Es ist auch schade um die Linke. Solche spitz formulierten, aber Fakten präsentierenden Beiträge wird es von den Fraktionslosen wohl so schnell. nicht mehr geben.
Alle Artikel vonWolfgang Horn
Habeck zur konservativen Partei
Mit Stolz scheitern
In einer Zeit, in der Selbstliebe, Selbstakzeptanz und die permanente Glückssuche auf keiner Liste mit Vorsätzen fürs neue Jahr fehlen dürfen, wo die stetige Selbstoptimierung Pflicht ist und die sozialen Medien voll von faltenfreiem Frohsinn sind, gerät es zunehmend in Vergessenheit, dass das Leben in weiten Teilen anstrengend, frustrierend und ausgesprochen langweilig ist. Wir würden alle eine Menge Geld, Zeit und Nerven sparen, wenn wir uns klarmachten, dass Probleme, Minderwertigkeitsgefühle, Verschleiß und Katastrophen zum Leben gehören wie Stoffwechsel und Ohrenschmalz. Statt stolz zu scheitern und uns als unperfekte Menschlein mit Schwächen, Ängsten und manchmal sehr schlechter Laune zu akzeptieren, wird der Bauch eingezogen, werden die Mundwinkel zu einem unechten Lächeln gekrümmt, auf den Lippen stets ein heiterer Superlativ. “Danke, bestens!” oder “Es könnte nicht besser laufen.” Die Pose des geglückten Lebens. Die Fassade der makellosen Existenz. Die Diktatur des Glücks. Sie ist mir zuwider. (…)
Ich habe eingesehen, dass Glück ein breitbeiniger Begriff für Angeber ist, eine verwöhnte Anspruchshaltung, die in der Regel direkt ins hausgemachte Unglück führt. (…)
Da, wo ich jetzt stehe, in der Mitte meines Lebens, wird einem zum Glück vieles ziemlich egal. Mir ist kaum noch etwas peinlich. Ich gefalle lieber mir als anderen. Ich glaube nicht mehr alles, was ich denke. Ich entschuldige mich und übernehme Verantwortung. Ich mache mich nicht mehr kleiner, als ich bin, damit andere sich größer fühlen können, als sie sind. (…)
Grau werdend bin ich und vielfarbig verblühend, gezeichnet, mehrmals gefaltet, lebenserfahren und meist ein wenig müde. Mit Schlupflidern und Zahnkronen, Besenreisern und Hängehintern, voller Narben und voller Demut. Mit vielen Antworten und noch mehr Fragen. Ich liebe den Moment. Mein Leben ist gut. Nicht, weil es schön ist. Sondern weil es bunt, dunkel und hell, reich und erbärmlich, beängstigend, befremdlich, einzigartig, quälend und großartig ist. Ich sehe in den Spiegel, ich erkenne mich und denke: “Die Alte da, die gefällt mir.”
Ildikó von Kürthy, Die Pose des geglückten Lebens, in: Süddeutsche Zeitung vom neunundzwanzigsten Dezember Zweitausenddreiundzwanzig
Gottes Gesetz
Was in der Bibel „Gesetz Gottes“ genannt wird, ist eine Sozialordnung, und die muss man, wenn man unterm Zwang zur Kürze steht, herunterbrechen auf ein paar Regeln, die so oder so ähnlich immer wieder auftauchen, und zwar schon im Alten Testament. Dann lässt sich das Regelwerk so zusammenfassen:
Gerechtigkeit soll herrschen. Es darf keinen Armen unter euch geben. Not muss beseitigt werden. Ein Leben in Wohlstand zu erstreben, ist nichts Böses. Milch und Honig sollen fließen, allerdings gerecht verteilt werden. Flüchtlingen muss geholfen werden. Mächtige dürfen, ja müssen kritisiert werden. Die Herrschaft von Menschen über Menschen soll aufhören. Vor Gott zählt jeder gleich viel. Der Ziegenhirt in seinen Lumpen ist vor Gott nicht kleiner als der Pharao in seiner Pracht. Und, ja, auch das lässt sich herauslesen aus dem patriarchalen Buch: Es geht nicht ohne die Frauen. Schließlich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, auch deine Feinde. Heil kann die Welt aber nur durch den Glauben werden.
Dort, wo sich die Menschen an dieses Gesetz halten, braucht es keine Polizei und keine Armee mehr, denn dort herrscht Frieden unter den Menschen – so lautete Gottes Utopie.
Zusammengenommen beschreiben diese Regeln den Bauplan für eine Schule der Empathie. Wir kennen sie seit Jahrtausenden. Es ist eine Schule, auf die sich im Prinzip so gut wie alle einigen können müssten, Juden, Christen und Muslime genauso wie Hindus, Buddhisten und Atheisten. Nur wurde die Schule nie gebaut. Oder wenn, dann immer nur für kurze Zeit.
Christian Nürnberger, Keine frohe Botschaft dieses Jahr, veröffentlicht auf seiner Facebookseite
Tim Henson
Annesastrings
Im Weihnachtswahnsinn
In der Vormoderne war in den kurzen Tagen und langen Nächten wenig los, die Landwirtschaft ruhte weitgehend, Reisen waren unmöglich. Um die Zeit herumzukriegen, wurde geschnitzt, dekoriert, gekocht und gebacken und alles Mögliche produziert. Zeit in Tonnen, es war langweilig. Heute ist das bekanntlich ganz anders, aber man tut so, als sei es eine ruhige Saison und am Ende reicht die To-do-Liste rund um den Äquator. Der Verstand muss an diesen Tagen ausgeschaltet bleiben. An der Weihnachtsgeschichte ist alles aus diversen Mythen zusammentragen , leider passen die Teile nicht gut zusammen. Was haben Santa Claus und sein Rentier mit der Krippe von Bethlehem zu tun? Nicht nachdenken. Es gab keine Volkszählung und Jesus von Nazareth hieß so, weil er aus diesem Ort kam und nicht aus Bethlehem. Es gab da keinen Weihnachtsbaum und die bei seiner Geburt herumstehenden Personen waren eher seine Geschwister, Verwandte und andere Nachbarn, die ihre Zeitgenossen wohl nicht für heilige Könige gehalten hätten. War das Baby nun ein Jude, ein Palästinenser? Eine ewige Frage, die die Absurdität heutiger Konflikte verdeutlicht.
Nils Minkmar, Im Weihnachtswahnsinn, in: Der Siebte Tag
Beitragsfoto © Martin Kraft, CC BY-SA 3.0
Gegen Tabus: Kölnerin produziert Masturbationskissen für Frauen
Mit einem Sonderpreis beim Kölner Designpreis wurde kürzlich die Kölner Designerin Sanja Zündorf ausgezeichnet. Sie setze ein „starkes Zeichen gegen das Tabu der weiblichen Masturbation“, wie es in Zeitungen heißt. Sie habe, auf der Basis eigener Erfahrungen sowie einer Umfrage bei 500 Frauen, ein Masturbationskissen entworfen, im Rahmen ihrer Masterarbeit, nähe diese eigenhändig in verschiedenen Farben wie Grün, Orange oder Blau und vermarkte das Ganze auch in sozialen Medien wie Instagram unter dem Projektnamen „Entzück Dich selbst“.

Längere Zeit habe die 30-Jährige Gefühle wie Scham und Schuld bei der Masturbation verspürt. Im Rahmen ihres Design-Studiums habe sie sich vermehrt mit weiblicher Masturbation befasst und über ihre Umfrage erfahren, daß auffallend viele Frauen angaben, zur Masturbation auf Kissen zu reiten. Nach der ersten Vorstellung wurden ihre Kissen im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) ausgestellt. Nach dem praktischen Tauglichkeitsnachweis sozusagen die sofortige Adelung als Kunst- und Kulturobjekt. Derzeit führt sie Gespräche mit potenziellen Partner:innen für die Produktion ihrer Kissen, die sie bislang noch eigenhändig näht.
Ein Lehrstück, wie persönliche, intime Bedürfnisse und Vorlieben in ein Produkt gegossen, zum gesellschaftlich-kulturellen Tabubruch avancieren, im Kulturbetrieb geadelt werden und schließlich in ein Unternehmen fließen, das später womöglich Arbeitsplätze für Näherinnen, Buchhalter, Einkäufer, Lagerarbeiter, Werbefuzzies und Steuerberater schafft. Kölner Kapitalismus. Nett. Entzück dich selbst.
Beitragsfoto © IMAGO
„Routinierte Ahnungslosigkeit“
“Die Wärmepumpen-Katastrophen-Inszenierung der Transformationsgegner war in dem Sinne wirklich gelungen, dass sie die Bundesregierung und überhaupt die Politik zur Dethematisierung dieser voranschreitenden Klima-Eskalation brachte und den Eindruck durchsetzte, jedenfalls in weiten Teilen der Mediengesellschaft, unsere größte Katastrophe bestünde im Einbau von vereinzelten Wärmepumpen. Statt also post-fossile Politik und Resilienz-Politik schleunigst zu intensivieren, wurde eine Kleinreform der Umsetzung europäischer Politik zur Apokalypse dramatisiert. Und wir Medien und Checker machten mit, faselten in unserer routinierten Ahnungslosigkeit daher, dass das Gesetz aber auch wirklich ‘nicht sozial genug’ gewesen sei und ‘handwerklich schlecht’ und auch ‘kommunikativ nicht gut’ gemacht. Was ich sagen will: Uns Qualitätsjournalisten fehlt in den zukunftsentscheidenden Fragen noch die Qualität, das Wissen um die Zusammenhänge (…) Und ernsthafte Klimapolitik klickt aber eben auch nicht gut, während Fleischverbotsbeschwörungen und angebliche Heizungsrausreißorgien wirklich gut laufen.”
Peter Unfried, Medienversagen des Jahres, in: taz futurzwei, zitiert nach Altpapier