Get Back by The Beatles 

Für „Love Me Do“, den ersten Beatlestitel aus dem Jahr Neunzehnhundertzweiundsechzig, war ich mit elf Jahren doch noch zu jung. Ein Jahr später, als „I Want To Hold Your Hand“ England überrollte und dann ganz Europa und hernach „She Loves Me“ den Taumel noch verstärkte, da war es auch um uns Zwölfjährige im Porzer Stadtgymnasium geschehen und um die Kinder und Jugendlichen aus unserem Viertel, den „Schlichtwohnungen“ in „Klein-Korea“ in Porz, seinerzeit noch aufstrebende Großstadt am südöstlichen Rand von Köln. Die „Fab Four“, John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr und sehr schnell auch ihre Epigonen bestimmten von Stund‘ an den musikalischen Geschmack in „Klein-Korea“, auch Kleidung, Habitus, Haarlänge, Benehmen, Schmuck, die Größe des Schlags an den Hosenbeinen, kurzum alles, was den Alltag pubertierender Bengels und Mädels so ausmachte. Der Stielkamm und das Kettchen am Arm waren ebenswenig wegzudenken aus dem Leben der Imitation der Idole, wie der Versuch, deren Texte zu durchschauen und sich deren Hintersinn anzueignen. Glückliche Zeit. Die Entfremdung von den Eltern, denen das alles zu neu, zu laut, zu ungewohnt, zu frech, zu unangepaßt war, wurde aufgewogen, aufgehoben von der großen Einigkeit der Jugend, der gemeinsamen Lebensidee, der geteilten Alltagskultur, der gemeinschaftlichen Abkehr von der Welt der Erwachsenen, von der Lust am Aufruhr, von der Entdeckung der Sexualität und Körperlichkeit. I Can Get No Satisfaction. Mit zwölf Jahren fing das alles an. Platten kaufen, Plattenspieler organisieren, Getränke besorgen, Feten feiern, unschuldig zunächst, voller Hingabe auch. Das pralle Leben wollte ergriffen sein. Später habe ich kaum je mehr gelernt fürs Leben an Umgangsformen, an Gemeinschaft, an Kultur, an Verständigung, an Kommunikation. An Musik, natürlich. 

In diese Welt des Zwölfjährigen, des Fünzehn- oder Siebzehnjährigen durfte ich wieder eintauchen, als mir vor ein paar Tagen mein Sohn Palle und seine Freundin Kathrin den wunderbaren Band „Get Back by The Beatles“ zum immerhin einundsiebzigsten Geburtstag schenkten. Sozusagen als Anlaß für eine Revue in die Jugendtage, in den Kulturschock: „Als wollten sie die Originalität der Beatles noch unterstreichen, kapierten versnobte Erwachsene einfach nicht, was sie auszeichnete. Noel Coward schrieb Neunzehnhundertfünfundsechzig in sein Tagebuch: ‚… Sonntagabend sah ich mir die Beatles an. Ich hatte sie nie zuvor leibhaftig erlebt. Der Lärm war von Anfang bis Ende ohrenbetäubend … ich war wahrhaftig entsetzt und schockiert über das Publikum. Es war wie eine massenhafte Masturbationsorgie.‘“ So heißt es in der bemerkenswerten Einleitung zu diesem wunderbar mit sprechenden Fotos der Beatles illustrierten Band von Hanif Kureishi unter dem Titel „All You Need“. Mit diesen verächtlichen Herabsetzungen dessen, was uns wichtig war, heilig, haben wir seinerzeit alle zu leben gelernt. „Wenn man wie ich in den Fünfzigerjahren aufwuchs, hatte man eine befremdliche Vorstellung von Kunst. (…) Die Botschaft war eindeutig: Kultur, egal welche, war eigentlich zu hoch für uns. Wir waren nicht diejenigen, für die sie gemacht war. Wobei wir Erwachsenen ohnehin misstrauten, da sie aus unserer Sicht ein größtenteils tristes und wenig beneidenswertes Leben führten. In der Schule und andernorts begegneten Erwachsene jungen Menschen mit Furcht und Neid, belächelten sie oder behandelten sie von oben herab. Was uns eigentlich als verlockende Zukunft hätte erscheinen sollen – eine Familie gründen und arbeiten gehen -, wirkte auf uns nicht sehr erstrebenswert. Und trotzdem sehnten sich junge Menschen – besonders, wenn sie Elvis oder Little Richard gehört hatten – nach einer Kunst, die sie in ihrer Frustration und ihren verwirrenden sexuellen Bedürfnissen begreifen konnten. Einer Kunst, die zu ihnen und über sie sprach, die ihnen Anlässe bot, sich auf die Zukunft zu freuen. Der Glaube an die Zukunft ist schließlich etwas sehr Kostbares. Und nichts, wozu man im Alleingang gelangt. Man braucht eine Gruppe, eine Bewegung, eine gemeinsame Kultur.“ Diese wenigen Sätze geben die Erwartungen sehr gut wieder, wie sie auch Kinder der hiesigen Unterschicht hatten. Man wird nicht alleine groß, erwachsen, klug oder umgänglich. Man braucht Freunde, eine Clique, Gleichgesinnte, Weggefährten. Man braucht gemeinsame Ziele, Idole, ähnliche Fragen, vergleichbare Ideen, Austausch, Freundschaft, Liebe, Kommunikation. Man braucht Spiritualität, Ergriffenheit, Religion, Gottesfurcht. Verstand. Führung. Nicht nur wir damals. Das gilt immer, ist universell. Man vergißt das nur allzu leicht. Ich danke Kathrin und Palle für die Zeitreise in mich selbst, die das tolle Beatles-Buch ausgelöst hat.

„Plötzlich tauchten im Fernsehen, in den Zeitungen und Zeitschriften diese jungen Menschen auf – die Beatles und andere -, noch dazu mit seltsamen und faszinierenden Frisuren; ihre Musik lief im Radio. Vor allem in London, aber nicht nur dort, gab es auf einmal so etwas wie soziale Mobilität, die Möglichkeit zu entkommen, die Chance auf eine erfülltere Zukunft. Keine Privatschule und keine der großartigen britischen Universitäten hatte diese revolutionären Jungs hervorgebracht, sondern eine zerbombte Hafenstadt im Norden. (…) Für mich war das eine Offenbarung. In der Schule wollte man uns beibringen, dass wahre Kunst, selbst wenn sie langweilig war, der moralischen Erbauung dienen und uns zu besseren Menschen machen sollte – zu kultivierteren, bewussteren und anspruchsvolleren Menschen, die mit vornehmerem Akzent sprachen. Bildung würde uns den Weg dorthin weisen. Autoritäten erklärten uns unaufhörlich, welche Veranstaltungen wir besuchen sollten, worauf es wirklich ankam und was wertlos sei. Was als Kultur galt, wurde stets streng reguliert und kontrolliert. Ihre Grenzen überwacht. Überschreiten durfte man diese nur auf eigene Gefahr. Würden die Grenzen wegfallen, bräche schließlich Chaos aus – oder etwa nicht? Die Fünfzigerjahre kurz nach dem Krieg waren eine Zeit der Verknappung gewesen und auch an Kunst herrschte Mangel. Nicht alle durften welche haben. Nicht alle konnten sie verstehen. Du jedenfalls nicht. Und auch sonst niemand wie du, von deiner Sorte und deiner sozialen Herkunft.“ Die Beatles und hernach die vielen anderen Bands und Musiker halfen uns, in England wie auch in Porz, die sozialen Barrieren zu überschreiten, Grenzen einzureißen, Trennendes zu überwinden. Uns loszusagen von den Eltern. Auf die eigene Kraft zu vertrauen. Den eigenen Standpunkt einzunehmen. Man selbst zu werden. Wir hatten es, wir Zwölf- bis Siebzehnjährigen, soviel einfacher als unsere Eltern. Mit den vier Jungs aus Liverpool und denen, die ihnen vorangingen und ihnen folgten.

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