“Hubert Aiwanger hat mit dem Satz, er sei ‘seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit’, den er gerade in die Kameras gesagt hat, alle 25 Fragen von Söder auf einmal beantwortet. Isch over.”
Paul Ronzheimer (BILD) auf Twitter
Monat: August 2023
Heimat
Eine auf Heimat gründende, kollektive »Identität« ist im Wesentlichen Ressentiment, ist exklusiv, nicht inklusiv, sie sucht in erster Linie Abgrenzung und betreibt Ausgrenzung – und mündet, historisch gesehen, immer in Gewalt. Gerade in Europa sowie in Afrika und Teilen Asiens, wo in den vergangenen Jahrhunderten durch Kriege und willkürliche Grenzziehungen so viel Heimat geraubt und verloren und der Heimatbegriff durch wechselnde Ideologien missbraucht wurde, ist die Frage nach der je eigenen Verortung immer schon prekär.
Wo gehöre ich hin? Wo bin ich in dieser globalisierten, immer einförmiger werdenden Welt zu Hause? Nirgends? Nein, überall! Überall dort, wo ich mich wohlfühle, wo meine Rechte garantiert sind, wo ich in meinem »Sosein« akzeptiert werde, wo ich frei bin. Gerade letzteres ist entscheidend. Das wusste schon einer der frühen deutschen Demokraten, der Philosoph und Revolutionär Arnold Ruge: »Die Freiheit ist nicht national«, sie verträgt sich nicht mit landsmannschaftlicher, lokaler und regionaler Verhaftung, ebenso wenig mit patriotischem Getöse. Unter diesen – leider den üblichen – Bedingungen wird Heimat zum Kampfbegriff. Dabei kann sie sich erst jenseits solcher »Verhärtungen« wirklich entfalten.
Nur im Erleben von Vielfalt und Unterschiedlichkeit können meine »Heimatsinne« nach und nach wachsen und am Ende in Gesten, Landschaften und Lebensgeschichten, in Begegnungen und menschlichen Beziehungen ihr selbst gewähltes zuhause finden. An jedem Ort. (…) Sobald die Einhegung des Gemeinsamen zur Wagenburg wird – und wann und wo wäre das jemals nicht passiert? –, um sich von anderen Gruppen abzugrenzen und zu schützen, ist es zur »Feindstellung« und Kampfbereitschaft nicht mehr weit. Das Soziale schlägt in Asoziales um und wird konfrontativ – und am Ende zum Weg in die Sartre’sche Hölle: »Die Hölle, das sind die anderen.«
Jede und jeder wird – auch aus privaten Erfahrungen – bestätigen können, dass das einer die liebsten Irrwege von uns Menschen ist: Neues, Fremdes, Anderes ablehnen und bekämpfen! Dabei sollten wir – ebenfalls auch wieder aus privaten Erfahrungen – wissen, dass das Gegenteil richtig ist: Das Neue ist nicht der Feind des Alten, so wenig wie das Fremde der Feind des Eigenen ist. Aber die Spannung zwischen diesen beiden Polen prägt das gesellschaftliche Leben seit jeher. Historisch gesehen waren dabei immer jene Gesellschaften am erfolgreichsten, die auf Integration statt auf Ausgrenzung gesetzt haben, die also bereit waren, fremde Einflüsse und neue Impulse verändernd wirksam werden zu lassen. Genau darauf käme es jetzt an. Integration ist etwas anderes und ist mehr als Assimilation. Es geht nicht um die Anpassung an das je Gegebene, sozialer und humaner Fortschritt bestand und besteht immer in der Überwindung des Bestehenden, nicht in dessen Erhalt. Es geht darum, Mischungsverhältnisse zu finden, in denen das Eine durch das Andere erweitert, bereichert wird. Hierbei könnten wir uns durchaus die Kinder zum Vorbild nehmen, deren Weltaneignung genauso funktioniert. Solche Offenheit, wie sie den Kindern noch eigen ist, brauchen wir gegenwärtig mehr denn je. Denn wir sind derzeit mit Veränderungstendenzen konfrontiert, wie sie in der Menschheitsgeschichte ihresgleichen suchen. Irgendein Rückbezug auf einen romantisch verbrämten, traditionellen, rückwärtsgewandten Heimatbegriff wird uns dabei ganz sicher nicht helfen. Russland und die Ukraine zeigen gerade, wohin das führt.
Rüdiger Dammann, Heimat-Klänge, in: Ossietzky
LINDNER HAT RECHT!
Im Sommerinterview des ZDF hat Lindner soeben Bemerkenswertes gesagt: Teile des Koalitionsvertrages seien aus der Zeit gefallen. Stimmt! Ganz besonders gilt dies angesichts der gewaltigen politischen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und der Corona Epidemie. Mit nahezu religiösem Eifer wehrt sich die FDP dagegen, mit der Politik der Bundesregierung Gegenmaßnahmen zu realisieren. Das ist verstörend und nicht begreifbar.
Beispiel: Kindergrundsicherung und Senkung des Industriestrompreises. Gesellschaftliche Bruchlinien und wirtschaftliche Notwendigkeiten werden gegen jeden Sachverstand ignoriert. Lindner ist Vorsitzender einer Partei, die kein Ziel hat außer der Selbsterhaltung. Muss dieses Land wirklich noch eine weitgehend handlungsunfähige Regierung weitere 2 Jahre ertragen? Oder ist die beste aller schlechten Lösungen die Aufkündigung der Koalition mit der FDP? Unser Land nimmt Schaden, wenn die FDP weiter die Richtlinien der Politik bestimmen darf.
Hans-Chrsitian Hofmann, Lindner hat Recht!, Kolumne in Blog der Republik
„Die Kirche im Dorf lassen“
„Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay.“
Karl-Heinz Rummenigge über Luis Rubiales
Rummenigge will die Kirche im Dorf lassen. Toll. Eine Einrichtung, auch für Übergriffigkeit und sexuelle Gewalt berüchtigt. Leider. Rubiales’ unerwünschter Kuß ist übergriffig und Rummenigges Verständnis unterirdisch.
Maulhelden
Es reicht ein einziges Wort. Es braucht keine Sätze, keine Erklärungen, keinen Kontext mehr. “Verbot”: Das Wort allein funktioniert als unbedingter Reiz. Wie bei Pawlows Experiment dem konditionierten Hund schon der Speichel fließt vor Appetit, wenn er nur den Klang der Glocke hört, mit der er baldiges Essen verbindet. So schäumt es im öffentlichen Raum schon vor Aggression, wenn nur das Wort “Verbot” ertönt, mit dem das konditionierte Milieu nurmehr “Unterdrückung” zu verbinden gelernt hat. Der Begriff allein ist zum Stimulus kollektiver Wut geworden. “Verbot”, das löst blanken Reflex aus. Da wird aufgejault und herumkrawallt, als drohe die totale Entrechtung. Ohne Differenzierung, ohne auch nur den Restbestand an sachlicher Neugierde, was da verboten werden soll, ohne auch nur den Hauch von Interesse an Argumenten und Gründen. (…) “Verbot“, das wird reflexhaft verkoppelt mit ”Diktatur”. (…) Es ist abstrus, mit welch autoerotischer Empörung sich da echauffiert wird über die Vorstellung, dass es so etwas geben könnte wie eine Regel, an die sich alle halten müssen. Als sei jede individuelle Einschränkung, jedes Gesetz der ultimative Angriff auf die demokratische Gesellschaft oder der Beginn des Totalitarismus. (…) Vielleicht braucht es eine Re-Formulierung des demokratischen Vokabulars. Vielleicht braucht es auch nur eine Beschreibung, wie die soziale Wirklichkeit aussähe, wenn es keine gesetzlichen Vorgaben gäbe. Gesetze und Verbote in einem Rechtsstaat verhindern nicht subjektive Freiheitsrechte, wie da permanent suggeriert wird, sondern sie setzen den Rahmen, innerhalb dessen die Autonomie des Einzelnen überhaupt erst ausgeübt und gelebt werden kann. Eine Freiheit ohne die Grenze der Freiheit und Würde anderer ist keine. Es ist ein eigentümlich narzisstisches Verständnis von Freiheit, wenn jede Regel, die Rücksichtnahme auf andere, jedes Gesetz, das mit Blick auf das Gemeinwohl mir individuell etwas abverlangt, jede Norm, die zum Schutz von Personen oder Institutionen oder der Natur erlassen wird, kategorisch abgelehnt und als mutmaßliche Repression umgedeutet wird. Jede Achtung vor anderen, jede Selbstbeschränkung, jedes Einhegen von eigenen Ansprüchen wird da schon mit infantilem Geplärre als Zumutung behauptet. (…) Natürlich können und müssen auch Gesetze befragt und kritisiert werden. Natürlich ist nicht jeder staatliche Eingriff legitim oder angemessen. Natürlich braucht es auch demokratischen Widerspruch und Abwehrrechte gegen Übergriffe des Staates in subjektive Handlungsrechte. Natürlich braucht es parlamentarischen oder zivilgesellschaftlichen Einspruch und Protest, wenn Verordnungen und Gesetze willkürlich und übergriffig bürgerliche Freiheiten aushöhlen. Aber was da im Moment aufgeführt wird, benutzt nur den Begriff der Freiheit als rhetorische Requisite, um sich damit großmaulig im behüteten Kleingarten einer demokratischen Gesellschaft als mutig, als unerschrocken, als dissident zu inszenieren – und verkennt damit, welchen Mut, welche Unerschrockenheit, welche Dissidenz es in echten autokratischen Regimen braucht. Es lässt sich politisch nichts gestalten, wenn man nicht untersagt, was schädlich ist. Demokratisches Regierungshandeln braucht auch gesetzliche Instrumente, mit denen sich gesellschaftlicher Fortschritt, mit denen sich ökonomischer Wohlstand, mit denen sich Gesundheitsvorsorge, und, ja, mit denen sich ein nachhaltiger Klimaschutz entwickeln lassen. Es lässt sich nichts politisch gestalten, es lässt sich das gute Leben nicht schützen, wenn nicht auch das, was schädlich, was korrupt, was ungerecht, was gewaltförmig ist, untersagt werden kann.(…) Wenn wir als demokratische Gesellschaft überleben wollen, wenn wir unsere Freiheit und unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, dann brauchen wir Regeln, die zugleich einschränken und ermöglichen, wir brauchen Gesetze, die uns lernen und wachsen lassen. Dazu gehört auch, die Mechaniken der absichtsvollen Entstellung von unverzichtbaren Begriffen der Demokratie als das zu entlarven, was sie sind: populistische Demagogie und autoritäre Regression.
Carolin Emcke, Rechtsstaat: Die Maulhelden in: Süddeutsche Zeitung
Ace of Cups: Feel good
“”Wer so eine Partei wählt, wählt verfassungsfeindlich”
(…) Wenn sie (die Wähler, W.H.) eine in weiten Teilen neonazistische Partei wie die AfD wählen, wenn sie dieser Partei zu Einfluss und zu Macht verhelfen, wenn sie so dafür sorgen, dass es eine institutionelle Wieder-Gewöhnung an braunes Gedankengut gibt – dann sind daran angeblich alle anderen schuld, nur nicht die Wählerinnen und Wähler. Das aber ist falsch. Die Schuld an der Wähler-Entscheidung für eine braune Partei wird auf Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck abgeladen, auf die Regierungsampel also und auf ihre andauernden Streitereien; sie wird auch auf Friedrich Merz abgeladen und auf seine täppische Oppositionspolitik. Die Schuld am Aufleben des Neonazismus, der sich in der AfD manifestiert, wird allen anderen und allem anderen zugeschoben – den regierenden Politikern, den Politikern der größten Oppositionspartei, dem Ukraine-Krieg, der Corona-Politik, der Asylpolitik, der Klimapolitik, der Bildungspolitik. Es wird so getan, als gäbe es für das braune Kreuz eine eingebaute Entschuldigung. Es gibt sie nicht. Es gibt genügend Gründe dafür, mit der herrschenden Politik unzufrieden, es gibt auch Gründe, auf sie zornig zu sein. Es gibt aber keinen einzigen Grund dafür, deswegen eine nationalistische und neonazistische Partei zu wählen, eine Partei, die so tut, als wären die Verbrechen der Nazis ein “Vogelschiss”. Die rechtsstaatliche Demokratie hat Fehler, und die demokratischen Parteien machen Fehler. Aber: Der rassistische Nationalismus, wie er sich in der AfD ausgebreitet hat, ist ein einziger furchtbarer Fehler. Wer auf den Wahlzettel sein Kreuz bei der AfD malt, der erteilt damit nicht einfach nur den anderen Parteien einen Denkzettel; er ermächtigt eine Partei, die die Menschenwürde verachtet, die giftige und gemeine Reden führt, in der das Nazi-Denken zu Hause ist und in der die NS-Verbrechen verharmlost werden. Das darf man kritisieren, das muss man kritisieren. (…) Wenn immer mehr Wähler das Land in eine braune Traufe schicken wollen, geht es nicht um geschmäcklerische Fragen; es geht um Grundfragen der rechtsstaatlichen Demokratie. Man darf, soll und muss den AfD-Wählerinnen und -Wählern die Frage stellen, ob sie wirklich wissen und wollen, was sie da tun. Wollen sie zurück in ein Land, in der Minderheiten keine oder nur wenige Rechte haben? Wollen sie zurück in ein Land der bösen Vorurteile, in dem es Deutschen-, aber keine Menschenrechte gibt? Wollen sie in einem Land wohnen, in dem Grundrechte und Grundwerte ausgehebelt werden? Die AfD ist seit ihrer Gründung eine Partei i.V., eine Partei in Verwandlung; auf dem vergangenen Parteitag hat sie das final-gefährlich-extremistische Stadium erreicht. Das finale Stadium ist – braun. Die AfD ist dorthin gerückt, wo einst, weniger erfolgreich, die NPD ihren Platz hatte; sie wird zu einem völkischen Kampfverband, der vom Thüringer Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke repräsentiert wird, der deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland vertreiben will. In dieser Partei ist vom “großdeutschen Reich” die Rede und von einer “Umvolkung”, die man verhindern müsse. Zu konstatieren ist die tiefe Braunwerdung der AfD. Aus einer ursprünglich rechtsbürgerlichen Partei wird mehr und mehr eine nationalfaschistische Partei. Europa wird nicht nur bedroht von Putin, es wird auch bedroht von einer Partei wie der AfD. (…) Wer so eine Partei wählt, der wählt verfassungsfeindlich. Das darf und muss man ihm sagen, weil man den Schutz der Verfassung und des Rechtsstaats nicht einfach allein dem Verfassungsschutz überlassen darf. Das ist keine Wählerbeschimpfung, das ist Aufklärung. (…)
Heribert Prantl, Wer so eine Partei wählt, wählt verfassungsfeindlich, in: Süddeutsche Zeitung
The Sei: ‘Let It All Go’
Mausetot
VON WOLFGANG HORN
Harry Kane? Nein, den muß man nicht unbedingt kennen. Außer, wenn Sie fußballbegeistert sind. Dann wissen Sie, daß Harry Edward Kane von der britischen Insel nach München umgezogen ist, um dort für den FC Bayern die Fußballschuhe zu schnüren. So weit, so gut. Gut einhundert Millionen Euro hat sich der deutsche Kickerkrösus das kosten lassen. Einhundert Millionen. Womöglich noch mehr für Erfolgsprämien. Der teuerste Spielertransfer je in Deutschland. Für einen einzigen dreißigjährigen Mann. Geld schießt keine Tore. So war bislang immer zu lesen. Ist das jetzt anders? Kommt mit Kane garantiert der Erfolg, auf den die Bayern warten? Die Championsleague? Tja … Oder nehmen wir Neymar. Kennen Sie auch nicht? Egal. Mit vollem Namen heißt er Neymar da Silva Santos Júnior. Und kickt demnächst in Saudi-Arabien. Nachdem er bislang beim Paris Saint-Germain Football Club tätig war, der aus Katar bezahlt wird. In zwei Jahren soll Neymar beim saudischen Klub Al-Hilal, so kann man lesen, dreihundertzwanzig Millionen Euro kassieren. Verrückt? Ja, auf jeden Fall. Dabei hat PSG, der Pariser Club, Zweitausendsiebzehn bereits die Rekordsumme von zweihundertzweiundzwanzig Millionen Euro an den FC Barcelona überwiesen. Schon das war vollkommen bekloppt. Heute ist das große brasilianische Kind bereits einunddreißig Jahre alt und kassiert neben dem aberwitzigen Gehalt auch noch einen privaten Fuhrpark aus vier Mercedes-Luxuskarossen sowie drei Wagen der Marken Aston Martin, Lamborghini und Bentley, einen persönlicher Chauffeur, eine Luxus-Herberge mit mindestens 25 Zimmern, drei voll ausgestattete Saunas, fünf Vollzeit-Butler, die unter anderem seinen persönlichen Koch aus Brasilien unterstützen sollen, die volle Übernahme seiner Kosten für Hotel-, Restaurant- und Stadt-Besuche, die er an seinen freien Tagen tätigt, einen Swimmingpool, der mindestens zehn Meter breit und vierzig Meter lang sein soll sowie die Nutzung eines Privatjets, wann immer er oder sein Anhang diesen benötigen. Das alles ist eigentlich unaushaltbar bekloppt. Damit ist der schöne Sport tot. Mausetot. Geld schießt keine Tore. Aber wenn der Sport verkommt zur vollkommen hirnrissigen Kapitalvernichtung, wenn er soweit jenseits der Vorstellungskräfte der Fans und Sportbegeisterten abdriftet, so gar nichts mehr mit dem Alltag der Menschen zu tun hat, ohne die es den Sport, die Vereine und Verbände nicht gäbe, dann schießt Geld keine Tore, sondern erschießen Geld und Scheichs den Sport. Der Fußball ist tot. In der Wüste zugerichtet. Leider.