Monat: Juni 2022

Obszön 

Jürgen Hobrecht schrieb heute in Facebook, daß er im Jahr Zweitausendundachtzehn „von den Stones im Olympiastadion so begeistert war“, daß er mit dem Waldbühnen-Auftritt am dritten August geliebäugelt habe. Die Tickets aber, die zur Verfügung stehen, kosten zwischen dreihundertsiebenundachtzig und zweitausendsiebenhundertsiebenunddreißig Euro. „Finde ich obszön, gerade in diesen Zeiten. Ohne mich!“ Recht so, Jürgen Hobrecht. Obszön.

“Moralophobia”

Das „Altpapier“ des MDR trägt heute den Titel „Mehr Moral wagen“. Altpapier ist der täglich erscheinende medienkritische Newsletter des Senders. Nebst anderem geht es dem Autor René Martens um das Buch von Jörg-Uwe AlbigMoralophobia“. Ein Ausschnitt aus dem Interview des Spiegel mit Albig:

„Ich habe plötzlich lauter Feuilleton-Beiträge gelesen gegen die ‘Moralisierung der Politik’, gegen die ‘Moralkeule’, die ‘Moral-Eliten’, gegen ‘Moralismus’ oder ganz altmodisch gegen ‘Gutmenschen’. Ich habe entsprechende Breitseiten von Politikern gehört – aus dem ganzen Spektrum: die AfD sowieso mit ihren Plakaten gegen die ‘Moraldiktatur’, aber auch von Leuten wie Wagenknecht oder Spahn, von Lindner, Thierse oder Kretschmann (…) Das hat mich erstaunt, weil ich Moral als etwas grundsätzlich Positives abgespeichert hatte.”

(…)

“Gibt es nicht auch ein Zuviel an Moral? Wenn etwa eine Musikerin von ‘Fridays For Future’ ausgeladen wird, weil sie Dreadlocks trägt? Es gab eine Zeit, da war Frisurkritik doch ein beliebtes Spiel reaktionärer Kräfte”, sagt Frank (Spiegel, W:H.). Woraufhin Albig entgegnet:

“Damals ging es aber nicht um Moral. Da hieß es: ‘Lange Haare sind weibisch’ oder ‘Was sollen die Nachbarn denken?’. Die Ausladung dieser Musikerin folgte aber dem moralischen Argument, dass man niemanden verletzen soll – in diesem Fall marginalisierte Menschen, die Dreadlocks tragen, um sich gegen ihre Unterdrückung symbolisch zur Wehr zu setzen.”
Auf die Frage des Interviewers, ob hier “nicht eine Freiheit, für die die Achtundsechziger gekämpft haben, in ihr Gegenteil” kippe, sagt Albig:
“1968 ging es um persönliche Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung, die Verfügung über den eigenen Körper und das eigene Leben. Das ging nur die Individuen selbst etwas an. Wenn aber heutige Moralfeinde gegen Tempolimits kämpfen, für das Recht, ungebeten Frauen anzugrapschen oder Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken zu lassen, geht es um das Leben anderer Leute, dessen Beschädigung sie dabei in Kauf nehmen.”

(…)

“Jeder Fortschritt hat seine Maschinenstürmer – zornige Beharrer wie die englischen ‘Ludditen’, von der Industrialisierung überrollte Handwerker, die im 18. und 19. Jahrhundert in gerechtem Zorn Wollschermaschinen, Strumpfwirkstühle und mechanische Sägemühlen zertrümmerten. Die Anti-Moralisten sind so etwas wie die Ludditen des Zivilisationsprozesses – immer in Gefahr, mitsamt dem verhassten Spinnapparat das ganze Stadtviertel abzufackeln. Der Prozess der Zivilisation kennt viele solcher Trotzigen, Überforderten, Zurückgelassenen, die sich mit raptoreskem Furor ihrer eigenen Überholtheit entgegenstemmen.”

Rüdiger wird mir fehlen

Rüdiger ist tot. Rüdiger Bornhold. Gestern starb der langjährige Stadtverordnete der CDU, später dann der WNK im Alter von einundachtzig Jahren. Ich habe ihn indes eher als großen Koch und Erzähler kennen und schätzen gelernt, als geselligen Weinfreund, als herzlichen Gastgeber. Legendär die Abende in seinem nie fertig gestellten Häuschen draußen in Bremen. Rüdiger und Bettina abwechselnd am Backofen in der kleinen, kleinsten Küche, immer wieder für Nachschub mit Wein sorgend, so daß der Gastmannschaft im Wohnzimmerchen, eng an eng, in laute, oft lustige Gespräche verwickelt, die Themen nicht ausgingen, bis die Hauptsache des Abends, das Wildschwein meist, lange genug im Ofen gesteckt hatte, so daß Rüdiger die Sau anschneiden und verteilen konnte.
Was immer die beiden, Rüdiger und Bettina in der Küche angestellt hatten, es war immer saulecker. Im Wortsinn: saulecker. Samt der süßen Nachspeisen. Danach gab’s Wein. Bis zum Abwinken. Und zu jedem Tropfen erhellende Bemerkungen und Einordnungen von Maître Rüdiger. Und zu später Stunde dann oft Joseph Roth, aus dem Kopf rezitiert, lange Texte, meist saukomisch. Rüdiger war ein Meister der Unterhaltung. Und ein Meister der Freundschaft. Trotz aller Unterschiede in den politischen Auffassungen, waren wir doch nahe. Rüdiger war ein im besten Sinne bürgerlicher Mann. Gebildet, belesen, gesellig, auf Menschen aus, auf Begegnung und Austausch, neugierig. Es war kein Populist, kein Eiferer, kein Missionar. Rüdiger war ein guter Mensch. Er wird mir fehlen. Sehr.

Marriage

Marriage is a Fifty-year conversation. Marry someone you want to talk with for the rest of your life.

Nils Minkmar, Newsletter „Der siebte Tag“: “Ähnlich amüsant sind die Life Hacks, die David Brooks von der New York Times sammelt – (auch wenn ich bei einigen widersprechen möchte)”