Monat: März 2016

Die gute, alte Wampe

Es ist schon merkwürdig. Profis dürfen heute völlig überteuerte Shirts talentfreier Designer tragen, mit Führerscheinen aus Kartoffeldruck herumdüsen und sich die Arme großflächig mit Fantasy-Motiven tätowieren, für die man sogar in ostdeutschen Freibädern hämisch ausgelacht würde. Aber schon ein unschuldiger kleiner Ranzen, angefuttert über die Festtage, gilt als Kapitalverbrechen und lässt Mark Verstegen in den USA hektisch die Koffer packen.

Philipp Köster, Ein Plädoyer für die gute, alte Wampe. Übergewicht im Mittelfeld, in: 11 Freunde. Magazin für Fußballkultur, Heft Einhundertzweiundsiebzig vom März Zweitausendsechzehn

Carolin Emcke: Angst und Zorn

Zur Angst gesellt sich bald der Zorn. Aber das macht es nicht besser. Zorn auf die salafistischen Ideologen, die diese Erzählung aus Tod und Zerstörung so metaphysisch überhöht haben, dass junge Menschen an sie glauben (oder glauben wollen), auf die dschihadistischen Rekrutierer, die mit ihren Filmen, ihrer Poesie, ihrer Ansprache, ihrem Geld tatsächlich junge Europäer anlocken und aufs Töten programmieren, Zorn auf diejenigen, die ihnen folgen, die eine freie Gesellschaft offensichtlich überfordert, in der sie selbst darüber nachdenken müssen, wie sie leben wollen, die eine machistische Ordnung der Gewalt für einen Ausweg aus ihrem trostlosen und anscheinend sexfreien Leben halten, überhaupt: Zorn auf dieses ekelerregende Phantasma der wartenden Jungfrauen als Belohnung fürs Morden (als sei eine Frau ein militärischer Orden, der ans Revers geheftet wird), Zorn auch auf die hofierten Höfe in Saudi-Arabien oder Katar, die zugelassen haben, was sich nun weltweit entlädt, Zorn schließlich auch auf den Beitrag, den unsere eigenen Gesellschaften dazu geleistet haben, dass es im Leben dieser Menschen ein soziales Vakuum gibt, in das sich die Ideologen einnisten können. Aber im Zorn wie in der Angst erfüllt sich nur die Absicht des Terrors. Und wer will schon zu dem deformiert werden, was Terroristen wollen, das man sei? Zorn wie Angst beschädigen jeden. Sie rauben einem die Mündigkeit, frei zu denken und zu leben. Im Zorn wie in der Angst werden wir den Terroristen nur ähnlicher. Zorn wie Angst unterwandern unser Vertrauen in andere, ohne das eine Gesellschaft nicht existieren kann. Es lässt sich nicht leben in einer Welt, in der permanent misstraut wird, in der permanent damit gerechnet wird, belogen oder verletzt zu werden. “Wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass der andere einen nicht umbringt”, schrieb der britische Philosoph Bernard Williams in “Wahrheit und Wahrhaftigkeit”, “kann man sich erst recht nicht darauf verlassen, dass er sein Wort hält.” Vielleicht ist es das, was ich mir am wenigsten nehmen lassen will: das Vertrauen in andere. Die grundsätzliche Unterstellung, dass mich der oder die andere nicht verachtet, nicht missbraucht, nicht verletzt. (…) Die historische Erfahrung des Terrors lehrt, dass die Gewalt erst dann nachlässt, wenn es keine Claqueure mehr gibt, wenn das geifernde, applaudierende Publikum verstummt. Erst wenn es keine Anerkennung mehr gibt für die Gewalt, keinen obszönen Ruhm, wenn der Terror nicht mehr als Eintrittskarte zu einer Gemeinschaft funktioniert, wird der Sog nachlassen. Erst wenn die Sympathisanten der Gewalt ihren Zuspruch verweigern, verliert sie auch ihre symbolische Macht. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die von Muslimen nichts anderes als Terror erwarten, sich befragen, wozu ihr Generalverdacht führt. Die Missachtung von Muslimen im Kollektiv fördert eben jene soziale Ausgrenzung, derer sich die Radikalen anschließend bedienen. Insofern wird es auch darauf ankommen, ob wir in Europa es schaffen, die attraktivere Erzählung, die inklusivere Gemeinschaft, die sinnvollere Utopie, das gerechtere, gute Leben anzubieten. Wem sein eigenes Leben wertvoll ist, der wird es nicht mordend wegwerfen wollen.

Carolin Emcke, Kolumne: Angst, in: Süddeutsche Zeitung vom sechsundzwanzigsten März Zweitausendsechzehn

Wahnsinn gegen Würde

Die Attentate von Brüssel gehen auf das Konto von belgischen Staatsangehörigen. Und die polnische Regierung will wegen der Attentate von Brüssel gegen alle Vereinbarungen keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Europa steht Kopf. Nein. Die Scharfmacher stellen jede Logik auf den Kopf. Um Ängste zu schüren. Paranoia. Wie ekelhaft. Europa muß seinen Anstand wieder finden, seine Würde, seine Menschlichkeit.

Furcht und Angst

Furcht empfinden wir vor einer akuten Bedrohung, vor etwas, was da ist. Angst empfinden wir vor einer möglichen Bedrohung, vor etwas, was nicht da ist, aber da sein könnte. Furcht bezieht sich auf ein reales Objekt. Angst ist ein unbestimmter, deswegen nicht weniger realer psychischer Zustand; sozusagen eine Erregtheit auf der Suche nach ihrem Erreger. (…)
Angst macht bekanntlich unfrei. Sie richtet uns ab zu kollektiver Zwangswahrnehmung. Zum Wir-ihr-Denken. Zu einer Mobifizierung der Politik. Das wissen auch die, die uns Angst einreden wollen. Ihre narrative Wühlarbeit zersetzt die Res publica wie die Terrorattacken. Vermutlich sogar wirksamer. Wenn das Mögliche ungeheuer ist, könnte es also von Vorteil sein, dass wir das Sensorium für das Wirkliche nicht verlieren. Und das heisst unter anderem, dass wir den wieseligen Angstkonditionierern in Politik und Medien genauer aufs Maul schauen müssen.

 

Eduard Kaeser, geboren 1948 in Bern, ist Physiker und promovierter Philosoph. Er ist als Lehrer, freier Publizist und Jazzmusiker tätig. In der Neuen Zürcher Zeitung von heute hat er diesen Beitrag unter dem Titel: Zur Angst abgerichtet veröffentlicht.

Rehse: Merkel schuld an Toten und Verletzten in Brüssel

Wie kann man eine solche Formulierung verstehen? “Ich frage mich, wann jemand den Mut aufbringt, dieses oder jenes zu machen?” Doch wohl nur so, dass man selbst unbedingt der Meinung ist, dass dieses oder jenes auf jeden Fall gemacht werden müsse. Wer so schreibt, der will, das jemand das macht, was man sich wünscht und für richtig hält. IMG_1215Diesen Kommentar hat Henning Rehse heute auf einer seiner Facebookseiten eingestellt. Henning Rehse ist mithin der Meinung, dass sich die Bundeskanzlerin der Beihilfe zu Tötungsdelikten schuldig gemacht habe. Nein, tun wir das nicht ab als irgendwie bekloppte Meinung eines orientierungslosen lokalen Politikers, eines unbedeutenden Ahnungslosen, eines verirrten Rechtsradikalen. Ich finde, es wäre hohe Zeit für die Parteigenossen des Herrn Rehse, sich einmal deutlich zu positionieren. Ist die Bundeskanzlerin mitschuldig an den Toten und Verletzten von Brüssel? Ich warte auf die Antworten der Wartmanns, Kellners, Paas‘, der Opitz’, Bornholds, Kinds, der Seidels oder Bernhards. Wenigstens einer oder eine, bitte.

“Vielen Dank”

Heute, eben gefunden, auf Facebook. Von Justus Westheimer, von dem ich nichts weiß …

Es gab eine Zeit vor dem 11. September, da haben Terroranschläge in erster Linie Trauer, Mitgefühl und Fassungslosigkeit ausgelöst. Für einen Augenblick schien die Welt still zu stehen. Heute ist das anders. Leise und zur Besonnenheit mahnende Töne finden sich selten. Die Großmäuler, die auf den Gräbern der Opfer Niveaulimbo tanzen, die den Attentätern durch ihre Reaktion zu einer Macht verhelfen die sie nicht haben-nicht haben dürfen-, die selbstgefällig eine ganze Religionsgemeinschaft in Sippenhaft nehmen und kriminalisieren und damit für stetigen Nachschub bei den extremistischen Kräften sorgen, haben Hochkonjunktur. „In der Krise zeigt sich der Charakter“ (Helmut Schmidt)

Die größten Kränze für die Opfer der Anschläge in Brüssel werden von Marine Le Pen, Victor Orban, Beata Szydło und Beatrix von Storch niedergelegt werden. Wenn sie noch etwas Anstand im Leib haben, verkneifen sie sich “Vielen Dank” als Aufschrift auf den Trauerschleifen.

Lengsfeld’sche Cerebralphimose

Vera Lengsfeld heute auf Twitter: “Gelobt sei Angela Merkel, die Warmherzige, die Vorausschauende. Sie hat alles dafür getan, dass der Terror in Europa Fuß fassen kann und seine Söhne hier die eigene Zukunft von einer gestörten Welt verwirklichen können.” Und weiter: “Lasst uns Angela Merkel feiern, sie hat es geschafft!”  Lengsfeld saß von Neunzehnhundertneunzig bis Zweitausendundfünf als Abgeordnete im Bundestag. Bis Neunzehnhundertsechsundneunzig für die Grünen, danach für die CDU. Es ist ja nicht so, daß es mir Mühe machte, die Dummheit mancher Schranzen zu begreifen, die nicht verkraften können, daß sie kaum mehr eine öffentliche Zukunft haben. Was ich kaum ertragen kann, ist die ungeheure Anstandslosigkeit, mit der sich Menschen öffentlich äußern. Wer so am Tage der Toten von Brüssel formuliert, hat wahrlich keinen Funken Anstand im Leib.

 

Jupp

Josefstag ist heute. Ja, der Josef wird heute gefeiert. Der Bräutigam der Gottesmutter. In Bayern heißt der Tag Josefi, in der Schweiz Seppitag und in Österreich wird er mitunter Josephinentag genannt. Josef gilt wegen seines Berufes als Zimmermann als Patron der Arbeiter und Handwerker, vor allem, klar, der Zimmerleute und Schreiner. Und, natürlich, auch als Saint-Joseph-Atzwang-detailSchutzpatron der jungfräulichen Menschen und der Ehe. In der katholischen Kirche begeht man als Replik auf die Arbeiterbewegung am Ersten Mai das Fest Josef der Arbeiter, mit dem der heilige Josef geehrt und die Würde der menschlichen Arbeit verdeutlicht werden soll. Der Josefstag lebt auch in Bauernregeln fort, von denen eine lautet: „Ein schöner Josefstag ein gutes Jahr verheißen mag.“ Tja. Was immer das heute bedeuten mag, hier jedenfalls, in diesen Breiten. Wir halten uns besser an eine andere Regel, selbst wenn sie holpert, daß es kracht: „Wenn’s erst einmal Josefi ist, so endet auch der Winter gewiss.“

Statue des heiligen Josef in der St.-Josefs-Kirche in Atzwang, Tirol, 
© Wolfgang Moroder