Die Nobelpreisvariante

Wenn sich gekrönte Häupter der ganzen Welt, Staatenlenker, Industrielle, Bürokraten, Scheichs, Minister, Kanzler, Professoren, Forscher, Potentaten von der einstigen Mutter des Punk, Patti Smith, das Lied singen lassen müssen, das ein einundzwanzigjähriger „Protestsänger“, Bob Dylan, 1962 womöglich als Allegorie auf den Atomstaub nach den vielen oberirdischen Testexplosionen geschrieben hatte, ist das für mich immer wieder ein großartiges Erlebnis. Die Welt ändert sich. Zu langsam, zugestanden. Aber wer hätte 1962 auch nur einen Dime gegeben auf das Ereignis, das ich mir immer wieder anschauen kann. Meine Lebenspanne reicht von der scheuklapprigen Nachkriegszeit in eine Zeit und eine Gesellschaft, in der die Eliten jenen zuhören müssen, sie ehren dürfen, ihre Werke anerkennen, die sich um die eine Welt des Friedens mühen, der sozialen Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit und der Schonung der Natur, des gemeinschaftlichen Kampfes für demokratische Verhältnisse und Einrichtungen, für eine Kultur des Streits mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Überzeugung. A hard rain. Selbst der saure Regen oder der Klimawandel sind spürbar. Aber es treten eben auch das von Wölfen gehütete Kind auf, die Jungfrau mit dem brennenden Körper, die zehntausend Redner mit gebrochenen Zungen, die hundert Trommler mit brennenden Händen, die Männer mit blutenden Hämmern, die zwölf Berge und sieben Wälder, die Leiter im Wasser, die menschenleere Straße voller Diamanten, die alles verschlingende Flutwelle, das Mädchen, das einen Regenbogen schenkt. Die Apokalypse. Gottes Zorn. Der Dichter endet in der Gosse. Der Clown weint. Ein Mensch hungert. „Where souls are forgotten“.

Und Patti Smith, Freundin von Dylan, ist ebenso ergriffen, wie es Teile des Publikums sind, nervös, aufgeregt. Es nutzt alle Erfahrung nichts, wenn zum in der ganzen Welt geachteten und gleichsam gesiegelten Kulturgut hinzugefügt wird, was einst der Verhöhnung diente, der Beleidigung, der verächtlichen Ausgrenzung. Oben und unten haben ausgedient. Hoch und Alltag. Kultur ist Kultur ist Kultur.

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