Schlagwort: Zivilcourage

Zeit zu verstummen

Heute ist der Tag, da eine junge Frau aus Offenbach, Tugce A., totgeschlagen, weil sie zwei um Hilfe rufenden Mädchen beistehen wollte, beerdigt wird.

“Wenn man sich etwas wünschen darf am traurigen Tag dieser Beerdigung: dass die Rezeptemacherei schweigt, dass die Besserwisserei verstummt vor dem Tod. Wenigstens für diesen Tag sollte man sie loslassen, die Frau, die im so richtigen, so falschen Moment den Reflex des Menschlichen spürte.”

(Mathias Drobinski, Zivilcourage. Zeit zu verstummen, in: Süddeutsche Zeitung von heute)

Für Dominik Brunner und alle, für die Zivilcourage nicht nur ein Wort ist; und in memoriam Anneliese Knoop-Graf

Gestern Abend, im Ersten, nach den Tagesthemen das Wort zum Sonntag. Ich gestehe, normalerweise nicht genau hinzusehen, wenn diese Sendung ausgestrahlt wird. Ein Fehler. Gestern hat mich, der ich nicht Mitglied einer Kirche bin,  Monsignore Stephan Wahl mit seinem Wort zum Sonntag in den Bann genommen. “Courage” – so die schlichte Überschrift seines Textes. Für dieses Blog habe ich seinen Schlußsatz als Überschrift übernommen. Hier das vollständige Wort zum Sonntag:

„Was würde Ihr Bruder heute tun?“ Wenn ihr diese Frage gestellt wurde, konnte sie heftig werden. „Eine unsinnige Frage…“ sagte sie dann. Anneliese Knoop-Graf war die jüngere Schwester von Willi Graf. 1943 wurde der 25jährige von den Nazis verurteilt und ermordet. Willi Graf gehörte zur studentischen Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“. Letzte Woche haben wir nun seine Schwester begraben. Leidenschaftlich erzählte sie immer wieder vom Mut Ihres Bruders und seiner Freunde. Realistisch, ohne zu beschönigen. Sie erzählte auch von dem Unverständnis, das ihr Bruder auslöste. Von der Ablehnung, von dem gut gemeinten Rat, doch den Mund zu halten. Die Zivilcourage ihres Bruders war sein eigener Mut. Ein einsamer Mut. In einer ganz besonderen Zeit, unter unvergleichbaren Umständen. Deshalb regte sich Frau Knoop immer auf über diese Frage: „Was würde Ihr Bruder heute tun?“. Keiner weiß das. Viel wichtiger war ihr die andere Frage: Was kann ich heute tun? Dann wenn es auf mich ankommt… Immer wieder hat sie in ihren Vorträgen Schülern diese Frage gestellt. Zivilcourage ist schön in Spielfilmen, in spannenden Romanen, macht sich so gut in Sonntagsreden. Weiterlesen

Überfällig: Ehrung für Deserteure

Ein Kunstwerk des Schweizer Künstlers Ruedi Baur am Kölner Appellhofplatz erinnert seit gestern, dem Anti-Kriegs-Tag und siebzig Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, an die vielen Opfer der NS-Militärjustiz. “Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Rehabilitierung der Deserteure, Kriegsdienstverweigerer oder so genannten Kriegsverräter, die über Jahrzehnte in der Bundesrepublik mit Unverständnis, Anfeindung und Kriminalisierung konfrontiert waren. Das Kunstwerk (…) ist eine Anerkennung ihrer Zivilcourage gegenüber einem menschenverachtenden Unrechts-Regime – und gleichzeitig ein Appell zur Wachsamkeit”, heißt es in einem Kommentar des Kölner Stadt-Anzeigers.

Schätzungen zufolge sind 30.000 Todesurteile gegen diese Personengruppe – Deserteure, “Wehrkraftzersetzer” und “Kriegsverräter”, Kriegsdienstverweigerer, Opfer der NS-Justiz – ausgesprochen und rund 20.000 vollstreckt worden. Die damaligen Richter haben nach dem Krieg zumeist eine reibungslose Karriere gemacht.

Dieses Denkmal ist das erste offizielle Deserteursdenkmal in der Bundesrepublik, insoweit öffentliche Stellen und die Verwaltung an seiner Entstehung beteiligt waren.