Monat: September 2015

Konnotationen eines Plakattextes

Fast alle Menschen wissen, daß man mit vermeintlich positiven Formulierungen etwas Negatives über Menschen ausdrücken kann. Er hat sich stets bemüht. Sich Mühe geben, sich anstrengen, das scheint positiv zu sein. Steht ein solcher Satz jedoch in einem Arbeitgeberzeugnis, sollten alle Alarmlampen leuchten, weil nicht mehr gesagt wird, als daß der betreffende Mensch es nicht gebracht hat. Trotz allen Bemühens war er nicht in der Lage, die gesetzten Ziele zu erreichen. Nicht ausreichend war seine Leistung, mangelhaft. Dieser Gedanke an die Doppelbödigkeit von Sprache und Texten geht mir nicht aus dem Kopf, solange ich an Plakaten vorbeilaufen muß, auf denen einem Bürgermeisterkandidaten attestiert wird, er sei fleißig, bodenständig und beliebt. Fleißig. Mal ganz ehrlich: Man kann zu so manchem Politiker stehen, wie man will. Den Fleiß wird man indes kaum jemandem absprechen können. Die übergroße Mehrzahl aller Politiker auf allen Ebenen absolviert ein ungeheures Pensum an Arbeit. Fleiß ist nachgerade eine Grundeigenschaft, über die ein Politiker verfügen muß. Ohne Fleiß wird man nicht Politiker. Nirgendwo. Was also muß die Parteifreunde und Unterstützer des Bürgermeisterkandidaten dazu bewogen haben, den Fleiß des Kandidaten noch einmal besonders herauszustellen? Bodenständigkeit. Er ist nicht abgehoben, soll das signalisieren. Er ist kein Überflieger, normal geblieben. Er ist heimisch, verankert. Heißt bodenständig aber nicht auch, daß sein Horizont nicht sehr weit reicht? Nicht weiter, als die Scholle, auf der er lebt? Daß er keine Visionen pflegt, kein Intellektueller ist, nicht kompliziert denkt, einfach ist, simpel, schlicht, also bodenständig? Konnotationen sind die Nebenbedeutungen. Bodenständig meint eben auch: urwüchsig, rustikal, ungeschliffen, ungalant oder dörflich. Um nicht alle Nebenbedeutungen aufzuzeigen, die sich mit nur wenigen Mausklicks im Netz finden lassen. Was nur kann die Freunde des Bürgermeisterkandidaten dazu gebracht haben, die Bodenständigkeit des Kandidaten so zu betonen? Bürgernah. Auch solch ein Wort. Wer würde eigentlich einen bürgerfernen Kandidaten aufstellen und bewerben? Jemanden, der unfreundlich ist, unsympathisch, der Bürger und Wähler abstößt? Ein Politiker, der Bürgermeister werden will, muß auf jeden Fall die Fähigkeit haben, sich auf Menschen zubewegen zu können, mit ihnen ins Gespräch kommen zu können, eine Sprache zu führen, die die Menschen verstehen. Eine Grundvoraussetzung für ein Politikerdasein. Kurzum: Alle Eigenschaften, die auf dem Wahlplakat hervorgehoben werden, sind sozusagen die Mindestausstattung eines Politikers, der als Bürgermeister fungieren möchte. All diese Eigenschaften sind nichts Besonderes, eher das Grundgerüst, über das alle verfügen müssen, die sich Politik auf ihre Fahne geschrieben haben. Man kann dieses Plakat gewiss nicht dem Kandidaten anlasten. Der hat in diesen Tagen weiß Gott genug zu tun. Aber seinen Parteifreunden und Unterstützern muß man attestieren, daß es sich um eine doppelbödige Werbung handelt. Im Umkreis von CDU und WNK muß es doch Menschen geben, die sich ein Gefühl für Sprache und ihre Wirkung bewahrt haben und Kenntnis von Semantik besitzen.

Von Tönen und Musik

Rauer wird der Wahlkampfton in Wermelskirchen, wenn man der Bergischen Morgenpost glauben kann. Zum Beweis führt Udo Teifel eine Äußerung des CDU-Vorsitzenden, Christian Klicki, an, der es “gewöhnungsbedürftig” findet, wenn das Bürgerforum zur Wahl des Sozialdemokraten, Rainer Bleek, als Bürgermeister der Stadt Wermelskirchen aufruft. Und damit hat Christian Klicki vollkommen Recht. Es ist in der Tat gewöhnungsbedürftig, daß neben den oder über die beiden Dezernenten, die das Parteibuch der Christdemokraten in der Tasche haben, ein Bürgermeister die Stadtspitze vervollständigt, der den sozialdemokratischen Parteiausweis sein eigen nennt. Gewöhnungsbedürftig. Aber auch eine kluge Wahlentscheidung. Warum eigentlich soll selbst in einer strukturkonservativen Stadt alles nach der Pfeife einer Partei oder einiger weniger Politstrategen tanzen? Eine Mehrheit im Stadtrat von CDU, WNK samt der einzusammelnden Überläufer aus anderen Parteien und Fraktionen sowie der Rest-AfD braucht ein Gegengewicht. Vor allem dann, wenn der CDU-Bürgermeisterkandidat nicht oder noch nicht über die erforderliche Leitungskompetenz und auch politische Souveränität und Unabhängigkeit verfügt. Mehr ist eigentlich den von Udo Teifel zitierten Äußerungen von Peter Scheben vom Bürgerforum nicht zu entnehmen, der wörtlich den “Nestbau” kritisiert, in dem sich “die Herren Leßenich, Klicki, Dr. Prusa und Graef (alle CDU) und Rehse (WNKUWG) äußerst komfortabel einrichten würden, falls Leßenich zum Bürgermeister gekürt würde”. “Unerfahrenheit gepaart mit einem Schuss Naivität” treffe auf “geschliffene Partner”, was nicht unbedingt zum Wohl der Stadt sei. Wer übernehme eigentlich die Kontrolle, Leßenich oder Klicki? “Was die CDU anstrebt, ist nicht gut für die Stadt und nicht gut für die Demokratie in unserem Stadtrat”. Soweit die Stimme des Bürgerforums. Es geht um eine ausgewogene Verwaltungsspitze der Stadt, um ein Gleichgewicht, eine Balance in der Führung der Verwaltung. Es ist niemals gut, wenn nur eine Partei, nur eine politische Richtung die totale Dominanz ausübt. Durchregieren nennt man das im Politjargon. Das sollte der Wähler unter allen Umständen vermeiden. Hier in Wermelskirchen muß und darf nicht durchregiert werden. Hier muß der Konsens regieren, das gemeinsame Handeln zum Wohle aller Bürger, das Gemeinwohl, das gemeinsame Interesse aller. Insofern ist die Wahl von Rainer Bleek zum Bürgermeister zwar gewöhnungsbedürftig, aber auch die beste Wahl. Und die Entscheidung des Bürgerforums, also einer Abspaltung von der ehemals übermächtigen CDU in Wermelskirchen, zur Unterstützung des SPD-Kandidaten folgt einer strategisch klugen Überlegung. Wer vermeiden will, daß ein relativ unerfahrener junger Bürgermeister Wachs wird in den Händen erfahrener Politstrategen, von “Political Animals”, der kann nur den erfahrenen Rainer Bleek wählen, jemanden, der nicht hin- und herzuschubsen sein wird, jemanden, der keinen Anweisungen folgt, der keinen Wahlsieger oder Vertragspartner bedienen muß. Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird. Der Volksmund ist klug. Noch einmal: “Was die CDU anstrebt, ist nicht gut für die Stadt und nicht gut für die Demokratie in unserem Stadtrat.” Einen derart fulminanten Satz hätte ich, das gestehe ich freimütig, nicht von den Politikern des Bürgerforums erwartet. Kein Wunder also, daß Henning Rehse von der WNK in einer schäumenden Stellungnahme das Bürgerforum mahnend daran erinnert, wie es “entstanden ist und wo Ihr Euren Standort im politischen Spektrum habt”. Eine deutliche Mahnung. Mehr eine Warnung, eine Drohung. Rehse moniert, die aktuelle Position des Bürgerforums habe “mit Verlässlichkeit, Gradlinigkeit und Glaubwürdigkeit nichts zu tun”. Der WNK-Zampano als Zensurenverteiler im vermeintlich bürgerlichen Lager. Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird. Neben dem Bürgerforum verweigern auch die FDP, die Grünen und die Linken dem durchaus sympathischen Kandidaten der CDU ihre Unterstützung. Warum wohl? Weil sich die Erkenntnis mehr und mehr durchsetzt, daß die Über-Macht einer Partei oder einer Gruppierung, schlimmer noch: eines kleinen Zirkels der Macht dem Gemeinwesen nicht gut tut. Kein Wunder, daß heute in einem Facebookkommentar zu lesen ist:  “Klare Parole: Bleek wählen, Rehse verhindern!” Der Wahlkampf-Ton wird nicht rauer. Die Töne werden deutlicher, hörbarer, besser unterscheidbar. Es sind Melodien, die da gespielt werden. Die eine ist ein Marsch, von der Über-Macht, der Kontrolle in der Stadt. Die andere Melodie, eine neue Weise, kündet von Zusammenarbeit, Balance, Einvernehmlichkeit, Konsens.