Monat: März 2022

Frauen-Fußball

Die bereits für die Weltmeisterschaft in der arabischen Kleinstadt Quatar qualifizierte Fußballmannschaft des Iran hat ihr letztes Qualifikationsspiel gegen den Libanon ausgetragen. Vier Jahrzehnte lang war Frauen der Besuch von Fußballspielen dort untersagt und erst auf Druck des Weltverbands FIFA durfte in den vergangenen zwei Jahren eine limitierte Anzahl von Frauen zumindest zu zwei WM-Qualifikationsspielen und zum asiatischen Champions-League-Finale ins Teheraner Asadi Stadion. Zweitausend Frauen, die legal Tickets erworben hatten, konnten dennoch im Stadion in Maschad den Zwei-zu-Null-Sieg der Iraner nicht verfolgen. Religiöse Eiferer verwehrten den Frauen den Zutritt. Entgegen der vorherigen Zusage des iranischen Fußballverbands wurden nur Männer ins Stadion gelassen. Während der daraufhin entstehenden Proteste wurde laut Augenzeugen von der Polizei Pfefferspray gegen die Frauen eingesetzt. Nun setzt indes das große Jammern ein, denn die Fußballfunktionäre vernehmen „besorgniserregende Nachrichten“ aus der FIFA, daß womöglich der Ausschluß vom diesjährigen Weltmeisterschaftsturnier in der Fußballmetropole Quatar drohe. Höchste Zeit für einen solchen Bann wäre es. Und alle Fußballverbände aus Ländern, in denen Frauen immer noch diskriminiert werden, sollten so lange auch von allen internationalen Turnieren ausgeschlossen bleiben. Die Welt läßt sich nur mit Entschiedenheit ändern und verbessern

Fritten-Fiasko

Fritten-Fiasko in Köln! Mit dieser Meldung wartet heute Radio Berg auf, der Privatsender aus dem Bergischen Land. Ab morgen soll es in einem Brauhaus in Köln, so das Senderchen, keine Pommes mehr als Beilage geben, da das Öl für die Fritteuse aktuell zu teuer sei oder gar nicht mehr zu bekommen. Das ist wahrlich eine Einschränkung. Keine Pommes mehr zum Zigeunerschnitzel. Wir werden uns umstellen müssen. Bratkartoffeln statt welsch frittierter Pommes de Terre. Die gehen zur Not auch mit Butter oder Schmalz. Mit Fett werden wir der Öl-Krise begegnen.

Ohne Deuter

Fußball sieht man im Stadion, wenn‘s um die höheren Ligen geht, auf dem Platz hinter der Barriere an den Seiten, wenn man Fan von Landesligamannschaften bis Kreisligakickern ist. Niemand erklärt einem dort, was man sieht. Niemand quatscht irgendeinen angelesenen Blödsinn ins Spiel. Niemand redet dort unentwegt auf die Zuschauer ein. Und ich meine unentwegt. Niemand liest einem dort Statistiken vor. Im Wort “Zuschauer“ liegt das ganze Geheimnis. Wenn man hinschaut, weiß man, was gespielt wird. Dann braucht man keinen Kommentar. Fußball ist immer noch keine Wissenschaft, für die man einen Deuter bräuchte. Warum ist das im Fernsehen alles anders?

Geht doch

Politische Talkshows müssen keine atemlos hetzenden, Gesprächsrundenteilnehmer unentwegt unterbrechenden Veranstaltungen sein, in denen das Wort der Moderatorin immer und unbedingt zu dominieren hat. Marietta Slomka hat es bewiesen. Man kann zuhören und folgen, ohne permanent von nervigen ModeratorInnen genervt sein zu werden. Geht doch. Eine sachlich und zurückhaltend moderierte Talkshow ist möglich.

Drei Arten Gedichte aufzuschreiben

Heute ist der Welttag der Poesie. Von der UNESCO ausgerufen und seit dem Jahr Zweitausend jedes Jahr begangen. Deshalb hier der Text von Hilde Domin, Drei Arten Gedichte aufzuschreiben.


Ein trockenes Flussbett
ein weißes Band von Kieselsteinen
von weitem gesehen
hierauf wünsche ich zu schreiben
in klaren Lettern
oder eine Schutthalde
Geröll
gleitend unter meine Zeilen
wegrutschend
damit das heikle Leben meiner Worte
ihr Dennoch
ein Dennoch jedes Buchstabens sei

2.
Kleine Buchstaben
genaue
damit die Worte leise kommen
damit die Worte sich einschleichen
damit man hingehen muss
zu den Worten
sie suchen in dem weißen
Papier
leise
man merkt nicht wie sie eintreten
durch die Poren
Schweiß der nach innen rinnt
Angst
meine
unsere
und das Dennoch jedes Buchstabens

3.
Ich will einen Streifen Papier
so groß wie ich
ein Meter sechzig
darauf ein Gedicht
das schreit
sowie einer vorübergeht
schreit in schwarzen Buchstaben
das etwas Unmögliches verlangt
Zivilcourage zum Beispiel
diesen Mut den kein Tier hat
Mit-Schmerz zum Beispiel
Solidarität statt Herde
Fremd-Worte
heimisch zu machen im Tun

Mensch
Tier das Zivilcourage hat
Mensch
Tier das den Mit-Schmerz kennt
Mensch Fremdwort-Tier Wort-Tier
Tier
das Gedichte schreibt
Gedicht
das Unmögliches verlangt
von jedem der vorbeigeht
dringend
unabweisbar
als rufe es
“Trink Coca-Cola”

KZ-Überlebender stirbt in Bombenhagel in Charkiw

Boris Romantschenko hat die deutschen Konzentrationslager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen überlebt. Den russischenBombenangriff am vergangenen Freitag in Charkiw nicht. Dies berichtet die Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora auf Twitter. Die Enkelin von Boris Romantschenko teilte mit, daß ihr Großvater in einem mehrstöckigen Gebäude lebte, das von einem russischen Geschoss getroffen wurde. 

Boris Romantschenko war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und hatte sich intensiv für die Erinnerung an die NS-Verbrechen eingesetzt. “Wir sind zutiefst bestürzt”, schreibt die Gedenkstätte. Russland rechtfertigt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine unter anderem mit der unfaßbaren Lüge von einer “Entnazifizierung” des Landes.

Zeitenwende

Der 24. Februar stellt womöglich doch eine Zeitenwende dar. Am Tag des Überfalls Russlands auf die Ukraine stellen die Menschen hierzulande nicht nur erneut fest, daß es sich in Rußland und in den meisten Staaten der ehemaligen Sowjetunion um Autokratien handelt, um Staaten, in denen die Macht in den Händen eines oder weniger einzelner liegt, und nicht um demokratische Gemeinwesen, in denen etwa Parlamente und Regierungen aus freien Wahlen hervorgehen, in denen die staatlichen Institutionen nach dem Prinzip einer Gewaltenteilung organisiert sind, in denen Rechtsstaatlichkeit vermittels einer unabhängigen Justiz herrscht und die Bürgerinnen und Bürger über verfassungsrechtliche Grund- und Freiheitsrechte verfügen. Das alleine wäre indes noch keine Zeitenwende, sondern allenfalls ein aktueller Abruf latent vorhandenen politischen (Vor-)Wissens. 

Caroline Emcke formuliert in ihrer Kolumne in der Süddeutschen Zeitung, daß, was jetzt Zeitenwende genannt werde, die „verspätete, aber bedeutsame Einsicht in Europa“ sei, „dass nicht nur die Demokratien der anderen verwundbar sind, sondern auch die eigenen, dass die duldsame Gleichgültigkeit gegenüber der Menschenverachtung eines Autokraten nicht nur andere Gesellschaften schutzlos ausliefert, sondern auch die eigenen. Zerstoben der bequeme Glaube, die Demokratie sei eine stabile Ordnung, nichts Fragiles, was wir alle substanziell nähren und stützen müssen.“

Der Krieg gegen die Ukraine erschüttert die vermeintlich stabile demokratische Ordnung auf dem europäischen Kontinent und offenbart die eigentümliche Schwäche, nämlich die Fragilität der Lebensverhältnisse, in denen die Menschen, wir alle, fernab von Kriegen der Illusion stabiler Friedensverhältnisse in Zentraleuropa und gleichsam ewiger Republiken nachhängen.

Umgekehrt aber sind es die – wenn auch auch fragilen – Gesellschaftsentwürfe und die gelebten politischen Verhältnisse in den kapitalistischen Ländern Westeuropas, die eine eigentümliche Faszinosität auf die Menschen jenseits des einstigen „eisernen Vorhangs“ ausüben. Mehr als alle seit vielen Jahren in die politische Debatte eingebrachten Aspekte der Sicherheitsinteressen Rußlands und als vermeintlich nicht eingehaltene Zusagen für eine Nicht-Expansion der NATO, scheint die Attraktivität der westlichen Gesellschaftsentwürfe für die Menschen in Rußland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion die eigentliche Bedrohung auszumachen, die die russischen Führer zur Aggression gegen ein Brudervolk im Nachbarstaat bewogen hat. 

Viel gefährlicher als ein NATO-Rakenabwehrsystem in Rumänien oder High-Tec-Militärflugzeuge im Baltikum wäre die Entwicklung einer demokratische Zivilgesellschaft im eigenen Land, eine am Gemeinwesen orientierte Politik anstelle der kleptokratischen Autokratien in Rußland oder Belarus, sind Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, freie Wahlen, freie politische Betätigung, unzensierte Medien, eine zivile Gesellschaft gänzlich ohne Polizeistaat und gegen die eigenen Bürger operierenden Geheimdienste. Wirtschaftliche Prosperität und mithin auch die Verbesserung der sozialen Lage der Mehrheit der Bevölkerung ist von kleptokratischen Polizeistaaten nicht zu erwarten, in Grenzen indes von demokratischen Staaten allemal. Für Putin, Lukaschenko und Konsorten liegt die Bedrohung in einem demokratischen und wirtschaftlich erfolgreichen Gegenentwurf in Belarus oder der Ukraine. 

Das Rußland Putins ist immer beteiligt, wenn es gegen Demokratie geht, gegen Freiheit und Menschenrechte. Als Assad in Syrien auf Demonstranten schießen ließ, war Russland mit Waffen und Soldaten zur Stelle. Die kritisch über den Tschetschenienkrieg berichtende Journalistin Anna Politkowskaja wurde auf offener Straße erschossen. Ebenso der Oppositionelle Boris Nemzov. Die Punkband Pussy Riot verschwand im Arbeitslager. Auch der putinkritische Oligarch Michael Chodorkowski. Alexei Navalny sitzt im Gefängnis, nachdem er nur durch Glück den Giftanschlag des russischen Geheimdienstes überlebt hat. Die übergelaufenen Ex-Geheimdienstler Alexander Litvinenko und Sergej Skripal wurden vor den Augen der Weltöffentlichkeit in Großbritannien mit wahlweise Polonium bzw. Nowitschok vergiftet. Der oppositionelle Russe Selimchan Changoschwili wurde im Berliner Tiergarten von russischen Geheimdienstlern erschossen. Alexander Lukaschenko befindet sich in Minsk nur noch dank Putins finanzieller und militärischer Unterstützung auf dem Präsidentensessel. Rechtsextreme Parteien, der Front National, die AfD und viele andere, werden von Russland finanziell gefördert. Eine kritische Berichterstattung ist verboten. Das Wort „Krieg“ darf im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Ukraine nicht mehr öffentlich verwendet werden. Die staatlichen Medien sind gleichgeschaltet, private verboten oder unterdrückt. Die Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich um die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen des stalinistischen Rußlands verdient gemacht hat, wurde verboten.

Kurzum: In Rußland unterdrückt die Diktatur einer kleinen Gruppe um Putin jedwede demokratische Regung der Menschen im Keim. Insoweit entfaltet selbst die fragile und stets gefährdete Demokratie der Länder Westeuropas eine ungeheure Kraft in Richtung Osten und stellt so die eigentliche Bedrohung für das System Putin-Lukaschenko dar.

Der Krieg gegen die Ukraine läßt die äußere Bedrohung unseres Gesellschaftsentwurfs, der der Zivilgesellschaft zugrunde liegenden Werte schlagartig deutlich werden. Zeitenwende eben. Schleichend indes, nur allzu langsam wird nunmehr auch deutlich, daß wir es seit geraumer Zeit auch mit „inneren“ Bedrohungen zu tun haben. Caroline Emcke schreibt dazu: „Eine demokratische Ordnung ist abhängig von einer intakten Öffentlichkeit, in der gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildungsprozesse stattfinden können. Es sind diese Selbstverständigungsdiskurse, in denen wir, Bürgerinnen und Bürger, verhandeln können, wie wir leben wollen. Es sind diese diskursiven Strukturen, durch die sich das Regierungshandeln kritisch reflektieren und potenziell auch korrigieren lässt.“ Wenn der öffentliche Diskurs nicht mehr an Wahrheit und Fakten, an einer gemeinsam erfahrbaren Wirklichkeit orientiert ist, wenn sich Ressentiments und Wahn, Xenophobie, Wissenschaftsfeindlichkeit und Antisemitismus, Elitenfeindlichkeit und Spzialpathologie gegenseitig stimulieren, wird die Demokratie in ihrem Kern zerstört.

Noch einmal Caroline Emcke: „Es darf und muss gestritten, gehadert, gerungen werden um politische oder soziale Belange. Es können und müssen auch inmitten krisenförmiger Zeiten, ob in der Pandemie, in der Klimakrise oder im Krieg, ein Spektrum an Einschätzungen und Positionen erörtert werden. Aber manche Redaktion könnte sich schon auch befragen, ob irrationaler Humbug, zynisches Lügen oder dumpfes Ressentiment wirklich hofiert und normalisiert werden müssen. Das Unerhörte ist da allzu oft alltäglich geworden.“ Nicht zuletzt durch Zutun der Putins, Trumps und Lukaschenkos dieser Welt.

Krieg

In Rußland werden Worte verboten. Da darf nicht Krieg geheißen werden, was Krieg ist. Welches Wort wäre denn angemessen? Terror gegen die Zivilbevölkerung? Bomben auf Krankenhäuser? Explosionen in Wohnhäusern? Zerstörung von Straßen, Brücken und Gebäuden? Brennende Städte? Tote auf den Straßen? Die fliehenden Mütter mit ihren Kindern flanieren doch nicht auf den wenigen noch intakten Straßen der Ukraine. Wenn Worte verboten werden, wird die Wahrheit gemeuchelt. Man kann das von Rußland über die Ukraine gebrachte Elend nennen, wie man will: Es ist ein verdammter Krieg. Ein Überfall. Ein starkes Land hat ein kleines Land von Nachbarn überfallen und mordet Menschen, Städte, Kultur, Geschichte, Alltag, Moral, Wirtschaft, Freundschaften, Anstand und Zukunft. Es ist alles, nur nicht die militärische Sonderoperation, als die die philisterhaften Lügenbolde im Kreml ihren Angriffskrieg gerne beschönigend bezeichnet wissen wollen. Das ist keine Sonderoperation. Für das, was Rußland dort in der Ukraine anstellt, gibt es in allen Sprachen der Welt nur ein Wort: Krieg. Guerre. War. Guerra. Krig. Sota. Válka. Noch vor den Menschen sterben im Krieg Redlichkeit und Wahrheit. Mehr noch: Lügen und Unwahrheit bereiten Kriege und Gewalt vor. Die Beseitigung der guten Sprache, das Verbot der zutreffenden Worte und die Verwendung technokratisch-täuschender Vokabeln zeigen allen, die zu lesen und verstehen gut gelernt haben, daß die Macht, die Mächtigen Ungutes im Schilde führen. Die Sprache leidet als Erste, die Menschen hernach, das Land, die Länder dann. Rußland, dessen Menschen das allergrößte Leid im Zweiten Weltkrieg erdulden mußten, einem Krieg, den die Deutschen mit Lügen vorbereiteten und begannen, Rußland, dessen Verständigung mit den deutschen Menschen nach dem Krieg eine ungeheure historische Leistung darstellt, Rußland, dessen Sprache von mehr als zweihundersiebzig Millionen Menschen gesprochen wird und die Sprache großer Literaten ist, von Dichtern, deren Erzählungen Welten geschaffen haben, die die Menschheit umspannen, die die Wahrheit über die Verhältnisse außer Landes gebracht haben, dieses große, geschundene und mächtige Land ist zum Aggressor geworden. Es ist zum Weinen. Und es ist zum Kämpfen. Sagen wir die Wahrheit. Immer. Überall. Jetzt. In der Ukraine ist Krieg. Und in Rußland ist Krieg gegen die Wahrheit.