Monat: November 2017

Falsch regieren

Falsch regieren? Kann mir jemand erklären, was man wirklich unter diesem von Christian Lindner in die Welt der politischen Sprache eingebrachten Wort verstehen könnte? Hat die FDP richtig regiert, bevor die Wähler sie aus dem Bundestag abgewählt haben vor vier Jahren? Hat Christian Lindner gestern Nacht darauf richtig reagiert oder falsch?

FDPBDEW

Bei den Sondierungsgesprächen über die Bildung einer neuen Bundesregierung sitzen auch die Energiekonzerne mit am Tisch. Die FDP nämlich hat den Geschäftsführer des BDEW, des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.(BDEW) in Berlin, den Lobbyverband der deutschen Energiewirtschaft in die Sondierungen geschickt. Der BDEW vertritt u.a. Konzerne wie RWE und ExxonMobile und hat sich vor kurzem gegen den Kohleausstieg ausgesprochen.

Vier Meldungen eines einzigen Tages

In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden 211 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte verübt, berichtet die “Neue Osnabrücker Zeitung” unter Berufung auf eine Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA).

Seit 2011 hat sich die Zahl der gemeldeten Wohnungslosen in Nordrhein-Westfalen um fast 60 Prozent auf über 25 000 erhöht. Das geht aus einem Bericht von NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) an den Düsseldorfer Landtag hervor.

Ein Datenleck bringt Politiker, Superreiche und Konzerne in Erklärungsnot. Die „Paradise Papers“ zeigen, wie superreiche Menschen und Unternehmen weltweit Steueroasen nutzen und ihre Steuerzahlungen minimieren. Legal, aber keineswegs legitim.

In einer Kirche in einem texanischen Nest bringt ein Amerikaner 26 Kirchgänger um und verletzt viele andere schwer.

Kann man den Zustand unserer Gesellschaft eigentlich deutlicher zeichnen als mit diesen vier Meldungen?

Paradiesisch

Paradise Papers heißt der Datenschatz, den ein weltweites Investigativteam ausgewertet hat. Ein Glück, dass es solchen Journalismus gibt. Hier wird die Welt der Reichen enthüllt, in der die Menschen zwar arm sind an Moral, Solidarität und Pflichtgefühl – dafür aber ganz viel Geld und Macht besitzen. Im Vergleich zu dieser Welt ist das Leben der anderen, die sich mit Staat und Steuern herumschlagen, tatsächlich die Hölle. Es gibt noch etwas, das im Paradies fehlt: das schlechte Gewissen. Denn wer reich ist und nicht teilen will, der muss gar keine Gesetze brechen. Die Gesetze sind ja für ihn gemacht. Noch ist es nicht ganz sicher, aber am Ende könnte es sein, dass illegal an den Paradise Papers vor allem ihre Beschaffung ist.

Die Zahlen sind einschüchternd: 13,4 Millionen Dokumente, auf denen beinahe 400 Journalisten monatelang herumgekaut haben, bis die Auswertungen der Paradise Papers reif für eine Veröffentlichung waren. Die Quelle wird nicht genannt, Datendiebstahl, Whistleblower, Cyberangriff? 120 Politiker tauchen darin auf, 50 Länder, deutsche Firmen wie Siemens und Allianz, Kabinettsmitglieder von Donald Trump, Superreiche wie der greise Glücksspielbaron Paul Gauselmann oder die bei Steuerfahndern schon vorher einschlägig bekannte Familie Engelhorn.

Wenn hier Namen auftauchen, bedeutet das nicht zwingend, dass damit auch rechtlich oder moralisch Verwerfliches verbunden ist. Die Materie ist kompliziert. Der Sachverhalt einfach: Wie spart man Steuern. Nur darum geht es. Offshorefonds und Briefkastenfirmen, Trusts und Stiftungen – es dient alles vor allem einem Ziel: den Staat nicht an den eigenen Gewinnen teilhaben zu lassen.

Und das Schönste – jedenfalls aus der Sicht der Reichen: Sehr viele dieser Praktiken sind vollkommen legal. Darauf beharrt auch die auf den Bermudas gegründete Anwaltskanzlei Appleby, über die viele der infrage stehenden Geschäfte ablaufen: alles legal. Kein Wunder. Hier ist nämlich kein Gesetzesbruch der Skandal – sondern das Gesetz.

Jakob Augstein, Paradise Papers. Zur Hölle mit den Reichen, in: Spiegel Online