Schlagwort: Gemeinwohl

Genosse – oder so …

Genosse, das leitet sich vom althochdeutschen “ginoz” ab und das ist jemand, der mit einem anderen etwas genießt. Noch zu finden im deutschen Wort “Bettgenosse”. Heute aber bezeichnet das Wort eher einen Gefährten, jemanden, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich teilt, der dieselben Ziele hat und auf den man sich aus diesem Grund verlassen kann. Gemeint ist meist die Politik, Politik linker Parteien, Sozialdemokraten, Sozialisten oder Kommunisten.  Nun wird es zusehends schwieriger, Politik und Genuß unter einen Hut zu bekommen. Früher, als Parteien, linke zumal, auch Familienersatz waren, Heimat, soziale Umgebung, Umfeld, da hatte das Wörtchen Genosse seinen besonderen Sinn. Man arbeitete zusammen, kämpfte gemeinsam für die gleichen Interessen, lebte gemeinsam, im Viertel, Stadtteil, in sozialen Verbänden, Gewerkschaften, Genossenschaften. Und die, denen man zugetan war, von denen man lernte, die man beschützte, das waren die Genossen. Heute ist eher so etwas wie intellektuelle Übereinstimmung in politischen Fragen zu finden, nicht mehr aber gemeinsames Leben, Arbeiten und Kämpfen. Genosse ist man im Kopf. Mehr als mit dem Leib. Ich bin auch ein Genosse. Ein Gast-Genosse, um es genau zu sagen. Gast und Genosse der Wermelskirchener SPD. Für ein Jahr. Und heute Abend habe ich wieder einen tiefen Blick in das Innenleben der Sozialdemokratischen Partei werfen dürfen. Mitgliederversammlung. Thema: Koalitionsvertrag. Gut vorbereitet, eine stringente Diskussion, die vor allem die Frage behandelte, welche Auswirkungen die Absichtserklärungen auf Landesebene für die praktische kommunalpolitische Arbeit haben dürften. Dabei standen zwei Themenbereiche im Vordergrund: Bildung und Schule sowie die Kommunalpolitik, kommunale Finanzen, Änderungen der Gemeindeverfassung, Schulden. Das Dilemma: Die Partei ist die Fraktion und das Denken der Fraktion beherrscht das Denken der Partei. Vermutlich ist das bei den anderen Parteien hier im Ort nicht grundlegend anders. Was wichtig ist für den Rat und die Ausschüsse, das ist Thema der Partei. Kommunalpolitik wird verengt auf Rat und Verwaltung. Und dann fehlt am Ende die Kraft, sich auch den ganz anderen Themen zuzuwenden, die mit dieser eng verstandenen Kommunalpolitik nicht zu treffen sind. Was denken die Bürger? Welche Debatten gibt es in der Stadt? Können wir gegen den Wegzug des Kinderarztes etwas ausrichten? Wenn nein, befassen wir uns nicht sehr gründlich damit. Weil wir keinen Einfluß haben und keinen Zugriff. Haben wir Möglichkeiten, kommunale wohlverstanden, gegen die Verlagerung der Polizeistation etwas zu unternehmen? Nein, Landessache. Also mischen wir uns nicht ein. Auf diese Weise wird politische Kultur verengt. Auf Machbarkeit. Einmischen? Natürlich! Aber dort, wo wir  Handlungsmöglichkeiten haben. Alles andere will gut bedacht sein. Auf diese Weise wird öffentliche Kommunikation drittrangig. Nicht nur in der SPD. In allen anderen Parteien auch. Von Ausnahmen abgesehen, etwa den Leserbriefen von Henning Rehse. Und mit diesen Briefen will Henning Rehse punkten, für die WNK.  Das ist vollkommen legitim. Aber kein Beitrag zu einer öffentlichen Kommunikationskultur der Parteien. Zudem schreibt die Leserbriefe immer wieder nur Henning Rehse, nicht auch andere WNK-Leute. Grüne, Linke, Büfo, CDU, immer mal wieder ist etwas zu lesen, nicht wirklich viel, aber zu Themen aus Rat und Verwaltung. Kinderarzt oder Polizeistation sind nur zwei willkürlich gegriffene, aber gute Beispiele. Warum gibt es keine parteiübergreifende Initiative, solche Dinge breit und öffentlich zu behandeln? Nur, weil wir, die Parteien, vordergründig nichts ändern können? “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” So heißt es im Artikel 21 (1) unseres Grundgesetzes. Wirken mit. Tun sie aber oft genug nicht. Der Bürger macht sich so seine Gedanken, meist an den Parteien vorbei. Sammelt mitunter sogar tausende von Unterschriften, so ganz ohne die Parteien. Weil die Parteien oft dort nicht sind, wo Bürger Sorgen haben, debattieren, wo öffentlicher Meinungsaustausch ist. Politische Willensbildung geht weit über das hinaus, was im kommunalen Rahmen in Rat oder Verwaltung eine große Rolle spielt. Zur politischen Willensbildung gehören auch die  zentralen Begriffe und Werte, die unsere Demokratie auszeichnen, etwa Gemeinwesen, Gemeinwohl. Was ist das? Geht Politik immer noch vom Gedanken des Gemeinwohls aus? Welche Werte bestimmen und beherrschen unsere Gesellschaft? Wie verhält es sich mit der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Geht es gerecht zu in unserem Land, in unserer Stadt? Lassen wir, lassen sich die Parteien immer von diesem Grundgedanken sozialer Gerechtigkeit leiten, wenn sie ihre Politik entwickeln? Wie bestimmen wir das Verhältnis von politischer Konkurrenz, von der Vertretung von Interessen und dem Gemeinwohl? Sitzen in solchen Fragen die Parteien nicht eigentlich im selben Boot? Offenbar nicht. Denn Debatten über politische Kultur – und darum geht es – stehen zurück hinter Ratsproblemen und Verwaltungsfragen. Kein Wunder, finde ich, daß Politik nicht mehr sexy ist, daß die Parteien einen Bedeutungsverlust erleiden, auch auf kommunaler Ebene. Wer das Gespräch der Bürger nicht fördert, wird von den Bürgern auch nicht mehr gefragt, nicht mehr gefordert, nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr als nützlich empfunden. All das ist kein spezifisch sozialdemokratisches Problem. Es trifft Christ- oder Freidemokraten gleichermaßen, Grüne oder Linke, Büfo oder WNK. Wie soll sich Meinungsfreude entwickeln, Debattierlust, Mitwirkung, wenn Parteien nicht über ihren Tellerrand kommunalpolitischer Mühsal schauen können? Wie soll eigentlich Zivilcourage entstehen, gestärkt, vorgelebt werden im Gemeinwesen, wenn sich in Parteien immer wieder die Bekehrung der Bekehrten vollzieht? Ab morgen werden wir in Nordrhein-Westfalen mit einem für unser Land vollkommen neuen Politikmodell zu tun haben, einer Minderheitsregierung. Einer Regierung, die sich von Fall zu Fall ihre Mehrheiten neu suchen muß. Die alten Antworten werden nichts mehr wert sein. Fundamentalopposition, wie von der CDU angekündigt, ist der falsche Weg. Wer garantiert der CDU eigentlich, daß ihr Einfluß durch eine solche Politik größer wird? Politik muß, dafür sorgen die Wähler nunmehr fast bei jeder Wahl, neue Antworten finden, auf neue und alte Fragen. Politik muß kommunikationsfähiger, kommunikationsfähig werden, nach innen und in Richtung der Bürger. Und ob man sich nun Genosse nennt oder Parteifreund, Bruder oder Kamerad, das spielt in Wahrheit keine große Rolle. Merkwürdig, welche Gedanken einen ereilen, nur weil man einen warmen Abend lang ohne auch nur eine Zigarette auf eigentlich doch erfreuliche Weise politische Fragen diskutiert und es genossen hat. Mit den Genossen. Mal wieder.

Bürgerlich?

Bürgerliche Koalition, geistig-politische Wende. Mit diesen Kennzeichnungen sind sie angetreten, nach der Bundestagswahl, CDU/CSU und FDP. Bürgerlich. Welch großes Wort. Eine Koalition der bürgerlichen Manieren, des bürgerlichen Anstandes ist es indes auf keinen Fall. Wildsau, Rumpelstilzchen, Gurkentruppe – nur einige der Wertungen, mit denen sich die schwarz-gelben Koalitionäre nachgerade täglich wechselseitig überziehen. “Übellaunig, uninspiriert, auf Krawall gebürstet arbeiten sich die Koalitionsparteien aneinander ab und vermitteln den Eindruck von Leuten, die es nur noch schwer miteinander aushalten.” So Dietmar Riemer vom Norddeutschen Rundfunk  heute in einem Kommentar. “Der kommunikative Offenbarungseid der politischen Eliten hat sich bereits als Lachnummer bei Jugendlichen etabliert, die doch angeblich zu sozialer Verantwortung und gegenseitigem Respekt erzogen werden.” Dies äußert auf der gleichen Seite Christiane Meier vom Westdeutschen Rundfunk und fährt fort: “Die Wildsau als Sprachbild, die Gurkentruppe als Antwort, der Kuhhandel als Handlungsanweisung und die gegenseitige Verleumdung, gekoppelt mit politischen Hinterhalten und Unehrlichkeiten als Alltagsspektakel -das also sind die Vorbilder für unsere Kinder. Wie soll man einem 13-jährigen erklären, dass man nicht lügt, keine Schimpfworte benutzt und einander respektiert?” Und bei Mark Kleber von Südwestrundfunk heißt es: “Ob der Ärger um die Kopfpauschale, die Wehrpflicht, Sicherungsverwahrung oder eben Opel: Nirgendwo eine Gemeinsamkeit. So sieht also die geistig-politische Wende aus, die FDP-Chef Westerwelle versprochen hatte. Stimmt, das ist eine Wende – zum Schlechteren. Die Liberalen erpressen in ihrer Verzweiflung jetzt sogar die Kanzlerin damit, den gemeinsamen Bundespräsidenten-Kandidaten Christian Wulff nicht zu wählen. Zustimmung nur, wenn keine Steuern erhöht werden. So gräbt man mit Schaufelbaggern weiter an dem Loch, in dem die Koalition zusehends verschwindet.” Bürgerliche Koalition, geistig-moralische Wende. Die Koalition, die Regierung taugt nicht als Bild, um etwa über die Bedeutung einer bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Potentiale nachzudenken. Koalition und Regierung sind weit von allen möglichen Vorstellungen eines irgendwie noch bürgerlichen Diskurses entfernt. Eiferer und Ideologen prägen das Bild, fernab von politischer oder ökonomischer Wirklichkeit, von guter und genauer Kenntnis der Lebensverhältnisse der Menschen, in deren Interessen zu handeln sie geschworen haben. Eiferer und Ideologen bestimmen – noch – die Debatte, in allen Koalitionsparteien, in der FDP jedoch zuvörderst. Wer jemals selbst ein Eiferer war oder ein Missionar, der erkennt sich und seine Vergangeheit wieder in diesen Gestalten. Ich war ein solcher. Und andere auch. “Ich habe in letzter Zeit sehr oft Begegnungen mit dieser jungen Generation von Neoliberalen in Organisationen, in Wirtschaftsinstituten und so. Ich bin da neulich vom Tisch gegangen und habe gedacht, ich erkenne diese fast sektenmäßige Anbetung wieder, in diesem Fall die Marktgläubigkeit. Diese Ausblendung von Lebenserfahrung, diese Blauäugigkeit. Ich habegedacht, ich gucke mir selbst ins Gesicht. Dieses Gerede vom Markt und seinen Siegen, das klingt für mich wie unser Gerede vom Sieg der Weltrevolution.” So Krista Sager, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen in einem Disput von sechzehn “Alt-Achtundsechzigern” aus Bremen, unter dem Titel: “Bürgerlich bis auf die Knochen”. Im Zentrum der Idee einer bürgerlichen Gesellschaft stehen freie und mündige Bürger, die Citoyens, die in einer modernen, freien und säkularisierten Gesellschaft ihre Verhältnisse vernünftig, selbständig und friedlich regeln, ohne obrigkeitsstaatliche Gängelung. Diese Idee richtet sich gegen feudale Verhältnisse, gegen Geburtsprivilegien, gegen ständische Ungleicheit, gegen kirchliche Orthodoxie. Eine bürgerliche Gesellschaft freier Bürger setzt auf Arbeit, Leistung und Bildung, auf Vernunft statt Tradition, auf individuelle Konkurrenz und genossenschaftliche Gemeinsamkeit. Die bürgerliche Gesellschaft bedarf des Marktes, des Rechtsstaates, der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen, öffentlicher Kommunikation und Medien, einer kritischen Öffentlichkeit. Seine Basis hatte die bürgerliche Gesellschaft zunächst im sich formierenden Besitzbürgertum, den Bourgeois.  Der Tendenz nach aber ist die bürgerliche  Gesellschaft ein Programm für alle, eine universale Idee, die unter dem Motto: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit die umfassende Teilnahme und Verantwortung der Staatsbürger zu organisieren sucht und mithin als Bürger mehr und mehr den Citoyen als den Bourgeois versteht. Jens Hacke schrieb bereits 2006 in der TAZ: “Denn wir haben ja gar keine andere Wahl, als an einem Idealbild des Bürgers festzuhalten. Es ist der einzige Begriff, mit dem wir das menschliche Bedürfnis nach Individualität und Gemeinschaftsbindung gleichermaßen ausdrücken können. (…) Die Debatte um eine neue Bürgerlichkeit reflektiert auf gesunde Weise die Suche nach dem Gemeinwohl im klassischen Sinn.” Linke und Altachtundsechziger auf der Suche nach dem die Gesellschaft verbindenden Begriff, nach der Substanz der bürgerlichen Gesellschaft, die von Liberalen und Konservativen zugunsten der Marktradikalität, einer unbürgerlichen Ellbogengesellschaft aufgegeben zu sein scheint. Interessant. Oder? Bürgerlichkeit ist heutzutage nicht auf die eher kleine soziale Schicht des Bürgertums beschränkt, sondern wirkt weit auch in andere soziale Milieus hinein. Bürgerlichkeit ist also kein Alleinstellungsmerkmal bestimmter politischer Gruppierungen oder Parteien mehr, der konservativen oder liberalen Partei etwa. Bürgerlichkeit ist ein Kennzeichen der Mitte der Gesellschaft und gewiß auch all der politischen Parteien, die in den Parlamenten vertreten sind, wenn man von rechtsradikalen oder terroristischen Gruppen absieht. Wir leben in einer bürgerlichen Gesellschaft. Aber die Parteien der schwarz-gelben Koalition werden derzeit den Grundgedanken dieser Gesellschaft nicht oder kaum gerecht. Sie bedienen jeweils ihr Klientel. Soziale Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Konsens, rationales politisches Handeln im Interesse der Gesamtgesellschaft, des Gemeinwohls verschwinden hinter den Partikularinteressen.  Bürgerliches Handeln verliert eben nicht den Blick für soziale Ungerechtigkeit, bürgerliches Handeln ist gerichtet gegen die Spaltung der Gesellschaft, bürgerliches Handeln hat eine Idee von der gedeihlichen Entwicklung der ganzen Gesellschaft. Schwarz-gelb ist keine bürgerliche Koalition. Und sie benehmen sich nicht wie anständige Bürger.

Gemeinwohl oder “Woran krankt der Kapitalismus?”

“Woran krankt also der Kapitalismus? Er krankt nicht allein an seinen Auswüchsen, nicht an der Gier und dem Egoismus von Menschen, die in ihm agieren. Er krankt an seinem Ausgangspunkt, seiner zweckrationalen Leitidee und deren systembildender Kraft. Deshalb kann die Krankheit auch nicht durch Heilmittel am Rand beseitigt werden, sondern nur durch die Umkehrung des Ausgangspunktes. An die Stelle eines ausgreifenden Besitzindividualismus, der das als natürliches Recht proklamierte potentiell unbegrenzte Erwerbsinteresse der Einzelnen, das keiner inhaltlichen Orientierung unterliegt, zum Ausgangspunkt und strukturierenden Prinzip nimmt, müssen ein Ordnungsrahmen und eine Handlungsstrategie treten, die davon ausgehen, dass die Güter der Erde, das heißt Natur und Umwelt, Bodenschätze, Wasser und Rohstoffe, nicht denjenigen gehören, die sie sich zuerst aneignen und ausnützen, sondern zunächst allen Menschen gewidmet sind, zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse und der Erlangung von Wohlfahrt. Das ist eine grundlegend andere Leitidee; sie hat die Solidarität der Menschen in ihrem Miteinander (und auch Gegeneinander) zum tragenden Bezugspunkt.”

Schön, schön, könnte man meinen, was die Linken in dieser Republik sich immer wieder zusammenträumen, zusammenreimen, zusammensammeln. Nur: Beim Autor dieser Sätze handelt es sich gar nicht um einen Linken. Geschrieben hat dies Ernst-Wolfgang Böckenförde in der Süddeutschen Zeitung vom 24.4.08. Böckenförde ist Professor für öffentliches Recht, Verfassungs- und Rechtsgeschichte sowie Rechtsphilosophie, zunächst in Heidelberg, später in Bielefeld und Freiburg. Mitglied der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestags und von 1983 bis 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht. Teil der bundesdeutschen Elite also. Die Gier ist es mithin nicht, an der der Kapitalismus krankt, stellt Böckenförde fest. Er krankt an seiner Leitidee. Eine radikalere Beschreibung der bundesdeutschen Verhältnisse läßt sich derzeit kaum finden. Es handele sich also um eine vertitable Systemkrise. Der Kapitalismus sei nicht auf „die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen … gerichtet, sondern auf unbegrenzte Ausdehnung seiner selbst, auf Wachstum und Bereicherung”. Er löse sich „von den Gegebenheiten der Realwirtschaft ab und beschädigt diese. (…) Nimmt man dies zum Ausgangspunkt, wirkt sich das in vielfacher Weise aus: auf die Zuordnung der Bodenschätze und natürlichen Rohstoffe, auf den Umgang mit den Bedarfsgütern und der Umwelt, auf eine führende Rolle jedweder Arbeit gegenüber dem Kapital wie auch auf Grenzen der Akkumulation von Eigentum, auf die Anerkennung der Mitmenschen – auch der künftigen Generationen – als Subjekte und Partner im Bereich von Nutzung, Handel und Erwerb statt Objekte möglicher Ausbeutung. Dadurch wird ein verbindlicher Rahmen vorgegeben. Innerhalb dieses Rahmens können und sollen durchaus Erwerbssinn und Eigennutz, die Garantie von Eigentum, ihren pragmatischen Sinn und ihre Funktion als Antriebskräfte des wirtschaftlichen Prozesses haben. Aber sie bleiben eingebunden in das vorausliegende Konzept der Solidarität, das inhaltliche Orientierung gibt und unbegrenzter Ausdehnung Grenzen setzt.“ Böckenförde plädiert für eine neue politische Ordnung, in der eine „handlungs- und entscheidungsfähigen Staatsgewalt, … durch Begrenzung, Zielausrichtung und auch Zurückweisung wirtschaftlichen Machtstrebens wirksam Gemeinwohlverantwortung wahrnimmt.“

Gedeckt wird dieser Gedanke durch Art 14 des deutschen Grundgesetzes: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. (…)  (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Dort steht es: Wohl der Allgemeinheit, Gemeinwohl. Das Grundgesetz, die Thesen Böckenfördes, alles nicht wirklich neu. Aber auch nicht wirklich alt, nicht veraltet. Im Gegenteil. Moderne Gedanken, Thesen, Positionen, mit Hilfe derer Staat zu machen wäre. Eine bürgerliche Gesellschaft. Eine demokratisches Staatswesen, in dem sich freie Bürger nicht zueinander verhalten ausschließlich als “Besitzindividualisten”, als Bourgeois, sondern als solidarische Gemeinschaft von Citoyens,  freier und gleicher Bürger, in der das Gemeinwohl “tragender Bezugspunkt” ist, in der Starke Schwache stützen. Nur eine “bürgerliche Koalition” läßt sich mit diesen Gedanken nicht machen.

Gemeinwohl

Nun habe ich ihn doch gelesen. Den Koalitionsvertrag. Komplett. Den der “bürgerlichen Koalition”, wie sie sich selbst nennt. Drei mal taucht dort der Begriff Gemeinwesen auf. “Die in den Gesundheits- und Pflegeberufen Tätigen leisten einen wichtigen Beitrag für unser Gemeinwesen. (…) Den Christlichen Kirchen kommt eine unverzichtbare Rolle bei der Vermittlung der unserem Gemeinwesen zugrunde liegenden Werte zu. (…) Die Informationsgesellschaft bietet neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens sowie für die wirtschaftliche Betätigung.” Gemeinwohl kommt dagegen nicht vor. Kein einziges mal. Wie auch.

Gute Besserung

“Gute Preise. Gute Besserung.” So wirbt der Pharmakonzern Ratiopharm auf seiner Internetseite. Aber Ratiopharm hat jahrelang Ärzte geschmiert. Und jetzt wurden mehr als 200 (!) Ermittlungsverfahren von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Ein “verheerendes Signal” für Anke Martiny, Gesundheitsexpertin von Transparency International. Sie fordert, bestechliche Ärzte zu bestrafen.

Niedergelassene Ärzte dürfen also legal Schmiergeld von Pharmafirmen kassieren. Eine solche Entscheidungen beschädigt das Vertrauen der Bevölkerung in die “moralische Integrität der Ärzte”, so Anke Martiny. Man bekomme den Eindruck, die “nehmen doch mit jeder Hand, was sie kriegen können und es ist sogar noch legal. Das schadet auch dem Vertrauen in das richtige Funktionieren unseres Gemeinwesens. Im Gesundheitswesen scheinen die Selbstregulierungsmechanismen nicht zu funktionieren. Deshalb fordern wir von Transparency International die Schaffung eines staatlichen Beauftragten für Korruption, der auch über Ermittlungsbefugnisse verfügen muss.”

Georg Schramm bzw. der Rentner Dombrowski ist da schon zu ganz anderen Lösungen gekommen.

Rechenkünste, Stillstand und der Bürgermeister

Udo Teifel hat gerechnet: eine Wahrscheinlichkeitsberechnung in der Bergischen Morgenpost, welche Koalitionen im Wermelskirchener Stadtrat möglich sind. Das Ergebnis, kurz zusammengefaßt: Am wahrscheinlichsten sei die Zusammenarbeit der Grünen mit dem Block der Parteien, die Bürgermeister Weik unterstützt haben, also WNKUWG, Bürgerforum und FDP. Zwar seien nicht alle grünen Fraktionsmitglieder vorbehaltlos auf der Seite des Bürgermeisters, aber bei entsprechendem Geschick des Bürgermeister und der Vertreter des Parteienblocks müsse eine Zusammenarbeit möglich sein, zumal es eine gehörige Schnittmenge bei den politischen Positionen gebe. Für weniger wahrscheinlich hält Teifel die Zusammenarbeit von CDU, SPD und Grünen, weil es in der Fraktionen der Grünen doch auch Mißtrauen gebe. Eine Zusammenarbeit der “Bürgermeister-Parteien” mit der CDU hält Teifel für unwahrscheinlich, weil die Gräben aus der Vergangenheit zu tief seien und aus dem Bürgermeisterblock bereits die Forderung zu lesen gewesen sei, mit der CDU unter den Granden Bosbach und Schmitz sei Kooperation nicht möglich.

Das mag alles plausibel gerechnet sein. Allein: Es ist die Fortsetzung des Fingerhakelns, das die Bürger in den letzten Wochen so sehr verdrossen hat. Weiterlesen

Links aus Versehen

Jemand, der sich, wie ich, in jungen Jahren politisch eingerichtet, als Linker, als Kommunist gar, dann aber, der Bevormundung des eigenen Denkens satt, diese Bindungen durchbrochen und sich seine eigene Meinung zu allem und jedem gestattet hat, liest gewiß gerne, wie andere ähnliche Prozesse für sich beschreiben, wie Weltbilder ins Rutschen geraten: Vom anderen Ausgangspunkt aus zu durchaus ähnlichen Ergebnissen, nein: eher Fragen. Matthias Matussek, ehemaliger Kulturchef des Spiegel, schreibt in Spiegel-Online unter dem Titel: “Krise des Konservativen” wie er “aus Versehen ein Linker wurde.” Lesenswert. Nein, ein Muß, ein unbedingtes Muß.

“Sein Vater war CDU-Politiker, er selbst kiffte und lebte in einer Mao-WG – zum Linken aber wurde Matthias Matussek erst jetzt in der Krise. Denn die Konservativen führen seiner Ansicht nach einen Klassenkampf von oben: Sie zertrümmern Werte, heiligen Kaltschnäuzigkeit und öde Lifestyle-Spießerei”, heißt es im redaktionellen Vorspruch. Bei Matusseks war man konservativ. Als Jugendlicher ein bißchen rebellig, als Erwachsener, als Familienvater aber wieder durchaus konservativ. Wie tausende andere auch. Weiterlesen