Verstummt

Eine Lungenerkrankung mit einer Reihe von Krankenhausaufenthalten und dann, seit Zweitausendundzwanzig, Corona. Mit allen Lockdowns, allen Virenvarianten, allen Impfungen und in dem Wissen, daß man sich als Lungengeschädigter älterer Herr besser nicht infiziert, da Covid-2 durchaus problematisch für mich und die Gruppe Gleichgeschädigter verlaufen kann. Die Folge: Anders als im vorpandemischen „Vorleben“, trage ich fast überall eine Maske und meide Menschen, soweit sie in kleineren und größeren Gruppen auftreten. Keine Versammlungen, keine Konzerte, keine Diskussionsrunden, keine Stadtratssitzungen, keine Feste, keine Kneipenbesuche, keine Familienfeiern. Treffen fast ausschließlich digital, über Zoom & Co. oder Jitsy Meet. Gleichsam ein Leben in der heimischen Eremitage. Ich bin nicht wirklich und nicht gerne Eremit, Einsiedler. Denn mir fehlen, wie anderen Menschen auch, die Gespräche, Umarmungen, die Nähe, der Spaß in Gemeinschaft, auch die dosierte Trunkenheit. Das Telefon, Facetime, Zoom sind allenfalls dürre Abstraktionen direkter Kommunikation. Abstraktionen indes, auf die in diesen Zeiten erst recht nicht verzichtet werden darf. Ohne all das, ohne Telefon und Tablet und Computer wäre das zurückgezogene Leben im Haus in der Hagenstraße wirkliche Einsiedelei. Auch die technisch vermittelten Begegnungen sind Begegnungen, wenn auch anderer Art, sind zudem oft Zuwachs an Kenntnissen und Informationen. Mehr noch: Diese Technologie hat mir in den vergangenen Monaten die eine oder andere bereichernde Begegnung verschafft, Seminare, politische und gesellschaftliche Debatten, Foren und Gesprächsrunden in den Weiten der Republik, die ich analog niemals hätte besuchen können oder wollen. Zoom & Co. verhindern auf ihre Weise wirkliche Einsamkeit. Man verstummt weitgehend in dieser selbstgewählten Isolation. Die gesprochene Sprache wird nicht wirklich ausdauernd gepflegt und trainiert. Aber Quarantäne macht nicht schon an sich einsam. Allein: Der Wunsch nach Begegnung, nach Körperlichkeit, nach Nähe, auch Lautstärke bleibt, nach Thekenpalaver, nach Musikern auf Bühnen, guten Gesprächsrunden, in denen Meinungsunterschiede friedlich streitend ausgefochten werden können, im unmittelbaren Angesicht des Antipoden. Ich bedaure nicht und klage nicht. Meine Lage ist selbstgewählt. Und verantwortlich ist ein Virus. Mehr nicht und nicht weniger.

1 Kommentare

  1. Ich bin sehr froh, lieber Wolfgang, dass Du noch nicht verstummt bist!
    Lass uns weiter auf bessere Zeiten hoffen!

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