Das Bergische in der Krimiliteratur

Da liest man, nächtens, weil auch Senioren die Nacht zum Tag machen können, wenn der Schlafrhythmus meint, mit einem Siebzehnjährigen zu tun zu haben, statt mit einem Einundsiebzigjährigen. Ein simpler Zahlendreher.

Zumal es seit einer Woche nicht geregnet hat. Was in dieser Einöde namens Bergisches Land, das genaugenommen aus mittelmäßigen Hügeln besteht, einem Wunder gleichkommt. Ihre irreführende Benennung verdankt die Gegend den Herzögen von Berg, ihren Ruf als Idylle allein dem Niedergang der traditionellen Handwerksbetriebe und der Metallindustrie. Jahrhundertelang haben sie die hiesige Luft und sämtliches Wasser verpestet und den Mischwaldbestand zwecks Brennstoffgewinnung geplündert. Bereits im Spätmittelalter wurden örtliche Bäche und Flüsse von Gerbern, Blaufärbern und Bleichern in stinkende Kloaken verwandelt. Nicht weit von hier gab es vor etwas mehr als hundert Jahren auch noch geheime Pulvermühlen, deren gelegentliche Explosionen die Arbeiter Beine, Arme oder das Leben kosteten. Von Salpeterverätzungen ganz zu schweigen. In Lumpen-und Papiermühlen fingen sich ganze Frauengenerationen – manche noch Kinder – die Tuberkulose ein. In Hammermühlen ging es ihren Männern nicht besser, Richtung Wuppertal schufteten sich Hutbandweber und Seilmacher zu Tode. Mit anderen Worten: Ländliche Idylle herrschte hier selten. Auch nicht für die Bauern. Und kulturell gesehen ist das Bergische nach Schuknechts Dafürhalten bedauerlich unterentwickelt.
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Neben rheinischen Frohnaturen wohnen in den Fachwerkhäusern des Ortskerns minderbegabte Töpferinnen, esoterisch-ökologische Spinner und Großstadtflüchtlinge auf der Suche nach Beschaulichkeit. Der vernunftbegabte bergische Teil der Dorfbewohner verzichtet dagegen auf malerisch verfallende Behausungen in feuchter Tallage. Die Eingeborenen ziehen Niedrigenergiehäuser mit Solarpaneelen in Hanglage vor. Es ist anzunehmen, dass sie von dort aus spöttisch auf alle Dorfnostalgiker herabschauen. Und auf jene Tagestouristen, die anreisen, um sich bei Hasim – einem algerischen Schlitzohr, der das historische Mühlenlokal betreibt – lederartige Waffeln mit Sprühsahne und dünnen Dröpelminnakaffee andrehen zu lassen, anstatt sein vorzügliches Couscous mit Lamm zu kosten. Andere steuern Heiners Tattooworld im Schatten der Dorfkirche an, um sich sinnfreie chinesische Schriftzeichen in den Arm stechen zu lassen. Ein Angebot, das sich an die im kurvenreichen Eifgental epidemisch auftretenden Motorradhorden wendet. Offenbar erfolgreich. Einzig die Klatschzentrale im Ortskern scheint ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein. Es ist ein Edeka-Laden samt Postfiliale. Mit eigenwilligen Öffnungszeiten, wie Schuknecht bei dem Versuch, einen Einschreibebrief abzuholen, feststellen musste. Höchstens vier Stunden am Tag sind Kunden willkommen: zwischen 6:30 Uhr und 11 Uhr morgens. Ungefähr. Geführt wird der Schrummelladen von einer pensionierten Grundschullehrerin mit Doppelnamen. Schuknecht runzelt die Stirn. Wie lautete der noch? Stand unter den Öffnungszeiten. Auf einem Schild aus Salzteig. Irgendwas mit Bimmel oder Bummel? Egal, muss man sich nicht merken! Besagte Dame stellt hinter halbblinden Scheiben ein obskures Angebot aus: Neben Ansichts- und Wanderkarten werben Faltblätter für ihre Frauenkräuterseminare im Bergischen Freilichtmuseum Lindlar. Frauenkräuter! Firlefanz! Strickstrümpfe und bizarre Töpferwaren aus hiesiger Fertigung runden neben Eiern von einer Straußenzuchtfarm im Nachbardorf Emminghausen das Sammelsurium ab. Straußeneier!

Ellen Jacobi, Mordsjubiläum. Ein Krimi aus dem Bergischen Land. E-Book, Bastei Lübbe

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