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Der verjagte Staat

In der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung setzt sich der ehemalige Prediger an der Schlosskirche zu Wittenberg, Friedrich Schorlemmer, mit der aktuellen Debatte um den “Unrechtsstaat” DDR auseinander. Schorlemmer seziert die Feind-Bilder.

Die Lücken in der Mauer 
Von Friedrich Schorlemmer

Das Wort vom “Unrechtstaat DDR” stammt aus dem Kalten Krieg, als die Systeme konkurrierten: der “freie Westen” mit der sozialistischen Welt. Die so titulierte DDR war ein Mutterstaat, eine nährende, Geborgenheit stiftende Amme, und zugleich ein fordernder und strenger Vaterstaat. Hier existierte, durch Verfassung verbrieft, der Hort des Friedens. Es war festgelegt, dass die Lehren aus der Geschichte gezogen seien, jeder ein Recht auf Arbeit, Bildung, Gesundheit habe, auf Kultur, Sport, Freizeit, auf Fürsorge im Alter. Glaubens- und Gewissensfreiheit galten als garantiert. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit haben längst nicht alle Bürger zu spüren bekommen. Am Ende hatte der Staat den Abstand zwischen Proklamiertem und Erlebtem so tief werden lassen, dass dies keine Dialektik mehr wegdiskutieren konnte. Die Bürger trotteten dennoch mit, bis in den Herbst ’89.

Ich habe vierzig Jahre in diesem Teildeutschland gelebt. Ich habe mir meine Freiheit selber genommen, mir neben dem Staat und gegen die SED meine Menschenwürde und meinen Entfaltungsraum behauptet, nie ganz allein stehend.

Wer die DDR noch 25 Jahre nach ihrem Ende in toto zum Unrechtstaat erklärt, der kann zu keiner differenzierenden Betrachtung des Lebens in diesem Land gelangen. Abgesehen von der Frage, ob das Diktum “Unrechtsstaat” überhaupt eine juristisch taugliche Bezeichnung ist: Es delegitimiert alles, was in der DDR gewesen ist.

Wer diesen Staat unter Führung der “Partei der Arbeiterklasse” erlebt und durchstanden hat, weiß, wie hier ein hierarisches System mit quasireligiösem Erlösungsanspruch alle Lebensbereiche mit dem Attribut “sozialistisch” versah und dieses “sozialistisch” auf die eigene Linie einengte. Die Motivation der Leute, die dem folgten, konnte indes durchaus ethisch und menschlich respektabel sein.

In der DDR herrschte Willkür. Viele Widersprechende mussten das bitter erleben. Es gab keine Gewaltenteilung; der Staat strafte die Abweichler. Zugleich aber konnte Kritik geübt werden, und sie wurde es auch. Nicht nur das Kabarett legte die Differenz zwischen Idee und Praxis offen, zwischen den großen Zielen der humanistisch-sozialistischen Gesellschaft und dem leninistisch-stalinistischen “Bolschewismus”, der immer auch Tschekismus war. Es war so möglich wie gefährlich, den “real existierenden Sozialismus” an den propagierten Zielen zu messen und zu kritisieren, gerade was die Entfaltungsrechte und -möglichkeiten des Einzelnen betraf. Wer vom “verbesserlichen Sozialismus” sprach, wie der evangelische Propst Heino Falcke schon 1972, beging ein Sakrileg. Der Sozialismus konnte höchstens “weiter vervollkommnet” werden.

Würde nun über 40 Jahre DDR einfach die Definition “Unrechtstaat” gesetzt, wären auch das Familien- und das Arbeitsrecht zum Unrechtsstaatsrecht erklärt, die Gesetze zum Schutz der Jugend, das Recht auf Bildung und Kultur, alles, was in der DDR rechtlich geregelt war. Es besteht wahrlich kein Anlass, das Repressions- und Spitzelsystem zu beschönigen und zu relativieren. Doch so, wie es den einen Zukunftschancen verstellte, so eröffnete es aber auch vielen neue Bildungswege.

Ja: Wenn ich mir das politische Strafrecht vergegenwärtige, befällt mich Atemnot bei diesem Gedanken. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich in toto in einem Unrechtstaat gelebt, geheiratet, Kinder bekommen hätte. Ich habe umsorgt im Krankenhaus gelegen, ein Theologiestudium an einer staatlichen Universität abgeschlossen, den Führerschein gemacht, eine Wohnung zugewiesen bekommen. Im Geistig-Kulturellen habe ich mir, wie viele andere, Freiheiten erkämpft, gegen Druck und Diffamierung. Das Widerspenstige und Widerständige konnte man in der DDR manchmal geradezu genießen. Man konnte das Aufrechtgehen lernen.

Ein differenzierte Sicht ist keine Einladung zur Ostalgie. Sondern zum Dank fürs Erreichte

Es gab Lücken im Mauerstaat. Ich kann rückblickend nicht sagen, in der DDR sei Widerständiges ohne Aufgabe der Existenz nicht möglich gewesen. Wer dies behauptet und die DDR als reinen Horrorstaat beschreibt, rechtfertigt ungewollt alles Anpasserische und Gekrümmte, das Schweigende, das Mitlügende, das karrierebesessene Kuschen. Die Rede vom totalitären Unrechtsstaat macht die Entschuldigung bequem: In ihm wäre ja tatsächlich nur in wenigen Ausnahmefällen geradliniges Leben möglich gewesen.

In diesem Zusammenhang verursacht mir auch Freiheitspathos Bauchschmerzen, das über dem Gedenken an den Mauerfall liegt. Die Mehrheit derer, die aus der DDR flohen, wollten besser leben, verständlicherweise. Nur sollte man da nicht das Etikett “Freiheit” verwenden. Und so manche, die in den Blockparteien auf der Schleimspur der SED rutschten, reißen nun ihren Mund weit auf, nachdem sie ihn so lange tapfer zugepresst hatten, die Freiheit heimlich liebend.

Niemand darf relativieren, was in den Gefängnissen der Stasi geschah, welche Methoden der Zerrüttung bei angeblichen Staatsfeinden angewandt, wie Kinder indoktriniert wurden. Man darf das Dumpfe nicht schönreden, das über dem Land lag, den Verfall, die organisierte Verantwortungslosigkeit, die Belohnung des Faulen und Unfähigen. Das alles muss man benennen, kritisieren, verurteilen – doch ohne die Generalverdammungskeule Unrechtstaat zu gebrauchen. Diese Generaldelegitimation mag immer noch das Bedürfnis nach einem Feindbild befriedigen. Sie birgt aber die Gefahr, dass die DDR auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus gesetzt wird, was eine Verharmlosung von Judenmord und Angriffskrieg wäre.

Eine differenzierte Sicht auf das verjagte und friedlich abgelöste System ist keine Einladung, Ostalgie zu pflegen. Es ist die Einladung, gelebtes Leben nicht als verlorene Zeit zu verwerfen. Und jeden Tag zu preisen, dass auch die Ostdeutschen seit mehr als 24 Jahren im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben.

Friedrich Schorlemmer war in der DDR Prediger an der Schlosskirche Wittenberg.

Subbotnik

Ich kann mich dunkel an eine Losung in der DDR erinnern: “Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit!” Das war, wie ich eben nachgelesen habe, eine der größten Aktionen der Nationalen Front der DDR, quasi eine staatlich gelenkte Bürgerinitiative in Form eines sozialistischen Wettbewerbs, und hatte die Verbesserung des Wohnumfeldes zum Ziel. Die DDR-Bürger waren aufgerufen, in ihrer Freizeit und an Wochenenden unentgeltliche Arbeitsleistungen vor allem bei der Verschönerung ihrer unmittelbaren Umgebung zu erbringen. Auf gut russisch: Subbotnik. Meist beteiligte man sich im Rahmen von Haus-, Wohngebiets- oder Dorfgemeinschaften, örtlichen Organisationen, Sport- oder Arbeitskollektiven. Erfolgreiche Städte und Gemeinden wurden sogar mit Urkunden, Medaillen und Geldprämien ausgezeichnet. Warum ich das jetzt schreibe? Weil ich gerade in der Bergischen Morgenpost gelesen habe, daß der Verkehrs- und Verschönerungsvereinen Stadt, Dhünn und Dabringhausen, der  Sauerländische Gebirgsverein und die Stadtverwaltung die 38. Aktion “Wermelskirchen putzmunter, saubere Stadt” ausgerufen haben. Am Samstag, dem  24. März, werden sich also wieder viele Helfer am großen Frühjahrsputz in der Innenstadt und anderen Stadtteilen beteiligen. “Doch diesmal”, so schreibt Gundhild Tillmanns in der Morgenpost,  “steht die Aktion unter einem besonders brisanten Vorzeichen: Das bürgerschaftliche Engagement, sich selbst auch aktiv um eine saubere und schöne Umgebung zu kümmern, soll und muss angesichts leerer kommunaler Kassen Schule machen.” Manfred Schmitz Mohr, VVV-Vorsitzender und Büfo-Ratsherr, wird mit den Worten zitiert, daß “noch nicht alle begriffen (haben), dass wir bei dem hohen Verschuldungstand unserer Stadt alle wieder selbst mit anpacken müssen. (…) Ich hoffe aber, dass unsere Aktion Schule macht.” Hat sie schon, Schule gemacht. WNKUWG, SPD, CDU und Grüne werden sich am “Putzmunter-Tag”, den Henning Rehse von der WNK ausgerufen hat, einem gemeinschaftlichen Unkrautjäten auf dem Rathaus-Vorplatz, beteiligen. In der Morgenpost heißt es: “Abgelehnt haben laut Rehse aber Büfo und FDP. Die Begründung: Etliche Büfo-Mitglieder seien an dem Tag bereits in den Verschönerungsvereinen engagiert, teilt Peter Scheben mit. Außerdem halte er das Arbeiten hinter dem Sperrzaun am Rathaus nicht für sinnvoll: ‘Der Bürgermeister dürfte so etwas gar nicht genehmigen’, schreibt Scheben.” Die FDP aber, vom neuen “Wir-Gefühl” beseelt, wie es neulich auf ihrem Parteitag in Wermelskirchen hieß, und in Ihrer “Durchstartphase”, hat andere Termine und beteiligt sich nicht am von Gundhild Tillmanns zu Recht beschworenen “bürgerschaftlichen Engagement”. Die WNK habe doch” genug Beute-Liberale für die Aktion”. Mit dieser Antwort soll die FDP Henning Rehse abgefertigt haben haben. Der liberale “Seitenhieb”, wie Frau Tillmanns schrieb – es ist wohl eher ein veritabler Arschtritt – , zielt auf den Parteiübertritt der einstigen Führungsmitglieder Anja und Werner Güntermann aus der FDP in die WNK. WNK und FDP werden wohl doch nicht mehr wirklich Freunde fürs Leben. Naja, die Republik wird bald nicht mehr von der FDP (mit)regiert, da wird man es ertragen können, wenn die FDP auch beim Subbotnik “Stadtentrümpelung” schon kneift. Wir-Gefühl hin, Wir-Gefühl her. Apropos Subbotnik: Von der DDR lernen, heißt siegen lernen, oder?