Monat: Dezember 2015

A Hard Rain’s a-Gonna Fall

I’ve been out in front of a dozen dead oceans. Zivilisationskritik? Aber vom Feinsten. I saw guns and sharp swords in the hands of young children. Amerika? Nein. Auch Europa. Frankreich. Kürzlich noch. In diesem Jahr zweimal. Mindestens. I heard ten thousand whisperin’ and nobody listening’. Hier und heute. Jeden Tag. Im Netz und in der Bahn, in der Nachbarschaft, in Facebook und der Kneipe. Heard the song of a poet who died in the gutter, heard the sound of a clown who cried in the alley. Günter Grass starb, Harry Rowohlt, Klaus Bednarz, die Karikaturisten von Charlie Hebdo wurden massakriert, Leonard Nimoy ist tot, Lemmy Kilmister oder B.B. King. I heard one person starve, I heard many people laughing’. Menschen fliehen aus Not, Elend und Krieg zu uns und Inländer oder besorgte Bürger zünden Flüchtlingsheime und Notunterkünfte an. Andere befeuern mit der großen Zahl von Menschen in Not die schändliche Angst vor Fremden.  I met one man who was wounded in love, I met another man who was wounded in hatred. It’s a hard rain’s a-gonna fall. Bob Dylan war, als er dies alles schrieb, Neunzehnhundertzweiundsechzig, im Dezember, als junger Kerl von einundzwanzig Jahren, mitten in seiner Zeit und ihr zugleich weit voraus. Ein Text, ein Bild, ein Wortgemälde, zweiundfünfzig Jahre alt. Aber es fühlt sich an, als wäre es gestern erst geschrieben worden. Ein wuchtiger Text, gewaltig, schwer. Passend zum Jahr, passend zum Jahresausklang. Hier eine Version von The Mar-Tays.

Oh, where have you been, my blue-eyed son?
And where have you been my darling young one?
I’ve stumbled on the side of twelve misty mountains
I’ve walked and I’ve crawled on six crooked highways
I’ve stepped in the middle of seven sad forests
I’ve been out in front of a dozen dead oceans
I’ve been ten thousand miles in the mouth of a graveyard
And it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard, and it’s a hard
It’s a hard rain’s a-gonna fall.

Oh, what did you see, my blue eyed son?
And what did you see, my darling young one?
I saw a newborn baby with wild wolves all around it
I saw a highway of diamonds with nobody on it
I saw a black branch with blood that kept drippin’
I saw a room full of men with their hammers a-bleedin’
I saw a white ladder all covered with water
I saw ten thousand talkers whose tongues were all broken
I saw guns and sharp swords in the hands of young children
And it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard, and it’s a hard
It’s a hard rain’s a-gonna fall.

And what did you hear, my blue-eyed son?
And what did you hear, my darling young one?
I heard the sound of a thunder that roared out a warnin’
I heard the roar of a wave that could drown the whole world
I heard one hundred drummers whose hands were a-blazin’
I heard ten thousand whisperin’ and nobody listenin’
I heard one person starve, I heard many people laughin’
Heard the song of a poet who died in the gutter
Heard the sound of a clown who cried in the alley
And it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard
And it’s a hard rain’s a-gonna fall.

Oh, what did you meet my blue-eyed son ?
Who did you meet, my darling young one?
I met a young child beside a dead pony
I met a white man who walked a black dog
I met a young woman whose body was burning
I met a young girl, she gave me a rainbow
I met one man who was wounded in love
I met another man who was wounded in hatred
And it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard
And it’s a hard rain’s a-gonna fall.

And what’ll you do now, my blue-eyed son?
And what’ll you do now my darling young one?
I’m a-goin’ back out ‘fore the rain starts a-fallin’
I’ll walk to the depths of the deepest black forest
Where the people are a many and their hands are all empty
Where the pellets of poison are flooding their waters
Where the home in the valley meets the damp dirty prison
And the executioner’s face is always well hidden
Where hunger is ugly, where souls are forgotten
Where black is the color, where none is the number
And I’ll tell and speak it and think it and breathe it
And reflect from the mountain so all souls can see it
And I’ll stand on the ocean until I start sinkin’
But I’ll know my song well before I start singing
And it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard, and it’s a hard
It’s a hard rain’s a-gonna fall.

 

Lemmy Kilmister

An Heiligabend feierte Lemmy Kilmister noch seinen siebzigsten Geburtstag. Am zweiten Weihnachtsfeiertag sagte man dem Motörhead-Sänger, daß er an einem aggressiven Krebs leide. Jetzt ist er tot. “Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen, um unseren Schock und unsere Traurigkeit auszudrücken, uns fehlen die Worte.” So Motörhead auf Facebook. “Aber für den Moment: Spielt Motörhead laut, spielt Hawkwind laut, spielt Lemmys Musik laut. Genehmigt Euch einen Drink oder mehrere.” Ich habe noch vor knapp vier Monaten, am ersten September,  eine wodka-saubere Rezension von Kilmisters Musik in der Süddeutschen Zeitung gefeiert. In der hieß es unter anderem: “Das Tollste: Motörhead ist eine Version des Rolling Stones-Klassikers: ‘Sympathy for the Devil’ gelungen, die atemberaubend anders als herkömmliche Coverversionen ist. Hier kommen Schlagzeug und Gitarre endlich zu dem souveränen Recht, das die Stones ihnen nicht geben wollten – oder konnten.”  Und so macht der Tod aus einer Hymne den Nachruf. Hört Euch Lemmy Kilmisters Sympathy for the Devil an. Laut. Immer wieder.

Gewalt gegen Flüchtlinge ist ein Problem der Mitte

Wer lautstark über Obergrenzen für Geflüchtete debattiert, Asylbewerber kriminalisiert und permanent die Alarmglocke läutet, weil Deutschland angeblich am Rande des Machbaren steht, darf sich nicht groß wundern, wenn andere sich berufen und ermuntert fühlen, Häuser anzuzünden.

Olaf Steinacker, Kommentar: Gewalt gegen Flüchtlinge ist ein Problem der Mitte, in Westdeutsche Zeitung von heute

Von der Fischer im stehenden Gewässer der Stagnation

(…) Das Interessante aber ist: Helene Fischer interpretiert keine Musikstile, sie nimmt sie in Besitz. Wenn sie Rockmusik oder Swing singt, hat man nicht das Gefühl, dass sie in das jeweilige Genre und in dessen Lebensgefühl eintaucht; eher fühlt es sich an wie das Gegenteil: Fischer „rockt“ und „swingt“ nicht, vielmehr werden Rock und Swing „gefischert“. (…) Es ist ganz gleich, was sie singt, es klingt immer und in allererster Linie nach Helene Fischer. (…) Helene Fischer kann alles singen, was jemals komponiert wurde. (…) Gerade weil Musik aber immer Ausdruck des Zeitgeist ist, wurde die Rockmusik, als sie entstand, von den älteren Generationen verabscheut und als „Bedrohung für das Abendland“ angesehen: Diese Musik entsprach dem Lebensgefühl der damaligen jungen Generation, es roch nach Revolte, nach Schweiß, nach Ausbruch, nach Wildheit und Erotik – anders formuliert: Ja, das Abendland sollte tatsächlich – zumindest ein Bisschen – ins Wanken geraten und zum Einsturz gebracht werden. Helene Fischer schwitzt nicht, sie versprüht auch weder Wildheit noch Ekstase oder gar Revolte und Erotik. Ihre „Personality“ ist so perfekt stilisiert, dass sie keiner Wandlung mehr zu bedürfen scheint. Fischer nimmt der Musik, die sie singt, ihre eigentliche Bedeutung – und dies gerade dadurch, dass sie Musik eben nur als Aneinanderreihung von Tönen betrachtet und nicht als Ausdruck von unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen, man könnte auch sagen: „Parallelgesellschaften“. Fischer verhilft diesen Kulturen nicht zu ihrem Recht, sondern sie entkernt sie, verwischt alle Unterschiede und reduziert sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner singbarer Seichtheit. (…) Helene Fischer ist eine außergewöhnlich gute Sängerin, und es ist in einer freien Gesellschaft ebenfalls statthaft, mit Florian Silbereisen liiert zu sein. Dass Fischer extrem erfolgreich ist, taugt ebenfalls nicht zur Angriffsfläche, vorausgesetzt, man möchte sich nicht einfach nur auf billige Kommerzkritik beschränken. Fischer trifft wie kaum jemand sonst den Nerv der Zeit. Sie weiß, dass ihr Erfolgsrezept funktioniert: Sie muss einfach nur Helene Fischer bleiben und singen, was man ihr vorschlägt. (…) Dass sie dafür als vielseitig und multikulturell und integrativ gelobt wird, liegt am heutigen Zeitgeist: Wir leben nicht in einer Epoche, die sich durch knallharte und trennscharfe Positionen, Identitäten und Kulturen auszeichnet. Standpunkte werden nicht mehr bis ins Kleinste ausdiskutiert und auseinander dividiert, man bleibt eher pauschal und an der Oberfläche, aber dadurch auch wenig profiliert und überzeugend. Anstatt Unterschiede zu definieren und zu erklären, ist es zeitgemäßer, grundlegende Gemeinsamkeiten herauszustellen, die jedem Individuum eine begrenzte Freiheit der Selbstgestaltung ermöglichen, aber freilich, ohne ernsthaft aus dem Rahmen zu fallen. (…) Im gesellschaftlichen Stillstand und angesichts des Fehlens eindeutiger Polaritäten differenzieren sich Stile nicht mehr wirklich aus, sondern tendieren eher dazu zu verschwimmen. Das gilt für die kulturelle Welt in ähnlicher Weise wie für die politische Welt. Während Angela Merkel der Inbegriff der konfliktscheuen Konsenspolitik ist, verkörpert Helene Fischer das Kollabieren von einstigen kulturellen Identitäten im stehenden Gewässer moderner Stagnation. Es gibt also gute Gründe dafür, das Helene-Fischer-Phänomen nicht zu mögen. Die Sängerin ist das Aushängeschild einer bedauerlichen inhaltlichen wie kulturellen Verengung, die entsteht, wenn vormals Gegensätzliches und Auseinanderstrebendes die eigene Dynamik verliert, sich nach innen kehrt, aufeinander fällt und somit Unterschiede und Abweichungen zu Nebensächlichkeiten und Plattitüden zerquetscht. Kaum eine deutsche Künstlerin symbolisiert diese Entwicklung so perfekt wie Helene Fischer – verantwortlich für den Kollaps der Stile ist sie indes nicht. Sie singt es nur.

Auszüge aus einem, wie ich finde, sensationellen Aufsatz von Matthias Heitmann, auf den ich, gottlob, durch Axel Hegmanns Facebookhinweis gestoßen bin und den ich wärmstens weiterempfehlen möchte. Matthias Heitmann, Das Phänomen Helene Fischer und was es mit Angela Merkel zu tun hat, in: zeitgeisterjagd.de

Koronarsport und Verkehrserziehung

Eine kleine Runde Vorweihnachtssport für Herzkranke und Lungenpatienten sollte es werden, der Schrittmacher sollte ein wenig auf Touren kommen, heute, in Wermelskirchen, auf der Friedrichstraße Richtung Bahntrasse, dem hiesigen Radfahrparadies. Es ist windig und es zieht ein wenig, weshalb ich mir mit einer Hand den Reißverschluss der Jacke  zu schließen versuche, als rechts von der Viktoriastraße kommend ein Auto mir die Vorfahrt nimmt. Vermeintlich. Der Fahrer ein älteres Semester, so wie ich etwa. Ein Mann mit schlohweißem Haar im schlohweißen Wagen. Ich schüttle noch verächtlich mein Haupt mit den noch wenigen schlohweißen Haaren und murmele etwas von rücksichtslosen Autofahrern, die wohl noch nie auf einem Rad gesessen hätten. Ein paar Meter weiter, an der Einmündung zur Grünestraße, kommt mir der Autofahrer von eben entgegen und ruft mir etwas zu. Der schlohweiße Fahrer ist Henning Rehse, wohl auch beim Sport, nicht mit dem Rad, sondern dem Auto. Und er erteilt mir eine bicyclisch-pädagogische Lektion, eine educatio commeatus, also ein Minütchen Verkehrserziehung und eine Radlektion. Vor Wochen bereits sei an dieser Kreuzung die Vorfahrtsregelung ge912696_997968640268713_157473304_nändert worden. Und also habe er mir die Vorfahrt nicht genommen. Ich solle doch nunmehr besser aufpassen. Mehr noch: Zu Hause angekommen erreicht mich eine Nachricht. Samt Foto. Sozusagen der bildliche Beweis. Achtung, hier ist die Vorfahrt geändert worden. Henning Rehse war wohl in Sorge, ich wolle ihm keinen Glauben schenken. Und deshalb hat er wohl eigens noch eine Runde gedreht, damit er den Fotobeweis antreten kann. Nein, lieber Henning, so ist das nicht. Ich glaube Dir fast alles, jenseits der Politik. In der Politik fast nichts. Und vernehmlich muß ich sagen: Henning Rehse hat Recht. Wenn es um Verkehrszeichen geht und um seine Vorfahrt. Henning, vielen Dank für die Aufklärung und die Lektion, für die Sorge um mein körperliches Wohlergehen. Vielen Dank, daß jenseits von Politik noch ein Gespräch möglich ist, wenn auch kurz. Und sei es nur der vorweihnachtlichen Stimmung geschuldet. Henning, ich lade Dich auf ein Bier ein, heute Abend in der Katt, bei Rock Reloaded. Dem letzten vorweihnachtlichen Event in der Stadt.

Himmelherrgottnochmal

Es gab in diesem Jahr eine Predigt, über die ein ganzes Land und Menschen in aller Welt bis heute diskutieren. Sie stammt von der Tochter eines evangelischen Pastors, die ihrer großen Gemeinde voller Überzeugung sagte: »Wir schaffen das!« Und als ihr immer weniger Menschen glauben wollten, dass es keine Obergrenze für Kriegsflüchtlinge geben dürfe, mahnte sie: »Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.« Das war eine zutiefst christliche und sehr konkrete Aussage, die jedem Pfarrer gut gestanden hätte.

Marc Baumann, Himmelherrgottnochmal, in: SZ-Magazin Zweiundfünfzig in Zweitausendundfünzehn