für Tag drei Lokalseiten. Immerhin. Früher aber waren, wenn ich das richtig sehe, dreimal soviele Festangestellte für das Blatt verantwortlich wie heutzutage. Die schreibenden Kollegen, Redakteure und freie Mitarbeiter, tragen an dieser Entwicklung keine oder nur die geringste Schuld. Sie baden aus, was Verlage und Verleger an Konzepten entwickelt oder vielleicht auch nicht entwickelt haben, um dem Kostendruck zu entgehen. Zeitungen und Zeitschriften stehen nicht mehr nur in Konkurrenz zu den hergebrachten elektronischen Medien. Auch die ausgesprochen attraktiven und superschnellen Informationsquellen aus den digitalen Ecken der Internetwelt, Texte, Bilder, Filme, soziale Netzwerke, Grafiken, Tweets, Animationen, Blogs, in Sekundenbruchteilen und aus dem ganzen Erdkreis zusammengesucht, lassen lokale Zeitungen mitunter als fußkrankes Relikt aus der Informationssteinzeit erscheinen. Wenn aber die Kommune, das lokale Gemeinwesen gleichsam als Wiege der Demokratie begriffen werden kann, als überschaubarer Nahraum, in dem Bürger leichter mit validen und kritischen Informationen über ihre unmittelbaren Lebenszusammenhänge Einfluß auf die Gestaltung von Politik, Kultur und gesellschaftlichem Leben nehmen können als etwa im Bundesland oder gar der ganzen Republik, dann ist eine hochprofessionelle Presse, dann sind gute Recherche und profunde Kritik, dann ist eine gut geschriebene, unterhaltsame und unabhängige Lokalpresse wichtiger denn je. Und, fast ebenso bedeutsam, auch ein tragfähiges Konzept, wie denn lokale Information ihren angemessenen Platz auch in der digitalen Informationswelt finden und behaupten kann. Tja, soweit die Grundüberlegung. Die Wirklichkeit aber hält sich leider nicht an grundsätzliche Einschätzungen. Meine lokale Zeitung jedenfalls kämpft gegen den Bedeutungsverlust. Mit drei Seiten täglich. Drei Seiten, vor allem von freien Mitarbeitern zusammengetragen. Da finden sich, neben Wichtigem, der tägliche Blick über den Stadtrand nach Burscheid ebenso wie die Rubrik: “Was macht eigentlich …?” oder die berüchtigten “Zehn Fragen”, regelmäßig gestellt an vermeintliche Lokalprominenz. “Was darf keinesfalls in Ihrem Kühlschrank fehlen?” oder “Welcher Prominente könnte Ihrer Meinung nach für frischen Wind im Stadtrat sorgen?” Quark. Auf der ganzen Linie Quark, nicht nur im Kühlschrank. Stefan Raab könnte für frischen Wind im Rat sorgen. Sagt mir der Tanzschulbesitzer. Na, die Zeiten sind ja wohl vorbei, daß Raab für Frische sorgte. Gottlob. Und warum der Tanzschulbesitzer? Hier wird auf Teufel komm raus zur Lokalprominenz hochgejazzt, wer auch nur das Wasser nicht halten kann. Mal ganz ehrlich: Das will ich alles gar nicht lesen. Vermeintlich unterhaltsames Zeugs, ohne auch nur jeden Informationswert, nur damit die drei Seiten gefüllt werden. Gebt mir jeden Tag nur zwei gute Lokalseiten, dann will ich meine Zeitung auch behalten und gut für sie zahlen. Zwei gute Seiten, pfiffig und unterhaltsam geschrieben, über Politik, Kultur, Alltag, mit harten Informationen aus allen Bereichen der Stadt, mit Terminen, Events, Berichten aus allen Ecken der Kommune, mit gesalzenen Kommentaren, zwei Seiten die Lust machen auf Wermelskirchen, die den Zusammenhang der Menschen hier fördern, die über das Gemeinwesen berichten, sich keiner Autorität beugen, frei und unabhängig geschrieben, zwei Seiten, die klug werten, die kritisieren, was schief läuft, immer den Finger in die vielen Wunden legen. Diese zwei Seiten wären es schon wert, den gleichen Preis zu zahlen wie bislang. Auch für einen Mantel, also für die Seiten mit Politik, Sport, Wirtschaft, Hier und Heute, die erkennbar von vorgestern sind. In diesem Mantel, von der Westdeutschen Zeitung geliefert, kann ich, zugespitzt formuliert, heute gedruckt finden, was gestern schon im Internet und den großen Zeitungen zu lesen war, also vorgestern passiert ist. Ein Drittel weniger Lokalzeitung, dafür ein bis zwei Drittel besser, mutiger, schlauer, kompromißloser, entschiedener, samt der nur erträglichen Mantelseiten, das könnte gleichwohl die bessere Zeitung sein. Wenn der Verlag auch ein digitales Angebot machte. Ein Angebot. Nicht nur die Ankündigung, demnächst die gedruckten Beiträge gegen Bezahlung auch im Internet in digitaler Form finden zu können. Da muß mehr her. Da müssen Foren eröffnet werden, Dialoge und Kommentare möglich sein, ein Gespräch mit dem Leser, Zusatzinformationen geboten werden, Hintergründe, da muß aktueller noch als bei gedruckten Tageszeitungen Lokales publiziert werden, da müssen Videos und Bilderstrecken textliche Informationen ergänzen, was auch immer. Von einem solchen Konzept habe ich noch nichts lesen können. Leider. Als Antwort auf die Krise hören wir nur noch: Sparen. An Menschen. An Kosten. Nie aber: Besser werden, interessanter, klüger, Neues ausprobieren, experimentieren, versuchen, lernen. Wer all das nicht unternimmt, wird scheitern.

Gestern, heute und womöglich morgen

Nichts ist so alt wie Zeitung von, nein, eben nicht gestern, von heute. Nichts ist so alt wie die Zeitung von heute. Jedenfalls in Wermelskirchen. Links die Zeitung von gestern. Der Lokalteil imagedes Wermelskirchener General-Anzeigers. Und rechts die Ausgabe von heute. Und in beiden Ausgaben will Dankmar Stolz, Chef der Stadtmarketinggesellschaft Wir in Wermelskirchen, eine Umfrage etwas tiefer hängen. Warum auch immer. Gestern schon habe ich den kurzen Artikel nicht verstanden. Da wird etwa formuliert, daß die “grundsätzliche Bereitschaft (des WiW, W.H.) zu Gesprächen und Überlegungen” nichts mit der Größe eines E-Mail-Verteilers zu tun habe. Mal ganz ehrlich: Das verstehe ich auch heute noch nicht. Vermutlich wird dieser Artikel also auch morgen noch einmal zu lesen sein. Bis auch der verstockteste Leser, also ich, den Beitrag endlich kapiert. Ich muß mir mehr Mühe geben. Wir werden sehen. Morgen.

Schule und Lehrer

Schule muss das schönste Gebäude in der Stadt sein. Da muß man Lust haben, hineinzugehen. Sie muss ein Ort der großen Freiheit sein. (…) Erst haben wir die Arbeitsbedingungen für Lehrer mies gemacht, dann wurden sie gesellschaftlich als faule Säcke gemobbt, und jetzt wundern wir uns, dass junge Leute diesen Beruf nicht mehr ausüben wollen. Mehr Wertschätzung für Lehrer wäre dringend nötig.

(Ranga Yogeshwar im Wermelskirchener General-Anzeiger am sechsten Januar Zweitausendundvierzehn)

Noch ein Finanzgenie

Wenn wir schon mal bei unserer örtlichen Tageszeitung sind: Auf Seite sechs des Wermelskirchener General-Anzeigers von gestern ist in einer AFP-Meldung die Rede von einem weiteren Finanzgenie: dem ehemaligen Finanzminister von Österreich, Karl-Heinz Grasser. Ursprünglich von der FPÖ, der Partei Jörg Haiders, in die Regierung entsandt, trat er später aus seiner Partei aus und arbeitete als Parteiloser mit dem konservativen Regierungschef Schüssel zusammen. “Mehr privat, weniger Staat” – mit diesem flotten Spruch aus dem neoliberalen Poesiealbum machte Grasser von sich Reden. Und gestern meldete AFP, daß sich Grasser wegen Steuerhinterziehung selbst angezeigt habe. Man darf getrost vermuten, um Schlimmeres abzuwenden. Also: Der schneidige Neoliberale, der beständig den schlanken Staat predigte, hatte Geld in Kanada angelegt und das “dann komplett aus den Augen verloren”, wie es in der Meldung heißt. Ein kleines Vermögen aus den Augen verloren. Naja, kann uns allen ja mal passieren. Diese Kerle, gleich, ob sie in Osterreich, hierzulande oder anderswo ihren Reibach machen, zugleich aber Opfer fordern von denen, die wenig haben, und das alles dann mit den markigen Worten vom “schlanken Staat” garnieren, diese Kerle machen mich nur noch wütend. Zumal dann, wenn sie den Staat “verschlanken”, indem sie die Steuern hinterziehen.

Das Finanzgenie und der Qualitätsjournalismus

In meiner Zeitung – Wermelskirchener General-Anzeiger, so heißt die lokale Ausgabe der Westdeutschen Zeitung – lese ich gerade auf der zweiten Seite das “Portrait des Tages: Der Gewinner”. Portraitiert wird der zweiundfünfzigjährige John Paulson, der als Hedgefondsmanager im vergangenen Jahr einen “persönlichen Profit” von fünf Milliarden Dollar gemacht habe. Im Jahr 2007, so schreibt die Redaktion weiter, habe das “Hedgefondsgenie” Paulson bereits 3, 7 Milliarden eingestrichen, als er mit Finanzwetten gegen den US-Hypothekenmarkt angetreten sei, “während andere ins Verderben gerissen wurden”. “Trotzdem scheint es dem (im Original, W.H.) Börsenguru auch zu berühren, dass er Profit aus dem Elend anderer macht. Er spendete 15 Millionen Dollar für die Gründung einer gemeinnützigen Einrichtung. Sie soll Familien helfen, die ruiniert sind.” Nichts sonst von der Redaktion. Keine Wertung, kein Kommentar, keine Einordnung. Stattdessen die Qualifizierung als “Genie”, als “Guru”. Das nenne ich Qualitätsjournalismus. Da erzockt ein Börsenprofi in kaum drei Jahren 8,7 Milliarden Dollar. Nach dem Umrechnungskurs von heute sind das 6.395.370.000 Euro. Umgerechnet aufs Jahr sind das 2.130 Millionen Euro, wobei wir jetzt das Kleingeld der ersten sechs  Stellen links vom Komma, also die Hunderttausender, mal völlig außer acht lassen. Sie brauchen, sollten Sie etwa einhunderttausend Euro im Jahr verdienen, mehr als zwanzigtausend Jahre, um das Jahreseinkommen dieses “Börsengurus” zu erzielen. Allein diese Relation hätte die Redaktion zu einem Kommentar nötigen müssen. Die Millionenspende an eine gemeinnützige Einrichtung, von der Redaktion versöhnlich ans Ende des Portraits gesetzt, ist mithin kaum mehr als ein billiges, ein unanständiges, ein unmoralisches Trostpflästerchen, armseligste Kosmetik. Der billigste Taschenrechner, zur Not eine Überschlagsrechnung im Kopf, hätte die Redaktion zu einem ähnlichen Ergebnis führen müssen. John Paulson mag erfolgreich sein, ein Genie ist er nicht, auch nicht jemand, der positiv in einem Portrait gewürdigt werden sollte. Er steht bestenfalls für die üblen Verwerfungen, die den gemeinen Kapitalismus derzeit kennzeichnen. John Paulson ist ein Gewinner, wir alle, das Gemeinwesen sind die Verlierer.