Schlagwort: Markt

Sinn-Los

In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung schreibt heute Dr. Joseph Kuhn aus Dachau unter anderem:

In seiner Welt (der Welt des Hans-Werner Sinn, W.H.) gibt es nur eine Ökonomie, die Neoklassik, und die vertritt er mit dem Gestus eines vatikanischen Glaubenswächters. Die Effizienz der Märkte ist ihm oberstes Prinzip, selbst die aktuelle politische Debatte um die Rechte der Spartengewerkschaften ist für ihn eine Effizienzfrage. Im Leben geht es aber nicht nur um Effizienz, und zu Recht betrachtet unser Grundgesetz nicht die Markteffizienz, sondern die Menschenwürde als unantastbar. Erst danach kommt die Ökonomie.

Mitfühlender Raubtierkapitalismus

Irgendeine Tageszeitung, ich habe leider vergessen, mir zu notieren, welche es war, glänzte heute mit der Überschrift: Mitfühlender Raubtierkapitalismus. Treffender sind FDP-Politik und Schlecker-Ausbeutung kaum zu beschreiben in diesen Zeiten. Schlecker und die FDP sind an der gleichen Brühe krank. Am Raubtierkapitalismus. Zuerst litten die Verkäuferinnen von Schlecker an miserabler Bezahlung und miesen Arbeitsbedingungen.  “Schlecker ist auch im Niedergang das, was es bereits in den Jahren des Gedeihens der Firma war: ein Symbol.” So die Süddeutsche Online heute. Ein Symbol für Raubtierkapitalismus. In den Zeiten aber, als von Scheitern noch nicht die Rede war, als Anton Schlecker auf dem Rücken der Verkäuferinnen zum Multimilliardär wurde, war von der FDP kaum zu hören oder zu lesen, daß im Sinne des mitfühlenden Liberalismus die Arbeitsbedingungen der Schleckerangestellten verbessert werden müßten oder Schlecker die Seinen zu schlecht bezahle. Schlecker hat, so die Süddeutsche, sein Imperium als “eingetragener Kaufmann” geführt. “So brauchen sie keine Gewinn- und Verlustrechnung offenzulegen, keinen Aufsichtsrat einzurichten, keinen Insolvenzantrag zu stellen. (…) Wer nur eine Würstchenbude führt, trägt Verantwortung allein für sich. Nichts dagegen einzuwenden, wenn der als eingetragener Kaufmann am Rost steht. Wer aber eine Kette aufbaut, bürdet sich auch Verantwortung auf; dessen Gebaren ist keine kleine Kaufmannssache mehr. Begreift er das nicht, muss der Staat ihn per Handelsgesetzbuch dazu zwingen. Das wäre eine Lehre, die gerade solche Politiker aus dem Fall ziehen könnten, die Wirtschaftspolitik vor allem als Ordnungspolitik interpretieren. Politiker der FDP zum Beispiel.” Ordnungspolitik? FDP? Von wegen. Funkstille bei der FDP, als andere schon gegen die Zustände bei Schlecker protestierten. Alles, was sich am Markt durchsetzt, ist gut. Das ist der ordnungspolitische Kernsatz der FDP. Und wenn ein Unternehmen im Markt scheitert, gleich aus welchen Gründen, haben seine Angestellten eben Pech gehabt. Soziale Marktwirtschaft? Nein. Radikaler Markt. Ohne jedwede Ordnung, ohne jedwede Regulierung. Die Freiheit des Dschungels, das ist freidemokratische Ordnung. Noch einmal die Süddeutsche: “Schlecker-Mitarbeiter zweifeln nicht nur an Marktwirtschaft und Kapitalismus, sondern verzweifeln auch an Politikern – zum Beispiel aus der FDP. Sie betreiben Politik nach dem Motto: Wer ist der Kälteste im Land?” Spiegel Online zitiert Matthias Jung, den Chef der Forschungsgruppe Wahlen, zu den Überlegungen, die FDP könne mit dieser Eiseskälte bei marktorientierten Wählern punkten: Man solle das nicht überbewerten, sagt er mit Blick auf mögliche FDP-Gewinne beim Wähler durch das Schlecker-Manöver: “Die Wahrnehmung der FDP ist langfristig in den Keller gegangen, sie wird deshalb nicht kurzfristig wieder steigen.” Emnid-Chef Schöppner sehe in Sachen Schlecker ein anderes Problem für die Liberalen. “Die FDP darf nicht zu kalt wirken.” Denn Kaltherzigkeit komme beim Wähler nicht gut an und werde von der politischen Konkurrenz gerne aufgegriffen. Genau wie jetzt. Ausgerechnet Parteichef Rösler habe dafür die beste Vorlage geliefert – mit seiner Aufforderung an die Schlecker-Frauen, “schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden. Herzloser kann man es kaum ausdrücken. Dem Vernehmen nach ist Rösler am Tag darauf selbst nicht mehr glücklich mit seinen Worten – aus der Welt kriegt er sie so leicht aber nicht mehr.” Wie verlogen die blau-gelbe “ordnungspolitische Prinzipienreiterei” wirklich ist, wird erkennbar daran, daß laut Süddeutscher, “derselbe bayerische FDP-Minister, an dem am Donnerstag um 15 Uhr die Schlecker-Transfergesellschaft scheiterte, (..) es eine halbe Stunde vorher für gut (hielt), bei der bayerischen Bäckerei Müller-Brot Hilfe zuzusichern.”

Gesundheit als Ware

Ich hadere immer noch mit der Sendung von Anne Will am vergangenen Sonntag. Es ging, mal wieder,  um das Ende des Sozialstaates. Meine Lust am Polit-Talk ist seit geraumer Zeit schon sehr gedämpft. Mein Erregungspotential entsprechend gering. Daß der FDP-Bundestagsabgeordnete, Martin Lindner,  schneidig für den Umbau des bundesdeutschen Sozialsystems zu Lasten der abhängig Beschäftigten plädierte, wen kann das derzeit wirklich im Mark erschüttern? Daß aber ein Kommunikationswissenschaftler, Norbert Bolz, die Gesundheit und das Gesundheitssystem kurzerhand zum Marktgeschehen machte, das wirkt in mir nach. Natürlich findet im Gesundheitssystem auch Marktgeschehen statt. Aber: Gesundheit ist kein Produkt, keine Ware, schonmal gar kein Luxusgut. Im Gründungsvertrag der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen von 1946 heißt es: “Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung. Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit; sie hängt von der engsten Zusammenarbeit der Einzelnen und der Staaten ab.” Gesundheit ist also keine Produkt des Gesundheitsmarktes, auf dem sich Wohlhabende mehr leisten können müssen als die Mehrheit der armen Schlucker. Gesundheit hat den Status eines Menschenrechts. Das vergessen die schneidigen Einschneider ins soziale Netz geflissentlich. Und eine solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens, in die sich alle nach ihren Kräften und Vermögen einbringen, ist wesentliche Voraussetzung fürs Gelingen eines solchen Systems, nicht aber die Position der Gleichmacher, der Kopfpauschalisten.