Schlagwort: Thilo Sarrazin

Blowing in the Wind

Es gibt einen Zickzackkurs, der nach vorne führt. Beim Segeln. Wenn der Wind von vorne bläst. Dann muß man kreuzen. Man fährt immer hoch am Wind und muß mehrere Wendemanöver durchführen, abwechselnd auf Backbord-Bug und Steuerbord-Bug segeln, um sich auf diese Weise dem Ziel zu nähern. Die SPD segelt aber nicht. Schon mal garnicht unter der Führung eines Kapitäns, der die Idee von einem klaren Kurs des Tankers hat. Die SPD taumelt. Im Zickzack. Von einem Kurs zum nächsten. Mal hierhin, mal dorthin. Und vom Ziel hat die Führung der SPD offenbar nicht einmal eine ungefähre Vorstellung. Nur der Wind, der bläst der SPD immer ins Gesicht. Bis kurz vor Ostern hieß die Parole: Parteiausschluß von Thilo Sarrazin. “Wer uns empfiehlt, diese Botschaft in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen.” So Sigmar Gabriel vor Monaten. “Und wer uns rät, doch Rücksicht auf die Wählerschaft zu nehmen, die Sarrazins Thesen zustimmt, der empfiehlt uns taktisches Verhalten dort, wo es um Grundsätze geht – und darüber jenen Opportunismus, der den Parteien sonst so häufig vorgeworfen wird.” Seit Gründonnerstag gilt ein anderes Motto: Doch kein Parteiausschluss von Sarrazin. Weil der Genosse eine ausgesprochen dürre und wohlfeile Erklärung abgab. Was gilt denn nun, Frau Nahles?  “Taktisches Verhalten und feiger Parteienopportunismus”? “Die Aufgabe des Bildes vom freien und zur Emanzpation fähigen Menschen”? Die Grundsätze der Partei? Und wenn ja, welche? Ich war nicht für den Ausschluß von Sarrazin aus der SPD. Weil eine Partei auch Narren aushalten muß. Und ein Parteiausschluß nicht vor einer Debatte schützt, die in und außerhalb der SPD auch mit kruden Argumenten geführt wird. Aber wenn ein solches Verfahren angestrengt wird, kann es nicht kurze Zeit danach auf derart erbärmliche Weise abgeblasen werden. Frau Nahles und Herr Gabriel haben der SPD keinen guten Dienst erwiesen. Die SPD sendet die Botschaft einer schlingernden Partei und einer nicht zu eindeutiger Kommunikation fähigen Führung.

Mühe an Gründonnerstag

Morgen, an Gründonnerstag oder dem Tag der Sündenvergebung, dies absolutionis, macht sich die SPD in Berlin Mühe mit einem SPD-Mitglied. Mit Thilo Sarrazin. Geht es nach Andrea Nahles, der Generalsekretärin, wird Sarrazin aus der SPD ausgeschlossen. Und viele werden beipflichten. Ich nicht. Der Führung der SPD, soweit man von einer solchen sprechen kann, wird es nicht gelingen, die SPD von allen Narren mit Mitgliedsbuch per Ausschlußverfahren zu befreien. Sarrazin ist ein Narr. Mit kruden Thesen. Einer, der die Wissenschaft mit seinem Buch vergewaltigt und die Leser heillos unterfordert hat. Einer, dem mehr öffentliche Beachtung zukam, als seine Stammtisch-Thesen von vorgestern verdient hätten. Und einer, über den der Gang der Geschichte hinweggehen wird, ohne daß es zu bemerkenswerten Hinterlassenschaften kommen wird. Aber das Ausschlußverfahren wird der SPD mehr schaden als dem Noch-Genossen Sarrazin. Und entschieden ist der Vorgang noch lange nicht. Was, wenn der beabsichtigte Ausschluß am Ende am Parteiengesetz scheitern sollte? Viel Rumor um Nichts? Fast nichts. Eine Parteiführung, die sich, mal wieder, selbst beschädigt. Mit einem Gründonnerstagsei. Ach, ja, nach dem Handbuch des deutschen Aberglaubens soll ein Gründonnerstagsei als Gegenzauber zum Aufspüren von Hexen in den Gottesdienst mitgenommen werden.

Bauchschmerzen am Kopfschmerztag

Der Sarrazin. Michael Schöfer schrieb heute: “Man muss kein Anhänger der kruden Thesen Thilo Sarrazins sein, um bei seiner Entlassung als Bundesbanker und seinem Ausschluss aus der SPD politische Bauchschmerzen zu bekommen.” Ich gestehe: Ich habe auch solche Bauchschmerzen. Nicht wegen des Herrn Sarrazin, das habe ich hier schon deutlich gemacht. Vor Jahren drohte in unserem Land dem Briefträger, dem Lehrer oder dem Lokomotivführer ein Berufsverbot, wenn der Briefträger, Lehrer oder Lokomotivführer Mitglied der DKP war oder sich ansonsten nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung befand, was wiederum vor allem der Verfassungsschutz zu Tage zu befördern hatte. Auf dem Boden der FDGO, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, befand man sich nicht nur nicht mehr als Kommunist, sondern sogar dann schon, wenn man nur Kontakte zu radikalen politischen Gruppen hatte, auch, wenn diese nicht verboten waren, sondern nur radikale Kritik übten. Die FDGO ist heute ein wenig aus der Mode gekommen, die Republik erwachsener geworden. Seinerzeit habe ich und haben mit mir viele, und weiß Gott nicht nur Kommunisten, gegen die unglückselige Radikalenerlaßpolitik protestiert und ihr die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit entgegengehalten. Solange jemand seinen beruflichen Pflichten nachkommt und sich nichts Ungesetzliches zu Schulden kommen läßt, solange sind seine Meinungsäußerungen vom Grundgesetz gedeckt. Und auch der größte Blödsinn und Unfug genießt zunächst einmal den Schutz des Artikels 5 des Grundgesetzes:  “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.” Die Grenzen der Meinungsfreiheit zieht das Strafrecht. Michael Schöfer in seinem Blog: “Natürlich fallen Beleidigungen, der Aufruf zu Straftaten oder etwa Volksverhetzung nicht unter die Meinungsfreiheit. Und das ist gut so. Aber ist die so provokante wie wissenschaftlich unhaltbare These Sarrazins, muslimische Migranten hätten genetisch bedingt eine niedrigere Intelligenz, strafbar? Sie ist dumm und verletzend, doch einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit sehe ich darin nicht. Wie gesagt, das Grundgesetz schützt selbst die Verbreitung kompletten Unsinns.” Insoweit bleibe ich bei meiner Position, daß eine Entlassung Sarrazins aus dem Bundesbankvorstand oder auch aus der SPD nicht einem entwickelten Verfassungsverständniss entspricht. Noch einmal Michael Schöfer: “Ich bin deshalb der Ansicht, dass die Entlassung Sarrazins falsch und verfassungswidrig ist. Der Grad der Entrüstung über seine provokanten Thesen darf doch, solange diese nicht strafbar sind, kein Maßstab für dessen Verbleib auf dem Arbeitsplatz sein. Wäre das so, müssten wir uns im Grunde alle an der Meinung der Stammtische ausrichten. Das entspräche aber weder dem Geist der Demokratie noch dem der Verfassung. Ob Sarrazins Ansichten wirklich von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden oder nicht, sei dahingestellt und ist in diesem Zusammenhang vollkommen irrelevant. Grundrechte gelten für alle. Ein Prinzip, das ich auch in anderen Fällen hochhalte. Es wird extrem gefährlich, sobald man mit der Bestrafung von Meinungsäußerungen anfängt. Am Ende besteht nämlich die Gefahr, in einem Staat aufzuwachen, in dem die Meinungsfreiheit auf dem Altar der Political Correctness geopfert wurde.” Das Wesen der Demokratie besteht im Rechtsstaat, der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit. Ich darf gegen die Regierung, gegen die Regierungen sein und dies auch öffentlich äußern. Ich darf mich gegen eine Mehrheitsmeinung stellen. Ich darf für meine Minderheitsmeinung eintreten und mich mit Gleichgesinnten für ihre Verbreitung öffentlich versammeln. Ich darf Parteien kritisieren und staatliche Einrichtungen, Parlamente, Ämter, Behörden, Regierung,  Amtsinhaber, Wissenschaft und Wissenschaftler. Das alles ist vom Grundgesetz gedeckt. “Unser Grundgesetz schützt demzufolge im Wesentlichen die Minderheitsmeinung, und zwar vor dem Unmut und den Angriffen der Mehrheit. Das gilt, unabhängig davon, ob Sarrazin nun eine Mehrheits- oder Minderheitsmeinung vertritt, prinzipiell auch für ihn”, schreibt Michael Schöfer.  “Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.” (George Orwell)

Sarrazin-Hype

Thilo Sarrazin. Zu diesem Thema wollte ich eigentlich nichts schreiben. Der Autor ist nicht interessant, soweit ich das anhand der bislang veröffentlichten Texte beurteilen kann. Aber was habe ich heute in den diversen Radiosendern und Zeitungen nicht alles hören und lesen müssen. Nazi im Nadelstreifen. Rassist. Sozialdarwinist. Michel Friedman legt der Bundesbank nahe, Sarrazin endlich aus dem Vorstand zu werfen. Andere ebenfalls. Bundestagsabgeordnete und Journalisten sind sich einig: Raus aus Bundesbank und SPD. Sarrazin zum Schweigen bringen. Das alles von Leuten, die, wie ich, die ganzen 460 Seiten von Sarrazin noch nicht gelesen haben können. Die von Bild und Spiegel veröffentlichten Sentenzen, nämlich die Einleitung zu seinem Buch, reichen offenbar aus, Parteiausschlüsse, Berufsverbote und Schweigen zu fordern. Da ist mir zuviel rhetorischer und publizistischer Krawall im Spiel, Krawall, der dem des Buchautors Sarrazin nicht nachsteht. Ich gestehe, daß ich ratlos bin, fassungslos, wann immer Menschen, ethnische oder soziale Gruppierungen, auf ihren ökonomischen Nutzwert reduziert werden. Und mir deucht, daß Sarrazin als bekennender Liebhaber von Statistiken von dieser Haltung durchaus infiziert ist. Zudem scheinen mir die biologistische Argumentationsweise und der krude Genetik-Unsinn Sarrazins durchaus nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis zu sein.  “Deutschland schafft sich ab” ist, wie Das Dossier schreibt, “ein bun­tes Pot­pour­ri aus wirt­schaft­li­chen, po­li­ti­schen, bio­lo­gis­ti­schen und na­tio­na­lis­ti­schen Ver­satz­stü­cken, gar­niert mit di­ver­sen Aus­flü­gen in die Ge­schich­te (…). ” Einerlei. Mir geht es nicht um Sarrazin. Wie gesagt, ein eher uninteressanter Autor, krawallig, populistisch, polarisierend. Mir geht es um den Sarrazin-Hype. Der monströse Erfolg des Sarrazin-Schinkens geht auf die Medien zurück, auf Journalisten, Politiker aus der dritten und vierten Reihe, auf andere zweitklassige Prominente, die sich alle in den Armen liegen und munter mitmachen im Wettbewerb um die politisch korrekteste und härteste Bewertung, um die weitestgehende Forderung nach persönlichen oder beruflichen Konsequenzen für Sarrazin. Ohne ein solchermaßen aufgegeiltes Umfeld bliebe Sarrazin, was er war: ein blasser Autor, der sich verritten hat, ein Politiker mit Vergangenheit, ein Bänker ohne Zukunft, niemand, von dem man öffentlich Kenntnis nehmen muß, ein Sonderling, bestenfalls. Jedenfalls keiner mit der erkennbaren Fähigkeit, eine neue rechtspopulistische Partei um seine papiernen Sätze und Statistiken herum entstehen zu lassen.