„Wir stärken jetzt die Kinder in unserem Land, um ihnen eine gute Zukunft zu gewährleisten. Eine lange Zeit der Vernachlässigung der Kinder wird damit beendet. 100 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen werden erlauben, dass wirklich alle Kinder in Würde aufwachsen können.“ So schön könnten Christian Lindners Worte klingen.
Denn, bitterer Scherz beiseite, diese Worte hat er so nie gesagt und (Hot Take!) er wird es auch nie. Beim erstaunlichen Lindner-Zitat handelt es sich dafür um sein leicht abgewandeltes Statement zum Sondervermögen Bundeswehr. Für die mit 12 Milliarden veranschlagte Kindergrundsicherung sieht unser Finanzminister allerdings keinen Spielraum im Haushaltsbudget. Obwohl mittlerweile mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland als armutsgefährdet gilt und die Kindergrundsicherung das sozialpolitische Projekt der Koalition sein soll.
„Für Familien mit Kindern ist bereits viel passiert“, behauptete Lindner dagegen und meint damit die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderzuschlags. Bei Familien, die Bürger*innengeld beziehen, wird das eine aber verrechnet, und das andere ist als Maßnahme gar nicht für sie gedacht. Diejenigen, die das Geld mitunter am nötigsten brauchen, sehen von „viel passiert“ also genau: nichts. Wären die kleinen Racker doch nur als Panzer und Kampfjets auf die Welt gekommen – oder als nach E-Fuels dürstende Porsches, dann würde der Finanzminister sicher Sondermittel und Wege finden.
Lindner schiebt die Verantwortung stattdessen nur noch weiter von sich. Häufig seien die Bildungs- oder Erwerbsarmut der Eltern Grund für Kinderarmut, so der Finanzminister. Diesen sollte der Staat deshalb nicht mehr Geld zahlen, sondern auf Spracherwerbsförderung und Bildung der Eltern setzen, um sie in Jobs zu bringen. Übersetzt heißt das: Wir sollen uns endlich wieder darauf konzentrieren, was Menschen in Armut alles falsch machen, besonders wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. FDP-geleitete Finanzpolitik: einfach stabil kaltblütig. Wie so ein Yuppie, der dem um Kleingeld bittenden Obdachlosen vorm Supermarkt nichts gibt, weil dieser sich ja Alkohol davon kaufen könnte.
Die Aussage des Finanzministers zeigt außerdem, dass er sich mit den Betroffenengruppen der (Kinder-)Armut offenbar kaum auseinandergesetzt hat (oder dies nicht möchte), denn vor allem Ein-Eltern-Familien rutschen in die Armut ab bzw. sind in ihr strukturell gefangen. 43 Prozent aller Alleinerziehenden können von ihrem Einkommen nicht leben, während aber 71 Prozent der alleinerziehenden Mütter arbeiten. In neun von zehn Fällen ist die alleinerziehende Person nämlich eine Frau, womit das Thema auch eine eindeutig sexistische Dimension hat.
Sei es bei der Armutsbekämpfung, Bildungsgerechtigkeit oder dem Schutz vor der Klimakrise, die aktuelle Debatte zeigt wieder einmal: Kinder haben in Deutschland keine Lobby. Oder höchstens eine, die gegen sie arbeitet. Die Kindergrundsicherung als echtes Sicherheitsnetz für Familien einzuführen, die es am dringendsten benötigen, wäre eine klare Absage an diesen zynischen Kurs. Eine lange Zeit der Vernachlässigung der Kinder wäre damit beendet.
Anne Wizorek, Direktnachricht: Stabil kaltblütig, in: Newsletter: Der Hauptstadtbrief vom fünfzehnten April Zweitausenddreiundzwanzig. (Anne Wizorek ist freie Beraterin für digitale Strategien und Autorin. Ihr Twitter Handle ist @marthadear.)