Schlagwort: Freiheit

Ich will dich

Freiheit
ich will dich
aufrauhen mit Schmirgelpapier
du geleckte

(die ich meine
meine
unsere
Freiheit von und zu)
Modefratz

Du wirst geleckt
mit Zungenspitzen
bis du ganz rund bist
Kugel
auf allen Tüchern

Freiheit Wort
das ich aufrauen will
ich will dich mit Glassplittern spicken
daß man sich schwer auf die Zunge nimmt
und du niemandes Ball bist

Dich
und andere
Worte möchte ich mit Glassplittern spicken
wie es Konfuzius befiehlt
der alte Chinese

Die Eckenschale sagt er
muß
Ecken haben
sagt er
Oder der Staat geht zugrunde

Nichts weiter sagt er
ist vonnöten
Nennt
das Runde rund
und das Eckige eckig

 

Hilde Domin, ursprünglich Hilde Löwenstein und nach ihrer Heirat Hilde Palm. Geboren Neunzehnhundertneun in Köln in die Familie eines jüdischen Anwalts. Später studierte sie Jura, Philosophie und Politische Wissenschaften und promovierte in Florenz. Neunzehnhundertneununddreißig flüchtete sie über England in die Dominikanische Republik. Neunzehnhundertvierundfünzig kam sie zurück nach Deutschland. Aus Dankbarkeit für die vierzehn Jahre im Exil in der Dominikanischen Republik nannte sie sich Domin. Zweitausendsechs starb sie in Heidelberg. Ohne dieses Land, das Flüchtlinge aus Deutschland klaglos aufnahm, hätte es diese große Poesie nicht gegeben und unsere Kultur wäre ärmer und unser Land kälter.

Zweite Wahl

Tja. Gauck. Jetzt, finde ich, ist er eher zweite Wahl. Wäre es nicht hohe Zeit für eine Bundespräsidentin gewesen? Zwar hat Gauck, was die beiden letzten Präsidenten eher nicht hatten: das Wort, die Sprache, auch Erfahrung, Lebenserfahrung. Aber kann er wirklich die gewachsene Kluft zwischen Politik und Gesellschaft, zwischen Parteien und Bürgern schließen, wenigstens ansatzweise? Ist er nicht doch, obwohl nicht parteipolitisch eingebunden, eher Vertreter der Macht, der aktuellen Variante des politischen Systems? Einer Gesellschaft, die vielfach geteilt ist. In oben und unten, in arm und reich, in mächtig und ohnmächtig, in sprachlos und einflußreich. Sein Thema, sein Lebensthema ist, natürlich, die Freiheit, die Freiheit des Einzelnen in einer bürgerlichen Gesellschaft. Und die freie, zivilgesellschaftliche Demokratie als Gegenentwurf zur Diktatur, zu vor- oder nachbürgerlichen Gesellschaften feudalen Charakters. Wenn die Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft indes, wie derzeit, vor allem dazu führt, daß wenige ökonomisch immer mächtiger werden und immer mehr Menschen dagegen immer weniger haben und in wirtschaftlich prekären Verhältnissen leben müssen, dann ist es mit der Entwicklung unserer Gesellschaft in Richtung eines freiheitlichen Zusammenschlusses freier Bürger mit gleichen Rechte und Pflichten und gleichen Chancen für alle nicht wirklich weit her. Wenn immer mehr Menschen sich von den politischen Eliten lossagen, von Parteien, von Politikern, von Parlamenten, von Regierungen, wenn immer mehr Menschen eigene, neue Formen entwickeln, Interessen durchzusetzen, neue Kommunikationsmöglichkeiten nutzen und entwickeln, dann ist die bürgerliche Gesellschaft nicht wirklich entfaltet. Vom freien, freiwilligen Zusammenschluß freier Bürger, der Citoyens, zu einem Gemeinwesen, in dem Interessen offen ausgehandelt und Konflikte rational verhandelt werden, sind wir noch entfernt. Die bürgerliche Gesellschaft nahm ihren Anfang in der französischen Revolution gegen die feudale Adels- und Klerusgesellschaft. Das Motto für die Umwälzung lautete: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das ist und bleibt die Richtschnur für die Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft. Freiheit ist Demokratie, demokratische Freiheit für Jedermann. Rechtsstaat, gleiches Recht für  alle, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Religionsfreiheit, die Freiheit der Kunst, das Recht zur Teilhabe an der Politik, frei von Privilegien, frei von ökonomischer Macht. Aber ohne die beiden anderen Kriterien, Gleichheit und Brüderlichkeit, ist die Freiheit nichts. Gleichheit bedeutet Gleichheit vor dem Gesetz. Gleiche Bildungschancen. Gleiche Lebenschancen. Unabhängig vom Geschlecht, vom Alter, vom gesellschaftlichen Stand, vom Einkommen, vom Vermögen, von Religionszugehörigkeit, von der Hautfarbe, von der Herkunft. Brüderlichkeit. Ich mag dieses ältlich klingende Wort. Lasse mich aber auch ein auf die kirchlich geprägte Nächstenliebe oder die eher gewerkschaftlich gedachte Solidarität. Wenn freie Bürger sich zusammenschließen zu einem Gemeinwesen, dann muß jeder zu diesem Gemeinwesen beitragen. Der Starke stützt den Schwachen, der Reiche gibt mehr als der Arme. Die Menschen verhalten sich brüderlich zueinander. Und es regiert nicht, wie es der neoliberale Zeitgeist vorgibt, die Gier, das Geld, der Erfolg. Mein Auto, mein Haus, mein Schiff. Hast Du was, bist Du was. Das ist lediglich eine Gesellschaft zur Erzielung maximalen ökonomischen Reichtums, die Assoziation der Bourgeois, der Bürger als Wirtschaftssubjekte, die darwinistische Verkümmerung der bürgerlichen Gesellschaft. Achso, ja. Joachim Gauck. Von dem läse oder hörte ich solches gerne.