Monat: September 2021

GESICHTER, OFT GEPAART MIT INHALTSLEEREN VERKAUFSPHRASEN“

Die Politik steht vor enormen Herausforderungen: Wie können wir die Klimakrise eindämmen und ihre jetzt schon nicht mehr vermeidbaren Folgen in den Griff bekommen? Wie machen wir unsere Altersversorgungssysteme fit für die Zukunft? Wie bringen wir die Digitalisierung auf eine Art und Weise voran, die den Menschen nützt – anstatt ihre Arbeitsplätze zu gefährden? Und wie gehen wir mit wachsenden sozialen Ungleichheiten und steigenden Migrationsbewegungen um? Das sind auch die Themen, die von den Menschen regelmäßig in Umfragen als die wichtigsten Probleme genannt werden. Im Wahlkampf tauchen diese Fragen allerdings kaum auf – obwohl es doch um die Auswahl der Parteien und Personen geht, die diese Probleme angehen sollen. Stattdessen sind auf Wahlplakaten überwiegend Gesichter zu sehen, oft gepaart mit inhaltsleeren Verkaufsphrasen. Der Rest der Wahlkampfenergie scheint weitgehend auf sogenanntes Negative Campaigning, also die Demontage politischer Gegnerinnen und Gegner, beschränkt zu sein. Anstatt um Sachfragen geht es viel um Personen, und das auf eine oftmals schmuddelige Art und Weise. Hinzu kommt eine verstärkte Lagerrhetorik: Links versus Rechts. Das kann man negativ als Polarisierung bewerten. Positiv ist daran allerdings, dass die Alternativen, die zur Wahl stehen, greifbarer und kontrastreicher werden. (…) In der Klimapolitik etwa scheint keine der im Bundestag vertretenen Parteien den Ernst der Lage erfasst zu haben.

Patrick Bernhagen, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart im Gespräch mit Wolfgang Weitzdörfer, in: „Die Politik steht vor enormen Herausforderungen“. Interview mit Politikwissenschaftler zur Bundestagswahl, Rheinische Post, Zwanzigster September. Patrick Bernhagen stammt aus Wermelskirchen.

Anne Will nicht mehr

Was für ein Durcheinandergerede. Nicht nur, aber vor allem heute Abend. Ein Ministerpräsident, der sich von Nichts und niemandem bremsen läßt und gnadenlos alle anderen niederbramabarsiert. Ein Parteivorsitzender, der die mitdiskutierende Fachjournalistin als ahnungslos bezeichnet, eine Moderatorin, die ihren Laden nicht im Griff hat, der man ihre Fragen nicht beantwortet, auf die man nicht hört, wenn Sie das Wort erteilt. Krawall und Kakophonie haben im Medium Fernsehen eine streitbare, aber ergebnisorientierte Sendung mit Mehrwert für Zuschauer überwältigt und ersetzt.

Knietief

Wer die Wahl hat, hat die Qual – wer eine bevorstehende Bundestagswahl hat, wird durch das Triell gequält. So lautet doch diese Redewendung – oder nicht? Es gibt aktuell natürlich diverse Formate, die über die Wahl berichten und den Kandidierenden eine Plattform geben. Anhand des Triells lassen sich die Probleme des Politikjournalismus aber am deutlichsten beobachten.

Aufgebaut ist es wie eine Art Speeddating für Journalist_innen und Menschen, die knietief in politischen Debatten stecken. Viele wichtige Themen werden da nur oberflächlich angerissen, andere gehen völlig in verwirrenden Details unter. Wer kein News Nerd ist, bleibt auf der Strecke, soll sich aber trotzdem eine fundierte Meinung bilden – Journalismus mit Aufklärungsauftrag geht anders.

Möchte man sich doch mal zugänglicher geben, werden komplexe Fragen wie die des Klimaschutzes auf ein „Was soll das alles kosten?“ reduziert. Statt darüber zu sprechen, warum wir es uns eben nicht leisten können, dort zu zögern und zu versagen, wird dem eigenen Publikum erst gar kein weiteres Interesse zugetraut.

Falls es entfallen sein sollte: Unsere nächste Bundesregierung hat die historische Aufgabe, die Klimakrise in ihrem vollen und tödlichen Ausmaß abzuwenden. Warum wird selbst in zentralen Formaten wie dem Triell nicht mit Dringlichkeit und der nötigen Tiefe darüber gesprochen? Wir bekommen hier die Quittung eines nachweislich schädlichen Horse Race Journalism, der sich eher auf Einzelpersonen im Wahlwettbewerb konzentriert, statt ernsthaft in politische Fragen einzutauchen.

Das dritte Triell steht noch aus. Die Hoffnung, dass andere, oft existenzgefährdende Probleme überhaupt angesprochen werden und die Kandidierenden echte Lösungen bieten müssen, bleibt winzig. Zumal sie genug Raum bekommen müssten, um nicht als Randnotiz zu verhallen, in unhinterfragten Worthülsen oder gar Lügen erstickt zu werden. Denn was nützt der sorgfältigste Faktencheck, wenn er erst mehrere Stunden nach Ende der Sendung Laschets angebliche „Brandmauer nach Rechts“ als Drehtür entlarvt? Auch der Kampf gegen Rechtsextremismus und rechten Terror war übrigens bisher kaum Thema. Dabei sind allein der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag in Halle und der in Hanau alle in der laufenden Legislaturperiode gewesen.

Wahlkampf 2021 ist, wenn sich alle beschweren, dass es zu wenig um Inhalte geht. Das wird sich allerdings auch nicht ändern, solange Medienschaffende kaum für Bedingungen sorgen, unter denen sich gut über Inhalte sprechen lässt.

ANNE WIZOREK, in: Der Hauptstadtbrief
(Anne Wizorek ist freie Beraterin für digitale Strategien und Autorin. Ihr Twitter Handle ist @marthadear.)

MdB Dr. Seltsam

Noch eine Woche mit dem seltsamsten Bundestagswahlkampf aller Zeiten. Sein Thema, soviel lässt sich jetzt schon sagen, ist er selbst: Was darf man im Wahlkampf? Wer redet am besten darüber, was man im Wahlkampf darf? Und wer sind überhaupt diese beiden Kandidaten und die Kandidatin, die uns fremder werden, je mehr wir sie aus der Nähe betrachten. (…) Die Welt dreht sich weiter, aber der bundesdeutsche Wahlkampf nimmt es nicht zur Kenntnis. Bald wird man erörtern müssen, was eigentlich schief gegangen ist.

Nils Minkmar in: Totally useless. Der siebte Tag. Vom Wert des Nutzlosen, Newsletter

Dark Blues Music to Escape to…

  • All songs Written and performed by Justin Johnson
  • 0:00 “Son of a Witch”(Bootleg Series Vol 3: Son of a Witch)
  • 4:54 “Whispered the Winter Witch” (Bootleg Series Vol 5: Blood Moon) 1
  • 1:59 “Ghost of the Mountain” (Bootleg Series Vol 3: Son of a Witch)
  • 17:36 “Lost in the Storm” (Bootleg Series Vol 5: Blood Moon)
  • 24:03 “When that Full Moon Rises” (If Walls Could Talk)
  • 28:02 “Spanish Moss” (Bootleg Series Vol 5: Blood Moon)
  • 35:11 “Blood Moon” (Bootleg Series Vol 5: Blood Moon)
  • 42:21 “Caught in the Fog”
  • 46:06 “Exit 2020” (Bootleg Series Vol 3: Son of a Witch)
  • 52:06 “Saturday Mourning” (Bootleg Series Vol 5: Blood Moon)
  • 60:00 “New Orleans Heavy Swamp Blues”

Krawall-TV

Dieser merkwürdige Dreikampf zwischen den Kanzlerkandidaten Scholz und Laschet sowie der Kanzlerinnenkandidatin Baerbock gestern Abend war schon merkwürdig und eigentlich kaum auszuhalten. Der heutige Vierkampf im Fernsehen zwischen Weidel, Wissler, Lindner und Dobrind übertrifft das gestrige TV-Ereignis doch noch. Selten habe ich vier so schlecht erzogene Erwachsene so schlecht miteinander streiten und so taub gegeneinander quatschend erlebt. Das ist die politische Elite? Drei Parteivorsitzende und ein CSU-Chef im Bundestag? Vier Menschen, die allesamt nicht mehr zuhören können? Streit wäre ja in Ordnung. Nur wenn der ersetzt wird durch armseligste Polemik, rhetorische Taschenspielertricks, hilflose Floskelei, wenn Argumente in der ganzen Sendung kaum zu vernehmen sind, dann hat eine derartige Sendung eigentlich keinen Sinn mehr. Sie ist allenfalls noch schlechtes Beispiel. Ein Informationssendung jedenfalls war das nicht. Klamauk ist aber auch nicht Teil des Programmauftrags Unterhaltung. Ich wäre für Abschaffen. Parteien sollten eine bundesweite Fernsehbühne erst wieder erhalten, wenn ihre Kommunikation diese Bezeichnung wieder verdient. Man muß sich einen TV-Auftritt verdienen. Durch gekonnte Gesprächsführung und spürbare Präsenz, durch respektablen Umgang auch mit politischen Gegnern, durch spürbare Orientierung an bürgerlichen Verhaltensregeln. Wenn Kindern schon beigebracht wird, daß Lautstärke Argumente nicht ersetzt, daß man nicht lügen darf, daß man respektvoll mit den Nächsten umgeht, daß man nicht dazwischenquatscht und Gesprächsteilnehmer ausreden läßt, daß man sich an Spielregeln halten muß, dann wäre es das Mindeste, das auch von der politischen Elite des Landes zu erwarten.

Blödsinn

“In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite.”

Wieviel geschichtsvergessen-ahnungslosen Blödsinn darf ein christdemokratischer Kanzlerkandidat eigentlich wie oft von sich geben, bis auch lokale Christdemokraten öffentlich bekennen, daß der Mann aus Aachen für solch ein Amt ungeeignet ist? Er kann einer Frau nicht folgen, die Zweitausendundreizehn im Jahr der Bundestagswahl die SPD in der Leipziger Volkszeitung als eine “streitbare und unbeugsame Stimme der Demokratie in Deutschland” gewürdigt hatte. “Für diesen gar nicht hoch genug einzuschätzenden Dienst an unserem Land gebühren der SPD mein Respekt und meine Anerkennung”, schrieb die damalige CDU-Bundesvorsitzende. Das eine ist Blödsinn, das andere Format.