Kultur ist die Intelligenz des Landes.
Lars Eidinger, in: Interview in Kulturzeit, 3Sat, Dienstag, dritter Dezember Zweitausendvierundzwanzig
Vollkommen Subjektives von Wolfgang Horn
Als Außerirdischer bräuchte man keinen Fernseher, man könnte 24 Stunden die Erdenbewohner*innen beobachten und würde sich gut amüsieren. Spannend ist die Folge 12 567 »Dubai-Schokolade«. Während in Europa eine heftige Inflation tobt und ein Stück Butter 4 Euro kostet, stehen Hunderte Menschen Schlange, um Schokolade zu ergattern, die, wenn man sie auseinanderbricht, von innen aussieht wie ein Amalgam aus Durchfall und Nasennebenhöhlenentzündung. Die »Dubai-Schokolade« kostet 15 Euro, auf Kleinanzeigenportalen 20 Euro. Sie ist bestimmt lecker; so viele Menschen können nicht irren. Die Folge geht mit dem Cliffhanger zu Ende, dass der Trend abrupt abbrach, als ein gewisser Markus Söder ein Foto von sich mit der Schokolade im Mund postete. In der nächsten Folge: Was passiert mit Friedrich Merz, den Söder auf allen Kanälen als besten deutschen Kanzler empfiehlt.
Christin Odoj, Unten Links, in: Newsletter nd-Kompakt vom sechsundzwanzigsten November Zweitausendvierundzwanzig
Im Gespräch mit den Korrespondentinnen und Korrespondenten fällt heute besonders stark eine Moderationstechnik auf, die Lanz in den vorangegangenen 1999 Sendungen perfektioniert hat: der treibende Brummlaut.
Spricht die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner, macht Lanz im Schnitt alle zehn Sekunden motivierend „Mmh“ oder „Mhm“. Allein in dieser zweitausendsten Sendung bringt Lanz es auf sage und schreibe (der Zuschauer hat Strichliste geführt) 303 treibende Brummlaute. Hochgerechnet auf alle Sendungen sind das unglaubliche 600 000 zustimmende Brummlaute, die den Redeflow des Gegenübers im Gang gehalten, das konzentrierte Zuhören des Moderators unterstrichen, den Zuschauer in den Wahnsinn getrieben haben. Aber nicht so sehr, dass er abschalten würde, weil diese Eigenart mindestens so sympathisch wie nervig ist.
„Mhm.“ – „Ja.“ – „Interessant.“ – „So.“ – „Ja.“ – „Das ist genau mein Punkt!“ – „Genau.“
Hören wir mal rein in den unvergleichlichen Lanz-zuhör-Sound. Eine Collage des Abends, ein Destillat des anfeuernden Ganz-Ohr-Seins, angereichert mit den ebenfalls stilbildenden Einzelwortwiederholungen und Nebenbei-Einwürfen des am äußersten Sesselrand sein Kinn befühlenden Moderators.
„Mhm.“ – „Ja.“ – „Interessant.“ – „So.“ – „Ja.“ – „Das ist genau mein Punkt!“ – „Genau.“ – „Mit der Bitte um kurze Antwort.“ – „Mhm!“ – „Mmh.“ – „Mhm.“ – „Ja.“ – räuspert sich – „Hm-hm-hmm!“ – „4000 Kilometer, glaube ich.“ – „Mmh.“ – „Mhm.“ – „Ja!“ – „Halbleiter.“ – „Den gibt es nicht! Ja! Ja!“ – „Mhm.“ – „Mh.“ – „Äquidistanz.“ – „So!“ – „Amerika.“ – „Brasilien.“ – „Der sogenannte globale Süden.“ – „Mmh.“ – „In der Tat.“ – „Schönen guten Abend nach Nairobi. Was ist der Grund des Erfolgs der Chinesen in Afrika?“ – „Mhm. – „Mhmhm.“ – „Okay!“ – „Hahaha!“ – „Mmh.“ – „Was geht da vor sich?“ – „Mmh.“ – „Die chinesische App Tiktok.“ – „Was heißt das genau?“
Bernhard Heckler, Der Talk-Monolith. 2000. Sendung Markus Lanz, in: Süddeutsche Zeitung vom vierundzwanzigsten Oktober Zweitausendvierundzwanzig
Ein Pro und Contra ist in der Süddeutschen Zeitung von Samstag zu lesen. Ist der Job des Politikers überhaupt noch zu bewältigen? Anlass sind die Rücktritte von Kevin Kühnert vom Amt des SPD-Generalsekretärs und Ricarda Lang von dem der Sprecherin des Vorstandes von Bündnis 90/ Die Grünen.
Vivienne Timmler übernimmt das Pro. Der Job der Politikers sei hart – und doch ein Privileg. In keinem anderen Beruf wäre es möglich, die Zukunft des Landes in diesem Maße mitzugestalten, sich für die eigenen Werte und Überzeugungen so effektiv einzusetzen. Das Parlament, und man mag hinzufügen, das Land und seine Bürgerinnen ebenfalls, brauchen Politiker, „die menschlich, nahbar und glaubwürdig sind, mehr denn je. Leute, die sich trauen, Fehler zu machen, Schwächen zuzugeben und nicht für alles sofort die beste Lösung parat zu haben. Es wäre die richtige Antwort auf den Vertrauensverlust in politische Institutionen und die Entfremdung, die zwischen der Politik und den Wählern stattgefunden hat.
Was es dafür jedoch auch benötigt: Parteien, in denen die von der Mehrheit abweichende Meinung wieder als Gewinn gesehen wird. Politische Umfelder, die all jene, die im Feuer stehen, besser schützen, teils auch vor sich selbst. Demokratische Wettbewerber, die aufhören, Hass-Narrative noch zu befeuern. Und nicht zuletzt eine Gesellschaft, die es wieder lernt, den Menschen hinter dem Politiker zu sehen. Denn am Ende macht dieser Mensch den Job nicht für sich selbst. Sondern für das Volk.“
Constanze von Bullion bezeichnet in ihrem Contra-Kommentar die Politik als „Lebendfalle“. Natürlich seien Politiker privilegiert. Jede Spitzenposition fordere ihren Tribut, in der Politik wie in Wirtschaft oder Gesellschaft. „Die politische Bühne allerdings ist von besonderer Erbarmungslosigkeit.“
„Unzumutbar ist die Gehässigkeit, mit der in sozialen Medien jeder noch so kleine Versprecher, jeder Stolperer in einer Talkshow und jede spontane, unfrisierte Formulierung aufgespießt wird, bevor das digitale Anspucken folgt – bei Ricarda Lang reichte schon die nicht normgerechte Figur, um einer beispiellosen Hatz ausgesetzt zu sein, über Jahre.“
„Wer hat noch Lust auf solche Jobs? Wer steht sie durch? Und wer würde tauschen? So gut wie keiner dieser Schreihälse, die täglich Häme über Politiker ausschütten. (…) Der Hohn über den Elfenbeinturm, in dem die politische Kaste es sich gemütlich gemacht hat auf Steuerzahlers Kosten, bevor sie sich abends durch die Talkshows schwatzt, ist wohlfeil. Das Gegenteil ist der Fall. Politik ist ein so hartes Geschäft, dass Leute, die man dort besonders dringend bräuchte, es als Berufsfeld oft gar nicht erst in Betracht ziehen.
In Parlamenten fehlen Nicht-Studierte in großer Zahl, Frauen sowieso, aber auch Menschen, die etwas anderes beherrschen als Jura, also die Kunst rechtlicher Akkuratesse. Politik wirkt abschreckend auf Nachdenkliche und Kreative, die sich nicht ins Korsett normierten Sprechens und Denkens fügen. (…) Es ist also kein Zufall, dass sich mit Ricarda Lang und Kevin Kühnert ausgerechnet zwei der vielversprechenden, weil unkonventionellen Persönlichkeiten aus der ersten Reihe verabschieden. Sie kann zur persönlichen Hölle werden, gerade für Menschen, die zu eigenem Gedankengut neigen.”
«Jeder ist jemand.»
Ein Satz, ein Sätzchen des Schriftstellers George Tabori, dem eine Wucht innewohnt, eine Kraft, die ganze Menschlichkeit. Wir alle sind Menschen, jemand, gleich, was wir fühlen, glauben, denken, gleich, wie wir aussehen, was wir können oder nicht können. Jemand. Jemand gehört zu uns, ist Teil von uns. Er mag fremd sein, aber er ist zugehörig. Teil des WIR.
„Bring Butter mit, wenn sie unter Eins Neununundsiebzig kostet.“ Laut schallte vor vielen Jahren, Jahrzehnten die Stimme der Gattin eines Kollegen durchs große Büro im Institut, in dem ich knapp zehn Jahre lang arbeiten durfte, so daß alle vom familiären Arbeitsauftrag erfuhren und der Präzision der entscheidenden Bedingung für den Arbeitseinsatz: Einsneununundsiebzig. Mark. D-Mark. Heute wären das Nullkommazweiundneunzig Euro. Für den immer noch handelsüblichen Zweihundertfünfzig-Gramm-Riegel. Seit ein paar Tagen, so ist zu lesen, hat Butter einen Rekordpreis erreicht: zwei Euro neununddreißig. Gut zweieinhalb mal so teuer wie in den glücklichen Tagen seinerzeit, als Ehemänner mit erfüllbaren Arbeitsaufträgen in die Welt der Supermärkte und Tante-Emma-Läden entlassen wurden.
Zwei Euro neununddreißig. „Das ist der höchste Preis, den es in Deutschland jemals gegeben hat“, sagte die Bereichsleiterin Milchwirtschaft der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) in Bonn, Kerstin Keunecke.
Butter kostet damit zehn Cent mehr als im Sommer Zweiundzwanzig, als der bisherige Höchstwert erreicht worden war. Marken wie Kerrygold, Meggle oder Weihenstephan liegen inzwischen bei dreuneununddreißig bis dreineunundvierzig Euro pro zweihundertfünfzig Gramm.
Bedingt durch Ukrainekrieg und Energiekrise war Butter bereits im Laufe des Jahres 2022 immer teurer geworden. Der Preis für ein Päckchen der Eigenmarken stieg auf das Allzeithoch von 2,29 Euro, im Sommer 2023 fiel er auf 1,39 Euro. Anschließend ging er erneut in die Höhe. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zahlten Verbraucher im August 2024 für Butter 41 Prozent mehr als 2020.
»Wagenknecht und Höcke sind das politische Brautpaar der Stunde. Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus.
[…] Die blaue AfD und die falschen Roten von Wagenknecht stehen beide aufseiten von Putin in diesem blutigen Ukrainekrieg. Echte Braune und falsche Rote verachten die Regenbogenfarben der Demokratie.
[…] Sahra Wagenknecht ist der anachronistische Kopf einer Personenkult-Partei. Das ist die typische Bauweise totalitärer Parteiapparate.
[…] Es wird nie eine fruchtbare Liaison geben zwischen irgendeiner Diktatur und einer Demokratie. Sie können von mir aus kulinarisch Senf mit Marmelade mischen. Aber nicht Scheiße mit Brot.«
https://www.zeit.de/kultur/2024–08/wolf-biermann-ostdeutschland-sahra-Wagenknecht-afd-Interview