Alle Artikel vonWolfgang Horn

Mein Tryptichon

Zunächst waren es Corona und und die Pandemie, die meinen Aktionsradius schlagartig verkleinerten. Nicht Schrittchen für Schrittchen, in kleinen Dosen, langsam. Nein. Für den Risikopatienten mit vorgeschädigter Lunge hieß es, Kontakte einzuschränken, drastisch, Masken zu tragen, auf Medikamente und Impfstoffe zu warten. Zwischenzeitlich gibt es Medikamente und Impfstoffe in ausreichender Zahl und auch das winzige, nur rund zwanzig bis dreihundert Nanometer große Virus hat sich verändert. Die gegenwärtige Mutation ist nicht annähernd so gefährlich für die Gesundheit und fürs menschliche Leben wie die Ausgangsform. Trotz spürbar besserer medizinischer Versorgung hatte ich mich hernach entschieden, mindestens bis zur Booster-Impfung alles so zu belassen. Keine Kontakte außer Haus. Keine Konzerte, leider, leider. Keine Feiern. Keine Restaurants, keine Freundschaftsbesuche, kein Café. Keine Treffen im Familienkreis in Köln. Plausch und Kännchen nur draußen. Gespräche und Debatten ebenfalls. Kein politisches Treffen, keines in der Partei, keines mit der Flüchtlingsinitiative. Keines mit den Kolleginnen und Kollegen, die beim Forum Wermelskirchen hilfreich zur Hand sind. Keine Sportveranstaltung mehr. Kein Einkaufsbummel. Draußen, das waren und sind nunmehr, auch nach der Boosterimpfung, Arztbesuche, Augenoperationen, Blutabnahmen. Zunächst allenfalls Antwort auf Corona und die bleibenden Gefahren für Menschen meines Alters. Nunmehr, in den vergangenen Monaten, tritt indes eine Verschlechterung meines Gesundheitszustandes hinzu. Meine körperliche Belastbarkeit ist hin. Der Kopf leistet mir gute Dienste. Wie eh und je. Nur meine Mobilität ist stark eingeschränkt. Treppen machen große Mühen, meine Wege sind sehr kurz, allenfalls zwischen zwei Zimmern, zu einem anderen Sitzplatz. Und, ich höre den Spott schon, in den nächsten Tagen wird ein Treppenlift dafür sorgen, daß ich ohne größere Luftnot aus dem ersten Stock in die Küche und ins Wohnzimmer kommen kann und ebenso luftnotlos auch wieder zurück. Lifta. So schrumpft die Welt. Das ganze Universum paßt in nur zwei kleinere Zimmer. Und auf eine geräumige Terrasse. Wenn Sohn und Freundin kommen, Freunde, Nachbarn. Das Fenster befindet sich, weil bereits in die Dachschräge eingepaßt, sehr weit oben, seine Rollokästen schließen die Öffnung deckenhoch ab. Mein Blick nach draußen, aus diesem Zimmer, geht auf die Gartenseite. Von dem aber kriege ich nichts mit. Ich habe mein eigenes Triptychon. Zwei Tafeln, links und in der Mitte, gestatten mir einen Blick auf den Götterbaum im nachbarschaftlichen Garten, die Rechte auf den Giebel des anderen Nachbarhauses, das zu Weihnachten immer so hell illuminiert wird. Götterbaum. Für hiesige Naturschützer ein Nachtmahr. Das aus China stammende Gehölz mag Trockenheit und Hitze und könnte einheimisches Gewächs verdrängen. Mein Triptychon mit einem Spurenelement von Klimakatastrophe. Der beste Indikator auf meinem Triptychon ist die Farbe blau. Blau bedeutet Himmel, Sonne, Trockenheit. Grau hingegen verheißt Regen, Schnee, Wind. Das Triptychon aber ist nur ein kleiner Blick in die Welt, ein Mini-Ausschnitt. Zoom und Consorten, Facetime, das normale Telefon, Briefe, Mails, all die modernen technischen Kanäle zur Kommunikation lassen mich nicht zum Eremiten geraten. Mein Radius ist eingeschränkt. Ich nehme an Veranstaltungen nicht mehr persönlich teil, offline sozusagen. Die Technologie aber bietet neue Möglichkeiten, Dinge in Erfahrung zu bringen, sich auszutauschen, sich aufeinander zu beziehen. Ich bin also noch da und möchte auch noch eine Weile bleiben. Auch, wenn das für einige Menschen bedeuten wird, daß nicht mehr ich sie, sondern eher sie mich werden aufsuchen müssen. Den Kartenvorverkauf werde ich im neuen Jahr starten. Ich danke allen Weggefährten bis hierher und wünsche allen erholsame Feiertage, einen guten Übergang in ein besseres Jahr Zweitausenddreiundzwanzig und noch viel gemeinsame Zeit und inspirierende Gespräche.

Das Bergische in der Krimiliteratur

Da liest man, nächtens, weil auch Senioren die Nacht zum Tag machen können, wenn der Schlafrhythmus meint, mit einem Siebzehnjährigen zu tun zu haben, statt mit einem Einundsiebzigjährigen. Ein simpler Zahlendreher.

Zumal es seit einer Woche nicht geregnet hat. Was in dieser Einöde namens Bergisches Land, das genaugenommen aus mittelmäßigen Hügeln besteht, einem Wunder gleichkommt. Ihre irreführende Benennung verdankt die Gegend den Herzögen von Berg, ihren Ruf als Idylle allein dem Niedergang der traditionellen Handwerksbetriebe und der Metallindustrie. Jahrhundertelang haben sie die hiesige Luft und sämtliches Wasser verpestet und den Mischwaldbestand zwecks Brennstoffgewinnung geplündert. Bereits im Spätmittelalter wurden örtliche Bäche und Flüsse von Gerbern, Blaufärbern und Bleichern in stinkende Kloaken verwandelt. Nicht weit von hier gab es vor etwas mehr als hundert Jahren auch noch geheime Pulvermühlen, deren gelegentliche Explosionen die Arbeiter Beine, Arme oder das Leben kosteten. Von Salpeterverätzungen ganz zu schweigen. In Lumpen-und Papiermühlen fingen sich ganze Frauengenerationen – manche noch Kinder – die Tuberkulose ein. In Hammermühlen ging es ihren Männern nicht besser, Richtung Wuppertal schufteten sich Hutbandweber und Seilmacher zu Tode. Mit anderen Worten: Ländliche Idylle herrschte hier selten. Auch nicht für die Bauern. Und kulturell gesehen ist das Bergische nach Schuknechts Dafürhalten bedauerlich unterentwickelt.
[…]
Neben rheinischen Frohnaturen wohnen in den Fachwerkhäusern des Ortskerns minderbegabte Töpferinnen, esoterisch-ökologische Spinner und Großstadtflüchtlinge auf der Suche nach Beschaulichkeit. Der vernunftbegabte bergische Teil der Dorfbewohner verzichtet dagegen auf malerisch verfallende Behausungen in feuchter Tallage. Die Eingeborenen ziehen Niedrigenergiehäuser mit Solarpaneelen in Hanglage vor. Es ist anzunehmen, dass sie von dort aus spöttisch auf alle Dorfnostalgiker herabschauen. Und auf jene Tagestouristen, die anreisen, um sich bei Hasim – einem algerischen Schlitzohr, der das historische Mühlenlokal betreibt – lederartige Waffeln mit Sprühsahne und dünnen Dröpelminnakaffee andrehen zu lassen, anstatt sein vorzügliches Couscous mit Lamm zu kosten. Andere steuern Heiners Tattooworld im Schatten der Dorfkirche an, um sich sinnfreie chinesische Schriftzeichen in den Arm stechen zu lassen. Ein Angebot, das sich an die im kurvenreichen Eifgental epidemisch auftretenden Motorradhorden wendet. Offenbar erfolgreich. Einzig die Klatschzentrale im Ortskern scheint ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein. Es ist ein Edeka-Laden samt Postfiliale. Mit eigenwilligen Öffnungszeiten, wie Schuknecht bei dem Versuch, einen Einschreibebrief abzuholen, feststellen musste. Höchstens vier Stunden am Tag sind Kunden willkommen: zwischen 6:30 Uhr und 11 Uhr morgens. Ungefähr. Geführt wird der Schrummelladen von einer pensionierten Grundschullehrerin mit Doppelnamen. Schuknecht runzelt die Stirn. Wie lautete der noch? Stand unter den Öffnungszeiten. Auf einem Schild aus Salzteig. Irgendwas mit Bimmel oder Bummel? Egal, muss man sich nicht merken! Besagte Dame stellt hinter halbblinden Scheiben ein obskures Angebot aus: Neben Ansichts- und Wanderkarten werben Faltblätter für ihre Frauenkräuterseminare im Bergischen Freilichtmuseum Lindlar. Frauenkräuter! Firlefanz! Strickstrümpfe und bizarre Töpferwaren aus hiesiger Fertigung runden neben Eiern von einer Straußenzuchtfarm im Nachbardorf Emminghausen das Sammelsurium ab. Straußeneier!

Ellen Jacobi, Mordsjubiläum. Ein Krimi aus dem Bergischen Land. E-Book, Bastei Lübbe

Das letzte Wort

Jetzt reden sie zu zweit. Überwiegend. Der eine mit Kenntnissen vom Fußball, der andere mit Kenntnissen, ja, von was? vom Medienbetrieb. Ungebremst der eine, zu schnell, oft unverständlich. Wie immer und heute zum letzten Male der andere. Sie parlieren miteinander, plaudern, scherzen. Nur miteinander. Nicht mit einem, nicht für ein Publikum. An denen vorbei. Beide. Zum letzten Mal heute. Leider nur die beiden.

Notfalljaulen

Jahrelang nichts. Kein Ton hier bei einigen Notfallsimulationen, bei Probealarmen in vergangenen Jahren. Keine Sirene, kein Läuten, kein Lärm. Heute aber. Notfalljaulen. Um Punkt zehn Uhr neunundfünfzig. Das Handy, die Handies jaulen und heulen, schräg und laut. Die Textnachricht beruhigt. Kein Notfall. Bundesweiter Warntag. Probewarnung.

Großes Kino

Schweinsteiger und Sedlaczek, Bastian und Esther, das ist ganz großes Kino, im Fernsehen. Man muß nur den Ton wegdrehen. Ganz weg. Und die Bilder sprechen lassen. Säuseln, flüstern, lächeln. Blicke werden getauscht, Geschichten erzählt, vom Leben, von der Freude, der Lust. Großes Kino. Stummfilmfernsehen. Der ergraute Fußballer und die erblühte Journalistin, ein Traumpaar. Wenn da bloß der Fußball nicht wäre.