Neid, dieses Wort hat sich einen festen Platz erobert im politischen deutschen Sprachschatz. Sobald jemand den Abbau beispielsweise von Privilegien fordert, wird das Wörtchen “Neid” als Beschreibung der Motive bemüht. Es werde eine “Neiddebatte” geführt. Die SPD, die eben noch die Neiddebatte um die hohen Einkünfte ihres Kanzlerkandidaten Steinbrück erleben durfte, macht jetzt mal wieder ihr eigenes Neidfaß auf. Sie fordert, die Kosten für die ehemaligen Bundespräsidenten zu deckeln. Für den Ehrensold, Büro, Fahrer und Mitarbeiter sollen künftig nicht mehr als jeweils dreihunderttausend Euro für jeden Ex-Präsidenten gezahlt werden. Natürlich ist der letzte Ex-Präsident die Blaupause für diesen Vorschlag. Zugegeben, dieser letzte Ex-Präsident war wirklich der letzte Ex-Präsident. Seine Amtszeit an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Aber nachträglich die Geschäftsgrundlage verbiegen zu wollen, ist ebenfalls ein eher peinlicher Vorgang. Der Versuch, die Affäre noch ein wenig am Köcheln zu halten, ist untauglich und fällt auf die Urheber zurück. Acht Dienstwagen, so die Süddeutsche Zeitung heute, leiste sich alleine Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Schlagwort: Bundespräsident
Der Rhetor der Republik
Nein, Joachim Gauck war nicht mein Kandidat. Ich habe ihn nicht ausgewählt und ich hätte ihn nicht gewählt. Für Beate Klarsfeld hätte ich votiert. Frau, Antifaschistin, Moralistin, in der Tradition bürgerlicher Anständigkeit – das hätte dem Land gut zu Gesicht gestanden. Nun habe ich eben die erste Rede des Bundespräsidenten gelesen. Die erste Rede von Joachim Gauck als Bundespräsident ist gewiß keine sehr belastbare Basis für ein profundes Urteil. Dennoch: Sind wir nicht mit einigen der bisher zehn Bundespräsidenten schlechter gefahren als beim Elften? Selbst manch spätere Rede gewesener Präsidenten kann den Vergleich mit der ersten des amtierenden nur scheuen. Chapeau. Vieles von dem, was Gauck heute im Bundestag sagte, war nicht deutlich genug, vieles war auf den Konsens hin gesprochen, den es nach der massiven Kritik etwa in Blogs und anderen Netzpublikationen in Gang zu bringen galt. Die Wirkungskraft einzelner bekannt gewordener Äußerungen des Kandidaten sollte vom Präsidenten eingefangen und relativiert werden. Gleichwohl: Da hat Gauck in einer kurzen Rede die Geschichte (West-) Deutschlands nur gestreift und zugleich der Wiederaufbaugeneration und den Achtundsechzigern ihre jeweilige Bedeutung für Demokratie und Freiheit in Deutschland attestiert; er hat das vermeintlich Fremde im eigenen Land als Bestandteil unseres Kulturkanons gewertet; den Neonazis hat er eine entschiedene Abfuhr erteilt und den Konsens der Demokraten gegen Rechts befördert; selbst gegen die soziale Spaltung unseres Landes hat der gelernte Pfarrer angesprochen und den Sozialstaat rhetorisch verteidigt. Ganz ehrlich: Mit all dem hätte ich nicht gerechnet, nicht in dieser Form. Der Zweiundsiebzigjährige hat sich als lernfähig und beweglich erwiesen. Womöglich ist dieser Mann ein Gewinn für die Republik, wenn und solange er es vermag, sich der Indienstnahme durch gesellschaftliche Gruppen, einzelne Parteien, Macht- und Interessengruppen zu entziehen. Wenn er unabhängig ist, es bleiben kann, wenn er sein Vermögen einsetzt. Tiefe der Gedanken und sprachliche Kraft. Schon jetzt wird man sagen können, daß es sprachlich kaum bessere Präsidenten gab. Heuß war jovial und verschmurgelt, gab den Onkel der jungen Republik, Lübke, naja, Schwamm drüber, Heinemann war grundehrlich, aber ein wenig hölzern und eröffnete dem Land die Perspektive heraus aus der Adenauerschen Politik, Scheel hatte gute Laune, kaum mehr, Carl Carstens wanderte und sprach blödes Zeugs, Richard von Weizsäcker bleibt wegen des Diktums vom achten Mai als Tag der Befreiung im Gedächtnis, Roman Herzog beschwor den Ruck, wie, weiß man schon nicht mehr, und Johannes Rau hatte nach anfänglichen Schwächen durchaus das Zeug zur bewegenden Rede. Köhler und Wulff waren die Präsidenten, die das Land nicht verdient hatte. Gauck hat nach seiner ersten Rede mindestens schon sechs seiner Amtsvorgänger hinter sich gelassen. Mit einer Rede unter dem Titel: “Wie soll es nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel ‘Unser Land’ sagen sollen?” Nun denn: Ich sage es jetzt bereits: Dieses Land ist auch mein Land. Auf Enkel will ich nicht warten. Gauck ist also mein Präsident. Die Ausgrenzung nach dem Motto: “Dann geh doch nach drüben:”, die ich lange, lange habe genießen dürfen, funktioniert schon lange nicht mehr. Ich lasse mich aus meinem Land, meinem Gemeinwesen nicht mehr herausdefinieren, von niemandem. Dieses Land ist auch mein Land. In diesem Sinne ist der Präsident auch mein Präsident. Und vielleicht wird Joachim Gauck, wer kann es wissen, mehr als der Rhetor der Republik, der Lehrer der Beredsamkeit. Das jedenfalls ist er schon.
Oh Graus
Da ist der neue Bundespräsident noch nicht gewählt – und was heißt in dem Fall der Nominierung durch fünf Parteien schon Wahl -, da verschaffen sie sich schon lautstark Gehör: die Vertreter der Aktion Saubere Höchste Familie. “Es dürfte wohl im Interesse des Herrn Gauck selbst sein, seine persönlichen Verhältnisse so schnell als möglich zu ordnen, damit insoweit keine Angriffsfläche geboten wird”, sagte der Bundestagsabgeordnete der CSU, Norbert Geis, der Passauer Neuen Presse. Und der SPD-Philosoph mit dem Zauselsbart, Wolfgang Thierse, attestiert dem Rechtsausleger der Bayernunion. Der Bundespräsident in spe lebt seit vielen Jahren ohne Trauschein mit einer Nürnberger Journalistin zusammen, oh Graus. Nein: Oh, Geis. Das kann im Deutschland des einundzwanzigsten Jahrhunderts mithin immer noch nicht sein, obwohl es Millionen Familien vormachen, daß nämlich Mann und Frau ohne Trauschein zusammenleben. Also, Herr Gauck, flugs zum Standesamt und die illegitime Verbindung in Ordnung bringen. Trauzeugen wären sicher gerne die Herren Thierse und Geis. Oh Graus.
Wulff’s Säuseln
“Die Zukunft gehört den Sanftmütigen.” Solch einen Unsinn gibt der zukünftige Präsident dieses Landes derzeit von sich. Christian Wulff. Mit leiser und freundlicher Stimme, mit eingefrorenem Lächeln, mit pastoralem Gestus. Die Zukunft gehört den Sanftmütigen? Was für ein horribler Blödsinn in Zeiten eines vollkommen unausgewogenen “Spar”-Pakets der Bundesregierung. Was für ein dummer Spruch in einer Zeit, in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander driftet. Es ist Zeit für Zorn. Zeit für klare Sprache, in der die Verhältnisse des Landes wahrhaftig beschrieben werden. Zeit für Anstößigkeit. Anstöße für eine gerechtere Politik, Anstöße für eine Beteiligung der Krisenverursacher an den Kosten der Krise, Anstöße für Rückbesinnung von Politik auf die Interessen des Gemeinwohls, Anstöße zur Aufgabe einer Klientelpolitik. All das scheint vom smarten Niedersachsen nicht zu erwarten zu sein. Christian Wulff, der einschmeichelnde Präsident. “Im Vergleich zu Wulff ist ein glattgeschliffener Kiesel ein Stein mit Ecken und Kanten”, schrieb der konservative Publizist Michael Spreng in seinem Blog. Kluge Köpfe will der Krawattenmann des Jahres 2006 im Schloß Bellevue um sich scharen. Das könnte jedenfalls nicht schaden.
Die ausgezehrte Republik
Die ausgezehrte Republik, so hat Michael Schöfer seinen Artikel zum kommenden Bundespräsidenten überschrieben.
Was wird passieren? Es ist leider vorhersehbar: Der künftige Präsident wird – wie bisher – ein paar belanglose Reden halten, etliche Gesetze unterzeichnen, darunter vielleicht sogar einige verfassungswidrige, und bereitwillig Bundesminister ernennen oder entlassen, wenn ihm die Kanzlerin den Wink dazu gibt. Wenig Spektakuläres also, es wird sich folglich gar nichts ändern. Vielleicht ist genau das unser Problem. Und nicht, wer demnächst Deutschland repräsentiert. Wie ausgezehrt das politische Personal der Republik ist, hat doch die Kandidatenfrage zur Genüge gezeigt. Dass der extrem blasse Christian Wulff überhaupt Bundespräsident werden kann, ist bezeichnend. Ein Land, in dem Ursula von der Leyen, Annette Schavan oder Jürgen Rüttgers in die engere Wahl gezogen werden, hat offensichtlich ein Problem, und zwar ein personelles. (…) Die auf Stromlinienförmigkeit gebürsteten Parteien setzen lieber aufs langweilige Mittelmaß, das ist wenigstens berechenbar. Insofern haben sie mit Wulff, der sorgsam sein Image des netten Jungen von nebenan pflegt, haargenau ins Schwarze getroffen. Dem farblosen Köhler folgt ein ebenso farbloser Wulff. (…) Christian Wulff passt zur Regierungskoalition, deren Repräsentanten fast durchweg äußerst farblos sind. Der Fisch stinkt vom Kopfe her: Bei der Kanzlerin weiß man nicht, was sie wirklich will (außer an der Macht bleiben). Westerwelle hat zwar zu allem etwas zu sagen, bleibt aber immer erkennbar an der Oberfläche. Mangelnden Tiefgang kompensiert er durch Aggressivität. Und der bayerische Ministerpräsident ist selbst bei CSU-Anhängern umstritten. Markante Köpfe muss man mit der Lupe suchen, entsprechend ist die geistige Verfassung des Landes: Die Republik wirkt ausgezehrt. Darüber hat man in der Presse allerdings wenig gelesen. Schade, abermals eine Chance vertan.
Dem ist nun wirklich nichts mehr hinzuzufügen.
Ein Präsident ohne Eigenschaften
Und jetzt? Christian Wulff. Der nette Herr Wulff, der idelle Gesamtschwiegersohn. Der soll Bundespräsident werden, wenn es nach Frau Merkel geht. Der konservative Publizist Michael Spreng schreibt in seinem Blog über den Nominierten: “Immer freundlich, immer ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen, norddeutsch-liberal, die personifizierte Verläßlichkeit, ein guter Taktiker, ein Mechaniker der Macht, eine attraktive First Lady an seiner Seite. Sicher ein ordentlicher Bundespräsident. Aber reicht ordentlich? Christian Wullf ist ein Mann ohne besondere Eigenschaften. Mit ihm verbindet sich kein politisches Projekt, keine Vision, kein Plan, kein intellektueller Wurf trägt seinen Namen. Große Reden – Fehlanzeige. Seinen letzten Wahlkampf hat er frei von Aussagen bestritten. Die Deutschen können also beruhigt sein: von ihm sind keine anstrengenden geistigen Herausforderungen zu erwarten. Reicht das in der Krise?” Natürlich nicht. Es war ja auch keine Entscheidung für das Land in einer Krise, sondern eine für den Merkelschen Machterhalt. Der letzte chancenreiche Rivale ist damit weg von der politischen Bühne und darf fürderhin als Staatsnotar Gesetze unterzeichnen, Orden verleihen, Kinder herzen, das Ausland besuchen – und sich nicht einmischen. Wir alle hätten weiß Gott einen besseren Kandidaten verdient. Vor 34 Jahren hat Franz-Josef Strauß an der CDU kritisiert, sie bestehe aus lauter “politischen Pygmäen”. Tja.