Schlagwort: Helene Fischer

“Helenefischerisierung des Fußballs”

Wenn ein Eigenname ein Phänomen beschreibt, hat man es zu einiger Bedeutung gebracht: kafkaesk, hartzen oder, für Simpsons-Fans, “einen Homer bauen” wären Beispiele. Helenefischerisierung ist nun nicht unbedingt schmeichelhaft gemeint (wenn auch nicht zwangsläufig ablehnend). Es verdeutlicht aber in jedem Fall die immense Größe der Namensträgerin. Helenefischerisierung wirft man auch dem deutschen Fernsehen gelegentlich vor. Vor allem dann natürlich, wenn Helene Fischer, die man dann eher nur Helene nennt, dort moderiert oder, wie zuletzt, dem alternden Showmaster Thomas Gottschalk etwas Quotenhilfe gibt. Helenefischerisierung, das wirft man auch dem deutschen Konzertbetrieb gern vor. Dann vor allem, wenn er versucht, die Showstandards der Fischer auch anderswo zu halten. Helenefischerisierung, das ist also eine inzwischen nicht mehr sehr kreative Generalanklage – und zwar an so ziemlich alles, was man an Deutschland zu oberflächlich und zu glatt findet. Eine Art Kommerz-Mainstream-Pendant zum Vorwurf “hipstermäßig”. Viel größer geht nicht.

Jakob Biazza, Sinn und Unsinn. Nicht zu greifen, in: Sueddeutsche Zeitung vom dritten Juni Zweitausendundsiebzehn

Von der Fischer im stehenden Gewässer der Stagnation

(…) Das Interessante aber ist: Helene Fischer interpretiert keine Musikstile, sie nimmt sie in Besitz. Wenn sie Rockmusik oder Swing singt, hat man nicht das Gefühl, dass sie in das jeweilige Genre und in dessen Lebensgefühl eintaucht; eher fühlt es sich an wie das Gegenteil: Fischer „rockt“ und „swingt“ nicht, vielmehr werden Rock und Swing „gefischert“. (…) Es ist ganz gleich, was sie singt, es klingt immer und in allererster Linie nach Helene Fischer. (…) Helene Fischer kann alles singen, was jemals komponiert wurde. (…) Gerade weil Musik aber immer Ausdruck des Zeitgeist ist, wurde die Rockmusik, als sie entstand, von den älteren Generationen verabscheut und als „Bedrohung für das Abendland“ angesehen: Diese Musik entsprach dem Lebensgefühl der damaligen jungen Generation, es roch nach Revolte, nach Schweiß, nach Ausbruch, nach Wildheit und Erotik – anders formuliert: Ja, das Abendland sollte tatsächlich – zumindest ein Bisschen – ins Wanken geraten und zum Einsturz gebracht werden. Helene Fischer schwitzt nicht, sie versprüht auch weder Wildheit noch Ekstase oder gar Revolte und Erotik. Ihre „Personality“ ist so perfekt stilisiert, dass sie keiner Wandlung mehr zu bedürfen scheint. Fischer nimmt der Musik, die sie singt, ihre eigentliche Bedeutung – und dies gerade dadurch, dass sie Musik eben nur als Aneinanderreihung von Tönen betrachtet und nicht als Ausdruck von unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen, man könnte auch sagen: „Parallelgesellschaften“. Fischer verhilft diesen Kulturen nicht zu ihrem Recht, sondern sie entkernt sie, verwischt alle Unterschiede und reduziert sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner singbarer Seichtheit. (…) Helene Fischer ist eine außergewöhnlich gute Sängerin, und es ist in einer freien Gesellschaft ebenfalls statthaft, mit Florian Silbereisen liiert zu sein. Dass Fischer extrem erfolgreich ist, taugt ebenfalls nicht zur Angriffsfläche, vorausgesetzt, man möchte sich nicht einfach nur auf billige Kommerzkritik beschränken. Fischer trifft wie kaum jemand sonst den Nerv der Zeit. Sie weiß, dass ihr Erfolgsrezept funktioniert: Sie muss einfach nur Helene Fischer bleiben und singen, was man ihr vorschlägt. (…) Dass sie dafür als vielseitig und multikulturell und integrativ gelobt wird, liegt am heutigen Zeitgeist: Wir leben nicht in einer Epoche, die sich durch knallharte und trennscharfe Positionen, Identitäten und Kulturen auszeichnet. Standpunkte werden nicht mehr bis ins Kleinste ausdiskutiert und auseinander dividiert, man bleibt eher pauschal und an der Oberfläche, aber dadurch auch wenig profiliert und überzeugend. Anstatt Unterschiede zu definieren und zu erklären, ist es zeitgemäßer, grundlegende Gemeinsamkeiten herauszustellen, die jedem Individuum eine begrenzte Freiheit der Selbstgestaltung ermöglichen, aber freilich, ohne ernsthaft aus dem Rahmen zu fallen. (…) Im gesellschaftlichen Stillstand und angesichts des Fehlens eindeutiger Polaritäten differenzieren sich Stile nicht mehr wirklich aus, sondern tendieren eher dazu zu verschwimmen. Das gilt für die kulturelle Welt in ähnlicher Weise wie für die politische Welt. Während Angela Merkel der Inbegriff der konfliktscheuen Konsenspolitik ist, verkörpert Helene Fischer das Kollabieren von einstigen kulturellen Identitäten im stehenden Gewässer moderner Stagnation. Es gibt also gute Gründe dafür, das Helene-Fischer-Phänomen nicht zu mögen. Die Sängerin ist das Aushängeschild einer bedauerlichen inhaltlichen wie kulturellen Verengung, die entsteht, wenn vormals Gegensätzliches und Auseinanderstrebendes die eigene Dynamik verliert, sich nach innen kehrt, aufeinander fällt und somit Unterschiede und Abweichungen zu Nebensächlichkeiten und Plattitüden zerquetscht. Kaum eine deutsche Künstlerin symbolisiert diese Entwicklung so perfekt wie Helene Fischer – verantwortlich für den Kollaps der Stile ist sie indes nicht. Sie singt es nur.

Auszüge aus einem, wie ich finde, sensationellen Aufsatz von Matthias Heitmann, auf den ich, gottlob, durch Axel Hegmanns Facebookhinweis gestoßen bin und den ich wärmstens weiterempfehlen möchte. Matthias Heitmann, Das Phänomen Helene Fischer und was es mit Angela Merkel zu tun hat, in: zeitgeisterjagd.de

Helene-Fischer-Quote

Heute mag das ja noch gehen, an Veilchendienstag. Den Kopf mit einer ungeheuren Narretei aus der Deckung zu heben.  Wie die Pappnasen der Jungen Union in Mecklenburg-Vorpommern, bekanntlich eine der Hochburgen närrischen Treibens und jecker Ausgelassenheit. Die bis zur Kenntlichkeit verkleideten Nachwuchsnarren fordern mehr deutsche Musik im Radio. Muhahaha. Durch Helene Fischer, ja, der Brüller, durch Helene Fischer habe der Schlager ein frisches Image gewonnen. Und die Landesregierung solle beim öffentlich-rechtlichen Radio und später bundesweit mehr solche Schlager durchsetzen. Hihi. Dieses ungeheuer wichtige und brisante politische Thema brennt den jungen Narren regelrecht auf den Fingern. Dafür riskieren sie sogar, als schlechter Karnevalsscherz selbst bei Gleichaltrigen wahrgenommen zu werden. Tätä, Tätä, Tätä. Klatschmarsch. Und Abgang.