Monat: Dezember 2015

Federn lassen

Federn lassen und dennoch schweben. Das ist das Geheimnis des Lebens.

Hilde Domin, geborene Löwenstein, Schriftstellerin, geboren Neunzehnhundertneun in Köln, gestorben Zweitausendundsechs in Heidelberg, floh vor dem Faschismus in die Dominikanische Republik und führte fortan an Namen Domin in Würdigung der Insel, die Ihr Zuflucht bot vor Verfolgung und Unterdrückung.

Boelongan. In Erinnerung an Kurt und Cläre Wohl

Heute findet um sechzehn Uhr in der Kirche in Hünger ein bemerkenswertes Konzert statt: Der Kölner Künstler Hartmut Zänder, Großneffe von Kurt und Cläre Wohl, wird mit seiner Band indonesische Musik, Schattenspiele und Bilder zeigen. Sie erinnern an die Lebens- und Leidensgeschichte deBoelungan_1s jüdischen Arztes Kurt Wohl, der Neunzehnhundertvierzig vor den Nationalsozialisten aus Wermelskirchen fliehen musste, und seiner damaligen Verlobten und späteren Frau Cläre. Sie lebten bis in die späten 50er Jahre in Indonesien im Exil und kehrten dann nach Wermelskirchen zurück, wo sie eine Wohnung in der Dürholt’schen Villa an der Dabringhauser Straße bezogen. Schon die Premiere von Boelongan im Kölner Rautenstrauch Joest Museum am siebten November war ein voller Erfolg. Alle Kartenanfragen mußten in der letzten Woche abgewiesen werden. Der Eintritt ist frei. Es wird um Spenden gebeten.

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Der Wermelskirchener Journalist Armin Himmelrath wird einführend kurz das Leben von Kurt und Cläre Wohl vorstellen. Der jüdische Arzt Kurt Wohl hat sich nach seinem Studium in Freiburg und Breslau in Wermelskirchen niedergelassen und hier seine Praxis betrieben. Bis ihn die Nazis zwangen, Deutschland zu verlassen. Neunzehnhundertneununddreißig emigriert er zu seinem Sohn in Java, der dort für eine Remscheider Firma tätig ist. Ein Jahr später werden beide von den Holländern als Deutsche interniert. Mehr heute um sechzehn Uhr in der Kirche in Hünger.

Republikanische Wachsamkeit

Die riskante Seite der Demokratie ist nur in den Griff zu bekommen, wenn man peinlich darauf achtet, dass auch missliebige Volksmeinungen im Rahmen der Verfassung geäußert werden können. Gerade dem Pack, wie es Sigmar Gabriel genannt hat, sind, noch so zähneknirschend, die Grundrechte von Meinungs- und Versammlungsfreiheit besonders souverän zu gewähren. Nur so kann man den Fremdenfeindlichen glaubhaft argumentativ entgegentreten. Und nur so beweisen, dass sie nicht “das Volk” sind. Die Volksherrschaft in Deutschland ist ja eine, die den Einfluss des Volkes auf vielerlei Weise herausgefiltert hat: durch Parlamente, Parteien und ein Rechtssystem ohne Schuldsprüche von Geschworenen, also ohne Volksjurys. So hat das stabilitätsversessene Land das Risiko, das Wackelige der Demokratie, das Unfassbare des Volkes lange vergessen. Die Demokratie hat aber eben eine offene Flanke, das ist ihr Preis – und die Garantie, dass sie demokratisch bleibt. Vielleicht wäre es besser, wenn die AfD oder eine ähnliche “Volks”-Partei endlich in den Bundestag käme. Klingt frivol? Nein, es böte die Chance eines offenen Schlagabtauschs. Demokratische Gegenwehr ist nicht: ignorieren oder verbieten. Sondern republikanische Wachsamkeit, Argumente, Gegendemonstrationen.

Johan Schloemann, Demokratie. Wer sind das Volk?, in: Süddeutsche Zeitung vom fünften Dezember Zweitausendfünfzehn

Schwarze Integration

Eine Erziehung, die auf Druck und auf Einschüchterung aufbaut, heißt “schwarze Pädagogik”. Diese schwarze Pädagogik setzt das erwünschte Verhalten von Kindern mit brachialen Mitteln durch. (…) In der Ausländer- und Flüchtlingspolitik (…) lebt diese schwarze Pädagogik nun leider wieder auf. Die CDU will auf ihrem Parteitag ein “Integrationspflichtgesetz” beschließen, das den Migranten Sanktionen androht, wenn sie sich in Deutschland nicht wunschgemäß integrieren. Flüchtlinge sollen künftig ein Bekenntnis unterschreiben – etwa zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zur Achtung von Homosexuellen und zum Existenzrecht Israels; widrigenfalls sollen die Sozialleistungen gekürzt und der Aufenthaltsstatus infrage gestellt werden. So richtig und wichtig diese Werte und Haltungen sind: Auf diese Weise fördert man sie nicht; das ist Rohrstock-Integration; sie fördert nicht die Grundwerte und Grundrechte, sondern allenfalls die Heuchelei.

Heribert Prantl, Integrationspflicht. Schwarze Pädagogik, in: Süddeutsche Zeitung vom ersten Dezember Zweitausendfünfzehn

Alt und jung, geföhnt und ohne Sinn

Bei CDU und CSU liegen die Dinge ganz anders. Mitglieder der Jungen Union sind so schön geföhnt und so alt im Herzen, dass sich die Betagteren in der Partei heimlich vor ihnen fürchten. Viel weiter rechts, bei der AfD, darf übrigens nur derjenige ein Amt anstreben, der nachweislich gar kein Herz hat, egal ob alt oder jung. Dann doch lieber die Jusos. Man wird niemals verstehen, wovon sie eigentlich sprechen; aber keiner kann ihnen vorwerfen, sie hätten das nicht aus vollem Herzen getan.

Gefunden in der Glosse Das Streiflicht, in: Süddeutsche Zeitung vom ersten Dezember Zweitausendundfünfzehn