Monat: August 2012

Die Saat geht auf

Am Wochenende haben, wie die Bergische Morgenpost berichtet,  Unbekannte die Richtungspfeile auf einem Hinweisschild für den gegenläufigen Radverkehr überklebt. Ein fataler, weil gefährlicher Spaß? Oder waren Radfahrgegner am Werk, die die in den letzen Wochen ja lautstark  und hemmungslos formulierte Kritik am gegenläufigen Radverkehr in der Telegrafenstraße nunmehr in anarchistisch-gemeingefährliche Praxis münden lassen wollten? Am Ende sind jene verantwortlich, die den Boden vorbereitet haben, damit das Keimen der Saat möglich ist.

Die Eigentumsordnung

Die Eigentumsordnung, so ist ein Blogbeitrag von Michael Schöfer überschrieben, dessen Lektüre ich empfehlen möchte. Hier einige Ausschnitte:

“Das Grundgesetz schützt in Artikel 14 das Eigentum der Bürger. Das ist auch gut so. Und in den übrigen westlichen Industriestaaten wird es nicht anders gehandhabt. Doch seltsamerweise gibt es, frei nach George Orwells Bonmot in der Parabel ‘Farm der Tiere’ (‘Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher’), zwei Eigentumsordnungen: eine für den Normalbürger und eine für Investoren. Haben Sie etwa das Pech, hierzulande Hartz IV-Empfänger zu sein, müssen Sie vor den Behörden gewissermaßen die Hosen herunterlassen, bevor Sie überhaupt irgendeine müde Mark bekommen. Ihr Vermögen, soweit vorhanden, wird gemessen und gewogen. Und wehe, Sie haben mehr, als Ihnen der Staat in seiner unnachahmlichen Großzügigkeit zugesteht. Ihre Wohnung, Ihr Auto, sogar Ihre Intimbeziehungen – alles wird penibel überprüft. Als deutscher Steuerhinterzieher mit Bankkonto in der Schweiz genießen Sie jedoch auch künftig den Schutz der Anonymität, was faktisch einer Amnestie gleichkommt. Neugierige Blicke deutscher Finanzbeamter? Pustekuchen! Zumindest, wenn das Steuerabkommen, das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit den Eidgenossen abgeschlossen hat, tatsächlich in Kraft tritt. “Tja, Bankgeheimnis”, zuckt da die Eigentumsordnung lakonisch mit den Schultern. (…) All animals are equal… Müssen Sie als griechischer, spanischer, portugiesischer oder italienischer Rentner Ihr Dasein fristen, kann Ihnen der Staat einen Teil Ihrer ohnehin mageren Rente wegnehmen. Einfach so, ohne Ausgleich, die Euro-Krise macht’s möglich. Dazu schweigt sich die Eigentumsordnung aus, schließlich müssen wir die notleidenden Banken retten. Bei den Anlegern heißt es dagegen, wir müssten unbedingt ihr Vertrauen gewinnen, weshalb man noch nicht einmal eine Sekunde lang daran denken dürfe, ihnen einen einzigen Cent ihres riesigen Vermögens wegzunehmen. ‘Das Kapital ist eben ein scheues Reh’, belehrt uns die Eigentumsordnung hochtrabend. Außerdem sind Enteignungen nur gegen Entschädigung erlaubt. Wohlgemerkt: Bei den Spekulanten, nicht bei den Rentnern. Die Not der Rentner ist sekundär. All animals are equal… (…) Die Eigentumsordnung meldet sich bloß, wenn die großen Vermögen in den Fokus geraten. 21 bis 32 Billionen Dollar sollen die Reichen weltweit in Steueroasen gebunkert haben. Nur zum Vergleich: Mit diesem Vermögen könnte man die Eurozone (Schuldenstand: 10,1 Billionen US-Dollar) [2] und die USA (Schuldenstand: 15,8 Billionen Dollar) [3] komplett entschulden. Mit einem Schlag. ‘Nein’, schreit da die Eigentumsordnung hysterisch, ‘das könnt ihr doch nicht machen! Das ist Sozialismus!’  (…) Geld muss bekanntlich arbeiten. Oder besser: es muss arbeiten lassen! Deshalb liegt das Geld nicht nutzlos in den Tresoren der Steueroasen herum, sondern wird in aller Welt gewinnbringend angelegt. (…) Falls dieses Kapital dann durch irgendetwas, zum Beispiel eine kleine Staatspleite am Rande des Mittelmeeres, in Gefahr gerät, sorgt die Eigentumsordnung durch ihren Einfluss dafür, dass Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose den Gürtel noch enger schnallen müssen als zuvor. Den Anlegern droht nichts dergleichen, denn die sind ja zum Glück systemrelevant. Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose hingegen nicht. Manchmal darf sogar ein Teil der Eigentumsordnung im Kanzleramt Geburtstag feiern. Raten Sie mal, welcher. All animals are equal… In George Orwells “Farm der Tiere” gibt es am Ende einen Aufstand. Liebe Eigentumsordnung, keine Angst, das ist bloß die dichterische Freiheit. Alles Fiktion! Sei beruhigt, in der Realität wird es nie einen Aufstand geben, immerhin schützt Dich die Verfassung. Es bleibt deshalb dabei: ‘Das Eigentum ist sicher, aber manche sind sicherer!'”

Jugend-Tag

Wat et nit all jit! Heute ist der Tag der Jugend. Vor dreizehn Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen als Internationaler Tag der Jugend (International Youth Day) festgelegt. Nun denn, mir soll das egal sein, kann ich doch seit geraumer Zeit keinen Tag der Jugend mehr begehen. In Spanien dagegen, Frankreich, Italien oder Portugal, auch in Deutschland, Griechenland oder anderswo sollte die Jugend den Herrschenden mal zeigen, nicht nur am Tag der Jugend, was sie davon hält, daß die Jugend um ihre Arbeits- und Zukunftschancen gebracht wird. Mit dem Jugendkult in Werbung und Medien, mit dem Profit am jungen Gesicht und am jugendlichen Körper einher geht nämlich eine merkwürdig-ungeheuerliche Mißachtung der Jugend und ihrer Rechte, ihrer Bildungschancen.

Schwarz-Gelb blockiert Korruptionsregeln

Die Welt steht Kopf. Jedenfalls hierzulande, in Deutschland. Hier nämlich fordern führende deutsche Konzernchefs den Bundestag auf, das UN-Abkommen gegen Korruption so schnell wie möglich in Kraft zu setzen. „Das Ausbleiben der Ratifizierung schadet dem Ansehen der deutschen Wirtschaftsunternehmen“, heißt es in einem Schreiben an alle Fraktionschefs. Ein demokratisches Land wie Deutschland müsse international glaubwürdig sein und dürfe sich nicht unnötig angreifbar machen. Die Chefs von Siemens, Daimler, Allianz, Bayer, Eon, Deutsche Bank, Commerzbank, Deutsche Telekom, Linde und Metro machen Dampf. Ist ja klar, die internationalen Korruptionsverfahren sind erledigt, sozusagen Geschichte. Die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) wurde inzwischen von einhundertneunundfünfzig Staaten ratifiziert. Es fehlen autoritäre Länder wie Syrien oder Saudi-Arabien. Und Deutschland. Die schwarz-gelbe Koalition aber blockiert die Ratifizierung der Korruptionsregeln, wegen des im deutschen Recht unzureichend geregelten Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung. Es geht um den §108e des Strafgesetzbuches, der Bestechlichkeit und Bestechung von Abgeordneten regelt. Aus Sicht von Transparency International (TI) ist er viel zu einschränkend. Zwar verbiete der Paragraph den „Stimmenkauf“, aber es bleibe unklar, ab wann Spenden an Mandatsträger „Käuflichkeit“ signalisierten. Der Paragraph müsse ausgeweitet werden. TI begrüßt die Initiative der Wirtschaft. „Es ist längst überfällig, dass die deutsche Wirtschaft Bundesregierung und Bundestag drängt, die UN-Konvention gegen Korruption endlich zu ratifizieren. Der gegenwärtige Zustand schadet den Interessen der deutschen Exportwirtschaft.“ Die Unternehmen wollten, dass in allen Zielländern und von allen Wettbewerbern nach den gleichen Regeln gespielt werde. By the way: Was macht der Herr Rösler eigentlich so?

Perseveration

Nein, nein, das hat nichts mit Perversität zu tun, mit Präservativen oder dem Perserteppich. Perseveration meint krankhaftes Beharren oder beharrliches Wiederholen. Perseveration ist ein wirklich selten gebrauchtes Wort und ich kenne niemanden, der mir auf Anhieb die Übersetzung oder Bedeutung dieses nicht wirklich hübschen Fremdwortes hätte geben können. Wie ich drauf komme? Henning Rehse hat es verwandt, öffentlich, in einem Leserbrief an den Wermelskirchener Generalanzeiger. Der Leserbrief ist eine einzige Suada (Wortschwall, großer Redefluß) gegen Frank Schopphoff, Vorsitzender des ADFC, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs. Nur: Was mag Henning Rehse nun wirklich meinen? Beharrt Frank Schopphoff  hartnäckig auf dem Recht der Radfahrer in Wermelskirchen, auf der Telegrafenstraße gegen die Fahrtrichtung der Automobile fahren zu dürfen oder leidet er an krankhafter Beharrungsstarre? Wir wissen es nicht, wir können nur vermuten. Nämlich, daß der Großmeister der WNKUWG die derzeit geltende Radfahrregelung für krank hält und alle Befürworter gleichermaßen. (Wobei seine Haltung nicht weniger perseverativ ist als die des Rad-Fahrerlagers.) Gleichwohl: Ein Fremdwort, das keiner kennt und entschlüsseln kann, ist meiner Ansicht nach ein denkbar ungünstiger Einstieg in einen Artikel oder Leserbrief, mit dem man doch überzeugen will, werben für die eigene Position, Klarheit herstellen. Nein, es ging und geht Henning Rehse nicht ums Überzeugen, es geht ums Blähen, ums Aufplustern. Dann ist auch kein Fremdwort zu schade, nicht einmal eines, das kein Arsch kennt und Henning Rehse vermutlich auch erst in Wikipedia oder sonstwo mühsam hat suchen müssen. Dennoch, zum Intellektuellen, zum Philosophen wird es mit Perseveration alleine kaum reichen. Wichtiger als der Einstieg in den Leserbrief ist mir indes der Ausstieg. Nachdem Henning Rehse seinem Kontrahenten die lange Liste deutscher Justizinstanzen aufzählt, bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (!?!), heißt es dann wörtlich: “Das werden wir dann als Stadt auch durchziehen. Ich bin nicht mehr bereit hinzunehmen, dass demokratisch gefasste Beschlüsse und Mehrheiten durch diese Spielchen außer Kraft gesetzt werden.” Das werden wir als Stadt durchziehen. Wir? Die WNKUWG? Die WNKUWG mit Ihrer Mehrheit in der Stadt? Wer ist die Stadt? Die Parteien, die WNKUWG zuvörderst, die Stadtverordneten, an ihrer Spitze Kaiser Henning? Oder nicht doch etwa vor allem wir Bürger? Wir sind die Stadt, die Autofahrer und Fußgänger, die Radfahrer und  die Biker, die Mütter mit Kinderwagen und die Älteren mit Rollator, wir alle sind die Stadt, die Käufer und die Flaneure, die Händler und die Verkäufer, die Schüler, Lehrer und Eltern, Straßenmusiker und Rentner. Wir alle sind die Stadt, nicht nur die Handvoll Kommunalpolitiker. Henning Rehse ist nicht mehr bereit. Das stimmt. Er ist nicht bereit einzusehen, daß Radfahren in der Stadt auch Lebensqualität bedeutet. Er ist nicht bereit, von seiner bedingungslosen Autounterstützungsposition abzuweichen. Er ist nicht bereit, in eine sachliche Auseinandersetzung einzusteigen. Nicht, daß Henning Rehse sich täuscht und sich die Bürger dereinst nicht mehr von einem hyperaktiven Stadtverordneten und seinen Fünfzehn-Prozent-Getreuen vorschreiben lassen wollen, was sie für richtig halten oder falsch, ob sie mit dem Rad durch die Stadt fahren können oder nur mit dem Porsche Cayenne. Wer das Rad aus der Stadt verbannen will, der sollte auch vor Rollatoren, Kinderwagen, Gehstützen, Rollstühlen nicht Halt machen.