Tag: 6. September 2015

Nicht die Quantität der Flüchtlinge ist historisch, sondern die Qualität der Zuwendung.

Ein anderer Zustand des Begreifens ist der, der ohne Vergleich auskommt. (…) All die Menschen in diesen Tagen, auf dem Land oder in der Stadt, die geben und teilen, was sie haben: Kinderwagen oder Turnschuhe, ein Bett in der eigenen Wohnung oder einen Platz am Tisch zum Abendessen, all diese Menschen suchen keine Gemeinsamkeiten oder Differenzen. Sie begutachten nicht einzelne Eigenschaften derer, die da nach Europa, in die eigene Gegend oder Straße kommen, sie teilen die Menschen nicht ein oder auf in jene, die genau gleich oder fast genau gleich oder anders sind als sie selbst. Der bewegenden Hilfsbereitschaft, die in diesen Wochen zu erleben ist, liegt ein anderer Blick, eine andere Sorte des Begreifens zugrunde. Sie nehmen die Geflüchteten als das, was sie sind: Geflüchtete. Dieses tiefe Begreifen ist bedingungslos. Es sortiert nicht die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, es entzieht sich jener skalierenden Musterung, nach der “legitime” von “illegitimen”, “nützliche” von “schädlichen” Ankömmlingen geschieden und bei Bedarf dämonisiert und entwertet werden. Es versteht vielmehr Verletzbarkeit als condition humaine: ob es nun politische Verfolgung oder religiöse Vertreibung, sexuelle Misshandlung oder ökonomische Verelendung war, die Menschen zur Flucht gedrängt hat. Nicht die Quantität derer, die hierher fliehen, ist historisch zu nennen, sondern die Qualität der Zuwendung derer, die sie anerkennen. (…) Diese beeindruckende Bewegung aus zivilem Engagement ist keineswegs nur privat. Sondern sie ist in ihrer Selbstermächtigung auch politischer als manche Regierung, die ihre angebliche Ohnmacht in der Flüchtlingskrise nur vortäuscht.

Eine beeindruckende Kolumne von Carolin Emcke in der Süddeutschen Zeitung. Macht. Nicht die Quantität der Flüchtlinge ist historisch, sondern die Qualität der Zuwendung. Unbedingt vollständig nachlesen!

Was tun mit dem “Pack”?

Wer gewalttätig wird, volksverhetzende Parolen ruft, ist ein Fall für die Polizei und den Staatsanwalt. Aber was ist mit den anderen? Es gibt nur ein Mittel: Sie sozial und gesellschaftlich zu ächten. Im Sportverein, am Stammtisch, am Arbeitsplatz, überall dort, wo sie den Mund aufmachen. Sie müssen wieder Angst bekommen, sich zu artikulieren, weil sie dann ausgegrenzt, isoliert werden. Jede kleine Bemerkung, jeder “Negerwitz”, jede ausländerfeindliche Äußerung, jeder dumpfe Satz muss sofort als solcher gebrandmarkt und verurteilt werden. Auch im Gespräch im kleinen, im privaten Kreis. Es reicht nicht, nur peinlich berührt wegzuschauen. Solange, bis die Dumpfmenschen, oder zumindest die meisten davon, wieder schweigen. Wenn es leider schon so ist, dann ist es immer noch besser, bis zu 15 Prozent schweigende Dumpfmenschen unter sich zu haben, als solche, die sich artikulieren. Es ist besser, sie beißen zu Hause vor Wut ins Handtuch, als dass sie öffentlich vor Asylantenunterkünften krakeelen.

Michael Spreng, konservativer Publizist und ehedem Wahlkampfberater von Edmund Stoiber in seinem Blog Sprengsatz.