Monat: August 2010

Schliengensief

“Allerdings habe ich keine Skrupel zu sagen: Das Wichtigste ist, dass man einfach diese FDP wegjagt. Ich mag diese Partei nicht, weil dort viele Leute genau die neoliberale Marktwirtschaft propagiert haben, die den Dreck angerichtet hat, in dem wir jetzt stecken. Und dass diese Leute jetzt zusammen mit der CDU das Sagen haben sollen – das gönne ich ihnen einfach nicht. Ich will nicht sehen, wie Guido Westerwelle als Außenminister in Israel herumläuft. Der hat schon so viel Scheiße gebaut – diese Aktion 18, das ging einfach gar nicht. Es sollen doch bitte nicht die Leute darauf reinfallen, die jetzt glauben, wenn sie die FDP wählen, zahlen sie fünf Prozent weniger Steuern.”

(Christoph Schlingensief, geboren am 24. Oktober 1960 in Oberhausen, gestorben am 21. August 2010 in Berlin, in einem Interview mit der Welt am 11. September 2009)

Unkraut-Posse

“Die Liberalen vor Ort reden nicht nur über Unzulänglichkeiten und legen den Finger in die Wunde, sie handeln auch: am kommenden Freitag soll das Unkraut am Rathaus fachgerecht entfernt werden.” Das ist wirklich der erste Satz eines Artikels in der heutigen Bergischen Morgenpost. Er liest sich, als wäre er unverändert aus der Pressemeldung der örtlichen Liberalen übernommen worden. Die FDP legt also den Finger in die Unkrautwunde der Stadt, die Henning Rehse in einem empörten Brandbrief an die Stadtverwaltung aufgerissen hat. Nur zur Erinnerung: Henning Rehse von der WNKUWG und Werner Güntermann von der FDP sind beide Alphatiere der “Regenbogenkoalition”, die den Bürgermeister stellt und über den größten Einfluß auf die Politik der Stadtspitze verfügen dürfte. So sieht eben die provinzielle Variante des Sommerlochs aus. Wenn die Regenbogenkoalitionäre keine anderen Sorgen haben, steht es um die Stadt ja nicht so furchtbar schlecht. Ich warte jetzt nur auf die Grünen und ihren Vorschlag, vor der “fachgerechten Unkrautentfernung” eine ordentliche Bestimmung der Kräuter und Pflanzen vorzunehmen, die da am Freitag gemeuchelt werden sollen. Zum Unkraut gehören nämlich nicht nur Löwenzahn, sondern auch Ehrenpreis, Vogelmiere, Taubnessel, Greiskraut, Rispengras, Vogel-Knöterich, Gänsedistel, Kleine Wolfmilch oder das Knopfkraut. Tja. Und am Samstag wird ein weiterer Bericht in der Morgenpost zu lesen sein, mit großem Photo, das die FDP-Gärtner bei der segensreichen Zupfaktion zeigt. Henning Rehse wird sich überlegen müssen, ob er nicht auch mit aufs Bild möchte, zupfend, um die Einheit der Koalition zu retten. Unkraut vergeht eben nicht.

Streetview-Blüten

Die Rheinische Post von gestern, Lokalteil Düsseldorf: Bürger protestieren gegen Googles neuen Dienst Streetview und erklären, daß sie Widerspruch einlegen werden gegen die Veröffentlichung ihrer Häuser im Internet. Die Rheinische Post macht ein Photo und stellt den ganzen Artikel ins Netz. Samt Photo und vollen Namen der Internetbekämpfer und Datenschützer. Na super. Das kann nicht einmal Google.

Streetview

Ja doch, klar, Google ist eine Datenkrake. Aber die Sommerlochhysterie um den Googledienst Streetview geht mir mittlerweile doch gewaltig auf den Keks. Sogar die Stadtverwaltung Wermelskirchen wird aktiv und stellt den Bürgern “vorformulierte  Widerspruchsformulare” zur Verfügung. Gebäude und Fassaden sind und bleiben öffentlich. Davon beispielsweise lebt auch das deutsche Streetviewgegenstück “Sightwalk”, so ganz ohne jeden Protest. Wahrscheinlich, weil die Politiker, die sich derzeit so sehr echauffieren und die Bürgerangst schüren, von diesem Internetdienst noch nie etwas gehört haben. So wenig wie von Geomarketingunternehmen, die schon längst fast jedes Wohnhaus in Deutschland, nämlich neunzehn Millionen, fotografiert haben und diese Bilder, angereichert mit soziodemographischen Daten, verkaufen. Google eignet sich eben gut für den Hype. Bürger lassen ihre Hausfassaden bei Google schwärzen, die Kunden von Geomarketingdatenverkäufern wissen indes (fast) alles über sie. Beispiel gefällig? Das gelbgestrichene Miethaus “Am Kupfergraben 6” in Berlin, gegenüber dem Pergamonmuseum: “vor 1900 gebaut, sechs Haushalte, Bauweise befriedigend, kein Garten vorhanden, keine Ausländer, Affinität für Kundenkarten: mittel, Affinität für private Krankenversicherung: mittel, Bewohner: desinteressierter Finanztyp, klassische Festnetznutzer, kaum Internet-Poweruser, dominierendes Alter: 51 bis 60 Jahre, Diabetes und Arthrose überdurchschnittlich, Fitness unterdurchschnittlich, viel Audi, Mercedes und BMW, wenig Volkswagen”. Nachzulesen in der Zeit. Ach ja, es handelt sich um das Berliner Mietshaus, in dessen viertem Stock Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer wohnt. Auf den Landkarten solcher Geomarketinganbieter können interessierte auf einen Blick erfassen, “in welchen Straßen die Leute BMW fahren, wo die jungen Familien wohnen, in welcher Straße eine Lidl-Filiale besser laufen würde als ein Edeka-Geschäft. Auch die Nettoeinkommen und das Konsumverhalten der Haushalte sind statistisch erfasst. Am Kupfergraben sollte man zum Beispiel kein Sportgeschäft eröffnen, denn für Sportbekleidung, das weiß die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg, geben Frau Merkel und ihre Nachbarn im Durchschnitt nur 10 Euro im Jahr aus, fast 40 Prozent weniger als im Bundesdurchschnitt. Pflanzen für Haus und Garten (132 Euro) sowie Baumarktartikel (474 Euro) finden im Merkel-Viertel ebenso unterdurchschnittlichen Absatz.” Es gibt kein Entrinnen. Geomarketing ist längst bundesdeutsche Wirklichkeit. Die Landesvermessungsämter beispielsweise verkaufen seit Jahren für jedes Haus in Deutschland die Koordinaten bis auf den Zentimeter genau.  Die GPS-Daten für alle Häuser in Deutschland auf zwei DVDs kosten 140 000 Euro. Google hin, Streetview her. Und ganz ohne Sommerlochskandalgeschrei von uninformierten Politikern oder Stadtverwaltern.

Neue Sachlichkeit in Wermelskirchen

Plakate überschwemmten die Stadt, Wahlplakte der politischen Parteien, in beiden Lokalzeitungen waren beinahe täglich hämische und beleidigende Äußerungen zu lesen über Bürgermeister oder Bürgermeisterkandidaten, die Leserbriefspalten waren voll, ebenfalls teils äußerst beleidigend, Flugblätter und Flyer allerorten, ein Schlagabtauch auf bemerkenswert niedrigem Nievau. Kommunalwahlkampf in Wermelskirchen. Im August des vergangenen Jahres. Am 12. August 2009 habe ich dann meinem Ärger über das unterirdische Niveau der politischen Auseinandersetzung Luft gemacht. In diesem Blog. “Mir reicht’s” hieß mein erster Beitrag. Seither schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig meine sehr subjektiven Wahrnehmungen an dieser Stelle nieder oder kommentiere das eine oder andere. Derzeit sogar ganz ohne größere Erregung, jedenfalls, was die Verhältnisse in Wermelskirchen angeht. Denn heute ist es vergleichsweise ruhig in der Stadt. Keine Plakate, kein giftige Häme, die neue Sachlichkeit ist eingezogen – nachdem CDU und SPD eine deftige Quittung der Wähler kassiert hatten. Selbst an den Namen des gemeinsamen Kandidaten von CDU und SPD kann man sich nur noch mit Mühe erinnern. Der Wahlkampf ist vorbei und die Zeit heilt alle Wunden. Gottlob.

Der Hemd-über-die-Hose-Trend

Mein Kollege, nur zehn Jahre jünger als ich, trägt seine Hemden über der Hose. Die noch jüngeren Kollegen ohnehin. Ich, der Älteste, bin noch immer bemüht, jedes Hemd in die Hose zu frickeln. Trend verpennt? Oder doch nur das Alter und seine Sozialisationsergebnisse?

3. August 1984

Am 3. August 1984, heute vor nur sechsundzwanzig Jahren, machte Deutschland um 10:14 Uhr Bekanntschaft mit der ersten Internet-E-Mail: Michael Rotert von der Universität Karlsruhe erhielt unter seiner Adresse „rotert@germany“ eine Grußbotschaft von Laura Breeden („breeden@scnet-sh.arpa“) an der US-amerikanischen Plattform CSNET aus Cambridge (Massachusetts). Die Mail war einen Tag zuvor, am 2. August 1984, um 12:21 Uhr versandt worden. 1984 war das Leben noch ganz schön langsam, oder?

Der CSU mangelt es an Anstand

“Die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens ist die Sprache.” Dies schrieb Friedrich Engels bereits im Jahr 1845. Und also konnte er Alexander Dobrindt nicht kennen, den Generalsekretär der CSU. Dobrindt hatte die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, als das “faulste Ei der deutschen Politik” bezeichnet, und zwar genau, während diese ihre vielbeachtete Trauerrede auf dem Gottesdienst anläßlich der Loveparade in Duisburg hielt. Zurückgepfiffen von seinen Parteioberen murmelte Dobrindt hernach ein knappes Sorry. Und so soll die Angelegenheit vergessen sein. Ich finde dagegen, daß man so schnell nicht zur Tagesordnung übergehen sollte. Die neuerliche Geschmacklosigkeit des Herrn Dobrindt ist eben nicht nur eine sprachliche Entgleisung, sondern eine gedankliche Fehlleistung. Alexander Dobrindt ist ein Hetzer. Die Parteispitze der CSU hat, wie die anderer “bürgerlicher” Parteien, ein Problem mit bürgerlichen Tugenden. Ihnen mangelt es an Anstand.