GLASSES FROM OUTERSPACE

VON WOLFGANG HORN

Der zweite Weihnachtsfeiertag hatte so seine Tücken. Die provisorische Lesebrille, die meinen relativ frisch gelaserten Augen die Arbeit mit Computer, Tablett, iPhone und Apple-Watch möglich machte, gab nach wenigen Tagen schon die Zusammenarbeit auf. Das heißt: eigentlich nur das rechte Glas. Heute, gleichsam am dritten Weihnachtsfeiertag, nahte aber bereits Rettung: Gudrun Kirst. Sie ist die Inhaberin des Optikergeschäfts Sehenswert an der Kölner Str. 29, eingesessenen Dellmännern als „Madel“ gewiß ein Begriff. Frau Kirst nahte mit einem groß dimensionierten Koffer mit unzähligen verschiedenen Brillengläsern aller nur denkbaren Stärken und Einstellungen. Flugs schuf sie eine sechs Meter lange Schneise, stellte Ihre Meßtafeln mit Texten und Zahlen auf, ganz, wie man es im Optikergeschäft auch macht. Ein Gestell auf die Nase und das mitunter mühselige Verfahren beginnt. 

Sehenswert, Kölner Straße 29, Wermelskirchen © Gudrun Kirst

Der Nichtseher beschreibt dem Sehenden, was er erkennen kann und was nicht, wo die Blindheit beginnt. Try and error, Versuch und Irrtum. Ist es so ein bißchen schärfer? So vielleicht? Können Sie die untere Reihe auch lesen? Und ganz links, was für ein Buchstabe ist das? Dann aber hat man es geschafft, das Team Optikerin und brillenloser Kunde, sind zu einem Ergebnis des Gemeinsem Ratschlages gekommen. Eine Lese- und Computerbrille, die den ganzen unmittelbaren Körperbereich zu erkennen möglich macht. PC, iPhone, Uhr, Buch und Zeitung, Brief. Toll. Und am allerbesten: Das Untersuchungsgestell ist der Hammer. Die Partybrille. Glasses from Outerspace. Elton John wäre neidisch. Leider weigert sich Frau Kirst, dieses formschöne Teil in ihr Programm aufzunehmen. Das war heute das allererste Mal in meinem nun bald zweiundsiebzigjährigen Leben, daß eine Brillenanpassung bei mir zu Hause stattgefunden hat. Den Arztbesuch kennt man, immer noch, gottlob. Händler liefern bis ins Haus. Gottlob. Fußpflegerinnen und Friseurinnen arbeiten ebenfalls ambulant. Aber der Hausbesuch der Optikerin ist für mich die absolute Premiere. Das sollte Schule machen in einer immer älter und womöglich immer immobiler werdenden Gesellschaft.

(Zuerst erschienen im Forum Wermelskirchen)

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.