Schlagwort: Büfo

Rot-Weiß

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Vor fünf Jahren habe ich dieses Teil bekommen, vor dem Edekamarkt. Als Kommunalwahlkampfpräsent der SPD. Ein Einkaufswagenchip. Die Älteren werden sich erinnern: Über so etwas ist seinerzeit Wirtschaftsminister Möllemann (ja, wirklich) aus seinem Amt gestolpert. Neunzehnhundertdreiundneunzig. Mein Chip ist nur fünf Jahre alt. Aber man kann die Schrift schon nicht mehr erkennen. Wozu auch? Eine Kommunalwahlperiode ist eine lange Zeit. Schlauer macht es jetzt das Bürgerforum. Deren Kommunalwahlkampfpräsent, ein Einkaufswagenchip, wie originell, hat gar keinen Schriftaufdruck mehr, nur noch die Hülle verweist auf das Bürgerforum. Sei’s drum. Ich werde sie beide in die Einkaufswagen stecken, den neutralweißen wie den nichtneutralroten.

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Plakatkunst

Das politische Plakat kann Kunst sein. Große Kunst. Das zeigt ein Blick auf die Werke von Helmut Herzfeld, Käte Kollwitz oder Klaus Staeck. In Wermelskirchen sind die politischen Plakate nicht einmal kleine Kunst, auch nicht ganz kleine Kunst. In Wermelskirchen (und natürlich anderswo) werben die politischen Parteien auf ihren Plakaten mit sprachlicher Einfalt und  gedanklicher Dürre. Eine Kostprobe: Für Sie in den Stadtrat (CDU). Oder WNK: Aktiv für Sie. Weil Wermelskirchen mir wichtig ist (BÜFO). Und FDP: Für unsere Stadt. Ähnlich: Die beste Wahl für Wermelskirchen (SPD). Auch nicht schlecht: Aktiv für Wermelskirchen (WNK). Und schließlich: Wermelskirchen kann mehr (CDU). Und das soll helfen, daß sich Bürger und Wähler ein Bild von Parteien und Kandidaten machen?

ADSH

Henning Rehse heißt er, der Chef der WNKUWG. Wenn nicht Chef, dann allemal ihr Lautsprecher, Dröhner, Wadenbeißer. Kaum eine Woche geht ins Land, in der er nicht Radfahrer auf der Telegrafenstraße geißelt, wildwachsendes Grünzeug als Torpedo gegen die Verwaltung zu nutzen sucht, ein besseres Stadtmarketing seitens der Verwaltung einfordert und dabei sein Konzept als das einzig Löbliche darstellt, die baldige Rathausfassadenrestauration als Erfolg nur seiner Fraktion wertet, dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub mit einem langen Instanzenweg durch die deutsche Gerichtsbarkeit droht oder wildes Plakatieren an städtischen Laternenpfählen als Versäumnis der Verwaltung schurigelt. Henning Rehse macht Druck auf den Bürgermeister. Laut, polternd, mit Schreien und wilden Gesten auf sich aufmerksam machend bewegt er sich durch die Gefilde der Kommunalpolitik und läßt kaum ein Thema aus. Es läuft, glaubt man dem Laut-Sprecher der CDU-Abspaltung, nicht gut in Wermelskirchen, mehr noch: nichts läuft gut in Wermelskirchen. Was ist bloß los mit Henning Rehse? Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit Hyperaktivität, ADSH? Das ließe sich ja noch mit Ritalin behandeln. Kann Henning Rehse die im Urlaub gesammelten Kräfte nicht anders kanalisieren als über wildes Gewese? Oder hat das Bürgermeisterbündnis mit dem schönen Namen Regenbogen einen Knacks bekommen? Dafür spräche durchaus einiges. Denn immer häufiger bandeln die illegitimen Blagen, Bürgerforum (Büfo) und WNKUWG, mit der einst verstoßenen Mutter, der CDU, an. Wenn’s etwa ums Wohl der Autofahrer geht, schubsen diese drei Parteien gemeinsam und einhellig die Radfahrer vom Rad. Wenn’s ums Wohl der Autofahrer geht, wird flugs ein Parkplatznotstand in Wermelskirchen herbeigelärmt, Seit an Seit mit der CDU. Es dürfe “keine Gefährdung durch Radfahrer geben”. Muhahaha. Sprache kann ja so entlarvend sein. Das Fahrrad gefährdet Henning Rehses SUV. Wie schrieb Thomas Wintgen heute so treffend im Wermelskirchener Generalanzeiger? Es sei die “Brötchen-Fraktion”, die von Henning Rehse und seinem Mentor Rüdiger Bornhold angeführt werde, die Fraktion der Automobilisten, die nur mal eben Brötchen holen wollten und dabei verbotswidrig auf der linken Seite parken müssen. Es ist ja derart schlecht bestellt im Städtchen mit Parkplätzen. Nichts da. Ich stimme Thomas Wintgens Fazit zu, daß “Radfahren wesentliches Element unserer Freizeit’industrie’ ist und ein ernst zu nehmender Wirtschaftszweig” und daß “Verantwortungsbewusstsein zum Wohle der ganzen Stadt” anders auszusehen habe.

Koalition der Korpulenz

Was lese ich in den lokalen Zeitungen? Radfahrer dūrfen nicht nicht mehr gegen die Fahrtrichtung der Autos in der Telegrafenstraße fahren. Jetzt, da die Radfahrtrasse ausgebaut ist und gut angenommen wird. Jetzt, da die Innenstadt vom zu erwartenden Fahrradboom profitieren könnte. Beschlossen hat diese kurzsichtige Entscheidung eine Mehrheit von CDU, WNKUWG und Bürgerforum im Verkehrsausschuß. Im Interesse illegal geparkter Autos auf der Telegrafenstraße. Denn um Brötchen zu holen oder Medikamente, müssen die Innenstadtbesucher selbstredend vor der Bäckerei parken oder der Apotheke. Auf der linken Straßenseite. Getreu dem Motto: Alles für den Autofahrer hat die Koalition der Korpulenten – wer glaubt denn, daß Henning Rehse, Friedel Burghoff oder Volker Schmitz jemals mit dem Rad in die Stadt führen? – dem Radfahrboom den Garaus zu machen versucht. Mit dem halbseidenen Argument, daß man verhindern müsse, daß es zu folgenschweren Unfällen komme. Das muß man in der Tat. Aber, indem man illegales Parken in der Wermelskirchener Hauptstraße verhindert, zur Not auch durch mehr Kontrollen in der Anfangszeit. Indem man dafür sorgt, daß der Durchgangsverkehr über die dafür vorgesehene Brückenstraße fließt, zur Not auch mit härteren Sanktionen. Für mich als eingefleischten und bequemen Autofahrer, der auch gerne jeden Fußweg zu vermeiden sucht und möglichst nahe am Geschäft parken möchte, hat diese Koalition der Pedalfeinde nicht gesprochen und entschieden. In Wermelskirchen wimmelt es nachgerade vor Parkmöglichkeiten. Jeder Ort in der Innenstadt ist gut, bequem und schnell zu erreichen. Nicht die Radfahrer müssen aus der Telegrafenstraße verbannt werden. Die Autofahrer müssen zur gedeihlichen Kooperation angehalten, erzogen, zur Not gezwungen werden. Und: Der Stadtrat muß sich dieser Angelegenheit annehmen. Es kann und darf nicht sein, daß lediglich ein Ausschuß, und sei er noch so wichtig, eine Entscheidung fällt, die Wermelskirchen zum Gespött macht, nur weil dicke Männer Autos mehr mögen als Räder.

Politik und Polizei – Wermelskirchen 21

Wermelskirchen im Oktober: Die Kreispolizei will ihre Wache in Wermelskirchen auflösen. Viele Bürger fürchten um ihre Sicherheit und wollen die Polizei in der Stadt behalten. Eine siebzehn (!) Jahre alte Schülerin sammelt in nur vier Wochen viertausend (!) Unterschriften gegen die Auflösung der Polizeiwache. Und die Parteien? Organisieren sie gemeinsam den Widerstand der Bürger gegen die Polizeipläne. Die Parteien? Nein! Die Parteien, die sich das Wohl der Bürger auf ihre Fahnen und in ihre Programme geschrieben haben, sind bemerkenswert still. Sie schweigen. Oder eiern. Parteien, die ansonsten jeden Furz aufgreifen, um öffentlich Gehör zu finden, verstummen beredt. Die WNKUWG verweist auf den Innenminister oder den Landrat, die Stadt sei in dieser Frage nicht zuständig. Die CDU führt einen Stammtisch durch, einen Informationsabend, um “Fakten und Bürger näher zusammenzubringen”. Ein Forum für Landrat und Polizei. Für die Grünen ist die Polizeiwache in der Stadt lediglich “ein Symbol”. Die SPD behandelt das Thema Polizei nur intern. Tenor: Kein kommunalpolitisches Thema.  Die Linke bleibt stumm. Nur FDP und Büfo erklären öffentlich, die zweitgrößte Stadt im Kreis brauche eine Polizeiwache in der Stadt. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sagt uns das Grundgesetz im Artikel 21. In Wermelskirchen nicht. Hier tauchen sie ab, die Parteien, ducken sich weg. Mag sein, daß Stadtverordnete gegen eine Landratsentscheidung oder gegen den Innenminister des Landes als Polizeiminister nichts werden ausrichten können. Aber: Mit feigem Schweigen, mit dem Verweis auf andere Instanzen werden Parteien den Nöten der Menschen in unserer Stadt  nicht gerecht. Sicherheit ist eines der Grundbefürfnisse der Bürger. Und wenn sie diese Sicherheit gefährdet glauben, ist es Aufgabe der Parteien, den Menschen zu erläutern, daß und inwiefern die Sicherheit gewährleistet werden kann. Ein Steilvorlage eigentlich für Parteien, die wieder in den Dialog mit den Bürgern treten müssen. “Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln will sich Bürgermeister Eric Weik dafür einsetzen, dass die Polizeiwache in der Innenstadt bleibt. Er will dem Landrat mit seinen Schließungsplänen die Stirne bieten.” So zu lesen in der heutigen Onlineausgabe der Bergischen Morgenpost. Die Polizei gehöre dorthin, wo die Bürger sind. “Er vermisse bei den Überlegungen zur Verlegung der Polizeiwache ganz eindeutig den Dienstleistungsaspekt. Offensichtlich sei die Polizei dabei zu vergessen, dass sie eigentlich der Dienstleister der Bürger zu sein habe, beklagt der Bürgermeister.” Der Bürgermeister will dem Landrat “die Stirn bieten”. Klingt gut. Aber was bedeutet das konkret? Läßt sich doch etwas ausrichten gegen die Pläne aus dem Kreis? Wenn ja, wie? Hat der Bürgermeister Handlungsoptionen, die bislang noch nicht öffentlich gemacht wurden? Oder lassen sich die Polizeipläne bestenfalls mit gehörigem Druck, mit Protest, mit Demonstrationen der Bevölkerung verhindern? Sozusagen “Wermelskirchen 21”. Die kommunalpolitische Gemengelage in Wermelskirchen war schon immer nicht so ganz einfach. Aber mit welchen Truppen will der Bürgermeister ins Feld ziehen, wenn schon die Regenbogenkoalition eher matt und kampfesunlustig zu sein scheint? Und CDU und SPD sich hinter “ordentlichem Verwaltungshandeln” verschanzen. Das wäre ja mal eine ganz neue Kommunalpolitik, wenn der Bürgermeister nicht auf lavierende Parteien setzte, sondern auf die Macht der Bürger. Der Bürger-Meister, kraft der Bürger gewählt, stärkt die Kraft der Bürger. Wie sagte doch einst der große deutsche Philosoph Franz Beckenbauer: Schaun wir mal.

Lied der Partei

Vom tschechoslowakisch-deutschen Schriftsteller Louis Fürnberg stammt das “Lied der Partei”, in dessen Refrain es heißt: “Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!” Das Lied der Partei galt als Hymne der SED. Dabei war es ursprünglich als Huldigung an den IX. Parteitag der KPČ geschrieben worden. Fürnberg war nicht zu diesem Parteitag eingeladen worden und schrieb das Lied aus verzweifeltem Trotz, um sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen. Die Partei hat eben immer Recht. Aber: Gilt das nur für kommunistische, für leninistische Parteien? Gilt das nicht auch, ansatzweise jedenfalls, für andere Parteien? Die CDU hat in Baden Württemberg hat Recht, gegen die CDU-Mitglieder, die gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen. Die SPD hat Recht, gegen die, die sich kritisch gegen den Ausschluß von Thilo Sarrazin wenden. Die FDP hat Recht, gegen jene Mitglieder, die sich kritisch mit der Führungsrolle des Vorsitzenden Westerwelle auseinandersetzen. Alle Parteien tun sich schwer mit Mitgliedern, die sich schwer tun mit Parteilinien, die sich Vorgaben nicht unterordnen, die ihre eigene Meinung nicht an der Parteigarderobe abgeben. Das Wesen der Partei ist, möglichst geschlossen die eigenen Interessen durchzusetzen. Also können abweichende Positionen nur in begrenztem Maß in einer Partei ausgehalten werden. In dem Sinne sozialisiert jede Partei ihre Mitglieder. Wer nach diesem Prozeß immer noch der Meinung ist, die Partei habe nicht immer Recht, der muß sich anderswo seinen Platz suchen. Wir können das in Wermelskirchen ganz gut an den Abspaltungen von der CDU studieren. UWG, WNK und Büfo sind allesamt Fleisch vom Fleische der christlichen Union. Verlorene Machtkämpfe, unterschiedliche Positionen, nicht erfüllte Karrierewünsche, was auch immer zu diesen Erosionen geführt haben mag: Die Partei hat immer Recht behalten. In diesem Fall die CDU. Abspaltungen sind aber nur eine Seite der Medaille. Viel spannender ist die nachlassende Bindungskraft der Parteien. (Im übrigen: Nicht nur der Parteien. Auch andere Großorganisationen, Kirchen beispielsweise oder Gewerkschaften, erleiden einen grandiosen Bedeutungsverlust.) Die ursprünglichen Milieus, in denen die Parteien prosperieren konnten, haben sich weitgehend aufgelöst. Beispielsweise haben bei der Bundestagswahl 2009 mehr Arbeiter die CDU gewählt als die (ursprüngliche Arbeiterpartei) SPD. Ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft ist das einer zunehmenden Individualisierung. Das bedeutet nicht zugleich auch Entpolitisierung, was etwa an der sich neu entwickelnden Bewegung gegen die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke deutlich wird oder an den Demonstrationen gegen Stuttgart 21. Viele Bürger sind nach wie vor bereit, sich zu engagieren. Vor allem dann, wenn sie unmittelbar betroffen von Entscheidungen der Politik sind. Wozu sie aber immer weniger bereit sind, das ist die regelmäßige Unterordnung unter weitgehend ritualisierte Parteipolitik, das ist das Abnicken dessen, was in Vorständen und Zirkeln vorbesprochen wurde, das ist die Duldung eines floskelhaften und lebensfernen Politjargons. Und: Wenn es ungerecht zugeht in der Gesellschaft, wenn Partikularinteressen bedient werden, statt das Gemeinwohl zu stärken, dann können Parteien keine gute Konjunktur haben. Das Ergebnis ist dann eher so etwas wie Parteienverdossenheit. Gut zu studieren am aktuellen Ranking der FDP in den Umfragen oder am famosen Scheitern der schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen. Und zuvor am niederschmetternden Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl. Alle Parteien erleiden diesen Bedeutungsverlust gleichermaßen. Ihnen gelingt es zusehends weniger,  Menschen zu mobilisieren. Die Mitgliederzahlen sind rückläufig. Immer weniger Menschen nehmen ihr Wahlrecht wahr. Für immer weniger Menschen also gilt: Die Partei hat immer Recht. Im eigenen Saft schmort es sich ganz gut. “Wir müssen raus ins Leben”, hatte der SPD-Vorsitzende Gabriel die nach der Wahlschlappe unter Schock stehenden Sozialdemokraten beim Dresdner Parteitag im November 2009 in einer fulminanten Rede angefeuert: “Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist. Denn nur da ist das Leben!” Eben. In der Partei, in den Parteien ist zu wenig Leben. Stattdessen die Bekehrung der Bekehrten. Die Parteien müssen sich anstrengen, um Bürger wieder zu interessieren. Sie müssen sich ihnen zuwenden. Mit anderen Angeboten als den hergebrachten. Offene Debatten sind erforderlich, ganz ohne jede Parteiraison. Die Partei hat eben nicht immer Recht, keine Partei. Parteien können und müssen lernen, vom Bürger. Das alles wird indes kaum etwas nützen, wenn Parteien das Gemeinwohl aus dem Auge verlieren. Eine Gesundheitsreform, die nur die Versicherten ausplündert und das als “Reform” verkaufen will, den bestverdienenen Pharmaunternehmen aber keine Preis- oder Qualitätsvorschriften macht,  eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, die selbst von den Experten der Bundesregierung nicht für erforderlich gehalten wird und die den kommunalen Energieversorgungsunternehmen enorm schadet, ein “Spar”haushalt mit sozialer Schieflage – all das kann durchs beste Marketing nicht verbessert werden. Die Menschen rücken von den Parteien ab, aber sie haben sich das Gefühl und Gespür für mangelnde Gerechtigkeit bewahrt. Und sie werden den Parteien erneut den Denkzettel ausstellen. Wie heißt es so schön in Fürnbergs Parteihymne? “Wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht.”

Genosse – oder so …

Genosse, das leitet sich vom althochdeutschen “ginoz” ab und das ist jemand, der mit einem anderen etwas genießt. Noch zu finden im deutschen Wort “Bettgenosse”. Heute aber bezeichnet das Wort eher einen Gefährten, jemanden, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich teilt, der dieselben Ziele hat und auf den man sich aus diesem Grund verlassen kann. Gemeint ist meist die Politik, Politik linker Parteien, Sozialdemokraten, Sozialisten oder Kommunisten.  Nun wird es zusehends schwieriger, Politik und Genuß unter einen Hut zu bekommen. Früher, als Parteien, linke zumal, auch Familienersatz waren, Heimat, soziale Umgebung, Umfeld, da hatte das Wörtchen Genosse seinen besonderen Sinn. Man arbeitete zusammen, kämpfte gemeinsam für die gleichen Interessen, lebte gemeinsam, im Viertel, Stadtteil, in sozialen Verbänden, Gewerkschaften, Genossenschaften. Und die, denen man zugetan war, von denen man lernte, die man beschützte, das waren die Genossen. Heute ist eher so etwas wie intellektuelle Übereinstimmung in politischen Fragen zu finden, nicht mehr aber gemeinsames Leben, Arbeiten und Kämpfen. Genosse ist man im Kopf. Mehr als mit dem Leib. Ich bin auch ein Genosse. Ein Gast-Genosse, um es genau zu sagen. Gast und Genosse der Wermelskirchener SPD. Für ein Jahr. Und heute Abend habe ich wieder einen tiefen Blick in das Innenleben der Sozialdemokratischen Partei werfen dürfen. Mitgliederversammlung. Thema: Koalitionsvertrag. Gut vorbereitet, eine stringente Diskussion, die vor allem die Frage behandelte, welche Auswirkungen die Absichtserklärungen auf Landesebene für die praktische kommunalpolitische Arbeit haben dürften. Dabei standen zwei Themenbereiche im Vordergrund: Bildung und Schule sowie die Kommunalpolitik, kommunale Finanzen, Änderungen der Gemeindeverfassung, Schulden. Das Dilemma: Die Partei ist die Fraktion und das Denken der Fraktion beherrscht das Denken der Partei. Vermutlich ist das bei den anderen Parteien hier im Ort nicht grundlegend anders. Was wichtig ist für den Rat und die Ausschüsse, das ist Thema der Partei. Kommunalpolitik wird verengt auf Rat und Verwaltung. Und dann fehlt am Ende die Kraft, sich auch den ganz anderen Themen zuzuwenden, die mit dieser eng verstandenen Kommunalpolitik nicht zu treffen sind. Was denken die Bürger? Welche Debatten gibt es in der Stadt? Können wir gegen den Wegzug des Kinderarztes etwas ausrichten? Wenn nein, befassen wir uns nicht sehr gründlich damit. Weil wir keinen Einfluß haben und keinen Zugriff. Haben wir Möglichkeiten, kommunale wohlverstanden, gegen die Verlagerung der Polizeistation etwas zu unternehmen? Nein, Landessache. Also mischen wir uns nicht ein. Auf diese Weise wird politische Kultur verengt. Auf Machbarkeit. Einmischen? Natürlich! Aber dort, wo wir  Handlungsmöglichkeiten haben. Alles andere will gut bedacht sein. Auf diese Weise wird öffentliche Kommunikation drittrangig. Nicht nur in der SPD. In allen anderen Parteien auch. Von Ausnahmen abgesehen, etwa den Leserbriefen von Henning Rehse. Und mit diesen Briefen will Henning Rehse punkten, für die WNK.  Das ist vollkommen legitim. Aber kein Beitrag zu einer öffentlichen Kommunikationskultur der Parteien. Zudem schreibt die Leserbriefe immer wieder nur Henning Rehse, nicht auch andere WNK-Leute. Grüne, Linke, Büfo, CDU, immer mal wieder ist etwas zu lesen, nicht wirklich viel, aber zu Themen aus Rat und Verwaltung. Kinderarzt oder Polizeistation sind nur zwei willkürlich gegriffene, aber gute Beispiele. Warum gibt es keine parteiübergreifende Initiative, solche Dinge breit und öffentlich zu behandeln? Nur, weil wir, die Parteien, vordergründig nichts ändern können? “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” So heißt es im Artikel 21 (1) unseres Grundgesetzes. Wirken mit. Tun sie aber oft genug nicht. Der Bürger macht sich so seine Gedanken, meist an den Parteien vorbei. Sammelt mitunter sogar tausende von Unterschriften, so ganz ohne die Parteien. Weil die Parteien oft dort nicht sind, wo Bürger Sorgen haben, debattieren, wo öffentlicher Meinungsaustausch ist. Politische Willensbildung geht weit über das hinaus, was im kommunalen Rahmen in Rat oder Verwaltung eine große Rolle spielt. Zur politischen Willensbildung gehören auch die  zentralen Begriffe und Werte, die unsere Demokratie auszeichnen, etwa Gemeinwesen, Gemeinwohl. Was ist das? Geht Politik immer noch vom Gedanken des Gemeinwohls aus? Welche Werte bestimmen und beherrschen unsere Gesellschaft? Wie verhält es sich mit der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Geht es gerecht zu in unserem Land, in unserer Stadt? Lassen wir, lassen sich die Parteien immer von diesem Grundgedanken sozialer Gerechtigkeit leiten, wenn sie ihre Politik entwickeln? Wie bestimmen wir das Verhältnis von politischer Konkurrenz, von der Vertretung von Interessen und dem Gemeinwohl? Sitzen in solchen Fragen die Parteien nicht eigentlich im selben Boot? Offenbar nicht. Denn Debatten über politische Kultur – und darum geht es – stehen zurück hinter Ratsproblemen und Verwaltungsfragen. Kein Wunder, finde ich, daß Politik nicht mehr sexy ist, daß die Parteien einen Bedeutungsverlust erleiden, auch auf kommunaler Ebene. Wer das Gespräch der Bürger nicht fördert, wird von den Bürgern auch nicht mehr gefragt, nicht mehr gefordert, nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr als nützlich empfunden. All das ist kein spezifisch sozialdemokratisches Problem. Es trifft Christ- oder Freidemokraten gleichermaßen, Grüne oder Linke, Büfo oder WNK. Wie soll sich Meinungsfreude entwickeln, Debattierlust, Mitwirkung, wenn Parteien nicht über ihren Tellerrand kommunalpolitischer Mühsal schauen können? Wie soll eigentlich Zivilcourage entstehen, gestärkt, vorgelebt werden im Gemeinwesen, wenn sich in Parteien immer wieder die Bekehrung der Bekehrten vollzieht? Ab morgen werden wir in Nordrhein-Westfalen mit einem für unser Land vollkommen neuen Politikmodell zu tun haben, einer Minderheitsregierung. Einer Regierung, die sich von Fall zu Fall ihre Mehrheiten neu suchen muß. Die alten Antworten werden nichts mehr wert sein. Fundamentalopposition, wie von der CDU angekündigt, ist der falsche Weg. Wer garantiert der CDU eigentlich, daß ihr Einfluß durch eine solche Politik größer wird? Politik muß, dafür sorgen die Wähler nunmehr fast bei jeder Wahl, neue Antworten finden, auf neue und alte Fragen. Politik muß kommunikationsfähiger, kommunikationsfähig werden, nach innen und in Richtung der Bürger. Und ob man sich nun Genosse nennt oder Parteifreund, Bruder oder Kamerad, das spielt in Wahrheit keine große Rolle. Merkwürdig, welche Gedanken einen ereilen, nur weil man einen warmen Abend lang ohne auch nur eine Zigarette auf eigentlich doch erfreuliche Weise politische Fragen diskutiert und es genossen hat. Mit den Genossen. Mal wieder.