Monat: Februar 2023

Das hohe Lied auf den Treppenlift

Gut, einen Geburtstag auszulesen und damit das Alter des Users zu bestimmen, ist weiß Gott keine Großtat künstlicher Intelligenz. Aber wo immer ich mich in den letzten Jahren in den Weiten des Netzes herumgetrieben habe, war ein Ergebnis doch immer auch das Gleiche: Ich habe die Altersgrenze für Treppenlifte überschritten. Offenbar. Neben medizinischen Hilfsmittelchen für funktionierende Erektion und Blasentätigkeit taucht seither auch der Treppenlift auf der Liste der Offerten des künstlich Intelligenten auf. Immer mal wieder. Mitunter in die Frage verpackt, ob ich denn wüßte, zu welchem Eurokurs ich ein solches Verkehrsmittel erwerben könnte? Und? Ich hab’s natürlich abgetan. Im Kopf zu einer eher wegwerfenden Handbewegung gegriffen und mich nicht weiter drum gekümmert. In den letzten Monaten aber haben Lunge, Beine und Muskeln immer wieder und immer mehr geschwächelt, wenn es um die Treppe in den ersten Stock unseres Hauses geht und ging. Bis ich es gegen Ende des Jahres gar nicht mehr ins Erdgeschoß geschafft habe. Dann aber haben wir einen Treppenlift angeschafft. Dessen Segnungen genieße ich nun mit gehöriger Verspätung, habe ich die ersten beiden Monate des Jahres doch aushäusig zugebracht, im Hospital. Nun fahre ich mehrfach am Tag stark entschleunigt von unten nach oben und zurück. Das dauert. Ein Treppenlift ist kein Rennwagen, nichts, an dem man schrauben, nichts, dem man ein paar PSchen zusätzlich verpassen könnte. Aber das Oben hat seinen immanenten Schrecken verloren. Ich begebe mich nun auch für einen einzigen Kaffee wieder nach unten. Soviel Zeit muß sein. Lift-Zeit ist eben auch Kontemplations-Zeit.

Neujahr Zuhause

Vorvorgestern, am Tag, an dem ich ursprünglich hätte aus dem Krankenhaus entlassen werden sollen, hat sich Barbara bei einem Sturz von der Kellertreppe fünf Mal (!) Wadenbein, Fuß und Sprunggelenk gebrochen. Das bedeutet, von heute an etwa vier bis sechs Wochen stark eingeschränkte Mobilität, kein Sport, kein Yoga, kein Einkaufen, kein Wandern im Busch rund um Wermelskirchen. Wie in Hoch-Zeiten der Corona-Pandemie. Und seit gestern bin ich nun auch wieder zuhause. Im eigenen Bett schlafen. Den eigenen Kaffee aus der eigenen Maschine schlürfen. Alles vertrauter als die Krankenhausumgebung der letzten Wochen. Wir fangen noch einmal neu an, das Jahr Zweitausendunddreiundzwanzig und ich. Demnach wäre gestern Neujahr gewesen, da ich neunundvierzig Tage anderswo gelebt habe, in Krankenhäusern und Intensivstationen. Ich bin bereit, mich mit dem aktuellen Jahr zu versöhnen.

Soll man Rassisten umerziehen?

Robert Misik, Soll man Rassisten umerziehen? Ja, was denn sonst!, in: Newsletter Vernunft und Extase, erschienen am dreizehnten Februar Zweitausenddreiundzwanzig

Westentaschen-Mussolinis wie Kickl können nicht beantworten, was eigentlich am Ende, nach Polarisierung, nach der Wut- und Hassbewirtschaftung, nach dem von ihnen so leidenschaftlich betriebenen Zerstörungswerk stehen soll. Nicht einmal sie selbst können auch nur im Entferntesten eine Idee der Verwandlung in Verbesserungsenergie angeben. Das ist letztendlich auch ihr größter Schwachpunkt. Denn auch ihre verbiestertesten Anhänger wissen das. Sie wissen das insgeheim: Dass am Ende des Zerstörungsfurors nicht Verbesserung, sondern Verschlechterung steht. Sie machen nicht nur die Gesellschaft schlechter, sie machen die Menschen schlechter. Eine der großen Fehlannahmen ist ja, dass der rechte Radikalismus nur das Potential an Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft aufnehme, umgarne, sichtbar mache. Dass er nur spiegle, was ohnehin da ist. Das ist natürlich nicht gänzlich falsch, insofern er an Vorhandenes appelliert, aber auch nicht gänzlich richtig, denn er ist auch eine Umerziehung. Eine Umerziehung zur Grausamkeit, eine Einübung in die Schlechtigkeit. Diese Pointe sollte man nicht übersehen, gerade, weil ja eine Propagandafloskeln der Rechtsextremen lautet, die linken, liberalen und sonstigen „Gutmenschen“ würden die Menschen umerziehen wollen, zu Antirassisten, zu Migrantenfreunden, zu Feministen, zu Homosexuellen-Tolerierern oder was auch immer. Dabei verschweigen die Rechtsextremisten gerne, dass sie die Menschen auch umerziehen wollen, sie durch das tägliche Gift der Verrohung in grausamere Menschen verwandeln wollen, ihnen jede Empathie abgewöhnen wollen, usw. (…) Ich denke, Rorty trifft hier einen Punkt, den wir gerne übersehen. Die rechten Extremisten wollen die Menschen umerziehen, zur Grausamkeit erziehen. Leute wie Kickl wollen Menschen, die möglicherweise den intuitiven Impuls verspüren würden, leidgeprüften Menschen zu helfen, mit ihnen Mitleid zu empfinden, dazu bringen, dass sich diese die Empathie und das Mitleid abgewöhnen und in einem Flüchtlingskind mit zerrissener Kleidung nicht das hilfsbedürftige Geschöpf zu sehen, sondern den gefährlichen Eindringling, der abgewehrt werden muss. Die Rechten wollen die Menschen umerziehen, aber auch die Linken wollen die Menschen umerziehen. Sie wollen Rassisten umerziehen, damit sie keine Rassisten mehr sind, und Menschen mit grausamen Intuitionen zu Menschen mit Empathie. Was eigentlich sollte man mit Rassisten denn auch sonst tun?

Robert Misik, Soll man Rassisten umerziehen?, in: Newsletter Vernunft und Extase, erschienen heute, am dreizehnten Februar Zweitausendunddreiundzwanzig