Kategorie: Wermelskirchen

Westdeutschland: Eine Erfindung des Ostens

Ich habe mich lange nicht sonderlich für den Osten interessiert, mag sein. Aber warum macht man mich als Westdeutsche bis heute mitverantwortlich für die Verwerfungen der Wende? Ich habe mich in den letzten Jahren nicht nur einmal gefragt, ob irgendwer auch mal konzediert, dass die 1990er-Jahre eine radikale Transformationserfahrung für Millionen Deutsche in Ost und West waren. Auch im Westen gingen in dieser Zeit ganze Industrien den Bach runter. Oft wirkt es auf mich, als würden die Verwerfungen durch Wende und Globalisierung schlimmer als die Diktatur nachwirken und jetzt den Ostdeutschen die Lizenz erteilen, aus Rache AfD zu wählen. (…)

Was auch immer Thema ist: Die „Übernahme“ des Ostens durch den Westen hat zu zigzigzigfachen Brüchen in Erwerbsbiografien geführt. Das ist richtig, aber ganz nebenbei ist auch meine berufliche Biografie geprägt von Neoliberalisierung, Niedriglohnsektor, Generation Praktikum, Phasen der Zeitarbeit, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung erwerbstätiger Mütter. Von Bundespräsident Herzogs „Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen“. Von all den Alternativ- und Perspektivlosigkeiten. Grob gesagt: Mein Jahrgang zum Beispiel, ob Ost oder West, hatte doch jetzt 35 Jahre nicht die gleichen, aber dieselben Chancen.

Noch so ein Gerücht. Das von den reichen Westdeutschen, die alle erben. Ich werde ein schwer sanierungsbedürftiges Haus in Randlage erben, für eine neue Heizung fehlt mir das Geld. Ich bin Statistin einer Statistik, die im Osten als himmelschreiende Ungerechtigkeit gilt.

Katharina Schmitz, Westdeutschland: Eine Erfindung des Ostens, in: Der Freitag Ausgabe Sechsunddreißig aus Zweitausenvierundzwanzig

Autopause

Mehr als zwei Jahre sind es her mittlerweile, daß ich mein kleines Auto alleine gelassen habe zu einem tristen Leben ohne Bewegung, ohne Motor in der Garageneinfahrt. So konnte es zwar alles beobachten, aber nicht wirklich seiner Bestimmung entsprechend sein. 

Heute habe ich dieses kleine Auto erstmals wieder bewegt. Ein zugegeben kleiner Ausflug, rund ums Viertel. Nur ein paar Minuten. Aber immerhin. Die Autopause ist einstweilen vorbei. Schön.

Verschlossene Türen

Pressefreiheit à la Wagenknecht & AfD

An diesem Wochenende will das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Landesverbände in Bremen und in Niedersachsen gründen und hat für beide Parteitage die Presse weitgehend ausgeschlossen.

Komplett ausgeladen wurden Journalisten jüngst von einer Wahlparty der Thüringer AfD. Obwohl die Veranstaltung wegen des Rechtsrucks bei der Landtagswahl von besonderem öffentlichen Interesse war, ist zahlreichen Medienvertretern die Akkreditierung verweigert worden. Als Medienhäuser klagten und recht bekamen, sagte die AfD die geplante Wahlparty kurzerhand ab. Pressefreiheit, wie man sie sich in feuchten Träumen in Deutschlands Osten deliriert.

Lebens-Erwartung

VON WOLFGANG HORN

Bedrückend und, offen gesprochen, entlastend auch, auf der Intensivstation eines deutschen Krankenhauses einen Internetbeitrag von diesen vielen über die Bomabardierung eines ukrainischen Krankenhauses lesen zu können, von den Folgen für die Patienten und Ärzte, die Pfleger, die Angehörigen und Kinder, ob als Patient oder Teil der Familie. Weicher können die Knie nicht werden, wenn man sich eingesteht, womöglich über eine höhere Lebenserwartung zu verfügen als ukrainische Kinder, denen noch der ganze Kosmos offen stehen sollte. Zu erfahren, wieder neu, daß nur ein paar hundert Kilometer westwärts vor den Fronten im von Rußland angezettelten Krieg in der Ukraine die Grunderfahrung im Krankenhaus menschlicher Umgang ist, Zuwendung. Hilfe und Heil ist der ganze Trost, den die Gesellschaft dem Einzeln zu geben vermag. Nein, keine Resolution, kein Demonstrationsvorschlag, eher eine Eingebung, eine Bitte. Denkt nach. Fühlt mit.

Schäbig

Wie abgebrüht muß man sein, wie kalt und gefühllos, wenn man die Ukrainerinnen auffordert, mit ihren Kindern unser Land wieder zu verlassen, zurückzufahren in die kriegszerstörte Heimat, in die Ukraine, die Tag für Tag von russischen Bomben und Raketen beschossen wird, weil sie hier im friedlichen Deutschland Bürgergeld beziehen. Dobrindt, der Ober-Bayer im Deutschen Bundestag, hat sich mit dieser schäbigen Forderung hervorgetan. Wenn billigster Populismus das politische Handeln in dieser Weise bestimmt, dann steht das Christlich-Soziale nicht einmal mehr auf der Tagesordnung, dann ist es verloren. Hoffnungslos.