Monat: Januar 2014

Häuser verstecken

Wie kann man eintausendzweihundertvierzig Immobilien vor der Steuerbehörde verstecken? Eintausendzweihundertvierzig Immobilien, die mehr als zwei Milliarden Euro wert sind. Mehr noch: Wie kann man drei Luxushotels am Fiskus vorbei betreiben? Geht das nur in Italien? Oder ginge das auch hierzulande? Ich kenne nur Leute, die wegen wesentlich weniger Immobilien, unter ihnen kein einziges Luxushotel, Ärger mit dem Finanzamt haben. Ab einer bestimmten Höhe der Steuerschuld scheint es keine Schmerzgrenzen mehr zu geben. Auf Seiten der Steuerhinterzieher wie der der Finanzbeamten.

IMG_0887

Kirchenkino

Kirchenkino, das klingt ein wenig nach Bekehrung und Belehrung, nach Freudlosigkeit, nach illustrierter Bibel. Kirchenkino scheint eher mit Anstrengung und Mühe und Schwere zu tun zu haben als mit Neugier und Lust und Filmleidenschaft. Ein bißchen Gestriges schwingt in dieser Wortkombination mit, etwas Verstaubtes, Überlebtes. Gottlob aber haben wir sowas in der kleinen Stadt, ein Kirchenkino. Ursprünglich, vor zehn, elf Jahren, in der Tat als pädagogisches Projekt für Jugendliche entstanden, ist das Wermelskirchener Kirchenkino schon längst mehr. Ein Treffpunkt für Erwachsene mit Interessen. Ein Fixpunkt für Menschen mit politischem oder sozialem Gewissen. Für solche, denen nicht gleichgültig ist, was um sie herum geschieht. Und dazu muß man kein guter Christ sein. Bekanntlich. Kirchenkino ist zudem eine Chance, die längst verloren geglaubte gemeinschaftliche Rezeption von Medienangeboten wiederzubeleben, jedenfalls in Grenzen, auch eine Gelegenheit, sich mit anderen auszutauschen über das Gesehene. Mitunter ist sogar ein Gespräch möglich mit den Machern und Urhebern der Filme in der Reihe Kirchenkino im Wermelskirchener Film-Eck. Alles  spricht für das Kirchenkino. Und gestern Abend war mal wieder ein solcher Abend. “Auf der Suche nach dem letzten Juden in meiner Familie. Vom Umgang mit Familiengeheimnissen.” Der Titel dieses Films von Peter Haas und Silvia Holzinger und der Anlaß des Holocaust-Gedenktages am siebenundzwanzigsten Januar versprachen schwere Kost, sozusagen die ganze Last der Geschichte in sechsundsechzig Minuten. Aber: Sehen durften die zahlreichen Zuschauer zwar einen ernsten Film, in dem sich eine große Sippe auf die Suche nach dem Jüdischen in der Familie macht, das mit der Ermordung des Großvaters Eduard Haas im Konzentrationslager Buchenwald verloren gegangen zu sein scheint. Aber auch einen Film, der ganz im Heute angesiedelt ist, der generell die Frage nach der Familie stellt, den Wurzeln, die der einzelne hat, dem Zusammenhalt, auch den Beschädigungen durch Verwandtschaft, dem “Monströsen” in der Familie, wie es Filmautor Peter Haas formuliert. Ein bewegender Film, anregend, nachdenklich, aber auch witzig und unaffektiert, ein persönliches Dokument, das den Zuschauer auf die Reise in die eigene Familiengeschichte bringt. Kirchenkino in Wermelskirchen. Am sechsundzwanzigsten Februar geht es weiter. Mit einer Liebesgeschichte um acht Uhr abends. Einem Drama. Mit großen Gefühlen in einer Zeit und an einem Ort der Gefühllosigkeit. My Beautiful Country. Die berührende Liebe zwischen einem albanischen Kämpfer und einer serbischen Witwe im Kosovokrieg. Wermelskirchen und das Kosovo. Nach der schmählichen Ausweisung von Shiret, Jeton und Mehmet Duda gibt es eine feste Verbindung vom Bergischen ins Kosovo. Laßt uns das Kirchenkino nutzen. Und genießen.

DSC_0018

Eine gute Lektion

Holocaust-Gedenktag ist heute. Der Tag ist willkürlich gewählt, paßt aber sehr gut. Denn am siebenundzwanzigsten Januar Neunzehnhundertfünfundvierzig haben sowjetische Soldaten, hat die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Seit Zweitausendundfünf ist der siebenundzwanzigste Januar von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erhoben worden. Hierzulande ist er bereits seit Neunzehnhundertsechsundneunzig der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Und aus Anlaß eben dieses Gedenktages fand gestern eine Stadtführung statt. Volkshochschule und Geschichtsverein hatten den Journalisten Armin Himmelrath mit dieser Stadtführung betraut. Und um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es war eine denkwürdige Führung, die den Teilnehmern einen anderen Blick auf die Heimatstadt bot, mit Geschichte konfrontierte, mit Überleben im Nationalsozialismus, mit Sterben, mit Deportation, mit politischem Verbrechen, mit Inhaftierung, mit Solidarität und Nächstenliebe, hier, wo man heutzutage einkauft, arbeitet, sich vergnügt und erholt, auf freundliche Menschen trifft, aber nicht an die Vergangenheit denkt. Hier, wo Straßen und Häuser Verkehrswege sind und Wohnungen, nicht aber Stätten des Leids, der Denunziation, der Folter. Es schärft den Blick, gezeigt zu bekommen, wo einst der Wermelskirchener Statthalter der NSDAP wohnte und allsonntaglich die Spitzel aus den Kirchen der Stadt zum Rapport empfing. Und daß zwei Häuser weiter ein Drucker lebte, der mehrfach in Lagern eingesperrt wurde und noch vor Kriegsende in einem solchen Lager starb. Es macht betroffen, von Armin Himmelrath erzählt zu bekommen, daß Frau und Tochter eben dieses Wermelskirchener Bürgers von der Frau des Nazichefs daran gehindert worden waren, im Luftschutzbunker Schutz zu finden vor alliiertem Bombardement. Weil es sich ja um die Angehörigen eines Volksfeindes handelte. Oder die Geschichte von ukrainischen Zwangsarbeiterinnen zu hören, die, Kinder noch, dreizehn- bis fünfzehnjährig, in der Kattwinkelschen Fabrik für die Männer schuften mußten, die im Krieg waren, an der Front, vielleicht auch im Lager. Und die mit körperlicher Schinderei, mehr als zehn Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, soviel verdienten, daß sie sich einmal im Jahr eine Straßenbahnkarte nach Radevormwald leisten konnten, wo eine zweite Gruppe ukrainischer Mädchen ihr Leben in Fronarbeit für den nationalsozialistischen Staat, als Zwangsarbeit für deutsche Firmen und Unternehmen führen mußte. Wo sind in der Heimatstadt Stolpersteine, jene Gedenksteine des Kölner Künstlers Günter Demnig, die an Menschen erinnern sollen, die während der Zeit des Nationalsozialismus, verfolgt, kujoniert, inhaftiert, deportiert oder ermordet worden sind? Wo stand das Rathaus, in dem in jener unseligen Zeit Menschen, Bürger dieser Stadt inhaftiert worden waren? Wo das Gefängnis, in dem auch Menschen ermordet worden sind? Wie haben die Lehrer an den Schulen, die hier noch stehen, die Schüler, die Jugend der Stadt indoktriniert, auf den Krieg vorbereitet, auf das Opfer des Lebens? Eine zwei Stunden währende, ungeheuer spannende Zeitreise in die Vergangenheit der Stadt. Ein großes Ereignis, eine denkwürdige Lektion. Und mit etwa fünfzig Zeitreisenden auch eine angemessene Teilnehmerzahl. Die wünsche ich den Stadtführern immer, wenn sie mit ihren Vorträgen und Führungen den Wermelskirchenern ihre Heimat näherbringen.

Die Schläferin aus Klagenfurt

(…) so verlangt die Entschlüsselung Larissa Marolts eine ähnlich unkonventionelle Denkweise. Eine Denkweise, die heute womöglich noch abgründig erscheinen mag, deren Richtigkeit die Geschichte jedoch unter Beweis stellen wird. Versucht man nämlich dem Phänomen des österreichischen (Ex-)Models auf den Grund zu gehen, greift der lapidare Vergleich mit ihren ähnlich obskur erscheinenden Vorgängern – Daniel Küblböck, Georgina Fleur oder Sarah Knappik – bei weitem zu kurz. Er unterschlägt nämlich, dass Larissa, medientheoretisch gesehen, eine völlig neue Qualität verkörpert. Wo andere Querulanten lediglich den millieutypischen Mix aus Hysterie und Eitelkeit, gepaart mit der notwendigen Differenz von Fremd- und Selbstwahrnehmung versprühten, legt sie eine Dynamik der permanenten Eskalation an den Tag, die mit dem Verdacht der bloßen Selbstinszenierung nicht vollständig erfasst werden kann. Dafür ist ihre Formatkompatibilität einfach zu perfekt. Diese virtuose Mischung aus Arroganz und Weinerlichkeit, Dreistigkeit und Hilfsbedürfnis, lethargischem Verlierertum und manischen Aktivismus, Stumpfheit und Schläue, die Kombination aus Bartleby (I prefer not to) und Medea (Bin ich vielleicht angepisst), ruraler Bodenständigkeit („Zum Glück bin ich am See aufgewachsen“) und urbaner Freshness („Ich komme gerade aus New York“), es passt einfach zu gut. Und, come on: Auf die Idee, eine Dschungelprüfung zu unterbrechen, um den als Requisite postierten Champagner zu köpfen, darauf kommt doch keiner! Eine Kärtnerin von diesem Format, das hätte sich nicht mal Thomas Bernhard ausdenken können. (…) Deshalb kann die einzig sinnvolle Erklärung dieses Phänomens darin bestehen, dass es sich bei Larissa um eine langfristig angelegte Verschwörung des Privatfernsehens handelt, eine Schläferin, eine blonde Witwe im Auftrag von RTL. Vermutlich bereits in frühster Kindheit als Zielobjekt auserkoren, wurde sie, zumindest aller Wahrscheinlichkeit nach, fern der Zivilisation, Klagenfurt (sic!), in diversen Trainingscamps für den finalen Einsatz ausgebildet. Künstlich zur C-Prominenz aufgebaut, schleicht sie unter den wachsamen Augen des Kölner Hauptquartiers zunächst – relativ – unauffällig den Boulevard of Broken Dreams entlang, um sich punktgenau für den australischen Urwald zu qualifizieren. Und dann lässt man die Bombe platzen. Der agent provocateur hysterisiert die Massen, der Plan ist aufgegangen. Bazinga! Dafür sprechen zumindest alle Indizien. Also jetzt mal ernsthaft, oder was? (Nils Markward, Die Ursache. Eine Andeutung. Dschungelcamp. Warum das Dschungelcamp wie Fußball ist und was Larissa und Lenin gemeinsam haben. Also quasi., in: Der Freitag)

 

Wie alt wird ein Schwein?

Wie alt wird ein Schwein? Gute Frage, nicht wahr? Was machten wir bloß ohne das Internet, wenn es um die Beantwortung solch lebenswichtiger Fragen geht? Mit Internet hingegen ist die Beantwortung dieser Frage leicht. Zwischen zehn und fünfzehn Jahren würde ein Schwein alt werden, wenn die Menschen es nicht vor der Zeit schlachteten. So die Internetschlaumeier, unter ihnen auch Wikipedia. Wie ich drauf komme, auf das Schweinelebensalter? Heute rufen mich einige Freunde an und gratulieren mir, weil ich mal wieder Geburtstag habe. Vielen Dank übrigens an alle Gratulanten, daß ich noch nicht vergessen bin. Und in diesen Gratulationsdialogen ist dann doch häufiger der Satz zu hören, vom Gratulanten oder auch dem Geburtstägler, so alt werde kein Schwein. Und das stimmt. Dreiundsechzig Menschenjahre übersteigen die Schweinelebenserwartung doch bei weitem.

800px-Feeding_the_pigs_5