Monat: August 2011

Vor oder Hinter?

Der FDP-Vorstand stellt sich hinter Westerwelle. So melden es Zeitungen und Fernsehredaktionen heute. Nur: Wenn ich mich hinter jemanden stelle, suche ich Schutz. Müßte sich die FDP-Spitze nicht also vor Westerwelle stellen? Westerwelle steht, mal wieder, am Abgrund seiner Tätigkeit als Bundesaußenminister. Und so macht das Bild vom Minister und den hinter ihm stehenden Parteifreunden wieder Sinn.

“Unser” Christian

“Unser Christian” heiratet. Diese Formulierung samt Possessivpronomen hat die Lokaljournalistin Gundhild Tillmanns in ihrem Beitrag in der Bergischen Morgenpost  verwendet. Es geht um den aus Wermelskirchen stammenden Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, der in dieser Woche von seinem Freund, Bürgermeister Eric Weik, mit der Journalistin Dagmar Rosenfeld vermählt wird. Christian ist fortan also “unser” aller Christian. Gundhild Tillmanns Begeisterung über dieses gesellschaftliche Großereignis ist mit Händen zu greifen: Ein Heiratsantrag auf einer Serviette in einem Restaurant auf Fuerteventura, das Traugespräch mit dem Bürgermeister, die vorgezogene Hochzeitsreise auf der “Queen Mary”. Die Morgenpost schlüpft in die Rolle der örtlichen “yellow Press”. Selbst vor einer weiteren Peinlichkeit scheut das Wermelskirchener Gesellschaftsblatt nicht zurück: “Ob Lindner und Rosenfeld wie weiland in dem Kino-Film ‘Untergang der Titanic’ in memoriam Leonardo DiCaprio und Kate Winslet die berühmte Liebesszene am Schiffsbug nachgespielt haben, ist nicht überliefert.” Originalton Tillmanns. Im Gesellschaftsblatt assoziiert man mit dem Untergang der Titanic Winslet und DiCaprio. Im seriösen Journalismus wohl eher den Niedergang der Partei Christian Lindners. Einerlei. Christian Lindner heiratet. Gut so.  Eric Weik traut. Gut so. Alles kein Grund für mediokre Schmachtfetzen in der lokalen Presse. “Unser” Christian wird Christian Lindner bleiben – für Werner Güntermann, Heinz Jürgen Manderla, Patrick Engels, für die Mitglieder und Freunde der FDP. Für alle anderen bleibt er Christian Lindner, ohne “unser”. Ich gratuliere dem Brautpaar und wünsche beiden ein Fest, an das sie noch lange denken werden. Möglichst ohne Lokaljournalisten.

“Ich fange an zu denken, daß die Linke vielleicht doch Recht hat”

“It has taken me more than 30 years as a journalist to ask myself this question, but this week I find that I must: is the Left right after all? You see, one of the great arguments of the Left is that what the Right calls ‘the free market’ is actually a set-up.” Nach dreißig Jahren journalistischer Tätigkeit als konservativer Publizist kommt Charles Moore in seinem Blog im Londoner Telegraph zur Erkenntnis, daß die Linke womöglich doch Recht habe, der “freie Markt” derzeit ein abgekartetes Spiel sei und fährt fort: “The rich run a global system that allows them to accumulate capital and pay the lowest possible price for labour. The freedom that results applies only to them. The many simply have to work harder, in conditions that grow ever more insecure, to enrich the few. Democratic politics, which purports to enrich the many, is actually in the pocket of those bankers, media barons and other moguls who run and own everything. ” Also: Die Reichen werden reicher und zahlen immer geringere Löhne. Die Freiheit, die dadurch entsteht, ist allein ihre Freiheit. Die meisten Menschen arbeiten heute härter, leben aber unsicherer, damit einige wenige immer reicher werden. Die Demokratie, die den Menschen dienen sollte, füllt die Taschen von Bankern, Medienbaronen und jenen anderen, die alles besitzen und die Wirtschaft bestimmen. Radikale Thesen eines knochenkonservativen Journalisten, der zwanzig Jahre lang als Chefredakteur konservativer Zeitungen in Großbritannien Meinung machte, zum Katholizismus konvertierte, ein gern gesehener Gast beim Papst ist und die offizielle Biographie von Margret Thatcher verfaßte. “And when the banks that look after our money take it away, lose it and then, because of government guarantee, are not punished themselves, something much worse happens. It turns out – as the Left always claims – that a system purporting to advance the many has been perverted in order to enrich the few. The global banking system is an adventure playground for the participants (…). The role of the rest of us is simply to pay. ” Die Banken, die mit unserem Geld arbeiten sollen, verspielen es und werden wegen der Regierungsgarantien nicht einmal dafür bestraft. Das zeigt, wie die Linke immer behauptet hat, daß ein System (der Kapitalismus), das immer vorgegeben hat, das wirtschaftliche Wohlergehen vieler zum Ziel zu haben, pervertiert wurde, indem es nur wenige immer reicher macht. Das globale Bankensystem ist ein Spielfeld für Abenteurer. Die Rolle von uns anderen ist, deren Rechnung zu zahlen. Das hätten ausgewiesene Linke nicht besser auf den Punkt bringen können als Charles Moore. Die Welt krankt an der blinden Deregulierung von Wirtschaft und Finanzmärkten. Das Mantra lautet: Der Markt regelt alles besser und alleine. Aber: Märkte sind sehr unterschiedlich und in regellosen Märkten setzen sich nur die die Stärksten durch, Monopolisten oder die Reichsten. Constantin Seibt kommentiert im Züricher Tages-Anzeiger: “Es ist kein Zufall, dass die Finanzmärkte in den letzten 15 Jahren die Treiber der Politik sind. Vor der Krise wurden sie mit Gefälligkeiten aller Art umworben; nach der Krise mit tausenden Milliarden gerettet; heute sind sie auf der Jagd nach den verschuldeten Rettern. So dass die reichsten Staaten der Welt vor dem Bankrott stehen. Denn der Finanzmarkt ist der reinste Ausdruck des zeitgenössischen Denkens: der Herde. Die Märkte sind ewig nervös, da sie nur zwei Zustände kennen – Angst und Gier – und nur zwei Dinge respektieren: Erfolg und Misserfolg. Das liefert sie nackt Euphorie und Angst – und damit dem allgemeinen Gerede aus: Die Börse bewegt nicht primär, was ist, sondern was alle darüber sagen.” Das teuerste Unternehmen der Menschheitsgeschichte war die Bankenrettung der vergangenen Jahre. Sie kostete bis heute 15 Billionen Dollar, das Zehnfache des Zweiten Weltkriegs, wie Constantin Seibt schreibt. Diese Kosten hat uns allen die neoliberale Ideologie der vergangenen Jahrzehnte aufgebürdet. Die Ökonomie regiert die Welt und die Entscheidungen der Politik. Und trotzdem besteht sie, wie Seibt anmerkt,  fast nur aus Jargon. Schlagworte, Universalrezepte. Aber: Ökonomie ist keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Es ist Zeit, die selbstverschuldete ökonomische Unmündigkeit hinter sich zu lassen. Und damit beginnt jede Politik. Es ist hohe Zeit für die Politik, aus der Finanzwirtschaft wieder das langweilige, solide Geschäft zu machen, das sie für lange Zeit war. “Und schliesslich”, schreibt Seibt, “sollte man die alten Konservativen ein wenig stärken. Schon, um zu zeigen, dass es einst eine kluge, respektable Rechte gab. Es war ein Republikaner, Oliver Wendell Holmes, der sagte: ‘Ich zahle gern meine Steuern. Mit ihnen kaufe ich mir Zivilisation.'”

Der Nächste bitte…

Nun also auch Jürgen Goldschmidt. Der FDP-Bürgermeister von Forst in der Lausitz, der Partnerstadt Wermelskirchens, steht unter dem Verdacht, in seiner Doktorarbeit gegen die Gebote und guten Sitten wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlicher Publikation verstoßen zu haben. In dem einen oder anderen Fall, so schreibt die Bergische Morgenpost heute, seien ihm “Quellennennungen dadurch gegangen”. Zur wissenschaftlichen Güte der von der technischen Universität Berlin mit gut benoteten Arbeit trug unter anderem eine Statistik der wissenschaftlichen Fachpublikation “Superillu” über die Zu- und Auswanderungen in Ostdeutschland bei. Der zitierende Hinweis auf diese Quelle fachwissenschaftlicher Inspiration ist indes unterblieben. Wenn sich schon die Lokalredaktion der Bergischen Morgenpost den Hinweis nicht verkneifen kann, daß das Boulevardblatt “Superillu” hinlänglich bekannt sei für “Hübsche Mädchen aus Ostdeutschland- hüllenlos: Ob blond, ob braun, bei Superillu.de finden Sie junge Frau’n…..”,dann liegt der Gedanke wohl nahe, daß es sich nicht um eine bloße Vergeßlichkeit des Herrn Doktor gehandelt hat. Ich bleibe, mal wieder, an der Seite von Michael Spreng, dem konservativen Publizisten und Politikberater. Der kritisierte neulich in seinem Blog Sprengsatz, daß man sich mit Blick auf die beiden Europaabgeordneten der FDP, Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis, offenbar damit abgefunden habe, “dass die beiden den Skandal aussitzen und ihr Mandat behalten wollen. Es geht immerhin noch um 35 Monatsdiäten in Höhe von 8.000 Euro. Auch das peinliche Schweigen der FDP-Spitze zu ihren beiden Ex-Doktoren wird nicht thematisiert. Kein Rösler und kein Bahr, Lindner oder Brüderle sagen etwas und kein Jornalist (Fehler im Original, W.H.) fragt etwas. Die Sagenichte und die Fragenichtse.” Vielleicht nicht das Gesetz, aber jedenfalls der bürgerliche Anstand geböte, Mandate und Ämter aufzugeben, wenn erwiesen ist, daß gegen die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens verstoßen worden ist. Immerhin haben die Plagiatoren fremdes geistiges Eigentum als eigene schöpferische Leistung ausgegeben. Das darf man niemandem durchgehen lassen. Schon mal gar nicht Politikern, Mandatsträgern oder Amtsinhabern, die eine öffentliche Rolle spielen, deren Aufgabe es ist, vorbildlich für das Gemeinwohl zu wirken, und deren Leitsatz ja wohl lautet, daß sich Leistung lohnen müsse. Daran ändert auch eine nur lokale oder regionale Bedeutung des Plagiatoren nichts.

Blütezeit

“Das TV-Programm mit seinen Gameshows, den Doku-Soaps und dem Dauergequassel ist kaum auszuhalten. Ich denke nicht, dass wir eine Blütezeit des deutschen Film- und Fernsehschaffens erleben.” Benno Fürmann, deutscher Schauspieler, im Kölner Stadt-Anzeiger vom 29. Juli 2011, (S. 20)