Aber mit dem Regiestil eines Künstlers wie Wedel und mit seinem Gehabe als Gockel und womöglich sogar als Gewalttäter sollte man nicht auch sein Werk verwerfen. Er mag ein Gernegroß und Sittenstrolch gewesen sein, aber die filmischen Sittengemälde, die er hinterlassen hat, besitzen durchaus die Größe, nach der er sich immer gereckt hat. (…) Ein künstlerisches Werk besitzt ein eigenes, von seinem Autor oder seiner Schöpferin unabhängiges Leben. Nur deshalb ist es ein Kunstwerk. Die alte Streitfrage, ob ein Nazi, ein Bösewicht oder ein Vergewaltiger großartige Kunst schaffen könne, sollte unter aufgeklärten Zeitgenossen ein für alle Mal mit Ja beantwortet worden sein. Dahinter gibt es kein Zurück, auch nicht durch #Metoo. (…) Dieter Wedels Mehrteiler faszinierten einst ihr Publikum und lockten trotz Kunstanspruchs die Massen vor die Fernseher. Man darf ihm dieses Verdienst nicht absprechen, weil er wegen Vergewaltigung angeklagt worden ist und sollte zum Beispiel seinen Vierteiler „Der große Bellheim“ von 1993 zu seinen künstlerischen Ehren noch einmal zeigen
Barbara Sichtermann, Im Höhenrausch. Zum Tod des Regisseurs Dieter Wedel, in: epd medien Dreißig/Zweiundzwanzig vom neunundzwanzigsten Juli Zweitausendzweiundzwanzig