“Sind Sie jetzt Nichtraucher geworden, Herr Horn?” Mit dieser Frage meldete sich heute Vormittag Frau Tillmanns, Lokalredakteurin der Bergischen Morgenpost, bei mir und nahm damit Bezug auf meinen gestrigen Beitrag. Schön, daß auch die örtliche Presse zu den Bloglesern gehört. Frau Tillmanns war nach der Lektüre offenbar überrascht von meinem Eindruck, den ich hier wiedergegeben habe, nämlich, daß in der örtlichen SPD nach den Wahlniederlagen offen und schonungslos diskutiert werde, daß man nach besseren Lösungen als in den vergangenen Monaten suche und das sogar relativ einvernehmlich. Ich habe Frau Tillmanns bestätigt, was ich geschrieben hatte. Überdies scheint mir das, was ich zu meiner Überraschung in der SPD erfahren habe, in allen Parteien wichtig zu sein, unabhängig davon, ob sie zu den Siegern zählen oder den Verlierern. Die Parteien müssen wieder näher an die Menschen in der Stadt rücken. Die Abgehobenheit der Parteien, ihre Entkopplung von den Bürgern führt dazu, daß Politik als fremdes, als seltsames Geschehen begriffen wird. Einmischen, Mitmachen, sich öffentlich zu Wort melden, Abweichen, Querdenken – all das kann nur entstehen und auch kultiviert werden, wenn die Parteien sich nicht mehr nur als Spezialisten für Verwaltungsvorlagen verstehen. Dieser Lektion scheint sich nach meinem Eindruck die SPD gerade zu stellen. Nötig sollte ein solcher Prozess aber auch für die anderen Parteien sein. Denn letztlich muß die beschämend niedrige Wahlbeteiligung alle Parteien erschrocken haben. Und auch keine Siegerpartei kann zufrieden damit sein, die Mehrheit nur der Hälfte aller Bürger errungen zu haben. Friedrich Schorlemmer, Pfarrer in der DDR-Bürgerrechtsbewegung, in einem Rückblick auf die DDR im heutigen Freitag : “Wir sind in der vereinigten Demokratie angekommen. Noch ist sie stabil; aber sie braucht mehr aktive Demokraten, die auf dem Boden des Grundgesetzes mitwirken, soll der freiheitliche Sozialstaat nicht ausgehöhlt werden. Demokratie ist auf Akzeptanz der Bürger angewiesen, mehr noch als auf die Funktionstüchtigkeit ihrer Institutionen.” Ein Satz, der gewiß auch im Westen der Republik seine eigene Bedeutung hat.
Schlagwort: SPD
Mut zur Begegnung
Als Gastmitglied habe ich den gestrigen Abend bei meiner ersten Mitgliederversammlung der SPD verbracht. Das Gastmitglied hat sicher ebensoviel Mut zu dieser Begegnung aufbringen müssen wie die “regulären” Genossinnen und Genossen. Das wesentliche Thema: Diskussion über die Wahlergebnisse der Kommunal- und Bundestagswahl. Und: Die Genossinnen und Genossen haben mich überrascht. Mit einer sehr offenen Diskussion, in der schonungslos viele Fehler und Fehleinschätzungen eingestanden, in der Wege zur Veränderung des politischen Auftretens, der öffentlichen Kommunikation mit den Bürgern, den Medien gesucht und beraten wurden. Sensibler, nachdenklicher, fragender, als man es vermuten würde, wenn die bisherigen öffentlichen Äußerungen die Meßlatte darstellen. Kein Beharren auf den bisherigen Positionen, weder auf Bundes-, noch auf der örtlichen Ebene. Nichts, keine Position, die nicht doch in Frage gestellt werden könnte. Eine offene Partei. Gut so. Und: Eine Mitgliederversammlung der SPD ist gesund. Denn von sieben bis fast elf Uhr gab es keine Gelegenheit, eine Zigarette anzuzünden.
Eintrittswelle
Die geschundene SPD erlebt eine wahre Eintrittswelle: Wie Spiegel Online meldet, haben sich seit der verlorenen Bundestagswahl mehr als 2000 meist jüngere Leute per Internet angemeldet. “Da erfahrungsgemäß viele auch ganz traditionell bei den Ortsvereinen eintreten, wird im Berliner Willy-Brandt-Haus mit mehr als 3200 neuen Genossen gerechnet.” Der Frankfurter Sozialpsychologe Rolf van Dick erklärt die Eintrittswelle damit, so Spiegel Online weiter, dass das “Wahlergebnis der SPD ein Schock für viele Linksliberale” war – und damit der Anstoß, sich selbst zu engagieren, weil sie davon ausgingen, dass die Volkspartei wichtig für dieses Land sei. Schön zu lesen, daß man doch kein Exot ist.
Reetz: Rückzug nach Demontage
Christel Reetz, bislang stellvertretende Bürgermeisterin in Wermelskirchen, zieht sich nach den von der SPD-Fraktion im Stadtrat verursachten Querelen zurück von ihrem Amt. Sie nahm, wie die beiden lokalen Zeitungen übereinstimmend berichten, nicht einmal mehr an der konstituierenden Sitzung der Fraktion teil, sondern ließ ihre Erklärung verlesen. “Ich bitte insbesondere diejenigen um Verständnis”, zitiert der Wermelskirchener Generalanzeiger die Erklärung von Christel Reetz, “die mich zum ‘Durchhalten’ ermutigt hatten.” Christel Reetz hätte wohl für eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit als stellvertretende Bürgermeisterin zur Verfügung gestanden. Die Demontage einer verdienten Sozialdemokratin und der Verlust einer keineswegs unwichtigen öffentlichen Funktion, das ist nun das Ergebnis einer verheerenden Kommunikation, wie sie von der Fraktion der SPD öffentlich geführt worden ist. Zunächst wurde ins Feld geführt, man wolle sich nur noch an der Sachpolitik orientieren und keine Listenverbindungen mehr mit anderen Parteien eingehen. Danach sprach der Fraktionsvorsitzende davon, daß das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters doch eher der größeren CDU-Fraktion zustehe und man nicht als Knüppel gegen die CDU wirken wolle. Und jetzt? Jetzt wird im Nachgang Jochen Bilstein mit der Überlegung zitiert, man habe Christel Reetz “seitens der SPD-Fraktion und nicht auf der Liste der ‘Regenbogenfraktionen’ in der Sitzung des Rates am kommenden Montag zur Wahl” vorschlagen wollen. Interessant. Christel Reetz als Kandidatin auf einer eigenen Liste der SPD. Warum nicht schon früher? Hinter uns liegen zwei Wochen, in denen die SPD öffentlich ein Lehrstück für mißratenen Umgang mit eigenen Genossen, falsche Antworten auf politische Angebote anderer Parteien und eine vollkommen mißlungene Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit dargeboten hat. Mal wieder. Leider.
Zuspruch
Das alles hier ist ein Blog. Die Bezeichnung ist die Kurzform des englischen Wortes Weblog. Ein öffentliches Logbuch im Internet, also so etwas wie ein Tagebuch oder ein Journal. Ein Blog ist also ein für Autor und Leser einfaches Medium zur Darstellung von Meinungen zu allen nur denkbaren Themen. Ein Medium für den Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrungen. Dieses Blog hier ist keine Zeitung. Ich veröffentliche von Zeit zu Zeit nur, was mir so in den Sinn, vor die Augen, in den Kopf kommt. Privates spare ich dabei in aller Regel aus. Davon mache ich jetzt einmal eine Ausnahme. Heute morgen erreicht mich die Mail eines Freundes, der in der Zeitung gelesen hat, mit Freuden, wie er schreibt, daß ich nunmehr Gastmitglied in der SPD geworden bin. Kein Sozialdemokrat, notabene. “Hoffentlich kannst Du was bewegen. Ich würde mich darüber sehr freuen. Es ist wirklich höchste Zeit!” Für sich formuliert er, daß er sich auch gerne mehr ins öffentliche Leben der Stadt einbrächte, ihm dazu aber angesichts seiner beruflichen Lage die Zeit fehle. Sein Schlußsatz: “Für Deine Entscheidung, Dich in der Kommunalpolitik und in der SPD einzubringen, sage ich Dir: Hochachtung!!” Danke fürs ermutigende Wort.
Mir reicht’s – noch nicht …
Mit dem Ausruf: “Mir reicht’s!” hat das alles hier angefangen, am 12. August. Der erste Absatz meines ersten Beitrages hier lautete: “Ich bin 58 Jahre alt und lebe seit nunmehr 30 Jahren in Wermelskirchen. Kommunale Politik nehme ich vor allem über die Berichterstattung der beiden lokalen Zeitungen wahr. Einer Partei gehöre ich nicht an, ich schreibe keine Leserbriefe und ich mische mich nicht ein. Mein Interesse an kommunalen Vorgängen dürfte so eingeschränkt sein wie bei vielen anderen Bürgern dieser Stadt auch. Und, ich gebe es gerne zu: Von vielen Dingen, die auf kommunaler Ebene geregelt werden müssen, habe ich nicht genug oder keine Ahnung.” Das alles ist immer noch so, inclusive der Altersangabe. Nur eines hat sich geändert: Ich habe nach dem verheerenden Ergebnis der Bundestagswahl – wie im übrigen viele andere Menschen im ganzen Land auch – die Gastmitgliedschaft in der SPD beantragt und erworben. Wer derart geschunden ist, am Boden liegt, wie die SPD, im Bund, im Land und am Ort, der braucht Zuspruch, Hilfe und Solidarität, Mitarbeit. Vielleicht auch mehr kritische Geister, mehr unabhängige Köpfe, die das ihrige dazu tun, mitreden, Debatten entfachen, Kritik üben, so daß die einst große und bedeutende Sozialdemokratie wieder erstarkt. Ein Jahr lang darf ich jetzt für einen minimalen Beitrag mitreden, mitdiskutieren. Weiterlesen
Unterstützung für Christel Reetz
Die Bergische Morgenpost hat die Bürger Wermelskirchens nach ihrer Meinung zur stellvertetenden Bürgermeisterin Christel Reetz gefragt. Ergebnis: ” ‘Alle’ wollen Christel Reetz wieder zur ersten stellvertretenden Bürgermeisterin haben. Bis in die späten Abendstunden gingen bei der Bergischen Morgenpost (…) Unterstützer-E-Mails ein. Der Tenor: Sympathieadressen an Christel Reetz und Unverständnis über die SPD.” Das Eigentor der örtlichen SPD wird immer peinlicher. Da hat eine Partei eine beliebte Politikerin, verwehrt ihr aber die Fortführung ihres bisherigen Amtes. Ohne jede nachvollziehbare Begründung. Ein Leser bescheinigt der beliebten SPD-Politikerin, “sie habe jahrelange Ratserfahrung (und) sei im Parteiengezänk der vergangenen Jahre stets neutral geblieben.” Und: Ihre Mitgliedschaft in der SPD störe keineswegs. Im Gegensatz zu allen Mitgliedern der streitbefangenen Fraktionen CDU und FDP. SPD-Fraktionsvorsitzender Jochen Bilstein sehe aus “aus falscher Treue zu den Krakeelern der CDU nicht, dass durch Frau Reetz ein positives Licht auf die SPD fallen könnte. Das übersieht dieser völlig ungeeignete Kommunalpolitiker.” Die Kritik der Leser am Vorgehen des Fraktionsvorsitzenden ist so massiv wie die Unterstützung für Frau Reetz. Die SPD hat offenbar immer noch kein Ohr am Bürger und die Fraktionsspitze handelt wie ein selbstreferentieller Autist. Ich höre jetzt schon, daß die SPD-Verantwortlichen, jedenfalls aber Jochen Bilstein, diese Leserbefragung der Morgenpost mal wieder als Wahlkampffortsetzung der Bergischen Morgenpost diffamieren werden. Tja, da zitieren wir doch lieber noch einmal Seneca, den Jüngeren: “Man muß so lange lernen, als man unwissend ist – also ein Leben lang, wenn wir dem Sprichwort glauben. Daraus ergibt sich zwingend der folgende Gedanke: Man muss ein Leben lang lernen, wie man das Leben gestalten soll. […] Ich zeige durch mein Beispiel, dass man auch im Alter noch zu lernen hat.” Ich jedenfalls setze noch auf die Lernfähigkeit der örtlichen Genossen. Und die (Partei-)Wüste ist der falsche Platz für Christel Reetz.
Zur Strafe acht Jahre Opposition
Zur Strafe acht Jahre Opposition – so überschreibt die Süddeutsche Zeitung heute einen Kommentar, nein: eher ein öffentliches Nachdenken von Dieter Degler über die SPD. Es sei ihm alles zu schnell gegangen nach der verlorenen Wahl, moniert Degler: Steinmeier noch am Wahlabend zum Fraktionsvorsitzenden gekürt, Gabriel ein paar Tage später Parteivorsitzender, Nahles, Wowereit, Kraft und Scholz drumrum – Blitz-Personalien nennt er das Verfahren. “Statt zunächst gründlich die Ursachen der krachenden Niederlage zu analysieren, daraus die inhaltlichen Konsequenzen und Handlungsoptionen zu destillieren und anschließend, als letztes, die sich daraus ableitenden personellen Konstellationen festzuzurren, macht es die SPD genau anders- und falschherum.” Vier Vorschläge macht Degler der “verwirrten” Partei. Erstens müsse das Verhältnis zur Linken nüchtern und ohne Selbstmitleid geklärt werden. Diese sollte als Konkurrenz ernst genommen und als möglicher Koalitionspartner akzeptiert werden. Eine bloße Wende nach links nutze nichts, mache die Linke keineswegs überflüssig. Zweitens müsse ein für die Wähler schlüssiges Bündnisverhalten erkennbar sein. Matschies Wahlkampf gegen die CDU in Thüringen und seine Koalitionsverhandlungen mit eben dieser CDU spalte die Partei und mache sie unglaubwürdig. Auch die Ausschließeritis müsse aufgegeben werden. Drittens solle die SPD sich bemühen, “das zerfallene Mitte-Links-Lager wieder zu stabilisieren. Dazu gehören bessere diplomatische Beziehungen zu Grünen, Linken und der FDP. Dazu gehört ein Anti-Verelendungs-Programm, das finanzierbar und damit überzeugender ist als der linke Spruch “Reichtum für alle”.” Dazu gehöre die Erneuerung und Verjüngung einer “vergreisenden” Partei, “die zwar im Internet-Zeitalter lebt, es aber nicht mehr versteht.” Und viertens schließlich müsse die Partei wieder lernen, mit dem Volk zu kommunizieren. “Viele Lösungsansätze schlummern in sozialdemokratischen Köpfen und Papieren, aber sie erreichen die Wähler nicht mehr. Während der heute vielgeschmähte Gerhard Schröder selbst fragwürdige Positionen öffentlich darstellen konnte als seien sie der Gral der Weisheit, gelingt es der aktuellen Führungsriege nicht einmal, ihre Verdienste während der großen Koalition angemessen ans Publikum zu bringen.” Dabei würden die gesellschaftlichen Probleme immer schwieriger, die Bindungen an Parteien nähmen ab und die mediale Verblödung produziere immer mehr politisch Desinteressierte. “Die ersten Schritte nach der Bundestagswahl deuten allerdings nicht darauf hin, dass sich die SPD nun gründlich den Mühen der Wiederaufbau-Ebenen widmen will. Wer das aber nach einem solchen Debakel unterlässt, wird mit Opposition nicht unter acht Jahren bestraft.”
Da kann ich nur noch hinzufügen: Das alles gilt in Wermelskirchen auch.
SPD: Kultur der Teilhabe
TSG wird er genannt, der Ypsilanti-Nachfolger und Hoffnungsträger der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußert TSG sich heute zur Politik der SPD: “Eines der Grundübel der Politik ist, dass man autoritär mit Autorität verwechselt. Ein Parteichef (…) besitzt Autorität – wenn er autoritär wird, verliert er diese Autorität. Mir bricht als Vorsitzender kein Zacken aus der Krone, wenn ich mich mal bei einer Abstimmung nicht durchsetzen kann. Das ist Demokratie. Wir müssen uns von diesen autoritären Politikvorstellungen verabschieden. Wir müssen und wir werden in die andere Richtung gehen: Die SPD braucht die Beteiligung aller, die interessiert und engagiert sind.” Und weiter: “Die Basta-Kultur muss enden, sie muss Platz machen für eine Kultur der Teilhabe. Das bedeutet die SPD-Mitglieder, aber auch Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften, soziale Netzwerke und Vereine mehr einzubinden, sich auszutauschen und einander zuzuhören. (…) Die SPD darf nicht mehr warten, wir müssen das jetzt angehen. Wir werden auch einen anderen Umgangston in der SPD miteinander pflegen müssen.” Wohlan.