„Die Schwedinnen weiterhin in den dunklen Trikots.“ So der Reporter bei der Kommentierung des Europameisterschaftsspiels zwischen Niederländerinnen und Schwedinnen. Es ist nicht nur nicht üblich, sondern sogar nicht gestattet, in der Halbzeitpause die Trikotfarbe zu wechseln.
Alle Artikel vonWolfgang Horn
Frau oder Mann: Egal
Ich fürchte, es ist vollkommen gleichgültig, ob Frau oder Mann ein Fußballspiel im Fernsehen kommentieren. Es spielt offenbar auch keine Rolle, ob Frauen oder Männer gegen den Ball und gegnerische Beine treten. Sie kommentieren nicht angemessen und zurückhaltend. Sie quasseln stattdessen in einer Tour.
Oh Darling. Cover von imy2
Interessen
VON WOLFGANG HORN
Woran läßt sich erkennen, daß Franca Lehfeld, Chefreporterin im Politikressort beim Nachrichtensender Welt, demnächst, nach dem Hochzeitstrubel mit Finanzminister Christian Lindner, einen Politiker als Ehefrau Lindner oder als politische Chefreporterin befragen wird? Jenseits der naserümpfenden, aber nicht ganz von der Hand zu weisenden Kritik an der mangelnden Stilsicherheit dieser Eheschließungsinszenierung auf der Prominenteninsel in Zeiten massierter Krisen, die den Menschen im Land wie auch vielen Unternehmen zu schaffen machen, bleibt, finde ich, die Frage nach der Interessenkollision wichtig. Die Lindnersche Ehe ist ein Paradebeispiel für die Verquickung von Politik und politischem Journalismus. Der Ball geht an die Welt. Denn es hat eine unklare Interessenlage bereits gegeben, als Lehfeld noch als Verlobte von Lindner für RTL/ntv bereits über die FDP berichtet hatte. Der Springer-Verlag jedenfalls hat die “Bild”-Sportreporterin Lena Wurzenberger aus der Berichterstattung über Bayern München abgezogen. Sie ist mit Bayern-Trainer Julian Nagelsmann liiert. Und auch Oliver Jarasch ist nicht mehr Leiter der “Aktuellen Magazine” des RBB, seit seine Gattin Bettina für die Grünen für das Abgeordnetenhaus in Berlin kandidierte.
Die Folgen eines banalisierten Freiheitsbegriffs
Aktuell rollt die Corona-Sommerwelle, die wir uns hätten ersparen können, wenn man ein paar einfache Schutzmaßnahmen aufrechterhalten hätte – zum Beispiel das Tragen von Masken beim Einkaufen oder den Nachweis eines negativen Schnelltests bei großen Veranstaltungen. Zumal diese Maßnahmen in der Bevölkerung akzeptiert waren und es viel Routine bei ihrem Vollzug gab. Aber nein, weil die FDP den Freiheitsbegriff banalisiert, indem sie ihn auf die Abwesenheit eines funktionierenden Infektionsschutzes und Maskenlosigkeit in Supermärkten anwendet, findet sich die Nation nun in der Sommerwelle wieder. Die Inzidenzen steigen, der Wirtschaft fehlen Arbeitskräfte, und das ohnehin belastete Personal im Gesundheitswesen gerät durch eigene Krankschreibungen und wachsende Fallzahlen erneut unter Druck. Und nun besteht auch noch die Gefahr, dass am Ende wieder Kinder und Jugendliche ausbaden, dass die Ampelregierung in Berlin einfach die Bremse nicht rechtzeitig gefunden hat.
Eva Quadbeck, Lauterbach: Schulschließungen möglich. Anhaltendes Versagen, in: RGA vom fünften Siebten Zweitausendzweiundzwanzig
Kontaktgewerbe in Coronazeiten
Irgendwie erstaunlich: Dem Sachverständigenausschuss für die externe Evaluation der Coronamaßnahmen fehlen in unserem hochentwickelten Staatswesen die erforderlichen Daten für eine triftige Evaluation. Aber wieviele Prostituierte in Nordrhein-Westfalen arbeiten und woher die Frauen stammen, die diesem Gewerbe nachgehen, das läßt sich dank IT NRW, dem statistischen Landesamt, genau beziffern. Es waren nämlich Ende Zweitausendeinundzwanzig sechstausendsechshundertzweiundsechzig Damen offiziell als Gunstgewerblerinnen gemeldet und damit einhundertneununddreißig mehr als im Vorjahr. Aber: Es waren knapp dreißig Prozent weniger als vor der Pandemie. Die potentielle Gesundheitsgefahr im Kontaktgewerbe wirkt sich auch gesamtgesellschaftlich aus, die Zahl der Befriedigungen dürfte mithin zurückgegangen sein. Knapp vier Fünftel der angemeldeten Prostituierten waren zwischen einundzwanzig und fünfundvierzig Jahre alt. Knapp siebzehn Prozent waren älter als fünfundvierzig und weitere vier Prozent waren zwischen achtzehnhundert zwanzig. Von den Damen waren knapp vierzig Prozent Rumäninnen und gut ein Fünftel Deutsche. Danach Bulgarinnen, Polinnen und Spanierinnen. Kurzum: Das Kontaktgewerbe läßt sich trefflich evaluieren.
Obszön
Jürgen Hobrecht schrieb heute in Facebook, daß er im Jahr Zweitausendundachtzehn „von den Stones im Olympiastadion so begeistert war“, daß er mit dem Waldbühnen-Auftritt am dritten August geliebäugelt habe. Die Tickets aber, die zur Verfügung stehen, kosten zwischen dreihundertsiebenundachtzig und zweitausendsiebenhundertsiebenunddreißig Euro. „Finde ich obszön, gerade in diesen Zeiten. Ohne mich!“ Recht so, Jürgen Hobrecht. Obszön.
“Moralophobia”
Das „Altpapier“ des MDR trägt heute den Titel „Mehr Moral wagen“. Altpapier ist der täglich erscheinende medienkritische Newsletter des Senders. Nebst anderem geht es dem Autor René Martens um das Buch von Jörg-Uwe Albig „Moralophobia“. Ein Ausschnitt aus dem Interview des Spiegel mit Albig:
„Ich habe plötzlich lauter Feuilleton-Beiträge gelesen gegen die ‘Moralisierung der Politik’, gegen die ‘Moralkeule’, die ‘Moral-Eliten’, gegen ‘Moralismus’ oder ganz altmodisch gegen ‘Gutmenschen’. Ich habe entsprechende Breitseiten von Politikern gehört – aus dem ganzen Spektrum: die AfD sowieso mit ihren Plakaten gegen die ‘Moraldiktatur’, aber auch von Leuten wie Wagenknecht oder Spahn, von Lindner, Thierse oder Kretschmann (…) Das hat mich erstaunt, weil ich Moral als etwas grundsätzlich Positives abgespeichert hatte.”
(…)
“Gibt es nicht auch ein Zuviel an Moral? Wenn etwa eine Musikerin von ‘Fridays For Future’ ausgeladen wird, weil sie Dreadlocks trägt? Es gab eine Zeit, da war Frisurkritik doch ein beliebtes Spiel reaktionärer Kräfte”, sagt Frank (Spiegel, W:H.). Woraufhin Albig entgegnet:
“Damals ging es aber nicht um Moral. Da hieß es: ‘Lange Haare sind weibisch’ oder ‘Was sollen die Nachbarn denken?’. Die Ausladung dieser Musikerin folgte aber dem moralischen Argument, dass man niemanden verletzen soll – in diesem Fall marginalisierte Menschen, die Dreadlocks tragen, um sich gegen ihre Unterdrückung symbolisch zur Wehr zu setzen.”
Auf die Frage des Interviewers, ob hier “nicht eine Freiheit, für die die Achtundsechziger gekämpft haben, in ihr Gegenteil” kippe, sagt Albig:
“1968 ging es um persönliche Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung, die Verfügung über den eigenen Körper und das eigene Leben. Das ging nur die Individuen selbst etwas an. Wenn aber heutige Moralfeinde gegen Tempolimits kämpfen, für das Recht, ungebeten Frauen anzugrapschen oder Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken zu lassen, geht es um das Leben anderer Leute, dessen Beschädigung sie dabei in Kauf nehmen.”
(…)
“Jeder Fortschritt hat seine Maschinenstürmer – zornige Beharrer wie die englischen ‘Ludditen’, von der Industrialisierung überrollte Handwerker, die im 18. und 19. Jahrhundert in gerechtem Zorn Wollschermaschinen, Strumpfwirkstühle und mechanische Sägemühlen zertrümmerten. Die Anti-Moralisten sind so etwas wie die Ludditen des Zivilisationsprozesses – immer in Gefahr, mitsamt dem verhassten Spinnapparat das ganze Stadtviertel abzufackeln. Der Prozess der Zivilisation kennt viele solcher Trotzigen, Überforderten, Zurückgelassenen, die sich mit raptoreskem Furor ihrer eigenen Überholtheit entgegenstemmen.”