Harry Voigtsberger hat gesprochen. Wie? Den kennen Sie jetzt nicht? Ist vielleicht auch nicht wichtig. Harry Voigtsberger ist der sozialdemokratische Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen. Harry Voigtsberger tritt in die Fußstapfen von Patrick Döring. Wie? Den kennen Sie auch nicht? Patrick Döring, verkehrspolitischer Sprecher der FDP, hat sich vor knapp einem Jahr in die Schlagzeilen salbadert mit der Forderung nach einer “nationalen Streusalzreserve”. Am siebten Februar diesen Jahres habe ich mir die Formulierung “durchgeknallt” nur mit Mühe verkneifen können. Jetzt wähle ich das Wort: Durchgeknallt. Im Februar Patrick Döring von der FDP. Im Dezember Harry Voigtsberger von der SPD. Schnee knallt offenbar direkt in den Kopf. Oder die beiden sind naturbreit.
Schlagwort: SPD
Eine Scheibe Welt – Gedanken zum Ortsverein
Der Ortsverein ist die heile Welt des Sozialdemokraten, auch des Gast-Sozis. Im Ortsverein ist die Welt noch in Ordnung. Hier erhält der Sozialdemokrat Orientierung für die verwirrenden Prozesse in Politik, Wirtschaft, Medien, Alltag, Kirche oder Gewerkschaften. Hier trifft er auf Gleichgesinnte, auf Solidarität, auf Empathie. Hier werden die entscheidenden Debatten für den Kurs der gesamten Partei, mithin auch der gesamten Gesellschaft geführt. Hier wird entschieden, über die Zukunft des Gemeinwesens. Der Ortsverein ist Welt, mindestens aber das Tor zur Welt. Man kann nicht bundesunmittelbares Mitglied einer Partei sein in Deutschland, da sei das Parteiengesetz vor. Man kann auch nicht Mitglied eines Landesverbandes werden. Man ist Parteimitglied durch die unmittelbare Verbindung zum Ortsverein. Es gilt in allen Parteien das strenge Örtlichkeitsprinzip. Mit anderen Worten: Man kann sich seine Gleichgesinnten gar nicht aussuchen. Man ist Sozialdemokrat am Ort. Die Gleichgesinnten sind schon da, bevor man Mitglied wird oder Gast. Die eigene Aktivität, die eigene Leidenschaft, der eigene Veränderungswille, die Bereitschaft, sich einzumischen, mitzutun, aktiv zu werden, steht und fällt mit der Verfassung der Partei im Ortsverein. Wie erlebt nun der gemeine Sozialdemokrat oder der noch gemeinere Gast-Genosse seinen Ortsverein? Erstens erlebt er ihn zwei- oder dreimal im Jahr. Mitgliederversammlung, Jahreshauptversammlung, Wahlauswertung, bestenfalls noch eine besinnliche Weihnachtsrunde zum Jahresausklang. All diese Veranstaltungen machen schnell deutlich: die passive Partei-Mitgliedschaft ist heute die Regel. In den Versammlungen trifft sich nur noch der “harte Kern”, treffen sich die Unentwegten, jene, die noch nicht aufgegeben haben angesichts spröder Regularien, die die meisten Sitzungen beherrschen. Da müssen Delegierte gewählt werden, Ersatzdelegierte, Kassenprüfer, Beisitzer, Mandatsprüfer, Wahlausschüsse. Da werden Berichte gehalten, aus den Untergliederungen der Partei, dem Vorstand, der Fraktion, den Arbeitskreisen, und schließlich der Kassenbericht. Allesamt selten prickelnd. Allesamt selten prickelnd formuliert. Die Mitglieder des Ortsvereins beugen sich einem “quasi-hegemonialen” Regelwerk, wie es Hanno Burmester, 2006 bis 2009 Mitarbeiter in der SPD-Parteizentrale und in der SPD-Bundestagsfraktion, heute Berater für politische Presse-und Öffentlichkeitsarbeit, im Freitag formuliert hat. Der harte Kern, jene Mitglieder, die sich von Zeit zu Zeit noch auf den Versammlungen des Ortsvereins blicken lassen, gehören unterschiedlichen Gruppen an. Die kleinste Gruppe stellen die Mitglieder ohne Funktion, ohne Amt, ohne Mandat. Die größeren Gruppen stellen jeweils die Mitglieder und Mitarbeiter der Fraktion und die Mitglieder und Mitarbeiter des Ortsvereinsvorstandes. Im kleinen Ortsverein, im Ortsverein einer kleinen Stadt ist nicht ohne weiteres sofort auszumachen, wer die Partei führt und wer die Fraktion. Die Grenzen sind fließend. Die Folge: Die kommunalpolitische Debatte, die politische Debatte wird gefiltert vom kommunalpolitischen Expertentum der Fraktion. Ist das Thema wichtig für den Stadtrat und sein Ausschüsse, haben wir dort Handlungsmöglichkeiten, können wir Mehrheiten erzielen? Stehen Verwaltungsvorschriften im Wege, sind alle Gesetze beachtet, lassen sich Gleichgesinnte finden in anderen Fraktionen? Politik, Kommunalpolitik wird aus dem Fokus der Fraktion entwickelt, bewertet, kritisiert, unterstützt oder bekämpft. Der Mikrokosmos Stadtrat, Stadtverwaltung, Ausschüsse, Kreistag, Kreisverwaltung, Bürgermeister, Landrat bestimmt, beschreibt, begrenzt Politik.Das Gespräch mit dem Bürger, die Öffnung der Partei, der Dialog mit Menschen anderer oder unterschiedlicher politischer Auffassungen kann unter solchen Ortsvereinsbedingungen nicht wirklich gepflegt werden. Man bleibt unter sich. “Die politische Arbeit vor Ort ist nur noch ein Geist ihrer selbst. Ortsvereine sind sozialer Treffpunkt einiger Unbeirrbarer, zumeist ausschließlich mit sich selbst beschäftigt und für das kommunale politische Leben wenig bedeutsam.” So beschreibt es Hanno Burmester. Dabei zeigen uns die Vorgänge um Stuttgart 21, daß viele Menschen, vermutlich mehr, als in Parteien organisiert sind, durchaus sehr interessiert sind an Politik, an Kommunalpolitik, an Mitwirkung, an Einmischung. Nochmal Hanno Burmester: “Nicht Politik, sondern Parteipolitik steht unter Beschuss. Die Bürgerschaft bekundet der repräsentativen Demokratie ihr Misstrauen – und zeigt gleichzeitig, dass sie am demokratischen Prozess teilhaben möchte. Die Menschen demonstrieren nicht gegen einen Bahnhof, sondern gegen einen Parteienstaat, der den demokratischen Bedürfnissen nicht gerecht wird. Volk und Volksvertreter sind sich nicht nur fremd geworden. Sie haben eine tiefe Abneigung gegeneinander entwickelt. Es gibt keine gemeinsame Sprache, kein gemeinsames Verständnis von Politik und Partizipation. Stuttgart 21 ist Ausdruck der kollabierenden Parteiendemokratie.” Mir scheint, daß die mehr als siebentausend von einer siebzehnjährigen Schülerin gesammelten Unterschriften hiesiger Bürger gegen die Verlegung der Polizeistation Wermelskirchen den gleichen Befund wiedergeben. Bürger und Parteien sprechen nicht mehr unbedingt die gleiche Sprache. Was den Bürgern Problem ist, wird von der Mehrheit der Parteien am Ort als ordentliches Verwaltungshandeln qualifiziert. Jedenfalls war es kein Anlaß für die Parteien und die Kommunalpolitiker, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das Gespräch zu suchen, sich einzumischen, den Vorgang zu beschreiben, zu werten, für Zustimmung zu werben. Ergebnis: Die Parteien, mein Ortsverein inklusive, haben, mal wieder, eine Politikgelegenheit ausgelassen. “Politisch aktive Bürger wollen mehr als Zugehörigkeit und Präsenzrecht. Sie wollen inhaltlich mitgestalten und mitbestimmen, wollen inhaltliche Expertise im Zweifel punktuell und konzentriert einbringen – ohne sich dies durch ewige Präsenz im Hinterzimmer verdienen zu müssen. Dieser Trend verstößt jedoch gegen die Prinzipien der Ortsvereinsarbeit. Deshalb blühen NGOs und Bürgerinitiativen, die neue Formen bürgerschaftlichen Engagements geschickter für sich zu nutzen wissen als die Parteien.” Der Ortsverein macht die Welt zur Scheibe. Im abgeschotteten Raum des Kneipenhinterzimmers regieren Selbstgenügsamkeit und Intransparenz und wird kein Blick frei auf die pralle Welt der Kugel. Das gilt im übrigen alles nicht nur für den sozialdemokratischen Ortsverein. Der christdemokratische Ortsverband, der freidemokratische Stadtverband, der Ortsverband der Linken, sie alle kränkeln gleichermaßen. Die Entfremdung zum Bürger ist das Merkmal heutiger Parteien. “Die Parteien haben trotz dieses desaströsen Status Quo immer noch nicht begriffen, wie irrelevant sie für das Alltagsleben der Bürgerschaft inzwischen geworden sind. Mehr öffentlicher Veränderungsdruck tut Not. Wir können die Krise der repräsentativen Demokratie nicht einfach aussitzen. (…) Die Gesellschaft muss sich in ihrem Engagement, ihrem Veränderungstempo und ihrer politischen Kultur nicht an die Parteien anpassen. Die Parteien müssen mit der Gesellschaft Schritt halten. Sonsten gehen sie unter. Und mit ihnen unser Gemeinwesen. (…) Die Reform der Parteienlandschaft ist kein Expertenthema, sondern eine Kernfrage für die Zukunft unseres Gemeinwesens. Hier haben auch Bürger ohne Parteibuch ein Mitspracherecht. Denn die Parteiendemokratie gehört uns allen.” Soweit der Schlußbefund von Hanno Burmester.
“Land ohne Linke”
“Es ist schon erstaunlich, dass Deutschland ausgerechnet in Zeiten des dramatischen Niedergangs einer bürgerlichen Regierung ein Land ohne Linke ist – zumindest ohne funktionierende Linke.” So beginnt der neue Beitrag von Michael Spreng in seinem Blog “Sprengsatz“. Interessanter Satz eines konservativen Publizisten. Und ist sein Befund schon nur deswegen falsch, weil Spreng kein ausgewiesener Linker ist? Spreng diagnostiziert einen Niedergang von SPD und Linkspartei parallel zum “Abstieg von FDP und CDU/CSU”. Die Linkspartei sei weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Und die SPD irrlichtere mal hier, mal da, sei irgendwie “von allem ein bißchen”. “Ein bisschen Abkehr von der Agenda 2010, ein bisschen Beharren darauf. Ein bisschen Abkehr von Rente mit 67, ein bisschen Bekräftigung der Erfindung ihres Ex-Parteichefs Franz Müntefering. Die SPD ist überall und nirgendwo. So wie ihr Personal: Sigmar Gabriel ist überall, aber nirgendwo richtig, Andrea Nahles ist immer nirgendwo, und Frank-Walter Steinmeier arrangiert sich einerseits und verlangt andererseits Stolz auf die Agenda 2010. Typisch für die SPD ist ihre Haltung zu ‘Stuttgart 21’, ein bisschen dafür, ein bisschen dagegen. So marginalisiert sie sich selbst. Kein Wunder, dass sie inzwischen in Umfragen immer wieder hinter den Grünen rangieren.” Und die Grünen schließlich seien keine Linke Partei mehr, “sie changieren zwischen bürgerlich und außerparlamentarisch, versuchen den Spagat zwischen alten und neuen Wählern”. Kulturell stünden die Grünen der Merkelschen CDU näher als etwa der Linkspartei. “Für ihre neuen Wähler, die ökobewußten Rucola- und Latte-Macchiato-Eltern mit ihren 500-Euro-Kinderwagen, ist die Linkspartei so attraktiv wie eine wässrige Soljanka.” Kurzum, so Spreng, es gebe derzeit kein linkes, kulturell homogenes Lager mehr wie noch 2002. “Die Linkspartei ist das Unterstadt-Schmuddelkind, mit dem keiner aus der Oberstadt spielen will. Die SPD schwankt zwischen rückwärtsgewandt und opportunistisch. Es gibt kein gemeinsames Lebensgefühl, im Gegenteil, die Welten zwischen Grünen, SPD und Linkspartei driften immer mehr auseinander.” Schade nur, daß der Befund von Spreng an dieser Stelle abbricht und er sich mit der eher lahmen Einschätzung begnügt, daß von dieser Entwicklung die CDU/CSU nicht profitieren, sondern die Wahlbeteiligung vermutlich weiter sinken und der Zufall über die Regierungsbildung entscheiden werde. Ist die “bürgerliche”, die “christlich-neoliberale” Koalition das rechte Lager? Dann stellen wir fest, daß sich binnen Jahresfrist das kulturell homogene rechte Lager zerlegt hat und die Welten zwischen Freidemokraten, Christsozialen und Christdemokraten ebenfalls immer mehr auseinanderdriften. Die kleinen Koalitionspartner sehen ihr Heil in noch ärgerer Bedienung ihrer Klientel, der Ärzte und Apotheker, der Hoteliers oder Rechtsanwälte. Die große Koalitionspartei bedient vorwiegend die Interessen der großen (Energie-)Wirtschaft. Und alle zusammen scheren sich keinen Deut um um die Belange der vielen, der Mehrheit im Lande, des Volkes. Es geht nur noch um die Klientel und den Machterhalt. Die Parteien, alle Parteien haben das Große und das Ganze nicht mehr vor Augen. Das Gemeinwesen und das Gemeinwohl treten zurück hinter die Partikularinteressen. Die Folge: Die Bindungskraft der Parteien, in ihrem Gefolge auch die gesellschaftlicher Großorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände läßt merklich nach. Die Milieus in der Republik können nicht mehr eindeutig politischen Strömungen zugeordnet werden. Die Menschen verabschieden sich mehr und mehr von gedankenloser Unterordnung unter gesellschaftliche, ideologische, religiöse Vorgaben. Die Begriffe von einst verlieren ihren Glanz: Links, Rechts, Progressiv, Konservativ. Lager werden zusehends mehr erkannt als das, was sie immer auch waren: Bequeme Grenzen, innerhalb derer gedankliche Anstrengungen, Neugier, Kommunikationslust, Streit ums Bessere, Querdenken, Unangepaßtheit, Freigeist unangebracht waren und sind. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit, sagt uns unser Grundgesetz. Aber die Parteien leisten sie nicht alleine, im Gegenteil, sie leisten die politische Willensbildung immer weniger. Sie leisten auch sich politische Willensbildung immer weniger. Hermetische Parteien und unempfindliche Kirchen, Verbände oder Gewerkschaften kann sich eine wohlverstandene bürgerliche Gesellschaft immer weniger leisten. Vielleicht ist das Schlichtungsverfahren um Stuttgart 21 ein Fingerzeig. Hier wird öffentlich verhandelt, mittels modernster Kommunikationstechnologien. Auf Augenhöhe. Hier wird deutlich, daß die ehedem arrogante Nutzung von Machtpositionen auf erheblichen Sachverstand noch machtloser Bürger trifft. Winkelzüge, ideologische Salbaderei, politische Tricks werden hier erkennbar. Transparenz wird zum Kernstück neuer demokratischer Prozesse. Und also gibt es hier massenhaftes Interesse, Zulauf. Demokratie muß sich ja nicht auf die erschöpften Rituale erschöpfter Parteien beschränken.
Politik und Polizei – Wermelskirchen 21
Wermelskirchen im Oktober: Die Kreispolizei will ihre Wache in Wermelskirchen auflösen. Viele Bürger fürchten um ihre Sicherheit und wollen die Polizei in der Stadt behalten. Eine siebzehn (!) Jahre alte Schülerin sammelt in nur vier Wochen viertausend (!) Unterschriften gegen die Auflösung der Polizeiwache. Und die Parteien? Organisieren sie gemeinsam den Widerstand der Bürger gegen die Polizeipläne. Die Parteien? Nein! Die Parteien, die sich das Wohl der Bürger auf ihre Fahnen und in ihre Programme geschrieben haben, sind bemerkenswert still. Sie schweigen. Oder eiern. Parteien, die ansonsten jeden Furz aufgreifen, um öffentlich Gehör zu finden, verstummen beredt. Die WNKUWG verweist auf den Innenminister oder den Landrat, die Stadt sei in dieser Frage nicht zuständig. Die CDU führt einen Stammtisch durch, einen Informationsabend, um “Fakten und Bürger näher zusammenzubringen”. Ein Forum für Landrat und Polizei. Für die Grünen ist die Polizeiwache in der Stadt lediglich “ein Symbol”. Die SPD behandelt das Thema Polizei nur intern. Tenor: Kein kommunalpolitisches Thema. Die Linke bleibt stumm. Nur FDP und Büfo erklären öffentlich, die zweitgrößte Stadt im Kreis brauche eine Polizeiwache in der Stadt. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sagt uns das Grundgesetz im Artikel 21. In Wermelskirchen nicht. Hier tauchen sie ab, die Parteien, ducken sich weg. Mag sein, daß Stadtverordnete gegen eine Landratsentscheidung oder gegen den Innenminister des Landes als Polizeiminister nichts werden ausrichten können. Aber: Mit feigem Schweigen, mit dem Verweis auf andere Instanzen werden Parteien den Nöten der Menschen in unserer Stadt nicht gerecht. Sicherheit ist eines der Grundbefürfnisse der Bürger. Und wenn sie diese Sicherheit gefährdet glauben, ist es Aufgabe der Parteien, den Menschen zu erläutern, daß und inwiefern die Sicherheit gewährleistet werden kann. Ein Steilvorlage eigentlich für Parteien, die wieder in den Dialog mit den Bürgern treten müssen. “Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln will sich Bürgermeister Eric Weik dafür einsetzen, dass die Polizeiwache in der Innenstadt bleibt. Er will dem Landrat mit seinen Schließungsplänen die Stirne bieten.” So zu lesen in der heutigen Onlineausgabe der Bergischen Morgenpost. Die Polizei gehöre dorthin, wo die Bürger sind. “Er vermisse bei den Überlegungen zur Verlegung der Polizeiwache ganz eindeutig den Dienstleistungsaspekt. Offensichtlich sei die Polizei dabei zu vergessen, dass sie eigentlich der Dienstleister der Bürger zu sein habe, beklagt der Bürgermeister.” Der Bürgermeister will dem Landrat “die Stirn bieten”. Klingt gut. Aber was bedeutet das konkret? Läßt sich doch etwas ausrichten gegen die Pläne aus dem Kreis? Wenn ja, wie? Hat der Bürgermeister Handlungsoptionen, die bislang noch nicht öffentlich gemacht wurden? Oder lassen sich die Polizeipläne bestenfalls mit gehörigem Druck, mit Protest, mit Demonstrationen der Bevölkerung verhindern? Sozusagen “Wermelskirchen 21”. Die kommunalpolitische Gemengelage in Wermelskirchen war schon immer nicht so ganz einfach. Aber mit welchen Truppen will der Bürgermeister ins Feld ziehen, wenn schon die Regenbogenkoalition eher matt und kampfesunlustig zu sein scheint? Und CDU und SPD sich hinter “ordentlichem Verwaltungshandeln” verschanzen. Das wäre ja mal eine ganz neue Kommunalpolitik, wenn der Bürgermeister nicht auf lavierende Parteien setzte, sondern auf die Macht der Bürger. Der Bürger-Meister, kraft der Bürger gewählt, stärkt die Kraft der Bürger. Wie sagte doch einst der große deutsche Philosoph Franz Beckenbauer: Schaun wir mal.
Lied der Partei
Vom tschechoslowakisch-deutschen Schriftsteller Louis Fürnberg stammt das “Lied der Partei”, in dessen Refrain es heißt: “Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!” Das Lied der Partei galt als Hymne der SED. Dabei war es ursprünglich als Huldigung an den IX. Parteitag der KPČ geschrieben worden. Fürnberg war nicht zu diesem Parteitag eingeladen worden und schrieb das Lied aus verzweifeltem Trotz, um sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen. Die Partei hat eben immer Recht. Aber: Gilt das nur für kommunistische, für leninistische Parteien? Gilt das nicht auch, ansatzweise jedenfalls, für andere Parteien? Die CDU hat in Baden Württemberg hat Recht, gegen die CDU-Mitglieder, die gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen. Die SPD hat Recht, gegen die, die sich kritisch gegen den Ausschluß von Thilo Sarrazin wenden. Die FDP hat Recht, gegen jene Mitglieder, die sich kritisch mit der Führungsrolle des Vorsitzenden Westerwelle auseinandersetzen. Alle Parteien tun sich schwer mit Mitgliedern, die sich schwer tun mit Parteilinien, die sich Vorgaben nicht unterordnen, die ihre eigene Meinung nicht an der Parteigarderobe abgeben. Das Wesen der Partei ist, möglichst geschlossen die eigenen Interessen durchzusetzen. Also können abweichende Positionen nur in begrenztem Maß in einer Partei ausgehalten werden. In dem Sinne sozialisiert jede Partei ihre Mitglieder. Wer nach diesem Prozeß immer noch der Meinung ist, die Partei habe nicht immer Recht, der muß sich anderswo seinen Platz suchen. Wir können das in Wermelskirchen ganz gut an den Abspaltungen von der CDU studieren. UWG, WNK und Büfo sind allesamt Fleisch vom Fleische der christlichen Union. Verlorene Machtkämpfe, unterschiedliche Positionen, nicht erfüllte Karrierewünsche, was auch immer zu diesen Erosionen geführt haben mag: Die Partei hat immer Recht behalten. In diesem Fall die CDU. Abspaltungen sind aber nur eine Seite der Medaille. Viel spannender ist die nachlassende Bindungskraft der Parteien. (Im übrigen: Nicht nur der Parteien. Auch andere Großorganisationen, Kirchen beispielsweise oder Gewerkschaften, erleiden einen grandiosen Bedeutungsverlust.) Die ursprünglichen Milieus, in denen die Parteien prosperieren konnten, haben sich weitgehend aufgelöst. Beispielsweise haben bei der Bundestagswahl 2009 mehr Arbeiter die CDU gewählt als die (ursprüngliche Arbeiterpartei) SPD. Ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft ist das einer zunehmenden Individualisierung. Das bedeutet nicht zugleich auch Entpolitisierung, was etwa an der sich neu entwickelnden Bewegung gegen die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke deutlich wird oder an den Demonstrationen gegen Stuttgart 21. Viele Bürger sind nach wie vor bereit, sich zu engagieren. Vor allem dann, wenn sie unmittelbar betroffen von Entscheidungen der Politik sind. Wozu sie aber immer weniger bereit sind, das ist die regelmäßige Unterordnung unter weitgehend ritualisierte Parteipolitik, das ist das Abnicken dessen, was in Vorständen und Zirkeln vorbesprochen wurde, das ist die Duldung eines floskelhaften und lebensfernen Politjargons. Und: Wenn es ungerecht zugeht in der Gesellschaft, wenn Partikularinteressen bedient werden, statt das Gemeinwohl zu stärken, dann können Parteien keine gute Konjunktur haben. Das Ergebnis ist dann eher so etwas wie Parteienverdossenheit. Gut zu studieren am aktuellen Ranking der FDP in den Umfragen oder am famosen Scheitern der schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen. Und zuvor am niederschmetternden Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl. Alle Parteien erleiden diesen Bedeutungsverlust gleichermaßen. Ihnen gelingt es zusehends weniger, Menschen zu mobilisieren. Die Mitgliederzahlen sind rückläufig. Immer weniger Menschen nehmen ihr Wahlrecht wahr. Für immer weniger Menschen also gilt: Die Partei hat immer Recht. Im eigenen Saft schmort es sich ganz gut. “Wir müssen raus ins Leben”, hatte der SPD-Vorsitzende Gabriel die nach der Wahlschlappe unter Schock stehenden Sozialdemokraten beim Dresdner Parteitag im November 2009 in einer fulminanten Rede angefeuert: “Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist. Denn nur da ist das Leben!” Eben. In der Partei, in den Parteien ist zu wenig Leben. Stattdessen die Bekehrung der Bekehrten. Die Parteien müssen sich anstrengen, um Bürger wieder zu interessieren. Sie müssen sich ihnen zuwenden. Mit anderen Angeboten als den hergebrachten. Offene Debatten sind erforderlich, ganz ohne jede Parteiraison. Die Partei hat eben nicht immer Recht, keine Partei. Parteien können und müssen lernen, vom Bürger. Das alles wird indes kaum etwas nützen, wenn Parteien das Gemeinwohl aus dem Auge verlieren. Eine Gesundheitsreform, die nur die Versicherten ausplündert und das als “Reform” verkaufen will, den bestverdienenen Pharmaunternehmen aber keine Preis- oder Qualitätsvorschriften macht, eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, die selbst von den Experten der Bundesregierung nicht für erforderlich gehalten wird und die den kommunalen Energieversorgungsunternehmen enorm schadet, ein “Spar”haushalt mit sozialer Schieflage – all das kann durchs beste Marketing nicht verbessert werden. Die Menschen rücken von den Parteien ab, aber sie haben sich das Gefühl und Gespür für mangelnde Gerechtigkeit bewahrt. Und sie werden den Parteien erneut den Denkzettel ausstellen. Wie heißt es so schön in Fürnbergs Parteihymne? “Wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht.”
Sarrazin-Hype
Thilo Sarrazin. Zu diesem Thema wollte ich eigentlich nichts schreiben. Der Autor ist nicht interessant, soweit ich das anhand der bislang veröffentlichten Texte beurteilen kann. Aber was habe ich heute in den diversen Radiosendern und Zeitungen nicht alles hören und lesen müssen. Nazi im Nadelstreifen. Rassist. Sozialdarwinist. Michel Friedman legt der Bundesbank nahe, Sarrazin endlich aus dem Vorstand zu werfen. Andere ebenfalls. Bundestagsabgeordnete und Journalisten sind sich einig: Raus aus Bundesbank und SPD. Sarrazin zum Schweigen bringen. Das alles von Leuten, die, wie ich, die ganzen 460 Seiten von Sarrazin noch nicht gelesen haben können. Die von Bild und Spiegel veröffentlichten Sentenzen, nämlich die Einleitung zu seinem Buch, reichen offenbar aus, Parteiausschlüsse, Berufsverbote und Schweigen zu fordern. Da ist mir zuviel rhetorischer und publizistischer Krawall im Spiel, Krawall, der dem des Buchautors Sarrazin nicht nachsteht. Ich gestehe, daß ich ratlos bin, fassungslos, wann immer Menschen, ethnische oder soziale Gruppierungen, auf ihren ökonomischen Nutzwert reduziert werden. Und mir deucht, daß Sarrazin als bekennender Liebhaber von Statistiken von dieser Haltung durchaus infiziert ist. Zudem scheinen mir die biologistische Argumentationsweise und der krude Genetik-Unsinn Sarrazins durchaus nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis zu sein. “Deutschland schafft sich ab” ist, wie Das Dossier schreibt, “ein buntes Potpourri aus wirtschaftlichen, politischen, biologistischen und nationalistischen Versatzstücken, garniert mit diversen Ausflügen in die Geschichte (…). ” Einerlei. Mir geht es nicht um Sarrazin. Wie gesagt, ein eher uninteressanter Autor, krawallig, populistisch, polarisierend. Mir geht es um den Sarrazin-Hype. Der monströse Erfolg des Sarrazin-Schinkens geht auf die Medien zurück, auf Journalisten, Politiker aus der dritten und vierten Reihe, auf andere zweitklassige Prominente, die sich alle in den Armen liegen und munter mitmachen im Wettbewerb um die politisch korrekteste und härteste Bewertung, um die weitestgehende Forderung nach persönlichen oder beruflichen Konsequenzen für Sarrazin. Ohne ein solchermaßen aufgegeiltes Umfeld bliebe Sarrazin, was er war: ein blasser Autor, der sich verritten hat, ein Politiker mit Vergangenheit, ein Bänker ohne Zukunft, niemand, von dem man öffentlich Kenntnis nehmen muß, ein Sonderling, bestenfalls. Jedenfalls keiner mit der erkennbaren Fähigkeit, eine neue rechtspopulistische Partei um seine papiernen Sätze und Statistiken herum entstehen zu lassen.
Wischiwaschi
Andrea Nahles. Wenn Ihnen nicht sofort einfallen sollte, in welchem Zusammenhang Sie den Namen Andrea Nahles schon einmal gehört haben sollten: Sie ist Generalsekretärin der SPD. Und sie hat sich jetzt mit der bemerkenswerten Einsicht zu Wort gemeldet, daß die Grünen eine Konkurrenz für die SPD sind und man sich abzugrenzen habe: “Politisch sind sie uns immer noch am nächsten, aber wir dürfen kein rot-grünes Wischiwaschi machen.” Was immer das bedeuten könnte, rot-grünes Wischiwaschi. Die Generalsekretärin will die Unterschiede zwischen beiden Parteien deutlich machen. “Wir werden harte Wahlkämpfe für unsere eigenen Konzepte führen – in den Ländern und im Bund.” Toll. Hat die Partei bislang doch für die Konzepte anderer gefochten. Die Generalsekretärin ist offenbar fürs Generelle, fürs Allgemeine zuständig, für die Allgemeinplätzchen der SPD. Auch eine denkbare Interpretation ihrer Funktion. Generellsekretärin.
Neue Sachlichkeit in Wermelskirchen
Plakate überschwemmten die Stadt, Wahlplakte der politischen Parteien, in beiden Lokalzeitungen waren beinahe täglich hämische und beleidigende Äußerungen zu lesen über Bürgermeister oder Bürgermeisterkandidaten, die Leserbriefspalten waren voll, ebenfalls teils äußerst beleidigend, Flugblätter und Flyer allerorten, ein Schlagabtauch auf bemerkenswert niedrigem Nievau. Kommunalwahlkampf in Wermelskirchen. Im August des vergangenen Jahres. Am 12. August 2009 habe ich dann meinem Ärger über das unterirdische Niveau der politischen Auseinandersetzung Luft gemacht. In diesem Blog. “Mir reicht’s” hieß mein erster Beitrag. Seither schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig meine sehr subjektiven Wahrnehmungen an dieser Stelle nieder oder kommentiere das eine oder andere. Derzeit sogar ganz ohne größere Erregung, jedenfalls, was die Verhältnisse in Wermelskirchen angeht. Denn heute ist es vergleichsweise ruhig in der Stadt. Keine Plakate, kein giftige Häme, die neue Sachlichkeit ist eingezogen – nachdem CDU und SPD eine deftige Quittung der Wähler kassiert hatten. Selbst an den Namen des gemeinsamen Kandidaten von CDU und SPD kann man sich nur noch mit Mühe erinnern. Der Wahlkampf ist vorbei und die Zeit heilt alle Wunden. Gottlob.
Genosse – oder so …
Genosse, das leitet sich vom althochdeutschen “ginoz” ab und das ist jemand, der mit einem anderen etwas genießt. Noch zu finden im deutschen Wort “Bettgenosse”. Heute aber bezeichnet das Wort eher einen Gefährten, jemanden, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich teilt, der dieselben Ziele hat und auf den man sich aus diesem Grund verlassen kann. Gemeint ist meist die Politik, Politik linker Parteien, Sozialdemokraten, Sozialisten oder Kommunisten. Nun wird es zusehends schwieriger, Politik und Genuß unter einen Hut zu bekommen. Früher, als Parteien, linke zumal, auch Familienersatz waren, Heimat, soziale Umgebung, Umfeld, da hatte das Wörtchen Genosse seinen besonderen Sinn. Man arbeitete zusammen, kämpfte gemeinsam für die gleichen Interessen, lebte gemeinsam, im Viertel, Stadtteil, in sozialen Verbänden, Gewerkschaften, Genossenschaften. Und die, denen man zugetan war, von denen man lernte, die man beschützte, das waren die Genossen. Heute ist eher so etwas wie intellektuelle Übereinstimmung in politischen Fragen zu finden, nicht mehr aber gemeinsames Leben, Arbeiten und Kämpfen. Genosse ist man im Kopf. Mehr als mit dem Leib. Ich bin auch ein Genosse. Ein Gast-Genosse, um es genau zu sagen. Gast und Genosse der Wermelskirchener SPD. Für ein Jahr. Und heute Abend habe ich wieder einen tiefen Blick in das Innenleben der Sozialdemokratischen Partei werfen dürfen. Mitgliederversammlung. Thema: Koalitionsvertrag. Gut vorbereitet, eine stringente Diskussion, die vor allem die Frage behandelte, welche Auswirkungen die Absichtserklärungen auf Landesebene für die praktische kommunalpolitische Arbeit haben dürften. Dabei standen zwei Themenbereiche im Vordergrund: Bildung und Schule sowie die Kommunalpolitik, kommunale Finanzen, Änderungen der Gemeindeverfassung, Schulden. Das Dilemma: Die Partei ist die Fraktion und das Denken der Fraktion beherrscht das Denken der Partei. Vermutlich ist das bei den anderen Parteien hier im Ort nicht grundlegend anders. Was wichtig ist für den Rat und die Ausschüsse, das ist Thema der Partei. Kommunalpolitik wird verengt auf Rat und Verwaltung. Und dann fehlt am Ende die Kraft, sich auch den ganz anderen Themen zuzuwenden, die mit dieser eng verstandenen Kommunalpolitik nicht zu treffen sind. Was denken die Bürger? Welche Debatten gibt es in der Stadt? Können wir gegen den Wegzug des Kinderarztes etwas ausrichten? Wenn nein, befassen wir uns nicht sehr gründlich damit. Weil wir keinen Einfluß haben und keinen Zugriff. Haben wir Möglichkeiten, kommunale wohlverstanden, gegen die Verlagerung der Polizeistation etwas zu unternehmen? Nein, Landessache. Also mischen wir uns nicht ein. Auf diese Weise wird politische Kultur verengt. Auf Machbarkeit. Einmischen? Natürlich! Aber dort, wo wir Handlungsmöglichkeiten haben. Alles andere will gut bedacht sein. Auf diese Weise wird öffentliche Kommunikation drittrangig. Nicht nur in der SPD. In allen anderen Parteien auch. Von Ausnahmen abgesehen, etwa den Leserbriefen von Henning Rehse. Und mit diesen Briefen will Henning Rehse punkten, für die WNK. Das ist vollkommen legitim. Aber kein Beitrag zu einer öffentlichen Kommunikationskultur der Parteien. Zudem schreibt die Leserbriefe immer wieder nur Henning Rehse, nicht auch andere WNK-Leute. Grüne, Linke, Büfo, CDU, immer mal wieder ist etwas zu lesen, nicht wirklich viel, aber zu Themen aus Rat und Verwaltung. Kinderarzt oder Polizeistation sind nur zwei willkürlich gegriffene, aber gute Beispiele. Warum gibt es keine parteiübergreifende Initiative, solche Dinge breit und öffentlich zu behandeln? Nur, weil wir, die Parteien, vordergründig nichts ändern können? “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” So heißt es im Artikel 21 (1) unseres Grundgesetzes. Wirken mit. Tun sie aber oft genug nicht. Der Bürger macht sich so seine Gedanken, meist an den Parteien vorbei. Sammelt mitunter sogar tausende von Unterschriften, so ganz ohne die Parteien. Weil die Parteien oft dort nicht sind, wo Bürger Sorgen haben, debattieren, wo öffentlicher Meinungsaustausch ist. Politische Willensbildung geht weit über das hinaus, was im kommunalen Rahmen in Rat oder Verwaltung eine große Rolle spielt. Zur politischen Willensbildung gehören auch die zentralen Begriffe und Werte, die unsere Demokratie auszeichnen, etwa Gemeinwesen, Gemeinwohl. Was ist das? Geht Politik immer noch vom Gedanken des Gemeinwohls aus? Welche Werte bestimmen und beherrschen unsere Gesellschaft? Wie verhält es sich mit der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Geht es gerecht zu in unserem Land, in unserer Stadt? Lassen wir, lassen sich die Parteien immer von diesem Grundgedanken sozialer Gerechtigkeit leiten, wenn sie ihre Politik entwickeln? Wie bestimmen wir das Verhältnis von politischer Konkurrenz, von der Vertretung von Interessen und dem Gemeinwohl? Sitzen in solchen Fragen die Parteien nicht eigentlich im selben Boot? Offenbar nicht. Denn Debatten über politische Kultur – und darum geht es – stehen zurück hinter Ratsproblemen und Verwaltungsfragen. Kein Wunder, finde ich, daß Politik nicht mehr sexy ist, daß die Parteien einen Bedeutungsverlust erleiden, auch auf kommunaler Ebene. Wer das Gespräch der Bürger nicht fördert, wird von den Bürgern auch nicht mehr gefragt, nicht mehr gefordert, nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr als nützlich empfunden. All das ist kein spezifisch sozialdemokratisches Problem. Es trifft Christ- oder Freidemokraten gleichermaßen, Grüne oder Linke, Büfo oder WNK. Wie soll sich Meinungsfreude entwickeln, Debattierlust, Mitwirkung, wenn Parteien nicht über ihren Tellerrand kommunalpolitischer Mühsal schauen können? Wie soll eigentlich Zivilcourage entstehen, gestärkt, vorgelebt werden im Gemeinwesen, wenn sich in Parteien immer wieder die Bekehrung der Bekehrten vollzieht? Ab morgen werden wir in Nordrhein-Westfalen mit einem für unser Land vollkommen neuen Politikmodell zu tun haben, einer Minderheitsregierung. Einer Regierung, die sich von Fall zu Fall ihre Mehrheiten neu suchen muß. Die alten Antworten werden nichts mehr wert sein. Fundamentalopposition, wie von der CDU angekündigt, ist der falsche Weg. Wer garantiert der CDU eigentlich, daß ihr Einfluß durch eine solche Politik größer wird? Politik muß, dafür sorgen die Wähler nunmehr fast bei jeder Wahl, neue Antworten finden, auf neue und alte Fragen. Politik muß kommunikationsfähiger, kommunikationsfähig werden, nach innen und in Richtung der Bürger. Und ob man sich nun Genosse nennt oder Parteifreund, Bruder oder Kamerad, das spielt in Wahrheit keine große Rolle. Merkwürdig, welche Gedanken einen ereilen, nur weil man einen warmen Abend lang ohne auch nur eine Zigarette auf eigentlich doch erfreuliche Weise politische Fragen diskutiert und es genossen hat. Mit den Genossen. Mal wieder.