Kraftfeld

Natürlich hat niemand dem Attentäter von Frau Reker die Waffe geführt. Es war und bleibt die Tat eines einzelnen Menschen, womöglich gar eines verwirrten Einzelnen. Wer aber eine gemeinsame Bürgermeisterkandidatin von CDU, FDP und Grünen attackiert, sie umbringen will und schwer verletzt, und sich dabei auf die aktuelle Flüchtlingspolitik bezieht, wie verwirrt auch immer, der befindet sich, darin sind sich gottlob die Kommentatoren einig, die Mehrzahl der Anständigen, die Mehrheit auch von verantwortlichen Menschen, in einem besonderen Kraftfeld. Ein Umfeld, eine Umgebung, in dem hemmungslos gehetzt wird gegen Fremde, gegen Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, gegen Nachbarn, die der Hilfe bedürfen, ein Umfeld, in dem es zum guten Ton gehört, die Regierenden und in Sonderheit die Kanzlerin zu schmähen und zu beleidigen wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage, ein Klima, in dem Gewalt gegen Schwache nach und nach und immer mehr zur traurigen Realität wird, in allen Teilen Deutschlands, nicht nur im Osten. Das alles, dieses Kraftfeld, hat die Tat, hat diesen Mordversuch erst möglich gemacht und ihr eine Kennung gegeben. Ein Kraftfeld, das mit wenigen Stich-Worten, wie treffend, präzise umrissen ist. Pegida. Hooligans gegen Salafisten. NPD. Rechtspopulisten. AfD. Krawallbeiträge in Blogs und den sozialen Medien. Niemand hat mitgestochen. Natürlich. „Das Messer mögen andere führen“, schrieb Sebastian Christ in Huffington Post. Das Kraftfeld für Gewalttäter und Verrückte ist die rechte politische Radikalisierung. Rechts ist dabei ein im Wortsinn weites Feld. Es handelt sich um den unappetitlichen rechtsradikalen Rand der Gesellschaft, die Neonazis und ihre Organisationen, um krawallige Rechtspopulisten, die Pegidabewegung und ihre Nachahmer, sowie um die in der Regel gut gekleideten Stimmungsmacher, wie sie sich in wohlorganisierten Parteien finden, der AfD zumal. Die politische Radikalisierung “war für jeden offensichtlich, der sich seit Anfang September ab und zu durch die Kommentarspalten der größten Online-Medien gelesen hat” bemerkt dazu Sebastian Christ und fährt fort: “Die Debatte um Flüchtlinge und Zuwanderung wird noch aggressiver geführt, als dies im Sommer bereits der Fall war. Es geht nicht mehr nur um Ehrpusseligkeiten. Sondern darum, dass sich ein Teil der Bevölkerung unter den Hurra-Rufen von rechtspopulistischen Politikern und anderen geistigen Brandstiftern aus dem demokratischen Diskurs der Bundesrepublik verabschiedet hat.” Niemand natürlich auch aus dem Wermelskirchener Politik-Umfeld hat mitgestochen. Aber in einer Wermelskirchener Facebookgruppe war beispielsweise das hier vor kurzem zu lesen:

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Der Autor dieser Zeilen ist nicht irgendein irregeleiteter Heiopei, der sich mal eben sein Mütchen kühlen will. Der Verfasser sitzt seit Jahren im Stadtrat von Wermelskirchen und ist einer der Lautsprecher in der konservativen Parteienlandschaft. Henning Rehse. “Auch wenn es keine direkte Kausalität zu tatsächlich ausgeübter Gewalt gibt – solche Beiträge erzeugen ein Klima, in dem die Gewaltschwelle sinkt. Sie dürfen deshalb nicht ohne Widerspruch bleiben.“ So der ehemalige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Ein weiteres Kostpröbchen.

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“Bis aufs Messer!!!” O-Ton Henning Rehse. Wer so schreibt, vergiftet das politische Klima. Noch einmal Sebastian Christ: “Das Messer mögen andere führen. Doch die Anfeuerungsrufe für die Täter kommen von jenen, die aus Lust an der Zerstörung gegen dieses System Stimmung machen. AfD und Pegida sind längst zu Cheerleadern der neuen rechten Gewalt geworden.” AfD und Pegida. Und leider auch einer der bekanntesten Kommunalpolitiker Wermelskirchens. Henning Rehse hat keinen tauglichen Kompaß mehr für die politische Auseinandersetzung. “Hass ist gesellschaftsfähig geworden”. Das formulierte in dieser Woche der Soziologe Heinz Bude im Deutschlandfunk. Hier bei uns ist das tagtäglich zu studieren. Auch hier bei uns, im friedlichen Wermelskirchen.

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Ich höre immer Flüchtlingskrise. Die wirkliche Krise in unserem Land ist doch wohl eher die Nazikrise”, schrieb die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Tack nun bei Twitter, offenbar als Reaktion auf den Reker-Angriff. Nein. Nicht ganz und nicht wirklich. Wir haben eher keine Nazikrise. Die, die Nazis, die Glatzen, die ganz Tumben vom rechten Rand nutzen lediglich, was Rechtspopulisten, die besser gekleideten Parteivertreter, die vermeintlich besorgten Bürger auch aus der Mitte der Gesellschaft bereitet haben.

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Das Messer geführt haben auch jene ‘besorgten Bürger’, die Menschen, die aus größter Not und Elend nach Europa fliehen, als ‘Invasoren’, ‘illegale Siedler’ und ‘Asylbetrüger’ beschimpfen. Das Messer geführt haben jene, die die Aufnahme von Geflüchteten als ‘Asylwahnsinn’ diffamieren. Das Messer geführt haben jene, die lautstark über eine angebliche ‘Überfremdung’, ‘Umvolkung’ oder ‘Islamisierung des Abendlands’ klagen. Das Messer geführt haben jene, die Menschen, die sich für eine Willkommenskultur einsetzen, als ‘Multikultiideologen’ und ‘Deutschlandabschaffer’ verhöhnen.” Das formulierte Pascal Beucker in seinem Kommentar: “Einer hat zugestochen” in der Tageszeitung. Weiter heißt es dort: “Die Brandstifter lassen sich benennen. Mitverantwortung für die Kölner Tat tragen Politiker wie der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, die mit ihren Hetzreden systematisch das Klima in diesem Land vergiften. Mitverantwortung tragen Publizisten wie Thilo Sarrazin, Udo Ulfkotte oder Jürgen Elsässer, die mit ihren Schriften und öffentlichen Auftritten den geistigen Nährboden bereitet haben. Mitverantwortung tragen Blogs wie ‘Politically Incorrect’, die ihren Rassismus immer aggressiver propagieren. Mitverantwortung tragen schließlich jene fremdenfeindlichen ‘Patrioten’, die zu Tausenden allwöchentlich in Dresden und anderswo in Ostdeutschland aufmarschieren.” Ich mag das Bild nicht, daß die, die das Klima bereiten, das Kraftfeld darstellen, auch das Messer geführt haben. Sei’s drum. Der Mordversuch an Henriette Reker muß ein Zeichen sein. Für alle anständigen Menschen. Ein Zeichen, jetzt mit Energie, mit aller Kraft, mit Mut und Entschlossenheit jenen entgegenzutreten, die sich als Feinde des friedlichen Zusammenlebens betätigen.

 

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