Kategorie: Wermelskirchen

Anders sein

Die besten Filter aber sind wir Menschen selbst, der Anstand, den wir leben. Wenn Dummheit und Niedertracht drohen Land zu gewinnen, dann ist das erste und vielleicht auch das letzte Mittel, das man gemeinsam dagegen hat: anders sein.

Johan Schloemann, Mit Anstand, in: Süddeutsche Zeitung vom zweiundzwanzigsten Januar Zweitausendfünfundzwanzig

“Sie verstellen sich nicht”

Man „höre die Rede der Spitzen-, jetzt Kanzlerkandidatin dieser rechtsradikalen Partei, die auf der Klaviatur der Unsagbarkeiten ebenso spielen kann wie auf der, sich als Opfer eines Mainstreams darzustellen, der ihr ihre demokratischen Rechte verweigert. In dieser Rede hat Alice Weidel – „Al(les)ice für Deutschland“ – einen Ton angeschlagen, der nicht einmal in die Nähe des Verdachts kommen könnte, für mitte-rechts-orientierte Wählerinnen und Wähler auch nur ansatzweise akzeptabel zu sein. Es war eine ekelhafte Rede, das Gesicht der Rednerin zur Fratze erstarrt, von Hass zerfressen und in den Inhalten dümmer, als man es sich auch mit viel Fantasie vorstellen konnte. (…) Das ist vielleicht das Frappierende an der ganzen Sache – sie verstellen sich nicht. So unsagbar und unerwartbar, so wenig satisfaktionsfähig und ernst zu nehmen die Dinge inhaltlich sind, so wenig scheint das für die Sprecher ein Problem zu sein. Das bedeutet dann aber, dass die kommunizierten Inhalte für Gegenargumente, für Widerlegung oder auch nur Verunsicherung erreichbar wären. Man wird diese Leute nicht dadurch erreichen, dass man sie widerlegt – im Gegenteil, die Widerlegung stabilisiert die Distinktion. (…) Die Mechanismen der Verarbeitung politischer Inhalte und Informationen können solche Formen der politischen Selbstimmunisierung gar nicht erreichen.

Armin Nassehi, MONTAGSBLOCK /308

Verfassungsschutz in Thüringen ordnet Anschlag von Taleb A. rechtsextremem Spektrum zu

Anzeichen für psychische Erkrankung nicht zu übersehen

“Selbst wenn sich eine psychische Störung herausstellen sollte, lässt sich an den Beiträgen des mutmaßlichen Täters im Internet eine gewachsene Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts in den letzten Jahren feststellen”, so der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

„Im Kern hat er Ideologeme dieser globalen digitalen Vergemeinschaftung im Bereich des Rechtsextremismus geteilt: der angebliche sogenannte große Austausch, die angebliche Islamisierung, andere Elemente der klassischen Verschwörungsideologie, und dass man annimmt, alles sei gesteuert. Presse sei gesteuert, politisches Handeln. Das sind so Chiffren in diesem Milieu. Und wir sehen bei ihm stark und über Jahre hinweg, wie er an diesem Diskurs, an dieser digitalen Vergemeinschaftung teilgenommen hat, wie er diese Inhalte übernommen hat, bei X, ehemals Twitter, retweetet, aber auch eigene Inhalte beigesteuert hat – insbesondere im Kontext antiislamischer Agitation.“ So der Radikalisierungsforscher Hans Goldenbaum. Magdeburg stehe in einer Reihe mit den Taten von Halle und Hanau. Dass gerade die Akteure, denen der Tatverdächtige anhing, von einem migrantisch islamistischen Anschlag sprechen, sollte aus Sicht des Forschers nicht verwundern. Es zeige, wie abgedichtet der rechtsextreme Diskurs gegen die Realität sei. 

„Wir sehen sehr starke paranoide Züge, eine wahnhafte Wahrnehmung verfolgt zu werden: in Deutschland nicht unbedingt nur vom saudi-arabischen Geheimdienst, sondern auch vom deutschen Staat, vom deutschen Geheimdienst, der deutschen Polizei. Das sind sehr klare paranoische, verschwörungsideologische Elemente, wie wir sie zum Beispiel auch beim Täter von Hanau hatten.“

„Das sind Taten, bei denen wir merken, dass der Täter in welcher Form auch immer ein geschlossenes Weltbild hat, ein extremistisches Weltbild hatte. Und die Möglichkeit eines psychischen Ausnahmezustands, von psychischer Labilität, psychischer Störung. Meistens müssen mehrere Faktoren der Ideologie, der psychischen Konstitution und auch emotionaler, psychischer Momente zusammenkommen.“

„Also er war offenbar Unterstützer, Sympathisant der AfD, aber dass er sich mit den Leuten getroffen hat, das denke ich nicht. Das wäre auch unwahrscheinlich von der Täterstruktur her. Was man aber sagen kann ist, dass er im digitalen Raum sehr wohl stark vernetzt war. Und das ist ein Phänomen, das wir in den letzten Jahren zunehmend beobachten, weshalb wir in allen extremistischen terroristischen Gewaltformen eine stärkere Einzeltäterproblematik haben. Dass Menschen online eine Gemeinschaft finden, die sie bestätigt, an deren Diskursen sie partizipieren können, wo sie teilweise auf Menschen stoßen, die sie unmittelbar zur Tat motivieren und wo sie dann aufgrund von individuellen Faktoren irgendwann zur Tat schreiten.In diesen digitalen Räumen dichten sie sich, genau wie beim Tatverdächtigen jetzt in Magdeburg, mehr und mehr gegen Einflüsse von außen ab, gegen andere Informationen. Dort kommen auch andere Akteure ins Spiel, auch rechtsextreme Akteure, auch Akteure aus der AfD.“

“Tiefpunkt in der politischen Kultur der Republik”

Lindner hat das schöne Wort „Freiheit“, das für die FDP ein Kernwort war, entkernt und veralbert: Lindner definierte seine und die Freiheit seiner Partei als Freiheit von Verantwortung, Freiheit von Anstand, Freiheit von Pflichtgefühl. Die Art und Weise, wie der FDP-Parteichef den Ausstieg aus der Ampelkoalition inszenierte, gehört zu den Tiefpunkten in der politischen Kultur der Bundesrepublik. Es war dies eine infame Flegelei, über die der Wahlkampf nicht einfach hinwegrollen wird. Die FDP, eine Partei, die zur guten demokratischen Grundausstattung des Landes gehört, ist nachhaltig diskreditiert. (…)

Der Koalitionsbruch im Herbst 2024 war ja nicht das erste Mal, dass Lindner mit tückischer Unsolidität aufgefallen ist; das war schon so, als er 2017 die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus Jux und Tollerei platzen ließ. Linder ist unseriös. Lindner hat das lange erfolgreich kaschieren können. (…)

Die Attitüde war stark, die Inhalte waren es nicht. Aber die Attitüde war so stark, dass man das nicht gemerkt hat – bis er Finanzminister wurde. Seitdem sind die Wahlergebnisse der FDP desaströs; die FDP ist eine verhungernde Partei geworden. Sie leidet an programmatischer Entleerung; sie wiegt nur noch ein halbes Lot. Der lindnerisierten FDP fehlt jeglicher inhaltlicher Tiefgang; das lässt sich mit dem formelhaften Lobpreis der Schuldenbremse nicht verbergen; die ist und ersetzt kein Zukunftsprogramm. Und ein Papier, das den Autos wieder mehr und Fußgängerzonen weniger Raum geben will, so wie es die FDP im August präsentierte, ist von solcher Dürftigkeit, dass man darüber gar nicht reden muss. Was erinnert heute noch an eine FDP, der einst Leute wie die Bildungspolitikerin Hildegard Hamm-Brücher oder ein Soziologieprofessor Ralf Dahrendorf Haltung und Rückgrat gegeben haben? Was erinnert an eine FDP, in der ihre Rechtspolitiker mit den CDU/CSU-Innenministern um die Rechtsstaatlichkeit gerungen und diese in Karlsruhe erfolgreich eingeklagt haben? (…)

Früher hatten die Liberalen den Einzelnen gegen die Macht des Staates verteidigt; wer sich erwartet hat, dass sie ihn nun gegen den neuen Leviathan, gegen die Macht des globalisierten Finanz- und Digitalmarkts verteidigt, sah und sieht sich enttäuscht. Lindner ist kein Grundsatzpolitiker, er ist auch kein Stratege; er ist ein Taktiker und ein Spieler. Das von ihm hervorgebrachte Parteiprogramm ist kein Programm, sondern eine Instant-Brühe aus smarten Floskeln und dünnen Sprüchen.

Auszüge aus der Philippika von Heribert Prantl, Liberale. Da ist nichts drin, in: Süddeutsche Zeitung vom zweiundzwanzigsten November Zweitausendvierundzwanzig

Zuverlässig unzuverlässig

„Ein Dilemma, in das über kurz oder lang jeder Koalitionspartner der FDP gerät, besteht im gelegentlichen Versuch, ihre Meinung der Mehrheit aufzuzwingen.“ (Ludwig Erhardt)

„Bei der FDP kann man sich auf eines verlassen. Nämlich eine berechenbare Komponente, ihre Charakterlosigkeit. Die Charakterlosigkeit der FDP verbunden mit ihrem Selbsterhaltungstrieb ist eine der zuverlässig berechenbaren Komponenten.“ (Franz-Josef Strauß)

D-Day

Dass der Tag, an dem die Ampel-Koalition zerbrechen sollte, FDP-intern als „D-Day“ bezeichnet wurde, zeugt außerdem von einer erschütternden Geschichtsvergessenheit. Am „D-Day“, dem 6. Juni 1944, landeten alliierte Truppen in der Normandie – ein entscheidender Schritt zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Dieses historische Ereignis und den Bruch mit der Ampel zumindest in der Wortwahl auf eine Stufe zu stellen, ist beschämend.

Thomas Gehringer, Die FDP und das Ende der Ampel. Täuschung als Strategie, in: Remscheider General-Anzeiger vom achtzehnten November Zweitausendundvierundzwanzig